Donnerstag, 20. August 2009

Egalitäre Privilegien in der Sowjetunion


Die Überschrift klingt wie ein Paradox und tatsächlich ist der hier zu behandelnde Sachverhalt nicht frei von Widersprüchen. Gestern ist mir in Orlando Figes’ Buch "Die Tragödie eines Volkes" eine Fußnote aufgefallen, die ich vorher übersehen hatte. Auf S. 630 heißt es über die Zeit des russischen Bürgerkrieges:
"Die Bolschewiki hatten schon immer ein martialisches Machoimage gepflegt. Sie zogen Lederjacken an - eine Militärmode aus dem Ersten Weltkrieg - und trugen alle Waffen.*

* Alle Parteimitglieder besaßen das Recht, eine Waffe zu tragen. Dies wurde als Zeichen der Gleichheit unter Genossen betrachtet. Erst nach dem Mord an Kirow wurde dieses Recht 1935 abgeschafft."
Noch im Jahr 1920 und danach, als der Rote Terror schon Abertausende von Opfern, vornehmlich unter Bürgern, Adligen und Bauern, gefordert hatte, hielten die Bolschewiki innerhalb ihrer Partei am revolutionären Ideal einer bewaffneten Arbeitermiliz fest.
Eine Miliz ist - bereinigt um die klassenkämpferische Komponente - sicher kein schlechtes Prinzip im Hinblick auf die Landesverteidigung. Aber sie müßte das ganze Volk umfassen und nicht nur eine privilegierte Kaste, während alle übrigen Menschen - im wahrsten Sinne des Wortes - zum Abschuß freigegeben werden.



Die drei zeitgenössischen Propagandaplakate der Bolschewiki vermitteln (hoffentlich) einen kleinen Eindruck dieser Epoche. Das erste fordert die Arbeiter zum bewaffneten Schutz ihrer Fabriken und zur Teilnahme an einer allgemeinen militärischen Grundausbildung auf. Das zweite Plakat soll die Verteidigung Petrograds gegen die 1917/18 vorrückenden deutschen Truppen mobilisieren. Und auf dem dritten wird der Film "Panzerkreuzer Potemkin" gefeiert.



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