Donnerstag, 30. Oktober 2008

Abschied von der Kalaschnikow?


Am 9. Oktober teilte der stellvertretende russische Innenminister Michail Suchodolski in einer Presseinformation mit, daß die seinem Ministerium nachgeordneten Polizeibehörden ihre Bewaffnung umstellen wollen. Dabei sollen die Pistole Makarow und das Sturmgewehr AKS-74 U durch modernere Waffensysteme ersetzt werden: die Pistole Jarygin und die Maschinenpistole PP-2000. Begründet wird die Einführung der neuen Waffen mit der geringeren Neigung zu unkontrollierbaren Querschlägern - was besonders bei Einsätzen im städtischen Bereich relevant ist - sowie der größeren Mannstoppwirkung.

Das besondere an dieser Neuigkeit besteht nicht nur darin, daß zwei seit Jahrzehnten geführte Waffensysteme aus dem Polizeidienst verabschiedet werden, sondern auch im absehbar erscheinenden Ende der Makarowpatrone (9 x 18 mm), die auch in russischen MPis verwendet wird und erst in den 1990er Jahren einer Modernisierung unterzogen wurde, um an die ballistischen Daten der Parabellumpatrone (9 x 19 mm) heranzukommen. Letztere hat nun das Rennen gemacht und wird zukünftig auch in Russland zum Standardkaliber der Rechtsschutzorgane werden.

Andrej Fedorow weist in einer längeren Reportage darauf hin, daß jetzt erstmals in der sowjetischen und russischen Geschichte spezielle Polizeiwaffen eingeführt werden sollen (es gibt außer den genannten Handfeuerwaffen auch neue Elektroschocker), bei denen es sich nicht um 'abgelegte' oder 'zweitverwendete' Militärwaffen handelt. Obwohl die Kalaschnikow-Sturmgewehre bewährte und zuverlässige Waffen sind, ist die Gefahr von Querschlägern, die Unbeteiligte gefährden könnten, zu groß - was angesichts einer Reichweite von 3000 m bei der Patrone 5,45 x 39 mm auch nicht verwundert.


Die Wahl der MPi legt m.E. Zeugnis vom Konkurrenzkampf zwischen den russischen Waffenherstellern ab. Obwohl sich mittlerweile das Pendel zugunsten der PP-2000 zu neigen scheint, dürfte die vom Izhewsker Kalaschnikowhersteller Izhmash in Zusammenarbeit mit der Spezialeinheit "Vityaz" entwickelte Maschinenpistole PP-19-01 "Vityaz" (dt.: Recke) noch nicht ganz aus dem Rennen sein. Auch diese Waffe verschießt das Kaliber 9 x 19 mm, ist aber im Design sehr stark an die Kalaschnikow angelehnt, was in der Polizeipraxis den Ausbildungsaufwand reduzieren dürfte. Bei einer Gesamtlänge von 69,8 cm (mit eingeklapptem Schaft 46 cm), einer Lauflänge von 23 cm und einem Gewicht von 3 kg erreicht die Waffe eine Kadenz von 750 Schuß/Minute.
Die MPi "Vityaz" ist bereits bei einigen Polizeibehörden und Sondereinheiten eingeführt und erfreut sich dem Vernehmen nach einer gewissen Beliebtheit. Sie wäre deshalb geeignet, den bei manchen Polizisten vernehmbaren Schmerz über den Verlust ihrer traditionellen Kalaschnikow zu reduzieren.


Die Maschinenpistole PP-2000 (die Abkürzung "PP" steht für "Pistolet-Pulemet", wörtlich übersetzt: Pistolen-Maschinengewehr) wird in der traditionsreichen Waffenstadt Tula von der Fa. KBP Instrument Design gefertigt. Im Gegensatz zur Vityas handelt es sich bei ihr nicht um eine vollausgewachsene Langwaffe, sondern um eine Klein-MPi im Sinne des Personal Defence Weapon-Konzeptes (wie ebenfalls die H&K MP 7). Dies zeigt sich auch an den technischen Daten: Gewicht 1,4 kg, Gesamtlänge 58,2 cm (mit eingeklapptem Schaft 34 cm). Als Kadenz werden 600 Schuß/Minute angegeben - bei Polizeiwaffen freilich ein eher theoretischer Wert.

Für beide Maschinenpistolen steht umfangreiches Zubehör wie Zieloptiken, Laser, taktische Lampen und Schalldämpfer zur Verfügung. Zugleich mit den neuen Waffen soll auch neue Spezialmunition eingeführt werden, die u.a. dazu fähig sein soll, 8 mm dicke Stahlplatten auf eine Entfernung von 15 m zu durchschlagen.


Die Pistole Jarygin (Werksbezeichnung: MP-443 "Gratsch") entspricht dem, was man von einer modernen Dienstpistole erwarten darf: Gesamtlänge 19,8 cm, Lauflänge 11,2 cm, Gewicht 950 g, Magazinkapazität 17 Patronen. Die Waffe macht einen soliden Eindruck. Hersteller ist wiederum Izhmash.
(Hierin könnte auch der Grund für die o.g. Bevorzugung der PP-2000 liegen: vielleicht verfährt die Beschaffungsstelle nach dem Motto 'Wenn die einen schon die Standardpistole und das Standardgewehr bauen, dürfen die anderen die MPi herstellen'. So wäre schließlich für beide Unternehmen - und beide Städte - gesorgt. Wer weiß ...)


Standardpistole? Ja, die Jarygin hatte sich bereits anno 2000 in einem Wettbewerb als neue Seitenwaffe der Armee durchgesetzt und im Jahr 2003 erging ein Regierungsbeschluß, wonach sie (zusammen mit zwei anderen Modellen) die Makarow in allen Sicherheitsbehörden ablösen sollte. Passiert ist seitdem nicht allzuviel, es wurden wohl lediglich die in Tschetschenien dislozierten Einheiten mit neuen Pistolen ausgestattet. (Bei einigen Spezialeinheiten hat man außerdem Glock-Pistolen gesichtet.)
Diese Geschichte erinnert an das Sturmgewehr AN-94 "Abakan", welches in den Streitkräften die AK-74 ablösen soll. Nach dem Einführungsbeschluß sind nur wenige Gewehre tatsächlich in die Truppe gelangt - und die werden hauptsächlich von Spezialeinheiten geführt.

Aber vielleicht läuft es ja diesmal besser, obwohl die Finanzen bei Rüstungsprojekten in Russland immer der limitierende Faktor sind. Man darf nicht vergessen, daß die russische Verteidigungsindustrie Waffensysteme exportiert, die in den eigenen Streitkräften mangels Geld bisher nicht eingeführt werden konnten. Eingedenk dieser Erfahrungen hat denn auch das Innenministerium wohlweislich auf die Nennung konkreter Daten verzichtet und als Zeitraum für die Umrüstung der Miliz lediglich "mehrere Jahre" genannt.
Man darf mithin davon ausgehen, daß zuerst die Behörden der Großstädte die neuen Waffen erhalten, die meisten Dorfpolizisten hingegen werden noch viele Jahre mit der guten, alten Makarow auf Streife gehen. Und so wird der Abschied von den Konstruktionen der Herren Kalaschnikow und Makarow ein langsamer sein. In Anbetracht des "Abakan"-Debakels gilt gerade für die "Kaschi" der alte Satz: Totgesagte leben länger.

Nachtrag (31.10.): Von Interesse ist auch, wie sich die übrigen Sicherheitsbehörden, z.B. der Föderale Sicherheitsdienst (inklusive Grenzschutz) und Zoll, verhalten werden. Folgen sie der vom MWD eingeschlagenen Richtung oder gehen sie eigene Wege? Und kommt jetzt vielleicht auch in das Projekt AN-94 neuer Schwung?


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Nochmals: Abschied von der Kalaschnikow
Backyard Safari wird zitierfähig ;-)
Ach, die Journaille!

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein Traum von einem Blog!
Menschen die genau so denken wie ich, mit denselben Interessen. Herrlich!
Bin begeistert, toll!
Ob Jagd, Sport, Verteidigung und vor allen Dingen Spaß an der Freude.
Gott sei Dank, ich bin doch noch normal! ;-)

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