Mittwoch, 7. Dezember 2011

Nachtrag zur Dumawahl


Nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels zur Dumawahl am 5. Dezember erhielt ich von einem Leser folgende Mail:
"Sehr guter Artikel! Zumal wir gerade in Sankt Petersburg weilen und alles live mitbekommen. [...]"
Auch einige andere Publikationen der letzten Stunden bestätigen meine Darlegungen. So schreibt der russische Blogger Nikolaj Starikow, daß aus seiner Sicht wichtigste Ergebnis der Wahl sei das Ende des Liberalismus in Rußland. Die Wahlen hätten gezeigt, daß selbst in den traditionelle Hochburgen der Liberalen Moskau und St. Petersburg nicht mehr als 8 bis 12 % der Wähler für solche Parteien stimmen. Im landesweiten Durchschnitt sind es weitaus weniger. Folglich sei der Liberalismus als politische Strömung in der RF tot.

Eine lesenswerte Analyse hat der amerikanische Blogger Kevin Rothrock vorgelegt: "The Splendid Victory". Von besonderem Interesse sind die darin zitierten Einlassungen von Wladislaw Surkow. Der sieht den wesentlichen Mangel des politischen Systems der RF im Fehlen einer formidablen liberalen Partei. (Das vom Kreml wohlwollend geförderte Projekt Rechte Sache ist bei der Wahl grandios gescheitert.) Auch der Erfolg des sozialdemokratischen Gerechten Rußlands ist für Surkow bemerkenswert. Er sieht das Parteiensystem als stabilisiert an. Die Zweidrittelmehrheit von Einiges Rußland nach der Wahl von 2007 war in Surkows Augen unnormal und mußte enden.

Man kann, wie Rußland Aktuell, die Ergebnisse der Wahl auch so deuten, daß sich das Volk nunmehr emanzipiert genug ist und sich daran gewöhnt, zwischen mehreren realen Parteien zu wählen. Auch Surkows o.g. Äußerungen gehen in diese Richtung. Nach der Überwindung der krisenhaften 90er Jahre soll Stabilität im System nicht durch eine stärkere "Machtvertikale", sondern durch eine stärkere Ausdifferenzierung erreicht werden. Mit anderen Worten: Putin arbeitet daran, sich selbst überflüssig zu machen. Aber eben auf dem Weg der Evolution, nicht der Revolution - Machtverlust auf zivilisierte Art.

Verdacht auf Wahlfälschungen

Mit solchen Kleinigkeiten wie einer Analyse der Wahlergebnisse halten sich viele ausländische Medien indes nicht auf, denn dafür müßte man über etwas intimere Kenntnisse der politischen Landschaft verfügen. Statt dessen flüchten sie sich in abstrakte Vorwürfe von Wahlfälschung, denn diese lassen sich publikumswirksam in eine simple Gut-böse-Dichotomie verpacken. Nun sind tatsächliche Beweise für diese Behauptungen bisher eher dürftig. Der häufig erwähnte Bericht der OSZE-Wahlbeobachter ist in einer sehr zurückhaltenden Sprache gehalten. Von gezielten Fälschungen ist darin keine Rede. Zudem dürften viele der sog. technischen Unregelmäßigkeiten auf fast alle Staaten zutreffen. Damit ist z.B. die unzureichende Trennung zwischen amtlichen Äußerungen und Wahlkampf bei Politikern gemeint.

Sollte es tatsächlich handfesten Belege für Wahlfälschungen geben, dann stellt sich auch die Frage, ob die Meinungsforscher der diversen Institute fehlgegangen sind. Die Umfragen und Prognosen des Lewada-Zentrums hatte ich hier schon publiziert. Sie zeigen, daß das amtliche Endergebnis in der Größenordnung dessen liegt, was die Soziologen prognostiziert hatten. Auch die am Wahltag durchgeführten "Exit polls" zweier anderer Institute - WZIOM und FOM - bestätigen diese Zahlen. Sonach kam ER auf 46,8 % bzw. 48,5 % (amtlich 49,29 %); GR auf 12,8 % bzw. 14,1 % (amtlich 13,25 %), die KPRF auf 19,8 % bzw. 21 % (amtlich 19,2 %) und Jabloko auf 3,6 % bzw. 4,2 % (amtlich 3,43 %).

Auch diese unmittelbar nach der Stimmabgabe durchgeführten Befragungen indizieren, daß das amtliche Endergebnis korrekt ist und die tatsächliche Meinung der Wähler widerspiegelt. Oder sollten diese gegenüber den Meinungsforschern bewußt gelogen haben? Die teilweise kolportierten Zahlen von zweistelligen Prozentpunkten, um die betrogen worden sein soll, halte ich für überaus unwahrscheinlich. Anderenfalls wäre die Soziologie als Wissenschaft komplett gescheitert.

Einmischung von außen

Obwohl die auch im Ausland verhaßte Regierungspartei bei den Wahlen deutliche Verluste hinnehmen mußte, ruft das Wahlergebnis in einigen Hauptstädten Besorgnis hervor. Insoweit tun sich, wie sollte es anders sein, wieder die Vereinigten Staaten hervor. Nach Angaben von Regierungssprechern beabsichtigt die US-Regierung, in den nächsten Monaten vor der Präsidentenwahl zusätzlich 9 Millionen US-Dollar an rußländische "Nichtregierungsorganisationen" zu überweisen. Natürlich nicht, um irgendwelche Parteien zu unterstützen, sondern um einen "freien und transparenten Prozesses" zu gewährleisten.

Wann merkt man in Washington eiegntlich, daß die anhaltende Erfolglosigkeit der von ihnen unterstützten Randfiguren nicht am System liegt, sondern an der Unfähigkeit dieser Herrschaften? Geld hilft hier nicht weiter. Des weiteren mutet es seltsam an, wenn ein Staat, in dem es seit Ewigkeiten nur ein Zwei-Parteien-System gibt, moniert, daß nicht alle politischen Kräfte bei der Wahl hinreichende Berücksichtigung gefunden hätten. Das gilt auch für die Unterstützung der nicht genehmigten Demonstrationen in Moskau - gegenüber der "Occupy"-Bewegung wird von den Polizeikräften der USA ein erheblich härteres Lied gesungen.

Gescheiterter Revolutionsversuch?

Wozu das ausländische Geld genutzt wird, konnte man an den vergangenen Abenden in Moskau und Petersburg beobachten. Um ihren Protest gegen die unterstellten Wahlfälschungen zu artikulieren, sind am Montag in Moskau und St. Petersburg mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen. (Die Angaben schwanken zwischen 2000 und 8000.) Die angemeldeten und genehmigten Kundgebungen verliefen zunächst friedlich. Erst als in Moskau einer der Mitveranstalter dazu aufrief, den Versammlungsort zu verlassen und vor das Gebäude der Wahlkommission zu ziehen, eskalierte die Situation. Die Polizei verhielt sich zunächst passiv und schritt erst ein, als die etwa 1000 Demonstranten mehrere Absperrungen durchbrochen hatten. In der Folge wurde der Zug aufgelöst und einige Rädelsführer festgenommen.

Da sich Randale gut verkaufen - die Geldgeber in Washington D.C. müssen ihre Show bekommen -, hat die außerparlamentarische Opposition am Dienstag ganz auf die Anmeldung der Demo auf dem Triumfalnaja-Platz verzichtet - wohlwissend, daß die Polizei nicht angemeldete Versammlungen auflösen würde. Und so kam es denn auch: 1500 Demonstranten, davon 300 vorläufig festgenommen. Wie leider üblich, ignorieren deutsche Medien die Details der Angelegenheit und schreiben einfach, daß die Polizei "mit massiver Gewalt gegen Regierungsgegner vorgegangen" sei. Mit der angeblichen "massiven Gewalt" ist das Wegtragen von Demonstranten gemeint. Die für die Beurteilung der Vorgänge entscheidende Tatsache, daß die Demo schlicht nicht angemeldet und damit illegal war, wird dem Leser bewußt verschwiegen. Statt dessen mutiert der Einsatz der Bereitschaftspolizei zu einem "Aufmarsch der Truppen", welcher "ein weiteres Beispiel für den Rückfall in alte Muster russischer Politik" sei. Wir werden Herrn Schockenhoff gelegentlich des nächsten Castor-Transports an seine Worte erinnern.

Wie sind diese Ereignisse einzuordnen? War es die Kurzschlußhandlung eines Heißsporns oder eine geplante Provokation, vielleicht gar eine versuchte Revolution? Am ehesten wohl eine Provokation. Dennoch ist diese Aktion absurd: Ein paar mehr oder minder zweifelhaft Figuren aus der außerparlamentarischen Opposition, deren Beliebtheit im Volk zwischen Null und 2 % rangiert, erklären sich zur "Partei der Volksfreiheit" und versuchen, ein staatliches Gebäude zu stürmen. Wollten sie sich mit Gewalt die Macht holen, die das reale Volk ihnen und ihren Gesinnungsgenossen seit über zehn Jahren an der Wahlurne vorenthält? Eine Splittergruppe als Träger einer Revolution? Das hatte es unter den Bolschewiki schon einmal gegeben. Doch letztere waren keine Dilettanten wie Kasparow & Co.

Für die nächsten Tage sind weitere Demonstrationen angekündigt worden. Erstaunlicherweise haben die Veranstalter sie sogar angemeldet und wie - entgegen mancher Presseberichte - auch in Rußland üblich, genehmigt bekommen. Die erste soll am Samstag auf dem Platz der Revolution nahe des Moskauer Kremls stattfinden. Ich wette, daß wir dort dasselbe wie am Montag erleben werden: Die eigentliche Versammlung verläuft in geordneten und friedlichen Bahnen, danach werden ein paar Krawallmacher jedoch gegen die Polizei vorgehen und eine Runde Bürgerkrieg spielen. Die Reaktion der Sicherheitskräfte auf dieses Verhalten wird das übliche sein - inklusive der von den Radikalinskis so ersehnten Wegtragbilder.

Ein paar der Rädelsführer dürfen erst einmal für 14 Tage gesiebte Luft atmen, nachdem sie zu einer Kurzstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden sind. Vielleicht hilft ihnen das, abzukühlen. Das erschreckende an den gewaltsamen Vorgängen der letzten Tage ist die Leichtfertigkeit, mit der die politisch unbedeutenden Kleingruppen zum Mittel des Rechtsbruchs greifen. Sie wähnen sich selbst als verfolgte Oppositionelle, für die die Gesetze des Staates nicht gelten. Das unterscheidet sie deutlich von Vertretern der Partei Gerechtes Rußland, die zwar ebenfalls einige Wahlergebnisse anfechten wollen - aber eben vor Gericht, nicht auf der Straße.

Andererseits überrascht die Gewalt nicht, vertritt doch etwa der als Blogger und Anti-Korruptions-Kämpfer bekanntgewordene Alexej Nawalnyj eindeutig rechtsextreme Positionen, wenn er etwa für eine ethnische Aufteilung der RF eintritt und gegen das unter Putin wuchernde "Asiatentum" kämpfen will. Andere Extremisten wähnen in Putin und Medwedew - letzterer soll jüdische Vorfahren gehabt haben - den Kern einer jüdischen Verschwörung, die sich des Kremls bemächtigt hat und das einfache russsiche Volk ausbeutet. Auch Limonow und seine Nationalbolschewisten sind ja neben ihrer zweifelhaften Ideologie für ihre Neigung zu handfesten Auseinandersetzungen bekannt. Eine schöne "demokratische Opposition", deren pikante Zusammnesetzung von den deutschen Medien gerne verschwiegen wird. Sonst ließe sich das lange gepflegte Bild von Putin als bösem Diktator nicht aufrechterhalten. Einfache Wahrheiten verkaufen sich besser.

Die innenpolitische Lage vor der Wahl

Abschließend soll noch einmal auf die Dumawahl selbst eingegangen werden. Im Vorfeld der Abstimmung überboten sich auch die deutschen Medien in Berichten, welche die ökonomische und soziale Lage in Rußland in sehr düsteren Farben schilderten. (Ein hierzulande seit über hundert Jahren bekanntes Phänomen.) Deshalb lohnt es sich, einen Blick auf die realen Verhältnisse zu werfen. Dies hat der Wirtschaftswissenschaftler Martin Gilman getan: "Signs of an Island of Stability - for Now". Er zeigt, daß die ökonomische Situation in der RF besser ist als in vielen Mitgliedsstaaten der EU. Dies trifft insbesondere auf das Problem der Staatsverschuldung zu. Deshalb ist es abwegig, wenn manche Journalisten so tun, als stünde der Zusammenbruch der rußländischen Wirtschaft kurz bevor. Im Gegenteil, viele Reformen, auf die wir Deutschen nach wie vor warten - sei es die Vereinfachung des Steuerrechts (inklusive Absenkung der Steuersätze) oder die Freigabe der Ladenöffnungszeiten - sind in der RF bereits umgesetzt worden.

Zweifelsohne gibt es in der Gesellschaft ein langsam wachsendes Mißfallen am "Machttandem" Putin-Medwedew. Dieses ist jedoch eher diffus im Sinne einer Ermüdung. Konkrete Konkurrenten, die ihnen die Macht streitig machen könnten, sind weit und breit nicht zu sehen. Prochorow, ein liberaler Hoffnungsträger, der kurzzeitig mit 2-3 % auf einer Woge der Wählergunst getragen wurde, ist im Herbst wieder aus dem politischen Geschäft ausgeschieden. Jabloko wirkt nur auf einen Teil der Linksintellektuellen anziehend. Die Führer der anderen "liberalen" Kleinstgruppen sind "gewesene Leute", ebenso Sjuganow (immerhin Chef der zweitgrößten Dumafraktion) und Shirinowskij. Bliebe nur noch Sergej Mironow, auf den man mit Erwartung blicken könnte.


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Foto: RIA Nowosti.
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