Montag, 22. November 2010
Suhler Sportwaffen
Obwohl sie zeitlich noch nicht lange zurückliegt, ist die Entwicklung des Schießsports und der dazugehörigen Waffen in der DDR mit vielen Fragezeichen versehen, von denen sich ein Teil wohl niemals mehr auflösen lassen wird. Das ist mein Fazit nach der Lektüre von zwei Büchern aus der Feder Ernst G. Dieters: "Luftgewehre und Luftpistolen nach 1945 aus Suhl und Zella-Mehlis" und "Sportgewehre und Sportpistolen Kaliber .22 aus Suhl und Zella-Mehlis". Der unter einem Pseudonym schreibende Autor war früher in der Suhler Waffenindustrie tätig. Mit seinen beiden Schriften hat er profunde Studien der ostdeutschen Zivilwaffenentwicklung vorgelegt. Es werden nicht nur die verschiedenen Druckluft- bzw. Kleinkaliberwaffen in Wort und Bild vorgestellt, er beantwortet zudem auch Grundlagenfragen (z.B.: wie funktionieren die diversen Systeme von Druckluft- und CO2-Waffen). Des weiteren gibt er Einblick in die Waffenindustrie, die ja nicht nur aus dem bekannten Ernst-Thälmann-Werk (später: FAJAS), sondern auch aus privaten Büchsenmachern bestand, sowie die dortigen Abläufe. Und nebenbei wird noch so manches andere Thema gestreift.
Dabei hat Dieter sich, soweit ersichtlich, um eine penible Auswertung aller möglichen Quellen bemüht: Werksunterlagen, Akten des Suhler Beschußamtes, Presseberichte, Gespräche mit weiteren Zeitzeugen etc. Er hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, doch ist die Systematik der Bücher (Quellenverweise usw.) etwas eigenwillig und gewöhnungsbedürftig. Außerden ist die häufige Verwendung von Anführungszeichen auch bei allgemein bekannten Fachbegriffen nicht recht nachvollziehbar.
Als Leser glaubt man zunächst kaum, vor welchen Schwierigkeiten der Autor gestanden haben muß, denn für manche nach 1945 in Suhl gefertigten Waffentypen existieren keine Realstücke mehr, sondern nur noch Fotos und Zeichnungen. Der Grund hierfür liegt in der zu DDR-Zeiten geübten rigorosen Verschrottungspraxis von nicht mehr benötigten Waffen. Doch auch die Herstellerunterlagen sind bisweilen nur unvollständig erhalten geblieben.
Das Luftgewehrbuch ist ja schon seit längerem als "Haenel-Bibel" bekannt und anerkannt, doch auch der zweite Band, der sich mit den Kleinkalibergewehren und -pistolen beschäftigt, enthält manches Schmankerl. Dazu zählt vor allem das kurze Kapitel über den Schießsport in der DDR.
Dort weist er u.a. darauf hin, daß bis 1969 die UIT-Disziplinen breitensportlich betrieben worden sind. Damals wurden auch Erlaubnisse für den privaten Besitz von Sportwaffen erteilt. Erst danach wurden diese Genehmigungen widerrufen und die Privatwaffen eingezogen. Zeitgleich wurde der Schießsport aufgespalten. Für die normalen DDR-Bürger standen fortan nur noch eine Hnadvoll nationaler Disziplinen zur Verfügung, für die zudem teilweise nur qualitativ zweitklassige Waffen verwendet wurden. Die internationalen Disziplinen und die entsprechenden Matchwaffen waren nur ausgesuchten (Nachwuchs-) Leistungssportlern vorbehalten. Als Gründe hierfür nennt Dieter primär ökonomische Zwänge (Matchwaffen sind teuer) sowie die Neuprofilierung der GST als Wehrorganisation, in der der Sport als Selbstzweck eine geringere Rolle spielte.
Zurück zu den Büchern. Mit ihnen hat der Autor Männern wie Erich Krempel, Richard Greiner, Heinz Gladitz und anderen ein schönes Denkmal gesetzt. Sie waren nicht nur gute, z.T. sogar herausragende Schützen, sondern haben als Konstrukteure und Techniker auch an der Sportwaffenentwicklung mitgewirkt. Es ist bedauerlich, daß das Segment Sportwaffen zu DDR-Zeiten eine kleine Nische war und selbst im Management des Thälmann-Werkes auf Widerstände traf (Jagdwaffen waren - und sind - wohl lukrativer). Noch bedauerlicher ist, daß nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren die Herstellung von Sportwaffen in Suhl meines Wissens vollständig eingestellt worden ist. Somit wird man den nach 1945 dort produzierten Waffen schon heute einen kulturhistorischen Rang attestieren müssen, zumal bereits jetzt ein Mangel an Realstücken besteht, wurden doch manche Matchgewehre nur in kleinen Serien gebaut.
Abschließend noch eine ein wenig themenfremde Anmerkung: Dieter erwähnt mehrfach sog. "Feldposteinheiten" der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen, die in Suhl Waffen beschafft haben. Dieser Tatbestand ist freilich weniger mysteriös als der Autor glauben mag. In der Sowjetarmee traten alle Dienststellen und Einheiten aus Geheimhaltungsgründen nach außen nur mit ihrer Feldpostnummer auf. Die dahinter stehenden, ganz normalen Einheiten haben einfach Jagd- oder Sportwaffen in Suhl bestellt - sei es zum Zwecke der Jagd auf den eigenen Liegenschaften, sei es zum Training der militäreigenen Sportmannschaften. Heute, im Zeitalter detaillierter internationaler Abrüstungsverträge, ist die Praxis der Feldpostnummern natürlich obsolet, auch wenn sie in vielen Nachfolgestaaten der UdSSR noch immer an den Kasernen angebracht werden. Doch mittlerweile weiß jeder, welche Einheit dort stationiert ist und sich hinter dem Code verbirgt.
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