Nachfolgend werden drei Bücher vorgestellt, die sich mit den militärischen Einheiten bzw. Verbänden des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR beschäftigen.
Zunächst Hagen Koch / Peter Joachim Lapp: „Die Garde des Erich Mielke – Der militärisch-operative Arm des MfS“. Hier liegt die erste eigenständige Arbeit über die Geschichte des Berliner Wachregiments (WR) „Feliks Dzierzynski“ vor. Mit Koch – seines Zeichens ehemaliger Offizier des WR – war sogar ein Zeitzeuge an der Entstehung beteiligt. Das Buch stellt das WR von der Aufstellung der ersten Wacheinheiten des MfS bis zur Auflösung des Ministeriums 1989/90 dar. Im großen und ganzen werden alle relevanten Fragen behandelt, allerdings fehlt es dem Buch an einer klaren Struktur. Es gibt einerseits viele Mini-Kapitel, die zu einer m.E. ungesunden Zersplitterung des Textes führen, andererseits schwanken die beiden Autoren zwischen der chronologischen und der thematischen Abhandlung des Stoffes hin und her, ohne sich für eine der beiden Formen zu entscheiden. Unter beiden Mängeln leidet die gesamte Darstellung.
Als Publikum hat man wohl vornehmlich an ein westdeutsches gedacht, anders kann ich mir den z.T. merkwürdigen und DDR-untypischen Sprachgebrauch nicht erklären. Als Zugeständnis an besagte Leser ist wohl auch zu werten, daß viele Begriffe in Anführungszeichen gesetzt worden sind, ohne daß dies erforderlich gewesen wäre – fast so, als hätte es nie richtige „Einsatzbefehle“ oder „Aufklärer“ gegeben. (Oder als wäre die „sogenannte DDR“ keine handfeste Realität, sondern nur eine Fata Morgana der deutschen Geschichte gewesen.) Wenn man die – m.E. übertriebenen – Ausführungen über die inneren Verhältnisse der Truppe liest, erhält man den Eindruck, das WR habe zu 90 % aus alkoholabhängigen Schlägern und Kleinkriminellen bestanden. Komisch für eine Eliteeinheit, deren Personal sorgfältig ausgewählt wurde …
Ferner kommen Fragen der militärischen Organisation ein wenig zu kurz. So wird z.B. erwähnt, daß es im WR sowohl Schützenbataillone als auch Motorisierte Schützenbataillone gab, auf allfällige Unterschiede in Ausrüstung und Auftrag wird jedoch nicht eingegangen.
Positiv muß man hervorheben, daß Koch und Lapp die führende Rolle der SED im Staatsaufbau der DDR, der sich auch das MfS zu beugen hatte, würdigen, indem reichlich aus den Akten der Sicherheitskommision des ZK der SED zitiert wird. Das ist schon allein deswegen erfreulich, weil viele (vor allem westdeutsche) Historiker scheinbar glauben, mit dem MfS den „Stein der Weisen“ zur Entschlüsselung der gesamten DDR gefunden zu haben. In diesem verschrobenen Weltbild mutiert der Nachrichtendienst zu einer Art geheimen Kommandozentrale, ohne die in der DDR nichts funktioniert habe. Es ist das Verdienst der beiden Autoren, daß sie insoweit dem Trend entgegengetreten sind.
Ansonsten ist das Buch mit reichlich Bildmaterial illustriert worden, zudem ist der übliche wissenschaftliche Apparat vorhanden. „Die Garde des Erich Mielke“ ist für alle Interessierten zu empfehlen. Wer sich eingehender dafür interessiert, findet im NVA-Forum zahlreiche Beiträge von ehemaligen Soldaten des WR, in denen sie aus ihrem Alltag berichten.
Weniger bekannt als das WR waren die Spezialkräfte und -einheiten des MfS. Davon gab es in der Geschichte des Ministeriums einige. Quantitativ am bedeutsamsten waren die Kräfte, die im Kriegsfall den Partisanenkampf im Hinterland des Gegners führen sollten. In den 1950er Jahren hat das MfS die entsprechende Struktur vom Nachrichtendienst der NVA übernommen und weiter ausgebaut. Neben einem IM-Netz in der BRD wurden MfS-Mitarbeiter quasi nebenamtlich (und geheim) zu Einzelkämpfern ausgebildet. Dabei wurde mit anderen Nachrichtendiensten des Warschauer Vertrages und wohlgesonnener Entwicklungsländer, insbesondere dem KGB, kooperiert.
In den 1970er Jahren wuchs der Bedarf an diesen „spezifischen Kräften“, etwa für Antiterroraufgaben wie Geiselbefreiungen sowie für den Schutz von DDR-Vertretungen in unsicheren Staaten (z.B. Äthiopien). So wurde im MfS ständig mit dem Aufbau einer stehenden Einheit herumexperimentiert, als deren Grundstock auch die Aufklärungskompanien des WR dienten. Nach diversen Umorganisationen (Abteilung IV, AGM/S) existierten schließlich 1989 Spezialkräfte in der Stärke von rund 200 Mann im Bestand der Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr).
Mit dem eben grob skizzierten Komplex hat sich als einer der ersten Thomas Auerbach in seinem Buch „Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front“ befaßt. Diese Arbeit ist im Auftrag des BStU entstanden. Auerbach führt in die Thematik ein und nennt die wichtigsten Fakten. Ansonsten ist sein Werk nicht nur mit negativen und höhnischen Urteilen über das MfS gespickt, sondern enthält auch sachliche Fehler. So wird z.B. auf S. 10 behauptet, der Begriff „Diversion“ sei eine Schöpfung des Warschauer Vertrages und seine wahre Bedeutung sei der NATO nicht bekannt gewesen. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Einerseits ist der Begriff schon gut 200 Jahre alt (Clausewitz verwendet ihn z.B. in seinem Hauptwerk „Vom Kriege“), andererseits war man sich in der NATO sehr wohl darüber im klaren, was damit gemeint war, wie zeitgenössische Quellen belegen. (Solche Fehler treten fast zwangsläufig auf, wenn sich Theologen wie Auerbach zu militärischen Fragen äußern.)
Der mit Abstand wertvollste Teil von Auerbachs Buch ist der umfangreiche Quellenanhang von knapp einhundert Seiten, anhand dessen der Leser unmittelbaren Einblick in entsprechende Dokumente des MfS nehmen kann.
Man konnte hoffen, daß sich die Behandlung des komplizierten und zugleich spannenden Themas Spezialkampfführung verbessern würde, wenn sich nach einem Theologen nun ein ehemaliger Berufsoffizier der NVA dem annähme. Doch Dieter Heinze hat diese Hoffnungen mit seinem Buch „Mielkes Alphateam – Terrorabwehr und militärische Sondereinheiten des MfS“ enttäuscht.
Zwar widmet er sich – im Gegensatz zu Auerbach – viel mehr der Terrorabwehr des MfS, allerdings bleiben auch hier viele Fragen offen, obwohl wenn die Darstellung detailreicher ist. Dazu kommt die Anbiederung an einen von der westdeutschen Geschichtswahrnehmung geprägten Zeitgeist, der nicht selten zu verqueren Ansichten führt. Beispiel: Heinze behauptet mehrfach, es habe in der DDR nicht die geringste Gefahr von Terroranschlägen bestanden. Das bezieht er ausdrücklich auch auf Flugzeugentführungen. Zugleich räumt er allerdings ein, daß es in den 1970er und 80er Jahren sehr wohl Flugzeugentführungen gegeben hat. Diese seien von DDR-Bürgern begangen worden, die auf diesem Wege nur in die Freiheit von Westberlin wollten, weshalb die Täter keine Terroristen gewesen seien. Interessant, der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen, je nach Ideologie. (Damit leistet Heinze einer Stimmung Vorschub, in der sich bald jeder Verkehrssünder, der in der DDR belangt wurde, zum Verfolgten eines totalitären Regimes stilisiert.) Zudem ignoriert Heinze die Angst der DDR-Führung vor Terroristen aus dem arabischen Raum. Diese hat etwa bei den Weltfestspielen 1973 – ein Jahr nach dem Anschlag in München – zu stark erhöhten Sicherheitsvorkehrungen geführt (u.a. Bildung der ersten Antiterroreinheit der Volkspolizei).
Mit grundlegenden Begriffen hat der Autor auch sonst seine Probleme. Nicht nur, daß die Kommandoangehörigen als Terroristen tituliert werden. Er behauptet ferner, Spezialoperationen hätten in der Militärgeschichte keinerlei spürbare Auswirkungen auf den Kriegsverlauf gehabt, weshalb die Planungen des MfS sinnlos gewesen seien. Dabei verkennt er die Möglichkeiten, die Sondereinsätze gerade in einem hochtechnisierten Krieg bieten.
Dazu kommen Heinzes unausgegorene Vergleiche mit dem sowjetischen KGB. Er redet ständig vom „Alphateam“, ohne auch nur ansatzweise in die Struktur der Spezialkräfte des KGB einzudringen. Dort gab es nämlich in den 1980er Jahren zwei stehende Spezialeinheiten: die Gruppe „A“ („Alfa“) zur Abwehr von Terroranschlägen im Inland und die Gruppe „W“ („Vympel“) für Einsätze im Ausland, die beide unterschiedlichen Organisationseinheiten des KGB angehörten (A: 7. Verwaltung (Überwachung), W: 1. Hauptverwaltung (Auslandsaufklärung)). Ironischerweise erwähnt Heinze, daß es Ende der 80er Jahre im MfS ebenso zwei Einheiten mit geteilten Aufgabenstellungen gegeben habe. Den eigentlich offenkundigen Vergleich bringt er hier aber nicht – leider, wo doch gerade das spannend geworden wäre.
Sowohl Heinze als auch Auerbach gehen nur am Rande auf die Auslandseinsätze dieser Spezialeinheiten bei der Sicherung von DDR-Botschaften (z.B. in Afrika) ein. Schade, auch dieses Thema hätte viel Potential geboten. Schließlich ist das völlig verunglückte Umschlagbild des Buches zu kritisieren: Was haben die genannten Spezialkräfte mit der Pontonkompanie des WR zu tun?
Auf der Positivseite ist zu vermerken, daß Heinze auf die Organisation der Territorialverteidigung der DDR eingeht, in die sich im Kriegsfall auch das MfS eingefügt hätte. Bezweifeln darf man allerdings seine These, wonach in den Kreis- und Bezirkseinsatzleitungen Offiziere der NVA das Sagen gehabt hätten. Vielmehr trifft das auf Angehörige der VP zu, die ja zudem mit der Bereitschaftspolizei (und den fachlich unterstellten Kampfgruppen) auch die Masse der Einsatzeinheiten gestellt hätte.
Fazit: Ein interessanter und spannender Aspekt der jüngeren deutschen Militärgeschichte ist bis dato weniger aus einer fachlichen als aus einer weltanschaulichen Perspektive heraus behandelt worden. Dies wird vor allem daran deutlich, daß es meist an adäquaten Vergleichen mit den Spezialeinheiten anderer Länder fehlt. Viele der vorgenannten Mängel könnten aber durch zwei vielversprechende Bücher behoben werden, die von ehemaligen Angehörigen der Zentralen spezifischen Kräfte des MfS in kleinen Auflagen publiziert worden sind. Mehr dazu in den nächsten Wochen.
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1 Kommentare:
Sehr gut dargestellt, Teil 2 ist noch nen Stück besser, mach weiter so.
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