Mittwoch, 16. März 2011

Bekleidungsfragen


Der folgende Artikel war am 10. März bereits kurzzeitig online, mußte dann jedoch aus einem aktuellen Anlaß noch einmal aus dem Netz genommen werden.


Im Heft 10/2010 des DWJ hatte Wulf Pflaumer, seines Zeichens Mitinhaber der Firma Walther, einige Gedanken über die Attraktivitätssteigerung des Schießsports zusammengefaßt. Darin wandte er sich unter anderem gegen die mittlerweile weit verbreitete und zugleich stark reglementierte Schießbekleidung:
"[…]

Es kann kein Argument für die verhüllende Schießkleidung sein, daß die Gewehre für zarte Schützinnen zu schwer seien. Wir als Industrie können auch leichtere Waffen bauen, sodass eine nur modische Sportkleidung erlaubende Sportordnung möglich wäre. Warum sind denn Laufsportarten so interessant? Auch wegen der hübsch anzuschauenden Sportler und Sportlerinnen.

[…]" (S. 17)
Diese Einlassung hat mich schon damals beeindruckt, wird doch ein konsequentes Umdenken im sportlichen Gewehrschießen gefordert. Galt doch bisher der Grundsatz, daß schwere Waffen besser seien, die Schützen dafür jedoch spezielle Schießbekleidung (Jacke, Hose, Schuhe usw.) benötigten. Diese Bekleidung hat den Charme einer Ritterrüstung, zumal sie oft in albernen Farben geliefert wird, die sonst kaum ein erwachsener Mensch freiwillig tragen würde. Sie ist – wie sollte es im internationalen Sport anders sein – genauestens reglementiert, damit die den Körper im Anschlag stützende Bekleidung bloß keinen Millimeter zu dick ist.
Dies erscheint als Widerspruch in sich: Einerseits darf und soll die Schießkleidung eine stützende Wirkung entfalten, andererseits darf sie den Schützen auch nicht zu sehr stützen. Da erhebt sich die Frage, weshalb derartige Klamotten überhaupt für Schießwettkämpfe zugelassen werden.

Auf der Europameisterschaft der Druckluftdisziplinen, die vom 1. bis 7. März im italienischen Brescia ausgetragen wurde, kam es nun zum Eklat, der für mich schon an Realsatire grenzt. Nach dem 60 Schuß umfassenden Vorkampf der Männer mit dem Luftgewehr wurde der bis dahin führende Russe Denis Sokolow plötzlich disqualifiziert – wegen des Tragens zu dicker Unterwäsche (vgl. hier und hier). Für Denis und seine Mannschaft war diese Entscheidung natürlich eine Enttäuschung; sein zwei Jahre jüngerer Bruder Alexander Sokolow hat sich dadurch allerdings nicht beeindrucken lassen und im anschließenden Finale mit insgesamt 698,4 Ringen die Silbermedaille errungen.

Bei einer juristischen Betrachtung des Vorfalls in Brescia wird man zu dem Schluß kommen müssen, daß sich ein Sportler eben im diffizilen Regelwerk verfangen habe und somit leider Pech hatte. (Vorausgesetzt natürlich, die Entscheidung war sachlich richtig und begründet.)
Verläßt man jedoch diese Ebene, dann stellen sich – wie schon für Will Pflaumer – ganz grundsätzliche Fragen. Wie konnte es so weit kommen, daß im Schießsport nicht mehr die Fähigkeiten des Schützen oder die Qualität der Waffe entscheidend sind, sondern die Dicke der Unterwäsche? Muß man die Entwicklung, die das Gewehrschießen (insbesondere im ISSF-Bereich) während der letzten Jahrzehnte genommen hat, nicht zum Teil als Fehlentwicklung kennzeichnen? Warum wird das Tragen spezieller Schießbekleidung nicht generell untersagt, wenn man derzeit schon so weit ist, Vorschriften über die Unterwäsche zu erlassen? Die Sportfunktionäre sollten erkennen, daß es eine Grenze gibt, bei deren Überschreiten ursprünglich sinnvolle Bestimmungen zur Farce werden. Und dies ist für den Sport insgesamt negativ, auch mit Blick auf die Außenwirkung.

Bevor ich jetzt für den Gebrauch des Wortes Fehlentwicklung von meinen Kollegen gesteinigt werde, möchte ich noch einen Gedanken ausführen. Vor einigen Monaten mußte ich in einem Forum die Aussage einer Schützin lesen, wonach sie ohne Schießjacke und -hose gar nichts treffen würde. Da frage ich mich schon, ob in der Ausbildung dieser Dame nicht etwas grundsätzlich schiefgelaufen ist. Schießbekleidung soll den Körper des Gewehrschützen vor allem im Stehend- und Kniendanschlag unterstützen, indem die Knochen und Muskeln entlastet werden. Aber sie kann doch nicht den Ausschlag dafür geben, ob jemand die Scheibe trifft oder nicht. Ein paar Ringe Differenz wird es geben, aber so erheblich wie beschrieben dürften die Unterschiede eigentlich nicht sein.

Meine Empfehlung: Entweder werden die Regelungen hinsichtlich der Schießkleidung gelockert, so daß man den Schützen nicht mehr an die Unterwäsche gehen muß. Oder ihnen wird das Tragen jedweder spezieller Bekleidung mit stützender Wirkung verboten. Oder, dritte Variante: Es werden nur noch Schießjacken und -handschuhe zugelassen, dafür verzichtet man auf Detailregelungen, auch hinsichtlich des Schuhwerks.


Alexander und Denis Sokolow.


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Foto: www.echbrescia2011.it.
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