Während die bisher vorgestellten Publikationen weitgehend die Außensicht wiedergeben, hat sich mit „Schild '84 – Eine ostdeutsche Biographie“ erstmals ein Insider zu Wort gemeldet. Das anonym veröffentlichte Buch ist als Privatdruck erschienen und kann über die E-Mail-Adresse
Der Autor schildert seinen eigenen, durchaus DDR-typischen Werdegang: Elternhaus, Schule, Berufsausbildung, danach (mehr aus Zufall denn aus eigener Planung) Wehrdienst im Wachregiment Feliks Dzierzynski zu Beginn der 1980er Jahre. Nach 6 Monaten Grundausbildung und Wachdienst wird ihm (und einigen seiner Kameraden) dann ein verlockendes Angebot gemacht: „Aufkohlen“ zum Berufssoldaten und Dienst in einer Einheit, die erheblich mehr Abwechslung und (sportliche) Herausforderungen bietet als die noch vor ihm liegenden zweieinhalb Jahre Wachestehen im WR.
Seine neue Einheit, die AGM/S und spätere Hauptabteilung XXII, erscheint vom Stil her erstaunlich unförmlich, gerade für DDR-Verhältnisse fast schon unmilitärisch. Offenkundig war er in eine im Aufbau befindliche Anti-Terror-Einheit gekommen, denn ähnliche Beschreibungen kennt man z.B. aus den Anfangsjahren der GSG 9. Es wurde viel erprobt und herumexperimentiert. Einer der Höhepunkte war eine als „Schild 84“ bezeichnete Vorführung vor Minister Mielke und seinem Kollegen vom sowjetischen KGB.
Interessant ist insbesondere die Schilderung der westeuropäischen Waffen, über die die Einheit verfügte, z.B. Scharfschützengewehre und MPi 69 von Steyr, Sturmgewehre von Heckler & Koch, Repetierflinten von Winchester sowie Smith & Wesson-Revolver. Daneben natürlich auch Waffen aus dem Warschauer Vertrag: Kalaschnikows in mehreren Varianten, Makarow-Pistolen, das SSG Dragunow sowie die Klein-MPis bzw. Reihenfeuerpistolen Vz. 61 (Scorpion), APS (Stetschkin) und PM 63. Die letztere stammte aus Polen und erfreute sich bei den Soldaten besonderer Beliebtheit.
Der Autor läßt es dabei jedoch nicht bewenden. Er schreibt auch über den Abschied vom MfS im Herbst 1989 sowie sein weiteres Leben nach der Wiedervereinigung. „Schild '84“ ist ein höchst subjektives, authentisches Buch, doch gerade deshalb unbedingt lesenswert. Ungeschönt und ohne nachträgliche Glorifizierung wird erstmals eine Innenansicht der sagenumwobenen Spezialeinheiten des MfS geliefert. Was dabei herausgekommen ist, eignet sich allerdings kaum dazu, dem Mythos von den stahlharten Killerkommandos der Weltrevolution, dem manche Personen immer noch anhängen, neue Nahrung zu geben. Der Autor beschränkt sich in dieser Autobiographie auf die Schilderung seiner eigenen Erlebnisse und Empfindungen. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Denn eine fachkundige Gesamtdarstellung der militärischen Einheiten des MfS, insbesondere der Spezialkräfte, steht trotz einem halben Dutzend Bücher leider immer noch aus.
Bereits seit 1996 liegt der Titel „Partisanen des Kalten Krieges“ von Stephan Fingerle und Jens Giesecke vor, der vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen herausgegeben wurde. Mit den militärischen Einheiten des MfS hat dieser Band nur insofern zu tun, als darin die von der Nationalen Volksarmee von 1957 bis 1962 unterhaltene Vorgängertruppe für Kommandoaktionen porträtiert wird, welche später in der AGM/S des MfS aufgegangen ist.
Nach einer Einleitung sind zahlreiche Dokumente aus den Archiven von NVA und MfS abgedruckt, die einen Einblick in die „Partisanentruppe“ der Abteilung Röbelen bzw. Verwaltung 15 vermitteln. (Daraus stammt auch die unten wiedergegebene Übersicht über die 1962 vorhandenen Waffen und Munition (Quelle: S. 62 ff.).) Insgesamt hat man den Eindruck, es mit einer jener „Privatarmeen“ zu tun zu haben, wie sie etwa im Zweiten Weltkrieg auf britischer Seite üblich waren. Der erste Chef, Gustav Röbelen (der bereits im 2. WK als Partisan auf seiten der UdSSR gekämpft hatte), ist denn auch an seinem unkonventionellen Führungsstil gescheitert und 1959 abgesetzt worden.
Kurzum ein kleines aber interessantes Büchlein zu einem Randthema der deutschen Militärgeschichte, das zudem in einem recht sachlichen Ton gehalten ist. (Bei der BStU leider nicht selbstverständlich.)
Nur am Rande befaßt sich Tobias Wunschik in seinem Aufsatz über die Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr) mit den Spezialkräften. Der Text ist Teil des Handbuches „Anatomie der Staatssicherheit“ und ist hier als PDF-Datei greifbar. Wunschiks Aufmerksamkeit gilt vor allem den nachrichtendienstlichen Zweigen der Terrorabwehr. Dennoch ist auch seine Arbeit durchaus lesenswert.
Eine ähnliche Schwerpunktsetzung liegt im zweiten Band von „Die Sicherheit“ vor (hier auch als PDF), der ebenfalls einen Abschnitt über die Terrorabwehr des MfS enthält. Diese Bücher und die dazugehörende Webseite sind jedoch - bedauerlichweise - z.T. von DDR-Apologetik geprägt. Das Thema MfS polarisiert noch zu stark: Entweder sieht man diese Behörde als Ausgeburt des Teufels (wie die BStU) oder man neigt zu einer romantischen Verklärung (wie manche der heute gern in den Medien auftretenden Veteranen). Die seit der Wende vergangenen 20 Jahre haben offenkundig bei vielen nicht ausgereicht, um die für eine sachliche Auseinandersetzung notwendige (emotionale) Distanz zu schaffen.
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