Donnerstag, 3. März 2011

Deutsche Desinformationen


Am Dienstag ist Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zurückgetreten. Er zog damit die Konsequenzen aus der Affäre um nicht gekennzeichnete Zitate in seiner Dissertation. Damit war die wochenlange Kampagne eines großen Teils der Medien wie der Opposition erfolgreich. Allein das sagt viel über den Zustand unserer politischen Klasse und ihrer "politischen Kultur" aus.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Guttenberg hat als Wissenschaftler versagt, die Aberkennung des Doktortitels war deshalb zwingend. Allerdings war und ist dieser Titel keine Voraussetzung, um in Deutschland ein Ministeramt bekleiden zu können. Zudem wurde von deutschen Unis in ähnlich gelagerten Fällen auch schon anders verfahren. Und was soll man z.B. mit einem zum Dr. jur. promovierten SPD-Abgeordneten tun, der einen Aufsatz in einer juristischen Fachzeitschrift veröffentlicht, dessen Fußnoten aber nicht zum Text passen? Irrtum, Zahlendreher oder bewußte Irreführung? Und wie sollten die Konsequenzen aussehen? Entzug des Mandats oder gar Parteiausschluß? Der zuletzt genannte Fall ist keineswegs hypothetisch und zeigt, wie selektiv skandalisiert wird, wenn es um die Verbindung von Wissenschaft und Politik geht.

Andreas Fischer-Lescano, der die Affäre um Guttenberg ins Rollen gebracht hat, ist nicht nur ein Wehrrechtsexperte, sondern steht auch sehr weit links im politischen Spektrum. Jemandem wie ihm muß ein beliebter CSU-Minister wie Guttenberg seit jeher ein Dorn im Auge gewesen sein. Nun, nach dem Rücktritt, versinkt die deutsche politische Klasse wieder in jenem blassenn Mittelmaß und Parteisoldatentum, das wir für eine repräsentative Demokratie halten. Das allein ist Grund für Besorgnis.

Noch besorgniserregender ist die Tatsache, daß Guttenberg weder über seine Amtsführung noch über den Vorwurf des Amtsmißbrauchs gestolpert ist, sondern über eine private Angelegenheit. Es hätte genügend Grund für inhaltliche Kritik an der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik im allgemeinen und am Verteidigungsminister im besonderen gegeben. Doch zu einer solchen Kritik waren Medien wie Opposition nur bedingt fähig. In den letzten zwei Wochen hat sich leider die gesamte Debatte um die Bundeswehrreform u.ä. auf die Frage nach Guttenbergs Dissertation reduziert - als ob eine abgelegene verfassungsrechtliche Schrift entscheidend für die deutsche Sicherheitspolitik wäre. Absurd! Statt einer substantiellen sicherheitspolitischen Diskussion führt man lieber eine oberflächliche über Promotionsfragen.

Hier haben unsere Medien völlig versagt, indem sie randständige Themen künstlich aufgeblasen und so den eigentlichen Kern aus der Aufmerksamkeit verdrängt haben. Doch die Bürger merken das. Der Fall Guttenberg war nach Thilo Sarrazin der zweite binnen weniger Monate, wo öffentliche und veröffentlichte Meinung weit auseinanderklafften. In beiden Fällen lagen die Sympathien der Bevölkerung eindeutig bei denen, die von den Medien zerfleischt wurden. Das muß die Journaille besonders wütend machen, zeigt sie doch die Grenzen der medialen Steuerungs- und Manipulationsfähigkeit auf. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat am Dienstagabend während eines Interviews im ORF den Rücktritt in dankenswerter Offenheit als Erfolg der deutschen Medien bezeichnet.
Im übrigen war die causa Guttenberg erneut ein Beleg für die Kampagnenführung der deutschen Medien, die wirkten, als würden sie alle von einer einzigen Stelle gesteuert. An die Stelle kritischer Berichterstattung über eine Problem tritt die Hetzjagd auf eine Person (oder Personengruppe), die unbedingt aus der Öffentlichkeit verdrängt werden soll. Vor kurzem war es noch Guido Westerwelle, gegen den aus allen Rohren geschossen wurde und dessen Tage als Außenminister angeblich schon gezählt waren.

Schon wegen dieser eklatanten Verstöße gegen die Regeln guter journalistischer Arbeit und des menschlichen Anstands steht es deutschen Reportern nicht gut an, sich zum moralisierenden Richter über andere Menschen aufzuschwingen - schließlich lügen viele von ihnen wie gedruckt, weshalb die Appelle an Moral und Anstand aus dem Mund von Berufsschreiberlingen einfach lächerlich sind.

Ein weiteres Feld, auf dem ich mich von vielen deutschen Medien desinformiert fühle, ist die Lage in Nordafrika. Die Damen und Herren sind viel zu involviert, um die Entwicklungen dort nüchtern darzustellen. Immer wieder ist von einer "demokratischen Revolution" die Rede, obwohl bis jetzt in diesen Staaten bestenfalls nur von einem partiellen Elitenwechsel die Rede sein kann. Zugleich wird die dunkle Seite der Ereignisse beschönigt. Sowohl aus Tunesien als auch aus Ägypten wird eine erhebliche Zunahme der Kriminalität berichtet. Offenbar wird der teilweise Zusammenbruch der Sicherheitsbehörden weniger von politischen Aktivisten als vielmehr von ordinären Kriminellen ausgenutzt. Ähnliches wird von Ausländern berichtet, die dieser Tage aus Libyen evakuiert worden waren. Derart chaotische Zustände, während derer es zu zahllosen Gewaltakten durch irreguläre bewaffnete Haufen kommt, sind nicht demokratisch, sondern schlicht kriminell.

Ähnlich auch die agitpropmäßige "Berichterstattung" über Demonstrationen gegen die Regierung. Die deutschen Medien behaupten regelmäßig, es habe sich um friedliche Demonstranten gehandelt. Wenn es zu Ausschreitungen kommt, dann wird also (fast) immer den Sicherheitskräften die Schuld gegeben, die "brutal" gegen die in jedem Fall "friedlichen" Demonstranten vorgegangen wären. Offenbar kommt es manchen Journalisten nicht in den Sinn, daß steinewerfende oder schießende Protestierer nicht mehr friedlich handeln und sich demzufolge nicht auf ein (wie auch immer formuliertes) Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit berufen können. Die Eindimensionalität und das manichäische Weltbild vieler Journalisten sind erschreckend - vor allem, wenn man mittels Rundfunkgebühr auch noch dafür zahlen muß.

Wie ich vor zwei Wochen schon schrieb, erinnern mich die Ereignisse in Nordafrika an die Revolutionen in Rußland anno 1917. Dem Sturz des Zaren im Februar war gleichfalls monatelanges Chaos gefolgt, in dem es zu zahllosen kriminellen Handlungen kam, denen oft notdürftig ein politischer Anstrich gegeben wurde. Weder Privateigentum noch Menschenleben waren im Jahr 1917 etwas wert. Und es hat bis Mitte der 1920er Jahre gedauert, bis eine neue, halbwegs verläßliche Staatsgewalt etabliert werden konnte - allerdings eine bolschewistische. Es genügt eben nicht, eine alte Ordnung beseitigen zu wollen, man muß auch etwas neues an ihre Stelle setzen. Passiert dies nicht rasch, so wittert der Bodensatz der Gesellschaft Morgenluft und terrorisiert den Rest der Bürger. Dergleichen ist sicher revolutionär, demokratisch ist es in keinem Fall.


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Foto: RIA Nowosti.
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