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Sonntag, 31. Juli 2011

"Waffen, Schützen, Büchsenmacher"

Im vergangenen Winter ist mir beim Stöbern in einem Leipziger Antiquariat ein nicht ganz gewöhnliches Waffenbuch aufgefallen. „Waffen, Schützen, Büchsenmacher“ von Ludise Letosnikova und Josef Hercik ist erstmals in tschechischer Sprache 1975 im Prager Albatros-Verlag erschienen. Dieser Verlag besorgte 1982 auch die deutsche Übersetzung, welche hier vorgestellt wird.

Das Buch ist eher populärwissenschaftlich aufgemacht und richtet sich an waffengeschichtlich interessierte Laien ab dem Jugendalter. Behandelt wird die Entwicklung der Schußwaffen von den Bögen und Armbrüsten des Mittelalters bis zu den Hinterladern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Autoren richten ihren Blick auch auf Regionen, die oft nicht im Fokus des (deutschen) Fachpublikums stehen. Dies sind z.B. Büchsenmacher in Städten, die heute zur Tschechischen Republik, zu Polen oder Rußland gehören. Zugleich belegen sie den schon in der frühen Neuzeit vorhandenen Austausch waffentechnischen Wissens in ganz Europa. Die Autorin stellt in der Regel zunächst eine konkrete Waffe vor, um sodann die Geschichte ihrer Herstellung oder Verwendung zu erzählen. Ergänzt werden die Texte durch zahlreiche farbige Zeichnungen sowie zeitgenössische Bilder.

Positiv überrascht hat mich angesichts des Erscheinungsortes und -jahres das Fehlen jeglicher politisch-ideologischer Einsprengsel im Text. Die Autorin versteht es, dem Leser die von alten Waffen ausgehende Faszination zu vermitteln, indem sie eine Beziehung zwischen dem Gegenstand und der politischen-, Technik- oder Kulturgeschichte herstellt. Insofern ist das Buch eher ein bebilderter Essay denn ein Fachbuch; Tabellen mit technischen Daten wird der Leser darin vergebens suchen. Nichtsdestotrotz ein interessanter Ansatz, um das Thema Waffensammeln für eine breitere Öffentlichkeit darzustellen.


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Donnerstag, 7. Juli 2011

Der Literaturkanon des Waffenbesitzers


In vielen waffenbezogenen Blogs und Foren werden Bücher vorgestellt. Nicht nur technische, sondern auch schöngeistige Literatur. Backyard Safari macht insofern keine Ausnahme. Kürzlich stellte sich mir nun die Frage, wie ein „Literaturkanon des Legalwaffenbesitzers“ aussehen könnte und welche Titel er umfassen sollte.

Zunächst ist freilich zu klären, was mit einem solchen Kanon gemeint ist. Dabei denke ich zuvörderst an solche Bücher, die erstens den legalen privaten Waffenbesitz als Normalität und, in gewissem Sinne, Kulturleistung darstellen (man denke beispielsweise nur an die Jagd). Zweitens sollte der verantwortungsvolle Umgang mit diesen Geräten gezeigt werden (also keine halbstarken Gangstertypen u.ä.). Das schließt möglicherweise auch Schriften aus, deren Held nur als Staatsbediensteter tätig wird, hier bin ich mir aber noch nicht sicher.

Nach einer kurzen Revue meiner in den letzten Jahren gelesenen Prosa- und Poesiewerke würde ich mit einem ersten, vier Titel umfassenden Vorschlag eines solchen Kanons beginnen:
Alphonse Daudet: „Tartarin von Tarascon“

Iwan Turgenjew: „Aufzeichnungen eines Jägers“

Gottfried Keller: „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“

Michail Lermontow: „Ein Held unserer Zeit“

Ernest Hemingway: „Die grünen Hügel Afrikas“
Eigentlich wollte von Lermontow noch mehr dazunehmen, doch sind diese Gedichte und kleinen Stücke oft zu verstreut. Bei den Klassikern der Abenteuerliteratur wie etwa Karl May oder James F. Cooper liegt meine Lektüre schon viel zu lange zurück, als daß ich mich an einzelne Titel erinnern könnte. Dasselbe gilt für Berichte von Forschungsreisenden usw. Welche weiteren Jagdbücher sollten noch aufgenommen werden?

Deshalb die Bitte an meine Leser: Welche Bücher würden Sie empfehlen? Was sollte ein (deutscher) Legalwaffenbesitzer gelesen haben, um in unserer Zeit, in der Waffen aller Art zunehmend als „hundepfui“ dargestellt werden, als Mensch von Kultur und Bildung bestehen zu können? Anregungen und Ergänzungen zu diesem Projekt eines Literaturkanons werden gerne entgegengenommen.


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Samstag, 11. Juni 2011

11.06.2011: Video des Tages

Das aus Studentinnen bestehende Ole Miss Women’s Rifle Team der Universität von Mississippi hat vor einigen Monaten ein nettes Promotionvideo erstellen lassen. :-)


Dienstag, 29. März 2011

Gute Ideen


Die Frage, wie man den Schießsport populärer machen kann, insbesondere unter Vertretern der politischen und medialen Klassen, stellt sich nicht nur in Deutschland. In zwei Regionen Rußlands hat man dafür interessante Ansätze entwickelt.
In der Region Kamtschatka, ganz im Osten der RF, wurde kurzerhand ein Wettkampf der Abgeordneten des Regionalparlaments im Pistolenschießen veranstaltet (siehe hier).
In der Region Perm hat ein örtlicher Schießsportverband Journalisten zu einem Wettschießen eingeladen, wobei sogar Pokale unter den Schreiberlingen verteilt wurden (sieh hier).
Vielleicht könnte man dies auch hierzulande einmal versuchen?












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Fotos: www.zaksobr.kamchatka.ru, www.rosto.perm.ru.

Donnerstag, 10. Februar 2011

10.02.2011: Bild des Tages

Heute vor 174 Jahren, am 10. Februar 1837, verstarb der Dichter Alexander Puschkin in seiner Petersburger Wohnung an der Moika an den Folgen eines Duells. Puschkin, der noch heute als Nationaldichter und Begründer der modernen russischen Sprache gilt, hatte mit einem aus Frankreich stammenden Offizier um die Ehre seiner wunderschönen Frau gekämpft. Und er hatte die negativen Folgen eines Duells schon Jahre zuvor in einem seiner Dramen beschrieben: "Eugen Onegin".



Jahrzehnte später hat der Maler Ilja Repin dieses gewissermaßen doppelte Drama in obigem Bild verarbeitet. (Puschkin selbst war übrigens alles andere als duellbegeistert, doch wenn es um eine bildhübsche Frau geht, helfen oft die besten Vorsätze nicht weiter. ;-))

Mittwoch, 26. Januar 2011

26.01.2011: Text des Tages

Den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebenden russischen Schriftsteller und Offizier Michail Lermontow hatte ich in diesem Blog schon desöfteren erwähnt (vgl. hier und hier). Der "Sänger des Kaukasus" hatte während seines Dienstes in dieser wilden Gebirgsregion hinreichend Gelegenheit, sich mit den dort lebenden Menschen vertraut zu machen. Vor kurzem bin ich auf einen weiteren kurzen Text aus seiner Feder mit dem Titel "Der Kaukasier" gestoßen. Gemeint sind damit aber nicht die eigentlichen Bewohner des Kaukasus, die christlichen und muslimischen Clans und Stämme, sondern jene aus dem russischen Kernland kommenden Offiziere, die zum Dienst im brodelnden Unruheherd verpflichtet worden waren. (Man beachte bitte auch Lermontows waffenkulturelle Einlassungen. ;-))
"[...]

Erstens, was ist ein Kaukasier und wie pflegen Kaukasier zu sein?

Ein Kaukasier ist ein halb russisches, halb asiatisches Wesen; die Neigung zu orientalischen Sitten überwiegt bei ihm, doch in Gegenwart Fremder, das heißt in Gegenwart Reisender aus Rußland, schämt er sich dieser Neigung. Er ist zumeist dreißig bis fünfundvierzig Jahre alt, sein Gesicht sonnengebräunt und etwas pockennarbig; ist er kein Stabskapitän, dann gewiß Major. Echte Kaukasier finden Sie in der Linie; jenseits der Berge, in Georgien, haben sie eine andere Abstufung; zivile Kaukasier sind selten; sie stellen zumeist eine ungeschickte Nachahmung dar, und treffen Sie einmal einen echten unter ihnen an, dann höchstens bei den Regimentsärzten.

Ein echter Kaukasier ist ein bewundernswerter Mensch, würdig jeder Achtung und Teilnahme. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr wird er im Kadettenkorps erzogen und als ausgezeichneter Offizier entlassen, heimlich hat er im Unterricht den "Gefangenen im Kaukasus" [von Puschkin, E.K.] gelesen und ist in Leidenschaft für den Kaukasus entbrannt. Mit zehn Kameraden wird er auf Staatskosten dorthin geschickt – mit großen Hoffnungen und kleinem Koffer. Schon in Petersburg läßt er sich einen Achaluchi nähen und ersteht eine zottige Mütze und eine Tscherkessenpeitsche für den Postkutscher. In Stawropol angekommen, bezahlt er einen lumpigen Dolch viel zu teuer und legt ihn in den ersten Tagen weder bei Tag noch bei Nacht ab, bis er dessen überdrüssig ist. Endlich findet er sich bei seinem Regiment ein, das in irgendeiner Staniza sein Winterquartier bezogen hat, hier verliebt er sich, wie es sich gehört, in ein Kosakenmädchen, einstweilen bis zur Expedition; alles wunderschön und so poetisch! Dann rückt man zu der Expedition aus; unser Jüngling ist überall zu finden, wo auch nur eine Kugel schwirrt. Er nimmt sich vor, zwei Dutzend Bergbewohner mit eigenen Händen zu fangen, er träumt von schrecklichen Schlachten, Strömen von Blut und Generalsepauletten. Im Traum vollbringt er wahre Heldentaten – ein Wunschbild, Unsinn, vom Feind ist weit und breit nichts zu sehen, Scharmützel sind selten, und die Bergbewohner halten, zu seinem großen Leidwesen, den Bajonetten nicht stand, lassen sich nicht gefangennehmen, sondern bringen ihre Haut in Sicherheit. Zudem ist im Sommer die Hitze schier unerträglich, im Herbst Regen und Schnee und Kälte. Langweilig! Fünf, sechs Jahre verstreichen: ein ständiges Einerlei. Er sammelt Erfahrungen, wird kaltblütig und spottet über die Neulinge, die ohne Notwendigkeit ihr Leben riskieren.

Unterdessen zieren zwar viele Kreuze seine Brust, die Beförderung aber läßt auf sich warten. Er ist düster und wortkarg geworden; er macht es sich gern gemütlich und raucht sein Pfeifchen; in Mußestunden liest er auch Marlinski und erklärt, er sei sehr gut; auf Expeditionen ist er nicht mehr versessen: Eine alte Wunde schmerzt! Die Kosakenmädchen reizen ihn nicht, eine Zeitlang hat er von einer gefangenen Tscherkessin geträumt, jetzt jedoch auch diesen fast unerfüllbaren Traum vergessen. Statt dessen hat er eine neue Leidenschaft, und gerade die macht ihn zum echten Kaukasier.

Entstanden ist diese Leidenschaft folgendermaßen: In der letzten Zeit hat er sich mit einem friedlichen Tscherkessen angefreundet und reitet nun des öfteren zu ihm in den Aul. Fremd den Raffinements des Lebens in der vornehmen Welt und in der Stadt, hat er Gefallen an dem wilden Leben gefunden, von der Geschichte Rußlands und der europäischen Politik weiß er nichts, dafür hat er eine Vorliebe für die poetischen Überlieferungen des kriegerischen Volkes entwickelt. Die Sitten und Gebräuche der Bergbewohner sind ihm geläufig, er kennt ihre Helden dem Namen nach und hat sich die Ahnentafeln der wichtigsten Familien gemerkt. Er weiß, welcher Fürst verläßlich und welcher ein Gauner, wer mit wem befreundet ist und zwischen wem Blutsfeindschaft besteht. Er versteht ein bißchen Tatarisch; er hat sich einen Säbel, einen echten Gurda, angeschafft, einen Dolch, einen alten Basalai, eine Pistole von jenseits des Kuban, ein ausgezeichnetes Krimgewehr, das er selbst einfettet, ein Pferd, einen reinrassigen Schalloch, und eine vollständige Tscherkessentracht, die er nur bei wichtigen Anlässen anlegt und die ihm irgendeine wilde Fürstin genäht und zum Geschenk gemacht hat. Seine Vorliebe für alles Tscherkessische grenzt schon ans Unglaubliche. Er ist bereit, den ganzen Tag mit einem schmutzigen Usden über ein lumpiges Pferd und ein rostiges Gewehr zu reden, und es gefällt ihm sehr, andere in die Geheimnisse der asiatischen Sitten einzuweihen. Ihm sind verschiedene, höchst erstaunliche Dinge passiert, denken Sie! Kauft ein Neuling bei seinem Freund, dem Usden, eine Waffe oder ein Pferd, lächelt er nur insgeheim. Über die Bergbewohner äußert er sich so: »Ein guter Menschenschlag, aber ganz schreckliche Asiaten! Die Tschetschenen allerdings sind Lumpen, dafür sind die Kabardiner einfach Prachtkerle; auch unter den Schapsugen gibt es tüchtige Leute, allerdings können sie sich mit den Kabardinern nicht messen, weder verstehen sie es, sich so zu kleiden noch so zu reiten . . . wenn sie auch makellos leben, ganz makellos!«

Man muß die Voreingenommenheit eines Kaukasiers besitzen, um in einer Tscherkessensaklja etwas Makelloses zu finden.

Die Erfahrung langer Kriegszüge hat ihn nicht die Findigkeit gelehrt, die Armeeoffizieren sonst eigen ist; er kokettiert mit seiner Sorglosigkeit und der Gewohnheit, die Unbequemlichkeiten des Soldatenlebens hinzunehmen, er führt nur einen Teekessel mit sich, und selten wird auf seinem Biwakfeuer Kohlsuppe gekocht. Bei Hitze wie bei Kälte trägt er unter dem Gehrock einen wattierten Achaluchi und auf dem Kopf eine Schaffellmütze; er hat eine starke Abneigung gegen Mäntel und zieht die Burka vor; die Burka ist seine Toga, darin hüllt er sich ein; der Regen tropft ihm in den Kragen, der Wind schlägt die Burka auseinander – halb so schlimm! Die durch Puschkin, Marlinski und Jermolows Porträt berühmt gewordene Burka kommt nicht von seiner Schulter, er schläft darauf und deckt sein Pferd damit zu; er greift zu den verschiedensten Listen und Schlichen, um eine echte Andijer Burka zu ergattern, namentlich eine weiße, unten mit schwarzer Borte, und dann sieht er schon mit einer gewissen Verachtung auf die anderen herab. Den eigenen Worten zufolge ist sein Pferd erstaunlich schnell – auf weiten Strecken. Lächerliche fünfzehn Werst mag er darum mit Ihnen auch nicht reiten. Fällt ihm der Dienst mitunter auch schwer, er hat es sich zur Maxime gemacht, das Leben im Kaukasus zu loben; jedem, der es hören will, sagt er, der Dienst im Kaukasus sei sehr angenehm.

Aber die Jahre vergehen, der Kaukasier ist schon vierzig, es zieht ihn nach Hause, und wenn er nicht verwundet ist, verfährt er manchmal folgendermaßen: Während eines Feuerwechsels legt er den Kopf hinter einen Stein, die Beine aber streckt er zwecks Erlangung der Pension vor; dieser Ausdruck ist dort durch den Brauch geheiligt. Die wohltätige Kugel trifft ihn ins Bein, und er ist glücklich. Der Abschied mit Pension springt dabei heraus, er kauft einen kleinen Wagen, spannt ein paar Schindmähren davor und macht sich gemächlich auf den Weg in die Heimat; auf Poststationen hält er jedoch stets, um mit den Durchreisenden zu plaudern. Wenn Sie ihm begegnen, erkennen Sie ihn sofort als echten Kaukasier, denn selbst im Gouvernement Woronesh schnallt er Dolch oder Säbel nicht ab, weil sie ihm nicht hinderlich sind. Der Stationsaufseher hört ihm respektvoll zu, und erst hier erlaubt sich der pensionierte Held, zu renommieren und Geschichten zu erfinden; im Kaukasus ist er bescheiden – aber schließlich und endlich, wer sollte ihm in Rußland beweisen, daß ein Pferd nicht in einem Ritt zweihundert Werst zurücklegen kann und kein Gewehr der Welt auf vierhundert Sashen ins Ziel trifft? Aber ach, meistens vermodern seine Gebeine in muselmanischer Erde. Er heiratet selten, und bürdet ihm das Schicksal doch eine Gemahlin auf, bemüht er sich, in eine Garnison versetzt zu werden, und beschließt seine Tage in irgendeiner Festung, wo ihn seine Gattin vor einer für den Russen so verhängnisvollen Gewohnheit bewahrt.

Jetzt noch zwei Worte über die anderen Kaukasier, die nicht echten. Der georgische Kaukasier unterscheidet sich vom echten dadurch, daß er eine große Vorliebe für Kachetinerwein und weite seidene Pluderhosen hat. Der zivile Kaukasier legt selten asiatische Kleidung an; er ist mehr mit der Seele als mit dem Leib Kaukasier: Er befaßt sich mit archäologischen Entdeckungen, verbreitet sich gern über den Nutzen des Handels mit den Bergbewohnern sowie über Mittel, diese zu unterwerfen und zu bilden. Hat er dort einige Jährchen abgedient, kehrt er für gewöhnlich mit einem Rang und roter Nase nach Rußland zurück.

[...]"


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Sonntag, 31. Oktober 2010

31.10.2010: Text des Tages

Alphonse Daudets Roman "Tartarin von Tarascon" habe ich vorgestern hier im Blog vorgestellt. Nachfolgend daraus ein Kapitel über den Selbstschutz des Helden bei seinem allabendlichen Gang in den Klub - genauso ironisch geschrieben wie das gesamte Buch:
"Wie Herr Tartarin seinen Club besucht

Die Tempelherren trafen ihre Vorbereitungen, wenn sie einen Ausfall gegen die Ungläubigen machen wollten, die sie belagerten; die chinesischen Krieger bereiten sich auf ihre ganz eigentümliche Weise zum Kampfe vor; der rothäutige Comanche trifft seine besonderen Vorkehrungen, wenn er sich auf den Kriegspfad begibt – das alles zusammengenommen will aber gar nichts heißen gegen die Art und Weise, wie sich Herr Tartarin aus Tarascon von Kopf bis Fuß ausrüstete, wenn er sich um neun Uhr des Abends in seinen Klub begab – eine Stunde, nachdem die langgezogenen Töne der Retraite verhallt waren. Alles klar zum Gefecht – so pflegen es die Matrosen zu nennen.

In der linken Hand trug Tartarin eine Keule mit eisernen Spitzen, einen echten alten Morgenstern, in der rechten einen Stockdegen, in der linken Tasche einen Schlagring, in der rechten einen Revolver. Auf der Brust blitzte, zwischen der Weste und der wollenen Binde, ein malayischer Kris. Einen Bogen und vergiftete Pfeile führte er übrigens niemals bei sich, was besonders anerkannt zu werden verdient; für einen tapferen Mann, der seinem Gegner kühn entgegenzutreten willens ist, ziemen sich solche Waffen nicht.

In der Stille und Dunkelheit seines Zimmers machte er, bevor er sich auf die Wanderschaft begab, einige leichte Übungen. Er zog den Degen, legte aus und schlug ein paarmal in die Luft; dann schoß er ein paar Kugeln gegen die Wände ab und ließ schließlich seine Muskeln spielen, um sich vom Vorhandensein der eigenen Körperkraft zu überzeugen. War er mit diesen Vorbereitungen zufrieden, so nahm er seinen Hausschlüssel und ging langsam und bedächtig quer durch den Garten. Aber immer hübsch langsam, sich nur nicht beeilen – immer vorsichtig, wie die Engländer, das ist die einzig richtige Methode. An der Gartenmauer angelangt, wartete er einen Augenblick und öffnete dann die breite eiserne Türe; er stieß sie schnell, heftig, mit einem gewaltigen Ruck auf, so daß sie außerhalb des Gartens an die Mauer anschlug. Wenn »sie« sich etwa hinter ihr versteckt gehalten hätten, »sie« wären unfehlbar zu Brei gequetscht worden. Unglücklicherweise hatten »sie« sich aber niemals dahinter versteckt.

Nun war die Türe offen und Tartarin trat hinaus; schnell warf er noch einen Blick nach rechts und links, warf dann geschwind die Türe ins Schloß und drehte den Schlüssel zweimal um. Nun befand er sich auf der Straße.

Auf der Chaussee nach Avignon war um diese späte Stunde gewöhnlich auch nicht eine Katze sichtbar. Die Häuser waren geschlossen, die Lichter hinter den Fenstern ausgelöscht. Rings alles still und dunkel, nur ganz vereinzelt standen die Straßenlaternen, und auch deren Licht vermochte kaum durch den dichten, aus der Rhone aufsteigenden Nebel hindurchzudringen.

Stolz und würdevoll ging nun Herr Tartarin in die Nacht hinaus, trat kräftig auf, so daß seine Schritte in schönstem Takte durch die stillen Straßen hallten und schlug von Zeit zu Zeit mit der eisernen Spitze seines Stockes, in dem der Degen nur lose saß, auf die Pflastersteine, daß die Funken stoben. Ob er nun durch Straßen, durch Gassen oder Gäßchen ging, immer nahm er seinen Weg hübsch in der Mitte des Fahrdammes. Das ist eine ausgezeichnete, gar nicht genug zu empfehlende Maßregel der Vorsicht; man bemerkt beizeiten die drohende Gefahr und vermeidet so allerhand merkwürdige Dinge, die in den Straßen von Tarascon des Abends manchmal zum Fenster herausfallen. Man sieht also, es war pure Vorsicht, was Tartarin bewog, sich von den Häuserreihen entfernt zu halten; Vorsicht, und nicht etwa Furcht.

Als bester Beweis dafür, daß Tartarin keine Furcht kannte, mag gelten, daß er bei der Heimkehr aus dem Klub nicht etwa so schnell er irgend konnte nach Hause lief, sondern daß er ruhig und unerschrocken durch die Stadt ging, durch ein Gewirr kleiner, stockdunkler Gäßchen, an deren Ende man die Rhone unheimlich blinken sah. Der Ärmste hoffte, wenigstens auf dem Rückwege einen von jenen Beutelschneidern und Mordgesellen zu begegnen; er glaubte bei jedem Schritte, jetzt würden »sie« aus dem tiefen Schatten plötzlich auftauchen und ihn von hinten anzufallen suchen. Oh, »sie« würden hübsch empfangen werden, das war sicher. Aber ein tückisches Geschick fügte es, daß Herr Tartarin niemals, absolut niemals das Glück hatte, mit dem Gesindel zusammenzutreffen. Kein Trunkenbold, kein Hund stellte sich ihm in den Weg. Nichts! Es war zum Verzweifeln.

Einmal glaubte er seiner Sache sicher zu sein und sein Sehnen erfüllt zu sehen; es war aber blinder Lärm. Er hörte das Geräusch von Schritten und flüsternde Stimmen. Tartarin stand wie angedonnert. »Aufgepaßt!« sagte er zu sich selbst. Er stellte sich zuerst so, daß sein Schatten ihn nicht verraten konnte und der Wind nicht von ihm zu jenen hinblies, dann legte er das Ohr an den Erdboden, um genau zu hören; das alles waren Kunstgriffe, die er in den Indianergeschichten gefunden und sich wohl eingeprägt hatte.

Die Schritte nähern sich, die Stimmen werden immer lauter, schon lassen sie sich deutlich voneinander unterscheiden, kein Zweifel: »Sie« kommen, »sie« sind schon da. Tartarins Auge blitzte, seine Brust hob und senkte sich stürmisch; schon kauert er sich nieder wie ein Jaguar, der zum Sprunge ansetzt, schon will er sein lange eingeübtes Kriegsgeschrei ausstoßen – da tauchen die Gestalten aus dem tiefen Schatten auf, und zugleich hört er sich in aller Gemütlichkeit im echten unverfälschten tarasconischen Dialekt anrufen:

»Sieh da! da steht ja Tartarin! Guten Abend, Tartarin, und gute Nacht!«

Verdammt! Das war der Apotheker Bezuquet, der in Begleitung seiner Familie von Costecalde kam, wo er »sein Lied« gesungen hatte.

»Guten Abend! Guten Abend!« brummte Tartarin, wütend über das Zunichtewerden seiner Hoffnungen und Träume. Grimm im Herzen und den Spazierstock über dem Haupte schwingend, verschwand er im Dunkel.

Wenn er vor dem Hause angelangt war, in dem der Klub sein Versammlungslokal hatte, pflegte der mutige Tarasconese, bevor er eintrat, noch ein Bißchen vor der Türe auf und ab zu spazieren. Schließlich wurde er jedoch müde, noch länger auf »sie« zu warten; es wurde ihm zur Gewißheit, daß sie auch heute wieder sich ihm nicht zu zeigen wagten.

Noch einen letzten Blick voll Verachtung warf er in die dunkle Nacht und murmelte dann mit hörbarer Erregung:

»Also nichts! nichts! und wieder nichts!«

Darauf trat der Biedermann in das Lokal und begann mit seinem Freunde, dem Kommandanten, ein Spielchen."

Freitag, 29. Oktober 2010

Tartarin von Tarascon

Aufgrund des freundlichen Hinweises eines Forenkollegen wurde ich auf Alphonse Daudets Roman "Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon" aufmerksam. (Danke nochmal!) Ein, wie ich finde, herrlich kurzweiliges Buch. Und eine schöne und einfühlsame Studie über das ländliche, jagdbegeisterte Frankreich, indem ein Politiker oft mit mehr Stolz auf seine Bürgermeisterschärpe als auf seinen Sitz in der Nationalversammlung blickt. In der mir vorliegenden Ausgabe (Leipzig, vermutlich 1958) findet sich der dazu passende Spruch: "In Frankreich ist jedermann ein wenig aus Tarascon". (Das Buch scheint derzeit nur antiquarisch erhältlich zu sein.)

Tarascon ist eine Kleinstadt in der Provence, wo der Held des Buches, Monsieur Tartarin, seit seiner Geburt lebt und die er fast noch nie verlassen hat. Dennoch gilt Tartarin in seiner Heimatstadt als wahrhafter Held, als großer Jäger und belesener Zeitgenosse - was alles stimmt, aber eben nicht die ganze Wahrheit ist. In seiner Brust schlagen zwei Seelen, zum einen die eines Don Quichotte - mutig und abenteuerlustig -, zum anderen die eines Sancho Pansa - bürgerlich und bequem. So muß Tartarin, oft gegen seinen Willen, manche Abenteuer bestehen, um seine herausgehobene Stellung in der kleinstädtischen Gesellschaft zu behaupten. Dies treibt ihn schließlich bis zur Großwildjagd nach Afrika, doch anstatt der erhofften zehn Löwen erlegt er nur einen - und der war auch noch zahm. Als wäre dies nicht enttäuschend genug, geht er während der Reise seiner gesamten Habe verlustig. Aber, immerhin, erkommt wieder heim in sein geliebtes Tarascon und kann abenteuerliche Geschichten erzählen. ;-)

Tartarin ist, im positiven Sinne, ein Waffennarr. Daudet beschreibt dies durch den gesamten Roman hindurch in schöner Weise. Vielleicht etwas schrullig, aber ungefährlich. (Ein Beleg dafür, wie normal und allgemein akzeptiert der Besitz von Waffen und der Umgang mit ihnen früher war.) Ein Beispiel aus dem ersten Kapitel:
"[...]

Man kann sich nun einigermaßen vorstellen, welch tiefes Gefühl der Bewunderung und des Staunens mich erfüllte, als es mir zum ersten Male vergönnt war, diesen Wundergarten zu durchwandern. Und dennoch wurde dieses Gefühl noch gesteigert, als ich das Kabinett des Helden betrat.

Dieses Kabinett, eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, lag zum Garten hinaus; durch eine Glastüre genoß man den Anblick des Baobab.

Man denke sich einen ziemlich großen Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Flinten und Säbeln bedeckt sind. Da sah man Waffen aller Zeiten und Länder, Karabiner, Rifles, Tromben, korsische Messer, Bowiemesser, Revolver, Dolche, malaiische Krise, karaibische Bogen, Speere, Totschläger, Keulen, mexikanische Lassos und viele andere ähnliche Dinge. Von oben fiel ein heller Sonnenstrahl auf alle die Waffen, so daß die Degenklingen und Gewehrläufe blitzten und blinkten und man eine Gänsehaut bekommen konnte; was einen jedoch wieder etwas beruhigte, war die Ordnung und Sauberkeit, die in diesem Privatzeughaus herrschte. Alles war geordnet und sorgsam geputzt, und etikettiert wie im Apothekerladen. Hier und da hing an einem Gegenstande ein kleiner Zettel, auf dem zu lesen war:

Vergiftete Pfeile! Nicht berühren!
Geladene Waffen! Vorsicht!

Wären derartige Warnungszettel nicht gewesen, man hätte sich nie und nimmer in diesen Raum gewagt.

Mitten im Kabinett stand ein kleiner Tisch. Auf ihm lagen eine Rumflasche, eine türkische Tabakspfeife, die »Reisen des Kapitän Cook«, die Cooperschen Romane, die Aimardschen Reiseschilderungen; dann viele Jagdbeschreibungen: Falkenjagden, Bärenjagden, Elefantenjagden usw. Vor dem Tischchen endlich saß ein Mann von vierzig bis fünfzig Jahren; er war klein, dick, untersetzt; sein Gesicht strotzte von Gesundheit, sein Bart war kurz, aber stark, seine Augen glühten und blitzten. Er saß in Hemdsärmeln da und trug wollenes Unterzeug; in der einen Hand hielt er ein Buch, mit der andern schwang er eine ungeheuer große Pfeife mit eisernem Deckel; er las irgend eine höchst wundersame Jagdgeschichte, hatte die Unterlippe vorgeschoben und machte ein schreckliches Gesicht, was seiner unscheinbaren Figur eines kleinen tarasconischen Rentiers denselben Anstrich ungefährlicher Wildheit gab, der im ganzen Hause herrschte.

Dieser Mann war Tartarin! Tartarin von Tarascon, der unerschrockene, der große, der unvergleichliche Tartarin von Tarascon!

[...]"
Gewiß, Tartarins Abenteuer bieten keine tiefsinnige Philosophie, aber doch ein paar gekonnte Charakterstudien. Der Roman ist eine nette Lektüre, sicher nicht nur für Freunde der Jagd. Und er ist auch im Internet zu finden. :-)


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Montag, 4. Oktober 2010

(Un-)Politische Schützen

Im August konnte ich "Sachsen-Anhalts Schützenchronik" von Michael Eisert erwerben und sie jetzt endlich lesen. Das Buch ist durchaus lesenswert und gibt in geraffter Form die Entwicklung der im Landesschützenverband und über diesen im DSB zusammengeschlossenen Schützenvereine von 1990 bis 2003 wieder. Bei der Lektüre fällt schon einiges auf.

Es gibt auch hier in den östlichen Ländern Leute, die von den "deutschen Schützentraditionen" reden, ohne allerdings zu sagen, was sie darunter verstehen. Was immer man unter diesem schillernden Begriff verstehen mag, es ist - zumindest hierzulande, wo diese Traditionen seit Ende der 1930er Jahre abgeschnitten waren - absurd, sich mit Phantasieuniformen und -fahnen zu versehen und derart ausstaffiert durch die Straßen zu ziehen. Auf dem Dorf mag dergleichen noch angehen und unter Heimatpflege verbucht werden, aber in Großstädten ist es, mit Verlaub, einfach lächerlich und indiskutabel. Die Schützen sind schließlich keine Schutztruppe mehr wie vor Jahrhunderten, sondern private Sportvereine, von denen der Staat - im Gegensatz zu unseren Nachbarländern - keine wie auch immer geartete Mitwirkung an der Landesverteidigung erwartet.

Als Gipfel der Albernheit empfinde ich persönlich einen Satz wie: "Jeder kann wohl den Wunsch verstehen, eine Fahne zu besitzen". Nein, ich kann diesen Wunsch leider nicht verstehen. Komisch, in meiner Jugend (so mit 16, 17) war ich für die "Brauchtumspflege" noch empfänglicher. Doch mittlrweile fehlt mir, wie den meisten unserer Mitmenschen, das Organ dafür, obwohl ich mich in mancherlei Hinsicht durchaus als konservativ bezeichnen würde.

Doch die Fahnenfans mit ihrer Bierzeltseligkeit scheinen im hiesigen DSB-Teilverband auf dem Rückzug zu sein. Mittlerweile gibt es mehrere Klubs, die sich selbst Großkaliber-Schützenverein nennen und die schießsportliche Betätigung in den Vordergrund stellen. Das ist sehr wichtig, denn was ist denn die Essenz des Schützenwesens? Etwa Fahnenschwenken und kollektives Biertrinken? Nein, es ist das Interesse an Schußwaffen im allgemeinen und deren Verwendung für sportliche Wettkämpfe im besonderen.
Schützen in diesem Sinne gibt es auf der ganzen Welt. Deshalb verstehe ich nicht, worin die spezifisch "deutschen Schützentraditionen" bestehen sollen. Vermutlich ist dies lediglich eine andere Formulierung für Vereinsmeierei mit all ihren unschönen Begleiterscheinungen.

Jemand, der den Schießsport auf Tradition und Brauchtum reduziert, kann auch nicht erkennen, welche Gefahren dem Schützenwesen aus der Politik drohen. Er wird im Zweifelsfall loyal und konservativ sein, sich also als willfähriger Untertan der jeweiligen Obrigkeit verhalten. Und er hat recht, denn das Waffengesetz berührt ihn nur am Rande. Die aktiven Schützen hingegen trifft es ins Mark. Und selbst nach einem - hypothetischen - Totalverbot des privaten Waffenbesitzes können die Schützenvereine weiterexistieren und ihre Fahnen schwenken und gemeinsam Bier trinken ... Sie wären damit auf die Rolle eines Heimat- und Karnevalsvereins reduziert. Der aktive Schießsport wäre jedoch am Ende. Deshalb ist die Überbetonung von Tradition und Brauchtum so riskant und kritikwürdig.

Man könnte mir jetzt entgegenhalten, daß ich mich damit von meinem Aufruf zur Pflege der überkommenen Waffenkultur distanzieren würde. Dem ist jedoch nicht so. Zu einer Waffenkultur gehören Waffen. Brauchtum, was diese beinhaltet, ist unterstützenswert. Wo sich die Traditionspflege jedoch verselbständigt und auch ohne den Bezug zum aktuellen Sportschießen exitieren kann, ist Vorsicht und Kritik angebracht. Wie gesagt: Es braucht es keinen privaten Waffenbesitz, um Fahnen zu schwenken und auf Umzügen mitzumarschieren.



Für die soeben gemachten Ausführungen gibt es einen Grund, und zwar den 27. Juli 2002. An diesem Tag versammelten sich auf dem Magdeburger Domplatz rund 1000 Schützen, um gegen die geplante Waffenrechtsverschärfung zu demonstrieren. Innerhalb des LSV hat es erhebliche Vorbehalte gegen diese Demonstration gegeben. Mir fehlen hier leider Deatilinformationen, aber der seinerzeitige LSV-Präsident Hans Keller war wohl dagegen. Er hielt das Auf-die-Straße-gehen für wirkungslos. Vielleicht hatte er aber auch nur die Befürchtung, seine guten Kontakte zu den Landespolitikern könnten Schaden nehmen. Hier ist sie wieder, die Unterwürfigkeit als Teil der teutonischen Schützentradition. (Gegenüber einer politischen Klasse, wohlgemerkt, die uns z.T. parteiübergreifend haßt und verachtet.) Anstatt für seine Grundrechte offen einzutreten, kuscht man lieber und hofft, daß es schon nicht so schlimm kommen werde.

Gott sei dank sind diese Zeiten vorbei. Die Waffenrechtsdebatte des Jahres 2009 und die sie begleitende Medienhetze haben bei vielen Legalwaffenbesitzern zu einem Umdenken geführt. Jetzt gilt es, wie schon mehrfach geschehen, die so freigewordene Energie in fruchtbringende Aktionen zu stecken. Und anstatt bisweilen diffusen Traditionen nachzuhängen, im Hier und Jetzt zu leben und zu handeln. Und zur Not auch vor einem Rathaus oder Regierungsgebäude zu demonstrieren.


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Freitag, 3. September 2010

"Jagd in Steppe, Wald und Eis"


Hin und wieder passieren schöne Zufälle. So hat am Montag - zeitgleich mit meinem Beitrag über die herrschaftliche Jagd in der Sowjetunion - das JagdWaffenNetz die Rezension eines Buches von Christoph Stubbe über die Jagd in Sibirien publiziert. Und wie der Zufall es will, liegt derzeit eine Anthologie von Jagdgeschichten sowjetischer Schriftsteller auf meinem Schreibtisch. "Jagd in Steppe, Wald und Eis" wurde von Helmut Sträubig zusammengestellt und ist 1969 in zweiter Auflage in Leipzig erschienen.

Der Band ist eine Mischung aus Fachbuch und Belletristik. Die letztere Komponente wird durch den aus Jagdgeschichten bestehenden Hauptteil dargestellt. Dafür hat der Herausgeber über zwei Dutzend Erzählungen sowjetischer Autoren zusammengestellt, die um die Themen Jagd und Wild kreisen. Ausdrücklich wurden vor allem weniger bekannte Schriftsteller ausgewählt, um sie dem deutschen Publikum näherzubringen. Der Herausgeber weist jedoch darauf hin, daß es im russischen Sprachraum eine lange jagdliterarische Tradition gibt, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht - wie etwa Turgenjews "Aufzeichnungen eines Jägers". Es dürfte nur wenige Länder geben, in denen die Jagd einen derart großen Einfluß auf das Volksleben im allgemeinen und die Kunst im besonderen hatte.

Die Geschichten in Sträubigs Band sind in der Regel sehr gut zu lesen und vermitteln einen Eindruck von den jagdlichen Verhältnissen in der UdSSR. Die eher fachliche Komponente des Buches stellt neben dem Anhang, der u.a. Karten über die Verbreitung einzelner Wildarten enthält, sowie den zahlreichen Farbfotos die vom Herausgeber verfaßte Einleitung dar, die z.T. sehr interesante Informationen enthält. An dieser Stelle schließen sich auch einige vom JagdWaffenNetz aufgeworfene Fragen an.

Sträubig weist zum einen auf die vielen unterschiedlichen Klimazonen hin, in den sich das Gebiet der SU erstreckt hat. Daraus folgte ein großer Artenreichtum. Die Bestände mancher Arten, die zuvor vom Aussterben bedroht waren, konnten durch Schutzmaßnahmen wieder auf ein hohes Niveau gebracht werden. Des weiteren werden - natürlich geschätzte - Zahlen für die 1960er Jahre genannt: 2,5 bis 3 Mio. Saigas, 800.000 bis 900.000 Wildschweine, 700.000 Elche, 500.000 Rehe etc. (vgl. S. 16).

Die Jagd hat hier seit Jahrhunderten immer auch wirtschaftlichen Zwecken gedient, sei es zur Beschaffung von Nahrung oder zum Gewinnen der Felle. Das ist vermutlich einer der größten Unterschiede im Vergleich mit Deutschland, auch wenn z.B. die Bejagung von Pelztieren seit deren Zucht auf Farmen rückläufig ist. Doch es gab in der SU nicht nur Berufsjäger. Die Jagd als Freizeitbetätigung hat sich großer Beliebtheit erfreut. Im Jahr 1965 hatten die Jagdvereinigungen, der allerdings nicht alle Jäger angehörten, über zwei Millionen Mitglieder. Zum Vergleich: Damals hatte die Sowjetunion knapp 230 Mio. Einwohner. Voraussetzung für die Jagdausübung war - wie auch hierzulande - das Absolvieren einer Ausbildung, die mit der Jagdscheinprüfung abschloß.

Kommen wir zum Thema Waffenbesitz, das von Sträubig (leider) nicht thematisiert wird. Es ist ja bekannt, daß die Jagdwaffenvergabe in der DDR extrem restriktiv erfolgte und ein privater Waffenbesitz für den Durchschnittsbürger de facto unmöglich war. Das war jedoch nicht in allen sozialistischen Staaten der Fall. Meinem Kenntnisstand zufolge war es in der UdSSR für einen Jäger durchaus möglich, eigene Waffen zu erwerben. Die Crux bestand allerdings darin, daß man zunächst fünf Jahre lang glattläufige Waffen ohne Beanstandung besessen haben mußte, bevor man auch solche mit gezogenem Lauf erwerben durfte. Folglich wurden zumeist Flinten zur Jagd eingesetzt, was jedoch bisweilen eine höchst suboptimale Wahl war, selbst mit Slugs.

Demgegenüber war die öffentliche Akzeptanz für Waffenbesitz und -tragen recht groß. So beschreibt einer der Autoren - A. Schachow (vgl. S. 52 ff.) - wie Moskauer Jäger vor den Toren ihrer Stadt auf die Pirsch gehen - Fahrten mit Bus und Straßenbahn inklusive. Dabei befanden sich die Flinten wohlgemerkt nicht in einem verschlossenen Behältnis, sondern wurden am Riemen über der Schulter getragen. Dieser Anblick hat weder Miliz noch KGB auf den Plan gerufen, sondern war akzeptierte Normalität, wenn man von ein paar witzigen Kommentaren anderer Passanten absieht.

Nun zu einem weiteren Kritikpunkt des Rezensenten vom JagdWaffenNetz:
"[...]

Wie reizvoll muss heute deshalb mit moderner Waffe und Ausrüstung eine Jagdreise nach Sibirien sein [...]? Man muss dazu nicht, wie der Verfasser anzunehmen scheint, in übel riechenden Hütten auf dem Boden schlafen. Das hat nichts mit Jagd zu tun, sondern mit den Rahmenbedingungen eines harten Lebens in Armut und unter dem Kommunismus.

[...]"
Hinsichtlich der Reize einer sibirischen Jagd will ich nicht widersprechen. ;-) Doch bezüglich der Lebensumstände möchte ich es einmal so formulieren: Jagd und Angeln (letzteres ist Volkssport!) haben in Rußland und der früheren SU nach meiner Beobachtung häufig etwas mit der Sehnsucht nach einem einfachen, ursprünglichen Leben in freier Natur zu tun. Das spiegelt sich auch in der Jagdliteratur wider. Selbst Jäger, die gut betucht sind, lieben es, sich in Tarnanzug und Stiefel zu kleiden, durch die Wälder zu streifen und ihre Nahrung am offenen Feuer zuzubereiten. Und die Jagdhütte ist dementsprechend rustikal gehalten. Es ist natürlich nicht immer so, aber doch ziemlich oft. Insofern ist dies weniger eine Frage des Budgets, sondern eher eine der Kultur und des Lebensstils.

Hinzu kommt noch ein zweiter Aspekt, der gewiß zum Schmunzeln anregt, nämlich der Naturschutz. Es gab, schon vor Aufkommen der Grünen, in der SU agile Umweltschützer, die schon vor Jahrzehnten für die Einrichtung von Schutzgebieten gesorgt haben. Darin fand selbst die Forstwirtschaft teilweise nur mit Pferdefuhrwerken statt, obwohl im Land sicher keinen Mangel an Traktoren herrschte.
Anders war die Lage vermutlich hinsichtlich der selbstgefertigten Flintenlaufgeschosse. Wenn ein russischer Jäger dergleichen heute noch tun sollte, dann nicht, weil es keine fertigen Produkte zu kaufen gäbe. Das Angebot auf den Jagd- und Waffenmessen ist in Rußland fast ebenso groß wie hierzulande.

Es gäbe noch viel über die Jagd in Rußland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu schreiben. Die Lektüre der hier genannten Bücher kann für das Verstehen der dortigen Situation mit Sicherheit hilfreich sein.


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Samstag, 7. August 2010

In eigener Sache: 2 Jahre Backyard Safari


Nun feiert dieser Blog heute schon sein zweijähriges Jubiläum. Das, was ursprünglich als halböffentliche Gedanken-Ablage gedacht war, hat sich zu einem bekannten Medium entwickelt, das in letzter Zeit täglich von etwa 100 Besuchern gelesen wurde. In den zurückliegenden zwei Jahren waren es insgesamt über 80.000, was für einen deutschsprachiges Weblog, zumal mit den hier behandelten Themen, schon außerordentlich gut ist.
Ein Phänomen erstaunt mich aber nach wie vor: Manche Beiträge, in denen viel Mühe steckt und in die viel Zeit investiert wurde, werden kaum beachtet. Andere, die in zehn Minuten geschrieben waren, finden aus unerfindlichen Gründen tausende von Lesern. Aber das geht auch anderen Bloggern so ...

Die Themenbreite von Backyard Safari ist sehr groß und ich weiß, daß sich kaum ein Leser für alles interessiert oder gar sämtliche Beiträge liest. ;-) Es gibt die einen, die sich vornehmlich mit Waffenrechtsfragen beschäftigen, andere lesen auch meine übrigen waffenbezogenen Beiträge, eine dritte Gruppe registriert wiederum nur auf Artikel über Rußland, während sie mit Waffen kaum etwas anfangen können. Aber meine Interessen sind nun einmal so breit gefächert - und nicht einmal alle spiegeln sich in Backyard Safari wider.

Als inhaltliche Schwerpunkte haben sich im Laufe der Jahre solche herauskristallisiert, die eher unpersönlich sind: Waffenrecht, Rezensionen, (Sicherheits-)Politik, Militär und Polizei Rußlands, ebenso der Schießsport und die Waffenindustrie in diesem Land. Demgegenüber sind Artikel über persönliche Eindrücke sowie sonstige Waffen- und Outdoorthemen (leider) etwas in den Hintergrund getreten. Doch man kann als Blogger nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Deshalb bin ich froh, daß sich mittlerweile auch hierzulande eine recht agile Bloggerszene entwickelt hat.

Ich freue mich, daß ich so lange durchgehalten habe, wenn auch zwischenzeitlich immer wieder "Schaffenskrisen" aufgetaucht sind oder nicht nur die Lust, sondern schlicht auch die Zeit zum Schreiben fehlte. (Wovor ich freilich im letzten Jahr schon gewarnt hatte.) Und ich danke allen Besuchern für ihre Treue und würde mich nach wie vor über eine größere Anzahl von Kommentaren freuen.


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Foto: talks.guns.ru.

Mittwoch, 4. August 2010

WM-Eindrücke II


Gestern hatte ich noch geschrieben, daß bei der ISSF-WM in München bisher sowohl für die deutschen als auch für die russischen Schützen die großen Einzelerfolge ausgeblieben sind. Das hat sich im Laufe des gestrigen Tages zumindest für Rußland geändert. Bereits mittags gewann Dmitrij Romanow im Schießen mit dem Luftgewehr auf die Laufende Scheibe den Weltmeistertitel vor Zhai Yuija (China) und Krister Holmberg (Finnland). In der ISSF-Pressemitteilung heißt es dazu:
"[...]

Romanov, 23, from Moscow, the current European Champion in this event, made it to the Medal Match with a qualification score of 577 points (289 points scored in the “slow run” qualification series, where the target runs in five seconds, plus 288 points in the “fast run”, where the target runs through the same distance twice as fast, in 2.5 seconds).

Competing in the medal match, the young shooter won the first round against People’s Republic of Korea by 6 to 3 points, proceeding to the Gold match where he then outdid China’s Zhai Yuija 6 to 4 points, ecuring the brightest medal.

In spite of being one of the younger competitors on the international scene (Romanov just turned 23, and started shooting in 2000), the Russian athlete had already won four World Championship titles, three as a Junior shooter in 2002 and 2006, and one in the open category at the 2009 World Championship held in Heinola (FIN), as well as several European titles (he led both the 10m Running Target events at the last Europeans of Meraker).

[...]"
In der Mannschaftswertung haben die drei an dieser interessanten Disziplin teilnehmenden russischen Schützen ebenfalls Gold geholt (2. - China, 3. - Ukraine, 9. - Deutschland). Schade, daß die Laufende Scheibe 2004 aus dem olympischen Programm gestrichen wurde.



Am Dienstagnachmittag schien sich die Pechsträne der russischen Sportler fortzusetzen. Im Finale der besten acht Luftpistolen-Schützen der Welt kam Sergej Tscherwjakoswkij mit 685,5 Ringen nur auf Platz 4 und verfehlte damit eine Medaille. Gewonnen hat der Japaner Matsuda Tomoyuki (689,4), der schon am Sonntag mit der Freien Pistole Gold errungen hatte. In der LP-Mannschaftswertung gewann Rußland jedoch Gold vor Serbien und Südkorea.

Für die Liebhaber von Statistiken hat Igor Ruljow wieder ein Diagramm erstellt. Diesmal ging es um die Frage, welche Luftpistolenmodelle bei der WM von den Männern geschossen wurden.



Ebenfalls am Nachmittag konnten sich die Juniorinnen aus der RF zwei Medaillen mit der KK-Sportpistole sichern. Die zwanzigjährige Olga Kaweschnikowa (geb. Nikulina) gewann Gold (578 Ringe), ihre zwei Jahre jüngere Mannschaftskameradin Jekaterina Lewina Bronze (575). Silber ging an die Ungarin Sara Babicz (577); zwei deutsche Starterinnen - Carina Windhorst und Magdalena Wolf - kamen auf die Plätze 6 und 10. In derselben Disziplin konnten die russischen Juniorinnen auch die Mannschaftswertung vor Südkorea und China für sich entscheiden.

Diese beiden Bilder zeigen die Siegerin Kaweschnikowa, die bei der ISSF noch immer unter ihrem Geburtsnamen Nikulina geführt wird. (Man beachte bitte ihre Fingernägel. Ein Petersburger Freund hat mir einmal gesagt, daß in Rußland keine Frau auch nur den Müll runterbringe, ohne sich vorher zurechtgemacht zu haben. ;-) Wie viel mehr trifft diese Weisheit auf eine Weltmeisterschaft zu! Aber ich will nicht lästern, es hat der jungen Dame Gold gebracht. :-) Sie schießt besser, als ich es je schaffen werde. ;-))



Diese kleine russische Erfolgsserie konnte am Dienstagabend von Alexej Alipow im Trapschießen fortgesetzt werden. Nach einem spannenden Stechen mit dem aus der tschechischen Waffenstadt Brünn stammenden Jiri Liptak gewann Alipow Silber. Die Goldmedaille ging an den spanischen Topschützen Alberto Fernandez.



Bisher hatte ich die ISSF-Veranstaltungen nur sehr kursorisch verfolgt, doch mich hat ein wenig überrascht, wie stark manche Staaten im Sportschießen sind. In Ostasien nicht nur die VR China, sondern auch Nord- und Südkorea sowie Japan; in Europa vor allem Serbien, Italien und die Slowakei. So waren beispielsweise gestern unter den acht Schützen im LP-Finale zwei Serben: Andrija Zlatic (Silber mit 689,2) und Damir Mikec (8.). Es freut mich, daß dieses Land, das sich seit 20 Jahren in schwierigen politischen Verhältnissen befindet, wenigstens sportlich auf Weltniveau liegt. Auch polnische und kroatische Schützen zeigen z.T. sehr gute Leistungen, wenn man etwa an Tomasz Palamarz, den neuen Juniorenweltmeister mit der Freien Pistole, denkt.

Über die Nachfolgestaaten der Sowjetunion hatte ich gestern schon ein wenig geschrieben. Diese WM zeigt, daß sich die Ukraine, Kasachstan, Rußland und Belarus allesamt zu relativ starken Schießsportnationen entwickelt haben, insbesondere im Juniorenbereich.



Von Ausländern, die in Hochbrück anwesend sind, hört und liest man immer wieder Worte der Begeisterung. Die WM sei das größte und beste Ereignis in der Geschichte des internationalen Schießsports und es sei erfreulich, daß so viele Zuschauer auf die Anlage kommen. Genau dieser schöne Sport, zu dem sich allein in Bayern eine halbe Million Menschen bekennt, soll durch den seit über einem Jahr laufenden Kreuzzug der Waffengegner beseitigt werden. Ich hoffe, daß diese Weltmeisterschaft keine Abschiedsvorstellung für das deutsche Schützenwesen ist.

Die Gefahren, die unserem Sport drohen, macht ein Blick auf das britische Waffenrecht deutlich. Damit muß ich noch einmal auf die Rede von IOC-Chef Jacques Rogge zurückkommen, die er am 30. Juli bei der WM-Eröffnung auf dem Münchener Marienplatz gehalten hat. Darin heißt es mit Bezug auf die Olympischen Sommerspiele 2012 in London:
"[...]

I think that the 2012 shooting venue it is going to be state of the art, as well as a very sustainable range!

[...]"
Man fragt sich schon, ob in diesem Satz Ironie versteckt ist oder ob er das ernst meint mit der Umweltverträglichkeit. Zur Erinnerung: Es war lange Zeit nicht sicher, ob bei der nächsten Olympiade überhaupt Pistolendisziplinen außer der LP geschossen werden können. Nachdem dieses waffenrechtliche Problem endlich geklärt wurde - sogar eine Handvoll englischer Schützen hat Ausnahmegenehmigungen für die sonst verbotenen Kurzwaffen erhalten -, gab es immer noch Querelen um den Austragungsort. Statt im traditionsreichen Bisley finden die Schießwettbewerbe 2012 in einer Londoner Kaserne statt. Die Schießstände werden dafür komplett neu errichtet - und nach Ende der Spiele sollen sie möglichst rückstandslos wieder beseitigt werden.

Dieser Vorgang ist ein Symbol für den Umgang mit dem Schießsport in modernen (oder besser: dekadenten) "westlichen" Gesellschaften. Wenn er Medaillen und (politischen) Ruhm verspricht, dann nimmt man ihn mehr oder minder notgedrungen kurzfristig hin. Ansonsten möchte man den Sport, die Waffen und am liebsten auch ihre Eigentümer möglichst restlos entsorgen. Hier schließt sich der Kreis, nicht nur hinsichtlich der Ideologie, sondern auch der Terminologie, sind doch viele Waffengegner zugleich Öko-Fanatiker.



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Rückblende: Die Schützen-WM 1954

Fotos: ISSF, www.shooting-russia.ru.

Dienstag, 3. August 2010

Erste WM-Eindrücke


Die ersten vier Wettkampftage der ISSF-Weltmeisterschaft in München sind vorbei und es ist an der Zeit, einige (höchst subjektive) Eindrücke festzuhalten, soweit dies aus der Ferne möglich ist.

Die Schützen aus Deutschland und Rußland haben ein gemeinames Problem: In den prestigeträchtigen Einzelwettbewerben konnten sie bisher keine Medaillen erringen, sondern nur in den oft vernachlässigten Mannschafts- und Juniorenwettkämpfen. Wie sich das für den DSB darstellt, kann man hier nachlesen. (Angesichts der durchaus vorhandenen Erfolge ist es mir schleierhaft, wie einige deutsche Zeitungen schreiben können, die WM wäre ein Desaster für die deutschen Schützen.)

Für die Rußländische Schießsportunion sieht die Bilanz bisher wie folgt aus: Silber für die Luftgewehr-Mannschaft der Männer (1787 Ringe); Bronze in den LG-Einzel- und Mannschaftswertungen der Junioren (Alexander Drjagin - 593; Mannschaft - 1771); Silber für die Juniorenmannschaft mit der Freien Pistole (1625), Bronze in der Mannschaftswertung der Männer im English Match (1790) sowie, als bisher beste Plazierungen, Gold und Silber für die Junioren beim Schießen auf die Laufende Scheibe (Jurij Dowgal - 567, Alexander Naumenko - 566).
Manche russischen Spitzenschützen hatten einfach Pech, wenn sie sich wie Wladimir Gontscharow (5. mit der FP) und Denis Sokolow (6. mit dem LG) im Finale geschlagen geben mußten. Tragisch ist es schon, wenn ein Artjom Chadshibekow das Finale im English Match als 9. des Hauptwettkampfes knapp verpaßt. (Die Leistungsdichte bei dieser WM ist enorm.) Das Abschneiden von Ljubow Galkina mit dem LG (87. mit 390 von 400 Ringen) ist nur noch enttäuschend.



Demgegenüber haben andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion in München aufgetrumpft. Mehrere Medaillen gingen in die Ukraine, Wjatscheslaw Podlesnij aus Kasachstan gewann Bronze mit der Freien Pistole und Sergej Martinow aus Belarus errang erneut den Weltmeistertitel im English Match. Die ISSF-Presseabteilung schreibt dazu:

"[...]

42-year old Belarusian shooter Sergei Martynov won his second consecutive World Championship title in the 50m Rifle Prone men event today, securing an Olympic Quota Place, a pass to the London 2012 Olympic Games.
The two-time Olympic Bronze medallist of Sydney and Athens finished on the highest step of today’s podium with a total score of 703.9 (599+104.9) points after a spine-chilling last shot.

After leading the qualification rounds with 599 points, and shooting an average higher than 10.5 per shot throughout the first part of the match, Martynov fired a frustrating 9.8-point last shot, finishing in first with just one tenth of a point of advantage over the Silver medallist Sauveplane of France (which means less than one millimetre of difference on a target set 50 meter far from them).

By winning his second consecutive title four years after the 2006 ISSF World Championship in Zagreb, Martynov also become the first-ever ISSF World Championship multi-medallist in the 50m Rifle Prone Men event: nobody, before Martynov, had ever been able to win two WCH medals in this competition.

“Of course I am happy. But I have to admit that I am somehow used to win: this is not my first victory!” Said the shy Belarusian athlete to the EBU cameras right after the last, breathtaking shot “This tile means to me that I am not too old to compete in the next Olympic Games!” concluded Martynov, who will be 44-year old in 2012.

[...]"


Martinows Sieg belegt nicht nur, daß auch ältere Herrschaften erfolgreiche Schützen sein können, sondern zeigt auch, daß man in einer solchen Position nicht auf Stil verzichten muß. Was meine ich damit? Vor etwa zwei Jahren war ich an einer Diskussion beteiligt, in der es darum ging, warum moderne Sportwaffen so häßlich sein müssen. Metall und andere Werkstoffe haben das traditionelle Holz etwa bei der Schaftfertigung weitgehend verdrängt, was mit der besseren Verstelbarkeit usw. begründet wird. Damals hatte ich (als bekennender Holzfetischist ;-)) dafür plädiert, nach Kompromissen zwischen Funktionalität und Ästhetik zu suchen. Und das WM-Finale gibt mir recht: Die Gewehre mehrerer Schützen sahen nicht aus wie orthopädische Gehhilfen, sondern verfügten als "richtige" Gewehre über einen Holzschaft. Darunter war auch das Anschütz-Gewehr des neuen Weltmeisters Martinow. Er war im Finale nicht die einzige, der an seiner Waffe auf hypermodernen Schnickschnack verzichtet hat. Trotzdem hat es ihm nicht zum Nachteil gereicht. :-)

Interessant ist auch die schon am Sonntagmorgen gestellte Frage, welche Waffen in der Disziplin Freie Pistole verwendet werden. Igor Ruljow hat dazu drei nette Statistiken erstellt: siehe hier, hier und hier. Fazit: Der nicht mehr produzierte russische Klassiker TOZ-35 ist nach wie vor gut vertreten, verliert aber langsam im Erwachsenenbereich an Boden. Von den drei Medaillengewinnern im Einzelwettkampf hat niemand eine TOZ verwendet, jedoch war sie unter den acht Finalteilnehmern immerhin zweimal vertreten, sofern ich das im Video richtig erkennen konnte.



Besonders erfreulich ist das offenbar große Zuschauerinteresse auf der Schießanlage in Hochbrück. Bleibt zu hoffen, daß die WM eine positive Außenwirkung auf die breite Öffentlichkeit entfaltet.

Bleibt zum Schluß noch ein kurzer Blick auf die Arbeit der deutschen Medien. Während es etwa im russischen Fernsehen Live-Übertragungen aus München gibt, können sich hierzulande manche Printmedien wie z.B. die Mitteldeutsche Zeitung nur zu zwei (!) Kurzmeldungen durchringen, die von Agenturen stammen (vgl. hier). Gleichzeitig werden dort jedoch Artikel über Vereinsinterna kroatischer Fußballclubs abgedruckt, als ob das hierzulande jemanden interessieren würde. So tut man alles dafür, den Schießsport als angebliche "Randsportart" wirklich an den Rand auch der öffentlichen Wahrnehmung zu drängen und so die mühsam aufgebaute waffenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung zu erhalten. Dies hat nichts mit den bisher ausbleibenden Großerfolgen des DSB zu tun, denn auch über die "kleinen" Medaillen könnte man berichten. Vielmehr ist diese Verweigerung simpler Sportberichterstattung die Fortsetzung der waffenbesitzerfeindlichen Kampagnen mit den Mitteln des hier in Sachsen-Anhalt herrschenden Pressemonopols.



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Fotos: 1+2 - Sergej Martinow bei der Siegerehrung und zuvor auf dem Schießstand; 3 - Wjatscheslaw Podlesnij und der zweitplazierte Südkoreaner Lee Daemyung im FP-Finale; 4 - Silbermedaillengewinner Valerian Sauveplane und Martinow (mit einer denkwürdigen Beinhaltung) im Wettkampf (Quelle: ISSF).

Samstag, 12. Juni 2010

Luftpistolenschießen wird immer populärer

Die junge Schützin Jekaterina Barsukowa mit ihrer Trainerin Jelena Abarinowa.


Wer sich angesichts der Überschrift fragt, ob von Deutschland die Rede ist, den kann ich beruhigen: Nein, natürlich nicht. Hierzulande wird weiter gegen jede Art von Schießsport gehetzt - selbst dann, wenn lediglich harmlose Druckluftwaffen Verwendung finden (siehe z.B. hier und hier). In Schottland sind die Waffengegner sogar noch weiter; dort werden jetzt sämtliche Luftgewehre und -pistolen unter Erlaubnispflicht gestellt. Aber noch gibt es, auch in Europa, Gesellschaften, die sich diesen Dekadenzerscheinungen widersetzen. Rußland gehört dazu.

Der deutschsprachige Dienst des Rundfunksenders Stimme Rußlands hat am 29. Mai einen interessanten Beitrag über das LP-Schießen von Moskauer Jugendlichen gebracht. Darin wird auch ein Blick auf die Entwicklung des Schießsports in der RF geworfen, wo die Frauen langsam zu dominieren scheinen:
"[...] Dieses Jahr - 2010 - kann als Olympisches Jahr bezeichnet werden. Die Winterolympiade in Vancouver ging zu Ende, und im August wird in Singapur die erste Sommer-Olympiade der Junioren im Alter von 14 bis 18 Jahren stattfinden. Eine der Sportarten, die dort vertreten sein werden, ist das Luftpistolenschießen. Die verdiente Trainerin Russlands Jelena Abarinowa brachte [der Reporterin, E.K.] Anna Akopowa das Luftpistolenschießen bei.

Die Schützlinge von Jelena Abarinowa sind Sieger der Europa-Meisterschaft. Jekaterina Barsukowa brachte aus Deutschland 3 Silbermedaillen der jüngsten Wettkämpfe. Sie sagte, dass die deutsche Auswahlmannschaft im Luftpistolenschießen eine sehr starke Konkurrenz für Russland darstellt. Aber man hat überall Angst vor unseren Sportlern.

In Tschechien fanden praktisch gleichzeitig mit den Wettkämpfen im Luftpistolenschießen in Deutschland internationale Wettkämpfe teil, aber ältere Sportler. Die Deutschen gewannen alle Medaillen. Was die Wettkämpfe unter den Junioren in Deutschland betrifft, so gewann meine Freundin Katja Lewina eine Goldmedaille. Ich dachte bis zum Schluss, dass ist siegen wird, aber sie schoss besser.

Die Trainerin der höchsten Kategorie im Pistolensportschießen Jelena Abarinowa arbeitet mit ihren sechs Schützlingen in der Moskauer Schule der olympischen Reserve Nr. 2. Es stellte sich heraus, dass in der Schule nur Mädchen sich mit dem Schießen befassen. Als unsere Korrespondentin fragte, worauf das zurückzuführen ist, erläuterte die Trainerin. Es ist schwer zu sagen, wer mehr Sport treibt - die Jungen oder die Mädchen. Das Schießen assoziiert sich mehr mit Männern, aber bei uns gibt es keine Privilegien aus Geschlechtsgründen. Warum Mädchen? Sie waren einfach würdiger als jene Jungs, die versuchten in unsere Schule aufgenommen zu werden. Man muss bestimmte Verpflichtungen erfüllen, um in der Schule der olympischen Reserve zu lernen. Man muss eine gute Gesundheit haben, sehr gut lernen, weil parallel zum Schießen der Bildungsprozess verläuft, und natürlich sportliche Errungenschaften demonstrieren. Die Ergebnisse dieser Mädchen entsprachen den Anforderungen. Alle kommen aus verschiedenen Städten, unter ihnen gibt es keine Moskauerinnen.

Wenn sie bei den russischen Wettkämpfen erfolgreich auftreten, dann haben sie Chancen in die Auswahlmannschaft des Landes zu gelangen und an Europa- und Weltmeisterschaften teilzunehmen. Zwei hervorragende Sportlerinnen, über die wir bereits sprachen, gewannen die Lizenz, die ihnen das Recht gibt an den Olympischen Spielen der Junioren in Singapur im Sommer 2010 teilzunehmen. Die Spezialisierung der Mädchen ist die Pistole, weil zum Schießen auch das Gewehrschießen gehört. In Moskau gibt es nur in dieser Schule eine Abteilung für Schießen.

Warum entschloss sich Jekaterina Barsukowa für diese, wie es scheint, männliche Sportdisziplin? Sie sagte im Gespräch mit unserem Korrespondenten:

„Die Eltern meiner Freundin sind Trainer im Schießen, und wir gingen ein Mal zum Schießplatz, wo sie arbeiten. Man schlug mir vor zu schießen. Mir gefiel das. Das Schießen war für mich zuerst wie ein Hobby. Dann hat man mir vorgeschlagen mich damit professionell zu befassen, ich verhielt mich zur Sache ernst. Dann nahm ich an Wettkämpfen teil, die in Smolensk stattfanden. Ich trat erfolgreich auf und wollte etwas Besseres erreichen. Dieses Streben ging so weit, dass ich etwas Größeres erreichen will".

Vielleicht werden Mädchen aus der Moskauer Schule der Olympischen Reserve Nr. 2 in absehbarer Zukunft Olympiasiegerinnen in Singapur und danach auch bei der Olympiade in London 2012 sein."

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Foto: Anna Akopowa/german.ruvr.ru.