Vor einer Woche haben russische Medien über die Vorstellung einer Serie neuer Kalaschnikow-Modelle durch die Firma Izhmash berichtet, die unter dem Namen AK-200 laufen wird (vgl. hier, hier, hier und hier). Anlaß war ein Besuch von Ministerpräsident Putin in Ishewsk.
Bei den neuen Sturmgewehren handele es sich um die schon im Jahre 2008 angekündigte Weiterentwicklung der bewährten AK-74M- bzw. AK-100-Serie. Die neuen AKs sollen nicht nur präziser und zuverlässiger als ihre Vorgänger sein, sondern zudem serienmäßig mit Anbaumöglichkeiten für diverses Zubehör wie Zielfernrohre, Leuchtpunktzielgeräte, Laser etc. ausgestattet sein. Deshalb werden die neuen Gewehre mit einer Masse von 3,8 kg auch 500 Gramm schwerer sein als die AK-74M. Überdies sollen ab Werk Magazine mit Kapazitäten von 30, 50 und 60 Schuß verfügbar sein.
Damit hätte die rußländische Waffenindustrie Anschluß an die weltweiten Trends moderner Infanteriewaffen gefunden und die Kalaschnikownutzer wären nicht mehr auf "After-Market"-Produkte wie z.B. gesonderte Picatinny-Schienen angewiesen.
Die neue Waffe soll im kommenden Jahr in Truppenversuchen getestet werden. Lenta.ru berichtet, daß sowohl das Innenministerium (MWD) als auch der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) bereits Interesse an der AK-200 bekundet hätten. Demgegenüber hält sich das Verteidigungsministerium bedeckt, worauf auch das Fachmagazin NWO hinweist. Zum einen seien in den letzten Jahren mehrfach moderne Waffen wie z.B. das Gewehr Abakan oder die Pistole Wul konstruiert worden, die jedoch nie über das Prototypen- oder bestenfalls das Kleinserienstadium (für Spezialeinheiten) hinausgekommen sind. Zweitens seien die Arsenale der Armee gut mit den vorhergehenden Kalaschnikowmodellen gefüllt, weshalb es keinen Grund für großangelegte Neubeschaffungen gebe.
(Insofern ist auch die derzeit laufende Militärreform zu berücksichtigen. Es gibt Teile des rußländischen Militärs, die stärker modernisierungsbedürftig sind als die Handfeuerwaffen.)
Daher bleibt abzuwarten, was aus diesem neuen Projekt werden wird. Die avisierte Nachfrage aus dem Inland wird jedenfalls kaum hinreichen, um die Kosten zu decken. Somit dürfte die Frage nach den Exportaussichten entscheidend sein.
Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti hat einen längeren Text von Ilja Kramnik zu diesem Vorgang publiziert, den ich nachfolgend wiedergebe:
"[...]
Das Schnellfeuergewehr Kalaschnikow wird weiterhin seinen Dienst in der russischen Armee tun.
Das teilte Wladimir Gorodezki, Direktor des Maschinenbauwerkes von Ischewsk (Ischmasch), wo die weltbekannten Automatikgewehre hergestellt werden, am vergangenen Dienstag mit. Nach seinen Worten startet das Verteidigungsministerium kommendes Jahr die Tests einer neuen Modifikation der Waffe. Das Basismodell wird mit dem Index AK-200 bezeichnet.
Laut vorliegenden Informationen ist das neue Maschinengewehr leichter und ergonomischer. Wegen der Zusatzausrüstung (optisches Visier, Laser-Zielanweiser usw.), mit der jedes Gewehr ausgestattet wird, wird das Gesamtgewicht aber von den jetzigen 3,3 auf 3,8 Kilogramm steigen.
Inwieweit entspricht diese Modifizierung den Bedürfnissen der russischen Streitkräfte und den modernen Kampfanforderungen? Um diese Frage zu beantworten, müssen die Vorwürfe an die russische Waffenlegende (und dass Kalaschnikow längst eine legendäre Waffe ist, muss wohl nicht neu bewiesen werden) berücksichtigt werden:
1. Geringe Präzision bei Einzelschüssen und große Zielabweichung bei Feuersalven im Vergleich zu westlichen Sturmgewehren. Vor allem sind diese Mängel für die Modelle des 7,62-mm-Kalibers typisch.
2. Moderne optische Visiere lassen sich schwer aufbringen.
3. Ergonomische Mängel des standardmäßigen Spanngriffs.
4. Veraltetes offenes Visier.
Probleme mit der Schusspräzision wären Experten zufolge hauptsächlich durch die Qualitätsförderung von seriell hergestellten Waffen und Munition lösbar. Es ist kein Geheimnis, dass in verschiedenen Ländern und aus verschiedenen Zulieferteilen hergestellte AK-Gewehre einer Modifikation ganz unterschiedliche Qualität haben können.
Was die Zielabweichung und den Rückstoß angeht, so sind sie aufgrund der Konstruktion bedingt. Für die Beseitigung dieser Mängel sind also neue konstruktive Entscheidungen erforderlich - wenigstens solche, die für die Modifikation AK-107/108 getroffen wurden, deren Rückstoß dank ausbalancierter Automatik geringer ist.
Solche Änderungen werden aber letztendlich die Einführung eines neuen Systems von automatischen Waffen zur Folge haben, was unter den aktuellen Wirtschaftsbedingungen wohl unangebracht ist. Ein anderer Ausweg bestünde in der Verwendung von neuen Modellen der Mündungsbremse, die den Rückstoß wesentlich verringern könnte.
Die Probleme bei der Installierung von optischen Visieren auf den AK-Waffen sind mit den konstruktiven Besonderheiten des Installation der Optik nicht gestattet - nach jeder Abnahme und Aufsetzung des Deckels müsste das darauf (beispielsweise mit einer Picatinny-Schiene) montierte Visier neu eingestellt werden.
Bis zuletzt wurde die Optik auf den AK-Gewehren mit einem Träger auf der linken Seite des Gehäuses montiert, was die Verwendung von Visieren verschiedener Arten wesentlich einschränkte. Zur Lösung dieses Problems haben die Gewehre der 200er Serie die Picatinny-Schiene auf dem Gasabzugrohr. Außerdem ist der Deckel des Gehäuses anders konstruiert. Der Deckel ist nicht mehr abnehmbar, sondern abklappbar, was die Steifheit der Konstruktion erhöhte und gestattete, darauf die Schiene aufzubringen, dank der ganz verschiedene optische und Kollimatorvisiere verwendet werden können.
Das offene Visier wurde von vielen Experten als veraltet anerkannt. Viele andere Experten finden allerdings, dass das offene AK-Visier unter den typischen Gefechtsbedingungen durchaus nach wie vor effektiv ist und nur unwesentlich modernisiert werden sollte.
Im Großen und Ganzen erfordert das AK-200-Modell keine radikale Modernisierung der jetzigen Produktionslinien, die für den Übergang zu einem neuen Waffensystem notwendig wäre.
[...]
Das Innenministerium und der Inlandsgeheimdienst FSB denken derzeit über den Kauf von limitierten Partien der neuen Maschinengewehre nach. Alles hängt von der Entscheidung des Verteidigungsministeriums ab. Wenn das AK-200 in Serie geht, wird das den Anschluss Russlands an den globalen Trend zum Verzicht auf die nicht besonders erfolgreiche Entwicklung von „Zukunftsschusswaffen" und zur Verbesserung der aktuellen Systeme durch die Förderung ihrer Ergonomie und Zusatzausstattung bedeuten. Russland würde das übrigens sehr gut passen: Wegen der turbulenten Ereignisse in den vergangenen 20 Jahre ist hier die Entwicklungsphase der „Zukunftswaffen" nahezu unbemerkt verlaufen.
[...]"
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