Freitag, 29. Oktober 2010

Tartarin von Tarascon

Aufgrund des freundlichen Hinweises eines Forenkollegen wurde ich auf Alphonse Daudets Roman "Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon" aufmerksam. (Danke nochmal!) Ein, wie ich finde, herrlich kurzweiliges Buch. Und eine schöne und einfühlsame Studie über das ländliche, jagdbegeisterte Frankreich, indem ein Politiker oft mit mehr Stolz auf seine Bürgermeisterschärpe als auf seinen Sitz in der Nationalversammlung blickt. In der mir vorliegenden Ausgabe (Leipzig, vermutlich 1958) findet sich der dazu passende Spruch: "In Frankreich ist jedermann ein wenig aus Tarascon". (Das Buch scheint derzeit nur antiquarisch erhältlich zu sein.)

Tarascon ist eine Kleinstadt in der Provence, wo der Held des Buches, Monsieur Tartarin, seit seiner Geburt lebt und die er fast noch nie verlassen hat. Dennoch gilt Tartarin in seiner Heimatstadt als wahrhafter Held, als großer Jäger und belesener Zeitgenosse - was alles stimmt, aber eben nicht die ganze Wahrheit ist. In seiner Brust schlagen zwei Seelen, zum einen die eines Don Quichotte - mutig und abenteuerlustig -, zum anderen die eines Sancho Pansa - bürgerlich und bequem. So muß Tartarin, oft gegen seinen Willen, manche Abenteuer bestehen, um seine herausgehobene Stellung in der kleinstädtischen Gesellschaft zu behaupten. Dies treibt ihn schließlich bis zur Großwildjagd nach Afrika, doch anstatt der erhofften zehn Löwen erlegt er nur einen - und der war auch noch zahm. Als wäre dies nicht enttäuschend genug, geht er während der Reise seiner gesamten Habe verlustig. Aber, immerhin, erkommt wieder heim in sein geliebtes Tarascon und kann abenteuerliche Geschichten erzählen. ;-)

Tartarin ist, im positiven Sinne, ein Waffennarr. Daudet beschreibt dies durch den gesamten Roman hindurch in schöner Weise. Vielleicht etwas schrullig, aber ungefährlich. (Ein Beleg dafür, wie normal und allgemein akzeptiert der Besitz von Waffen und der Umgang mit ihnen früher war.) Ein Beispiel aus dem ersten Kapitel:
"[...]

Man kann sich nun einigermaßen vorstellen, welch tiefes Gefühl der Bewunderung und des Staunens mich erfüllte, als es mir zum ersten Male vergönnt war, diesen Wundergarten zu durchwandern. Und dennoch wurde dieses Gefühl noch gesteigert, als ich das Kabinett des Helden betrat.

Dieses Kabinett, eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, lag zum Garten hinaus; durch eine Glastüre genoß man den Anblick des Baobab.

Man denke sich einen ziemlich großen Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Flinten und Säbeln bedeckt sind. Da sah man Waffen aller Zeiten und Länder, Karabiner, Rifles, Tromben, korsische Messer, Bowiemesser, Revolver, Dolche, malaiische Krise, karaibische Bogen, Speere, Totschläger, Keulen, mexikanische Lassos und viele andere ähnliche Dinge. Von oben fiel ein heller Sonnenstrahl auf alle die Waffen, so daß die Degenklingen und Gewehrläufe blitzten und blinkten und man eine Gänsehaut bekommen konnte; was einen jedoch wieder etwas beruhigte, war die Ordnung und Sauberkeit, die in diesem Privatzeughaus herrschte. Alles war geordnet und sorgsam geputzt, und etikettiert wie im Apothekerladen. Hier und da hing an einem Gegenstande ein kleiner Zettel, auf dem zu lesen war:

Vergiftete Pfeile! Nicht berühren!
Geladene Waffen! Vorsicht!

Wären derartige Warnungszettel nicht gewesen, man hätte sich nie und nimmer in diesen Raum gewagt.

Mitten im Kabinett stand ein kleiner Tisch. Auf ihm lagen eine Rumflasche, eine türkische Tabakspfeife, die »Reisen des Kapitän Cook«, die Cooperschen Romane, die Aimardschen Reiseschilderungen; dann viele Jagdbeschreibungen: Falkenjagden, Bärenjagden, Elefantenjagden usw. Vor dem Tischchen endlich saß ein Mann von vierzig bis fünfzig Jahren; er war klein, dick, untersetzt; sein Gesicht strotzte von Gesundheit, sein Bart war kurz, aber stark, seine Augen glühten und blitzten. Er saß in Hemdsärmeln da und trug wollenes Unterzeug; in der einen Hand hielt er ein Buch, mit der andern schwang er eine ungeheuer große Pfeife mit eisernem Deckel; er las irgend eine höchst wundersame Jagdgeschichte, hatte die Unterlippe vorgeschoben und machte ein schreckliches Gesicht, was seiner unscheinbaren Figur eines kleinen tarasconischen Rentiers denselben Anstrich ungefährlicher Wildheit gab, der im ganzen Hause herrschte.

Dieser Mann war Tartarin! Tartarin von Tarascon, der unerschrockene, der große, der unvergleichliche Tartarin von Tarascon!

[...]"
Gewiß, Tartarins Abenteuer bieten keine tiefsinnige Philosophie, aber doch ein paar gekonnte Charakterstudien. Der Roman ist eine nette Lektüre, sicher nicht nur für Freunde der Jagd. Und er ist auch im Internet zu finden. :-)


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