Donnerstag, 26. Januar 2012

Wie deutsche Journalisten lügen

Митинг "За честные выборы"

Man ist, als nicht ganz hirnloser Bürger, immer wieder überrascht, mit welcher Unverfrorenheit in der vermeintlich freien deutschen Presse die Wahrheit nicht nur zurechtgebogen, sondern wie glatt gelogen wird. Ein eindrucksvolles Beispiel lieferte am 13. Januar die Stuttgarter Zeitung. In der Morgenausgabe, die bereits am Vorabend in den Handel gelangt war, betätigten sich die "Journalisten" als Hellseher. Sie schrieben - noch vor Mitternacht - in der Vergangenheitsform, daß die Polizei eine Demonstration am Stuttgarter Hauptbahnhof ab 0.00 Uhr geräumt habe (siehe hier). Damit ist eine neue Qualität der Lüge erreicht: Die Journaille erfindet nicht nur Meldungen über die Wirklichkeit (fehlinterpretiert letztere also), sie erfindet sogar Ereignisse, die so gar nicht stattgefunden haben. Dies ist aus der Rußlandberichterstattung seit langem bekannt, doch wird es auch im Inland praktiziert.

Zum seit Dezember von vielen (nicht nur) deutschen Medien gepflegten Klischee über Rußland gehört, daß Wladimir Putins politischer Stern rapiden Sinkflug begriffen sei. Zur Unterfütterung dieser gewagten These wurde z.B. folgende DPA-Meldung verbreitet:
"[...] Nach den Massenprotesten in Russland sinkt die Beliebtheit von Regierungschef Wladimir Putin [...] weiter. Putin verlor bei der Abstimmung des staatlichen Meinungsforschungsinstitutes Wziom im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 17 Prozentpunkte - und kam auf 38 Prozent."
Die Sache hat allerdings ein paar Schönheitsfehler, welche von der Deutschen Presseagentur wohlweislich nicht erwähnt werden, denn sie würden den beabsichtigten Effekt schmälern. Erstens handelte es sich nicht um eine Wahlumfrage, sondern um ein Ranking von Politikern, Künstlern, Sportlern, Musikern usw., das unter dem Titel "Die wichtigsten Leute des Jahres 2011" lief. In der Kategorie der Politiker steht Putin mit seinen 38 % allerdings unangefochten auf Platz 1. An zweiter Stelle folgt Präsident Medwedew mit 19 %. Wie man aus einer solchen Liste der beliebtesten Promis des vergangenen Jahres Aussagen über Putins vermeintlich schlechte Wahlaussichten ableiten will, bleibt das Geheimnis der DPA.

An dieser Stelle soll ein Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse der rußländischen Meinungsforscher hinsichtlich der bevorstehenden Präsidentenwahlen am 4. März geworfen werden. Dafür werden folgende Daten herangezogen: WZIOM (All-Rußländisches Zentrum für das Studium der öffentlichen Meinung - Mitteilung vom 20.01.2012), Lewada (Lewada-Zentrum - Mitteilung vom 25.01.2012) und FOM (Stiftung "Öffentliche Meinung" - Stand vom 22.01.2012). Hier sind allerdings methodische Unterschiede zu beachten: Die Fragestelleung von WZIOM war geschlossen, die von Lewada offen, weshalb die Lewada-Werte meist deutlich niedriger als die des WZIOM sind. Die FOM hat hinsichtlich der Präsidentenwahlen aktuell lediglich die Zustimmung zur Person Wladimir Putins erhoben. Die angegebene Zahl entspringt also noch keiner echten Wahlumfrage.

Nachfolgend die Wählergunst in Zahlen:
Politiker - WZIOM - Lewada - FOM

W. Putin - 52 % - 37 % - 53,6 %

G. Sjuganow - 11 % - 8 % - k.A.

W. Shirinowskij - 9 % - 5 % - k.A.

S. Mironow - 4 % - 4 % - k.A.

M. Prochorow - 2 % - 4 % - k.A.

G. Jawlinskij - 1 % - k.A. - k.A.
Die Daten zeigen deutlich, daß die als "liberal" geltenden Kandidaten Prochorow und Jawlinskij ziemlich aussichtslos sein dürften. Das Lewada-Zentrum, welches Jawlinskij ideologisch nahesteht, hatte ihn nicht einmal auf der Liste. Und Prochorow hat nun, nachdem er Eckpunkte seines Programms vorgestellt hat, die Erinnerungen an die "wilden 90er" wecken, vermutlich mit stärkerem Gegenwind bei den Wählern zu kämpfen. Damit stehen die sog. Liberalen wieder einmal im Abseits. Wie gering die Unterstützung im Volk für sie ist, kann man daran ermessen, daß Jawlinskij - im Gegensatz zu Prochorow - nicht einmal fähig war, die vom Wahlgesetz geforderten 2 Millionen gültigen Unterschriften von Unterstützern zu sammeln und deshalb aus dem Rennen um den Kreml ausscheidet.

Wie man es auch dreht und wendet: Aus heutiger Sicht ist Wladimir Putin der aussichtsreichste Anwärter auf die Präsidentschaft, danach folgt - mit deutlichem Abstand - der Kommunist Sjuganow. Letzterer könnte aber noch ein wenig zulegen, denn Teile der liberalen Intelligenzija wollen zu seiner Wahl aufrufen, obwohl sie ihn als Person verachten und sein Programm ihren Vorstellungen diametral entgegensteht. Infantile Typen ...


Verwandte Beiträge:
Journalisten und die Wahrheit
Der zweite Protesttag am 24.12.
Die neue rußländische Opposition
Nachtrag zur Dumawahl
Die Wahlen zur Staatsduma 2011
Führer-Kult
Putin, der Universalbösewicht
Anarchismus im ZDF

Sonntag, 8. Januar 2012

Journalisten und die Wahrheit

Хмурое небо под ярким солнцем

Seit seiner Gründung im Jahre 2008 besteht eine der Aufgaben dieses Blogs in der Korrektur irreführender oder schlicht falscher Medienberichte über die Rußländische Föderation. Immer wieder sind uns dabei Journalisten aufgefallen, welche die Verhältnisse in Rußland nicht nur falsch interpretieren oder darstellen, sondern zum Teil zu groben Lügen wie dem Fälschen von Zitaten greifen. Nachfolgend wieder drei Beispiele aus den vergangenen Wochen.

1. In der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) vom 28. Dezember 2011 durfte eine Kommentatorin folgenden Satz zum besten geben, in dem die gesamte Abscheu einer Intellektuellen vor dem "Putin-Regime" enthalten ist: "Als Václav Havel starb, schwieg das offizielle Russland."
Dummerweise entspricht diese Behauptung nicht der Wahrheit. Bereits am 19. Dezember hatte die rußländische Botschaft in Prag der dortigen Regierung die Beileidsbekundungen der Staatsführung der RF übermittelt - so, wie es international üblich ist. Daß Havel in Rußland nur wenig Sympathie genießt, hat vor allem damit zu tun, daß sein Antikommunismus immer eine stark russophobe Konnotation hatte. Allein Havels Verlautbarungen der letzten Jahre sprechen insofern Bände. Insofern unterschied er sich stark vom derzeitigen tschechischen Präsidenten Václav Klaus, welcher zu Moskau ein nüchtern-geschäftsmäßiges Verhältnis pflegt.

2. Im "Europastudio" des ORF ereifert sich Susanne Scholl, Moskaukorrespondentin des ORF und eine der größten deutschsprachigen Schwarzmalerinnen, regelmäßig über die angeblich so schlimmen Verhältnisse in Rußland. In der jüngsten Sendung meinte sie, daß in der RF angesichts der Eurokrise die Sektkorken knallen würden (O-Ton).
Daraufhin mußte der Politologe Gerhard Mangott intervenieren und Scholl an ein paar nüchterne Fakten erinnern, die eine solche Sektlaune ausschließen: "Angesichts der Tatsache, dass Russland 45 Prozent seiner Exporte auf dem Binnenmarkt der EU absetzt, d.h. von der Nachfrageentwicklung seiner Produkte auf diesem Markt sehr abhängig ist und angesichts des Umstandes, dass die Russländische Zentralbank 45 Prozent ihrer Hartwährungsreserven in Euro handelt," hält er Scholls Einlassungen für alles andere als glaubwürdig. Dieser Einschätzung schließe ich mich an.

3. Die zum DuMont-Konzern gehörende MZ hat sich in ihrer Ausgabe vom 20.12. eine Zitatfälschung geleistet, neben der selbst die Fehler des Herrn zu Guttenberg verblassen. Wolfgang Jung, Korrespondent der Deutschen Presseagentur in Moskau, hat in einem Artikel über die neue Staatsduma geschrieben:
"Kritiker bemängeln seit langem, dass das Parlament eine "Durchwink-Maschine" für Kreml-Projekte sei. Man kann es auch mit dem Satz des Putin-Vertrauten und bisherigen Duma-Chefs Boris Gryslow halten: "Die Duma ist kein Ort für Diskussionen!" Noch Fragen?"
Dummerweise hat Boris Gryslow, der von 2003 bis 2011 Vorsitzender der Staatsduma war, den ihm angelasteten Ausspruch ("kein Ort für Diskussionen") nie getätigt, auch wenn dies in zahllosen Medienberichten behauptet wird. Tatsächlich hat Gryslow am 29.12.2003 auf die Frage einer anderen Abgeordneten u.a. geantwortet:
"Mir scheint, daß die Staatsduma nicht der Ort ist, wo man politische Schlachten ausfechten und irgendwelche politischen Losungen und Ideologien vertreten muß, sondern sich mit einer konstruktiven, effektiven gesetzgeberischen Tätigkeit beschäftigen soll."
Gegen diese Einlassung Gryslows kann man schwerlich etwas haben, denn die Hauptaufgabe der Duma besteht - wie bei allen Parlamenten - nun einmal in der Gesetzgebung.

Das vom DPA-Mitarbeiter Wolfgang Jung, der MZ und anderen Journalisten kolportierte Märchen, wonach der Parlamentspräsident in seinem Haus nicht diskutieren wolle, ist das typische Beispiel für eine Zeitungsente. Der eine Journalist schreibt die Falschinformation vom anderen ab, ohne selbst zu recherchieren und sich um den O-Ton zu bemühen. Der Fall zeigt außerdem, mit wie wenig Sorgfalt die deutschen Medien über Rußland berichten. Die negative Meinung ist der Journaille weitaus wichtiger als ordentliche, nüchterne und faktengesättigte Arbeit. Und zur Not lügt man eben auch, denn die meisten Deutschen werden die Lüge schon mangels Sprachkenntnissen nie erkennen können.

Das seit etwa acht Jahren in der politischen Berichterstattung gepflegte alt-neue Feindbild namens Rußland strahlt nunmehr auch auf den Unterhaltungsbereich aus. So hat die ARD ihren Zuschauern Anfang Januar im Spielfilm "Russisch Roulette" ein Gruselbild vom Leben in Sankt Petersburg vermittelt. Der Film war freilich ein Reinfall - warum, kann man in diesen Kommentaren von Deutschen nachlesen, die in Petersburg leben und denen sich ob des ARD-Machwerkes die Haare sträuben.


Verwandte Beiträge:
Sensation: Ein selbstkritischer Journalist
"Der russische Phönix"
Gabriele Krone-Schmalz
Anarchismus im ZDF
Führer-Kult
Putin, der Universalbösewicht
Die Metamorphosen des Michail Chodorkowskij

Mittwoch, 4. Januar 2012

Deutsche Desinformation IV


Zunächst wünsche ich allen Lesern dieses Blogs ein frohes neues Jahr! Im verflossenen Jahr sind auf der gesamten Welt besonders viele wichtige und interessante Ereignisse geschehen. Bedauerlicherweise waren die deutschen Mainstream-Medien mehrheitlich nicht fähig, ihre Kunden und Konsumenten angemessen darüber zu informieren. Damit will ich nicht nur auf die Rußlandberichterstattung abheben, über die ich mich hier im Blog schon regelmäßig verbreitet habe. Heute sollen einige andere Punkte im Fokus stehen, denn sie alle zeigen m.E. an, daß die deutschen Medien grundsätzliche Probleme mit der Wahrnehmung der Realität haben. Wunschdenken und Engagement zugunsten bestimmter Akteure vernebelt oft den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit, den man von einem politischen Journalisten erwarten darf.

Arabischer Frühling – islamischer Winter

Beginnen wir mit den dramatischen Ereignissen, die sich in zahlreichen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zugetragen haben. Der Sturz mehrerer alteingesessener Regierungen wurde im Ausland zumeist bejubelt. Darüber vergaß man jedoch die damit einhergehenden Probleme und Risiken. Insbesondere deutsche Medien zeichneten ein simples Bild: die brutalen und korrupten Regime würden gestürzt und danach würden sich fast von alleine „Demokratie“ und „Menschenrechte“ durchsetzen. Es war, als würden manche Journalisten an Märchen glauben, in denen einfach die böse Hexe sterben muß, damit alle anderen Menschen in Frieden und Glückseligkeit leben könnten.

Die Realität sieht freilich anders aus. Ich entsinne mich noch deutlich, wie ein Reporter des deutschen Staatsfernsehens in Kairo stand und den Zuschauern weismachen wollte, daß die Moslembrüder und andere islamische Gruppen in der Revolution keine wichtige Rolle spielen würden. Vielmehr ginge es den Demonstranten um die Einführung eines politischen Systems westlichen Zuschnitts. Diese Seifenblase ist mittlerweile zerplatzt. Bei den bisherigen Etappen der Wahlen in Ägypten hat sich eindeutig gezeigt, daß islamistische Parteien und Bewegungen die politische Szenerie bei weitem dominieren. Offenkundig stehen die jugendlichen, englischsprechenden Facebook-Nutzer, die man uns im Frühjahr regelmäßig vorgeführt hat, nicht für die Mehrheit des ägyptischen Volkes.

Die Folgen sind dramatisch. Nicht nur, daß sich die Beziehungen zu Israel verschlechtert haben. Auch die christlichen Kopten, die seit Jahrhunderten in Ägypten ansässig sind, sehen sich schweren Verfolgungen ausgesetzt. Kirchen brennen und Christen werden tätlich angegriffen. All dies ist unter dem angeblich so schlimmen Präsidenten Mubarak nicht vorgekommen.
(Eine ähnliche Entwicklung hat sich übrigens im Irak ereignet, nachdem dieser 2003 durch einen Krieg „befreit“ worden war. Die christliche Minderheit im Land war seither heftigen Attacken ausgesetzt und viele Christen haben aus ihrer Heimat, die jetzt angeblich ein „Leuchtturm der Freiheit und Demokratie“ ist, fliehen müssen.)

Die Lage in anderen Staaten der Region ist ähnlich. Sowohl in Tunesien als auch in Marokko (wo die Umwälzungen weitgehend friedlich vonstatten gingen) sind nunmehr Islamisten an der Macht. Fast überall wurden die säkularen Regime durch religiöse ersetzt. Ich würde das nicht als Fortschritt bezeichnen.

Libyen

Noch dramatischer ist die Situation in Libyen. Der monatelange undurchsichtige Bürgerkrieg, der uns Europäern mit zahllosen Lügen verkauft wurde (man denke nur an die angeblichen Viagra-Rationen, mit denen Ghaddafis Soldaten zu „Vergewaltigungsmaschinen“ gemacht worden sein sollen), hat bis heute nicht zu einem einigermaßen stabilen Regime geführt. Statt dessen ist – dank massiver ausländischer Militärunterstützung – eine „Regierung“ am Ruder, die Libyen offiziell an der islamischen Gesetzgebung ausrichten will, woran es unter Ghaddafi gemangelt habe. Überdies sind sich die zahlreichen „Oppositionsgruppen“ untereinander spinnefeind, wie durch die jüngsten Kämpfe zwischen verschiedenen Milizen eindrucksvoll demonstriert wird. Das sind keine Freiheitskämpfer, sondern einfach Banditen.

Libyen demonstriert eindrucksvoll, wie sich auch deutsche Medien haben in einen Informationskrieg einspannen lassen, um Ghaddafi schlechtzureden und seine Gegner in den Himmel zu loben. Womöglich hatte der getötete Diktator recht, als er davor warnte, daß im Fall seiner Niederlage islamistische Terroristen die Macht übernehmen könnten. Nicht zu vergessen, daß während des Bürgerkrieges eine drei- bis vierstellige Anzahl von Flugabwehrraketen aus den Beständen der libyschen Streitkräfte verschwunden ist – Terroristen jedweder Couleur werden sich danach die Finger lecken.

Syrien

Nachdem sich Teile des „Westens“ daran erfreuen konnten, daß sie fähig waren, eine neue Regierung in Tripolis zu installieren, glaubten wohl manche, dieses Spiel in Syrien fortsetzen zu können. Hier spielen unsere Medien ebenfalls eine unrühmliche Rolle. Die Ereignisse in Damaskus und anderen Städten werden zumeist im gewohnten Schema „das böse Assad-Regime“ gegen „das friedliche, arme und unterdrückte Volk“ dargestellt. Daß die wirkliche Lage in Syrien höchstwahrscheinlich weitaus komplizierter ist, wird dabei unterschlagen. Wie konnte es zu den verheerenden Bombenattentaten kommen? Wieso werden Regierungsgebäude mit schweren Waffen beschossen? Wieso sterben Angehörige der Sicherheitskräfte? Als vor wenigen Tagen die Bilder von verwundeten syrischen Soldaten um die Welt gingen, hat ein britischer Journalist treffend gesagt: Was immer in Syrien wirklich vorgehen mag, diese Soldaten sind mit Sicherheit nicht durch friedliche Demonstranten so schwer verletzt worden.

Es ist somit schon eine bewußte Lüge, wenn in unseren Medien nicht von einem Bürgerkrieg in Syrien, sondern von der Unterdrückung einer (unterstützenswerten) Opposition durch die (schlimme) Regierung gesprochen wird. Mindestens die halbe Wahrheit wird dadurch unterschlagen. Unklar bleibt – wie zuvor in Libyen – auch, aus welchen Personen und Gruppen diese „Opposition“ besteht, welche Ziele von diesen verfolgt werden usw. Das jüngste Auftreten von Terroristen, die Al Quaida nahestehen sollen, ist jedenfalls alles andere als beruhigend. Wenn man aus den jüngsten Entwicklungen in Ägypten, Tunesien usw. eine Schlußfolgerung für Syrien ziehen darf, dann wird man davon ausgehen können, daß auch dort nach einem eventuellen Abgang Assads „demokratisch“ gesinnte Intellektuelle – wie der deutsche Grünen-Politiker Ferhad Ahma – keineswegs die Oberhand behalten werden.

Überdies lehrt der Übergang vom „arabischen Frühling“ in den „islamischen Herbst“, daß die große Unterstützung, welche die diversen Aufstände im westlichen Ausland gefunden haben, verheerend gewirkt hat. Die meisten dieser Staaten sind heute weitaus instabiler als zuvor, was negative ökonomische Konsequenzen hat. So ist in Ägypten der Tourismus stark geschrumpft (- 30 %), was die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung noch verschärft. Die Instabilität zeigt sich auch im sicherheitspolitischen Bereich, vor allem durch die Angriffe auf eine nach Israel führende Pipeline auf dem Sinai, die andauernden Kämpfe in Tripolis und die neue Flüchtlingswelle in Richtung Italien. Diese negativen Folgen stehen unmittelbar vor Augen. Doch worin sollen die positiven Seiten des „arabischen Frühlings“ bestehen, wenn man von abstrakten Zukunftshoffnungen absieht? Eine Antwort auf diese Frage sind die deutschen Medien bisher schuldig geblieben.

Die Euro-Krise

Die andauernde Krise der europäischen Gemeinschaftswährung hat in den Medien ebenfalls eine unzureichende Darstellung gefunden. Natürlich wurde zuhauf über die Probleme Griechenlands und anderer stark verschuldeter EU-Mitgliedsstaaten gesprochen. Aber auch hier blieb die Analyse eher oberflächlich. Ein Beispiel mag dies demonstrieren:
Als das slowakische Parlament einem der zahlreichen „Rettungspakete“ seine Zustimmung verweigerte, gingen einige deutsche Journalisten hart mit den Abgeordneten ins Gericht. Sie würden, so hieß es, das Projekt der Europäischen Union und damit den Frieden in Europa gefährden. Ein Kommentator verstieg sich gar dazu, daß er den liberalen Kritikern – die einen radikalen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert hatte – zwar recht gab, zugleich jedoch forderte, sie müßten dem – untauglichen – Rettungsschirm trotzdem zustimmen. Als Grund gab er die „europäische Solidarität“ an. D.h. dieser Journalist erwarten von Politikern, daß sie aus dem bloßen Gefühl der „Solidarität“ heraus falsche und unzweckmäßige Beschlüsse fassen.

Ähnlich zynisch und absurd war die Begründung, daß man in der EU bei Gegenwind für Gemeinschaftsprojekte in den Mitgliedsstaaten so lange abstimmen läßt, bis das Ergebnis den EU-Befürwortern paßt. Dieselben Journalisten, die sonst mit Krokodilstränen in den Augen in anderen Teilen der Welt „Demokratie“ einfordern, treten sie in ihrer Heimat mit Füßen, solange es um die Verwirklichung von Zielen geht, die ihnen gefallen.

Doch auch Politiker waren an den Albernheiten beteiligt. Man denke an den absonderlichen Vorschlag, die Flaggen säumiger Staaten vor den Brüsseler Amtsgebäuden auf Halbmast zu setzen. So wurde wertvolle Zeit mit sinnlosem Geplänkel vertan, anstatt sich ernsthaft mit der Euro-Krise – und mit zur Not auch radikalen Lösungen – zu befassen. Mittlerweile hat es den Anschein, als sie eine Sanierung Griechenlands nur noch außerhalb des Euro-Raumes möglich. Warum wurde darüber nicht schon früher ernsthaft diskutiert? Weshalb hat man statt dessen lieber (z.T. sehr platte) anti-griechische Ressentiments bedient, die jedoch die Lösung des Problems keinen Schritt voranbringen?

Entpolitisierung und Moralisierung

Das Hauptproblem der deutschen Mainstreammedien scheint mir deren übermäßige Moralisierung und die damit einhergehende Entpolitisierung zu sein. Politische Probleme werden nicht mehr anhand von i.w.S. politischen Maßstäben bewertet, sondern anhand von philosophischen. So mutiert das ökonomische Problem der Euro-Krise zu einer Schicksalsfrage, in der von den verantwortlichen Politikern im Namen der „europäischen Idee“ irrationale Entscheidungen erwartet werden. Oder die Beurteilung der komplexen Lage in Syrien wird auf die Frage reduziert, ab man Assad leiden könne oder nicht.

Thomas Fasbender hat das hierzulande grassierende Gutmenschentum sehr treffend charakterisiert: „In einer gesellschaftlichen Landschaft, in der jeder politische Konflikt moralisch eingefärbt wird, in der das Politische längst dem Werturteil gewichen ist, begegnet man den Argumenten der vermeintlichen Quertreiber nur durch Unterstellung niederer Beweggründe.“

Ein aktuelles Beispiel ist die Kampagne gegen Bundespräsident Wulff um einen Hauskredit, die sich bei näherer rechtlicher Betrachtung als weitgehend substanzlos erweist. Unsere Medien ereiferten sich bei Bekanntwerden der Vorwürfe lieber über das angebliche Fehlverhalten des Staatschefs und verzichteten dafür auf Berichte, die Wulffs seinerzeitige Reise in den Mittleren Osten zum Thema hatten. Doch was hat unser Präsident dort, wo die geopolitische Lage derzeit wieder hochkocht, gemacht?

Jede originär politische Diskussion in den deutschen Medien wird damit unmöglich gemacht. In der Folge kommt es zu einer Verblendung von Journalisten, die selbige zu drastischen Fehleinschätzungen politischer Vorgänge, namentlich im Ausland, verleitet. Besonders negativ ist dies bei den Staatssendern, die sich selbst mit dem Euphemismus „öffentlich-rechtlich“ bezeichnen und den Bürgern suggerieren, für ihre Rundfunkabgaben (die im rechtlichen Sinne gerade keine Gebühren sind) erhielten sie qualitativ hochwertige und ausgewogene Informationen. Wohl dem, der andere Informationsquellen, vor allem aus dem Ausland, zu Rate ziehen kann, um sich das ganze Bild zu machen. Im Zeitalter von Satellitenfernsehen und Internet ist dies so einfach wie nie zuvor.


Verwandte Beiträge:
Deutsche Desinformationen
Deutsche Desinformationen II
Deutsche Desinformationen III
Anarchismus im ZDF
Sensation: Ein selbstkritischer Journalist
Der zweite Protesttag am 24.12.

Bild: www.makingitmagazine.net.