Vorbemerkung: In den zurückliegenden Monaten habe ich mehrfach über den Schießsport in Rußland berichtet und dabei mit Lew Weinstein auch schon einen bekannten Schützen vorgestellt. Heute möchte ich damit beginnen, in loser Folge weitere Sportschützen aus der früheren Sowjetunion zu porträtieren und z.T. auch Texte, die aus ihrer Feder stammen, zu publizieren oder von ihnen geschaffene Waffen vorzustellen. Besonders interessant erscheinen mir die Schützen, die in den 1950er Jahren bekannt geworden sind, als die UdSSR erstmals die sportliche Weltbühne betreten hat.
Heute beginnen wir mit Moisej Abramowitsch Itkis (manchmal auch Moysey oder - slawisiert - Michail Itkis geschrieben). Er wurde am 20.04.1929 in einem ukrainischen Dorf namens Torgowiza geboren und verstarb heute vor einem Jahr, am 22.06.2009, in seiner zweiten Heimat Israel. Er war in den 1950er und 60er Jahren u.a. mehrfacher Welt- und Europameister in verschiedenen Gewehrdisziplinen. Seinen m.W. ersten internationalen Titel errang er bei der UIT-Weltmeisterschaft 1954 in Caracas. Vier Jahre später bei der WM in Moskau gewann er Gold im Stehendkampf mit dem Kleinkalibergewehr über 50 m (374 Ringe) und Silber mit dem Standardgewehr über 300 m. Außerdem hat er mehrere Welt- und Europarekorde verbessert.
Über sein Privatleben ist leider nur wenig bekannt. Itkis war - wie einige der sowjetischen Spitzenschützen - Jude (was zu Sowjetzeiten unter Umständen Nachteile mit sich bringen konnte), hat Pädagogik studiert und 1969 am Leningrader Lesgaft-Institut für Körperkultur über ein Schießsportthema promoviert. Danach blieb er im damaligen Leningrad und war als Dozent an der Moshaijskij-Militäringenieurakademie tätig. Später ist er - wie viele Juden aus der ehemaligen UdSSR - nach Israel ausgewandert, doch scheint er in der dortigen Schützen-"Szene" nicht mehr in Erscheinung getreten zu sein.
Moisej Itkis hat mehrere schießsportliche Publikationen verfaßt, siehe z.B. hier, hier, hier und hier. Ich kenne jedoch keinen Titel, der ins Deutsche übersetzt worden wäre.
Abschließend gilt es, noch einige grundsätzliche Ausführungen zum Sport in der Sowjetunion zu machen. Von besonderer Bedeutung waren die zahlreichen freiwilligen Sportgesellschaften, in denen sowohl Breiten- als auch Leistungssport betrieben wurde und zu denen auch die Kinder- und Jugendsportschulen gehörten. Viele dieser Gesellschaften waren berufsständisch organisiert, wobei die Gewerkschaften eine große Rolle spielten. So gab es z.B. für Berufsschüler die "Arbeitsreserven" und für Studenten den "Sturmvogel". Die Gesellschaft "Spartak" war für viele Wirtschaftszweige zuständig, während sich "Wodnik" auf Mitarbeiter der Schiffahrt und Wasserwirtschaft beschränkte und "Zenit" vor allem den Arbeitern der Rüstungsindustrie Erholung von der Maloche bieten sollte. Dennoch waren die meisten dieser Organisationen nicht strikt abgeschlossen. So mußten etwa Studenten nicht zwangsläufig für den Sturmvogel starten.
Für den Schießsport waren neben den genannten Organisationen (vor allem den Arbeitsreserven) die folgenden besonders wichtig: Die DOSAAF war eine Wehrsportorganisation (analog der GST in der DDR), in der neben dem Schießen auch andere technische Sportarten wie z.B. Modellbau, Fliegen, Fallschirmspringen, Tauchen, Segeln usw. gepflegt wurden und deren Angebote sich primär an Jugendliche richteten. Die Dynamo-Sportklubs waren für die Körperertüchtigung der Mitarbeiter von Innenbehörden und KGB zuständig, betrieben aber auch Jugendarbeit.
Im Bereich des Verteidigungsministeriums gab es eigene Sportklubs, deren bekanntester wohl der ZSKA in Moskau ist. Doch auch auf den untergeordneten Ebenen wurde intensiv trainiert. So verfügte z.B. die GSSD über eine Schießsportsektion mit hauptamtlichen Trainern. In diesen Sporteinheiten leisteten viele schon zuvor gute Sportler ihren zweijährigen Wehrdienst ab. Und nicht wenige Sportsoldaten blieben auch länger dabei. Somit überrascht es nicht, daß aus der Sportgesellschaft der Streitkräfte ein großer Teil der Olympiateilnehmer kam (und bis heute kommt).
Darunter war auch Moisej Itkis, der während seiner aktiven Schützenlaufbahn den Rang eines Oberleutnants bekleidete.
Innerhalb dieser Sportorganisationen wurden ebenfalls zahlreiche Schießwettkämpfe ausgetragen. Daher muß man immer sauber unterscheiden, von welchen Meisterschaften ggf. die Rede ist. Waren es die (der Deutschen Meisterschaft vergleichbaren) Allunionsmeisterschaften oder nur die Allunionsmeisterschaften der DOSAAF, der Armee oder von Dynamo? Mit ihrer heterogenen Sportlandschaft unterschied sich die SU doch stark von der sehr zentralisierten DDR. (Das war, nebenbei bemerkt, nicht nur im Sport so. Auch hinsichtlich anderer Lebens- und Wirtschaftsbereiche war die SU erheblich stärker dezentralisiert als der "erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden".)
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