Mittwoch, 19. August 2009

19.08.2009: Text des Tages

Schon seit anderthalb Jahren beschäftige ich mich in unregelmäßigen Abständen mit dem Werk Michail Lermontows (1814 - 1841). Sowohl seine Gedichte als auch seine Prosastücke empfinde ich als äußerst reizvoll. Lermontow hat jahrelang als Offizier der russischen Armee im schon damals ziemlich wilden Kaukasus gedient und so überrascht es nicht, daß sich dies in seinen Texten niederschlägt. Er gilt nicht zu Unrecht als anspruchsvoller Abenteuerschriftsteller.
Die jüngsten Terroranschläge in den nordkaukasischen Republiken der RF haben mich an die folgende Stelle aus seinem Roman "Ein Held unserer Zeit" erinnert:
"[...]

»Ein armseliges Volk!« sagte ich zu dem Stabscapitain, indem ich auf unsere schmutzigen Wirthe zeigte, die uns mit einer gewissen Bestürzung stumm betrachteten.

»Und noch dazu sehr dumm!« versetzte mein Reisegefährte. »Sie verstehen nichts, zu nichts sind sie fähig, ohne jede Anlage zur Cultur ... es ist unglaublich! Da sind doch wenigstens unsere Kabardiner und Tschetschenzen, obgleich wilde Räuber, unerschrockene Taugenichtse, während dieses Gesindel von Osseten nicht den geringsten Geschmack an dem Waffenhandwerk hat. Sie werden nicht einmal einen halbwegs brauchbaren Dolch bei ihnen finden. Ein heruntergekommenes Volk, diese Osseten!«

»Sind Sie lange im Lande der Tschetschenzen gewesen?«

»Zehn Jahre war ich dort; ich stand mit meiner Compagnie in dem Fort bei Kamenoibrod, – kennen Sie das?«

»Ich habe davon gehört.«

»Ja, mein Lieber, diese Kopfabschneider machten uns zu schaffen! Gegenwärtig halten sie sich Gott sei Dank etwas ruhiger; aber früher, wenn man sich nur hundert Schritt von den Wällen entfernte, – da lag so ein Teufelskerl in irgend einem Versteck und lauerte einem auf: man hatte kaum die Zeit, zu gähnen – da flog einem eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel in den Kopf. Sind das Burschen!«

»Da haben Sie gewiß manches Abenteuer erlebt?« sagte ich neugierig.

»Das sollt' ich meinen! Manches Abenteuer ...«

Bei diesen Worten begann er an seinem großen Schnurrbart zu zupfen; dann stützte er den Kopf in die Hand und versank in Nachdenken.

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Kurz danach wirft die Beschreibung eines Tschetschenen namens Kasbitsch durch den Stabskapitän ein bezeichnendes Licht auch auf die Waffenkultur dieser Region:
"[...]

Dieser Kasbitsch, müssen Sie wissen, stand zu uns in einem eigenthümlichen Verhältniß; er war weder unser Freund noch unser Feind. Sein Benehmen war mehr als einmal sehr verdächtig gewesen; allein er hatte sich nie bei einem Gefecht sehen lassen. Von Zeit zu Zeit brachte er uns Schafe in das Fort und überließ sie uns zu einem billigen Preise; nur ließ er nie mit sich handeln; was er forderte, mußte man ihm auch geben, – man hätte ihn eher umbringen als ihm etwas abhandeln können. Man sagte ihm nach, er schlösse sich gern den Zügen an, welche die Abreken über den Kuban unternahmen; und in der That, mit seiner kleinen trockenen Gestalt und seinen breiten Schultern hatte er ganz das Aussehen eines Räubers ... Und zu dem besaß er eine wahrhaft diabolische Geschicklichkeit! Sein Beschmet war immer in Fetzen zerrissen, aber seine Waffen glänzten von Silber; und sein Pferd galt für das schönste und beste in der ganzen Kabardie, und in der That, es war nicht möglich, einen ausgezeichneteren Renner zu finden als dieses Pferd. Nicht umsonst beneideten ihn Alle darum, und mehr als einmal hatte man versucht, es ihm zu stehlen; allein es war nie geglückt.

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Wenn man Lermontow liest, ahnt man, daß das, was derzeit in Inguschetien, Dagestan und Tschetschenien vorgeht - historisch gesehen - wohl eher die Regel als die Ausnahme ist.

(Die Übersetzung ist zwar etwas altertümlich, aber ich war zu faul, die Passagen aus dem mir vorliegenden Buch abzutippen. Pardon. ;-) Dabei handelt es sich übrigens um eine Werkauswahl in deutscher Sprache, erschienen im Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1948. Erstehen konnte ich diesen kleinen Schatz (in sehr gutem Zustand) in der Kramkiste eines Leipziger Antiquariats für 2 €. Glück muß man haben. :-))


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