Im August konnte ich "Sachsen-Anhalts Schützenchronik" von Michael Eisert erwerben und sie jetzt endlich lesen. Das Buch ist durchaus lesenswert und gibt in geraffter Form die Entwicklung der im Landesschützenverband und über diesen im DSB zusammengeschlossenen Schützenvereine von 1990 bis 2003 wieder. Bei der Lektüre fällt schon einiges auf.
Es gibt auch hier in den östlichen Ländern Leute, die von den "deutschen Schützentraditionen" reden, ohne allerdings zu sagen, was sie darunter verstehen. Was immer man unter diesem schillernden Begriff verstehen mag, es ist - zumindest hierzulande, wo diese Traditionen seit Ende der 1930er Jahre abgeschnitten waren - absurd, sich mit Phantasieuniformen und -fahnen zu versehen und derart ausstaffiert durch die Straßen zu ziehen. Auf dem Dorf mag dergleichen noch angehen und unter Heimatpflege verbucht werden, aber in Großstädten ist es, mit Verlaub, einfach lächerlich und indiskutabel. Die Schützen sind schließlich keine Schutztruppe mehr wie vor Jahrhunderten, sondern private Sportvereine, von denen der Staat - im Gegensatz zu unseren Nachbarländern - keine wie auch immer geartete Mitwirkung an der Landesverteidigung erwartet.
Als Gipfel der Albernheit empfinde ich persönlich einen Satz wie: "Jeder kann wohl den Wunsch verstehen, eine Fahne zu besitzen". Nein, ich kann diesen Wunsch leider nicht verstehen. Komisch, in meiner Jugend (so mit 16, 17) war ich für die "Brauchtumspflege" noch empfänglicher. Doch mittlrweile fehlt mir, wie den meisten unserer Mitmenschen, das Organ dafür, obwohl ich mich in mancherlei Hinsicht durchaus als konservativ bezeichnen würde.
Doch die Fahnenfans mit ihrer Bierzeltseligkeit scheinen im hiesigen DSB-Teilverband auf dem Rückzug zu sein. Mittlerweile gibt es mehrere Klubs, die sich selbst Großkaliber-Schützenverein nennen und die schießsportliche Betätigung in den Vordergrund stellen. Das ist sehr wichtig, denn was ist denn die Essenz des Schützenwesens? Etwa Fahnenschwenken und kollektives Biertrinken? Nein, es ist das Interesse an Schußwaffen im allgemeinen und deren Verwendung für sportliche Wettkämpfe im besonderen.
Schützen in diesem Sinne gibt es auf der ganzen Welt. Deshalb verstehe ich nicht, worin die spezifisch "deutschen Schützentraditionen" bestehen sollen. Vermutlich ist dies lediglich eine andere Formulierung für Vereinsmeierei mit all ihren unschönen Begleiterscheinungen.
Jemand, der den Schießsport auf Tradition und Brauchtum reduziert, kann auch nicht erkennen, welche Gefahren dem Schützenwesen aus der Politik drohen. Er wird im Zweifelsfall loyal und konservativ sein, sich also als willfähriger Untertan der jeweiligen Obrigkeit verhalten. Und er hat recht, denn das Waffengesetz berührt ihn nur am Rande. Die aktiven Schützen hingegen trifft es ins Mark. Und selbst nach einem - hypothetischen - Totalverbot des privaten Waffenbesitzes können die Schützenvereine weiterexistieren und ihre Fahnen schwenken und gemeinsam Bier trinken ... Sie wären damit auf die Rolle eines Heimat- und Karnevalsvereins reduziert. Der aktive Schießsport wäre jedoch am Ende. Deshalb ist die Überbetonung von Tradition und Brauchtum so riskant und kritikwürdig.
Man könnte mir jetzt entgegenhalten, daß ich mich damit von meinem Aufruf zur Pflege der überkommenen Waffenkultur distanzieren würde. Dem ist jedoch nicht so. Zu einer Waffenkultur gehören Waffen. Brauchtum, was diese beinhaltet, ist unterstützenswert. Wo sich die Traditionspflege jedoch verselbständigt und auch ohne den Bezug zum aktuellen Sportschießen exitieren kann, ist Vorsicht und Kritik angebracht. Wie gesagt: Es braucht es keinen privaten Waffenbesitz, um Fahnen zu schwenken und auf Umzügen mitzumarschieren.
Für die soeben gemachten Ausführungen gibt es einen Grund, und zwar den 27. Juli 2002. An diesem Tag versammelten sich auf dem Magdeburger Domplatz rund 1000 Schützen, um gegen die geplante Waffenrechtsverschärfung zu demonstrieren. Innerhalb des LSV hat es erhebliche Vorbehalte gegen diese Demonstration gegeben. Mir fehlen hier leider Deatilinformationen, aber der seinerzeitige LSV-Präsident Hans Keller war wohl dagegen. Er hielt das Auf-die-Straße-gehen für wirkungslos. Vielleicht hatte er aber auch nur die Befürchtung, seine guten Kontakte zu den Landespolitikern könnten Schaden nehmen. Hier ist sie wieder, die Unterwürfigkeit als Teil der teutonischen Schützentradition. (Gegenüber einer politischen Klasse, wohlgemerkt, die uns z.T. parteiübergreifend haßt und verachtet.) Anstatt für seine Grundrechte offen einzutreten, kuscht man lieber und hofft, daß es schon nicht so schlimm kommen werde.
Gott sei dank sind diese Zeiten vorbei. Die Waffenrechtsdebatte des Jahres 2009 und die sie begleitende Medienhetze haben bei vielen Legalwaffenbesitzern zu einem Umdenken geführt. Jetzt gilt es, wie schon mehrfach geschehen, die so freigewordene Energie in fruchtbringende Aktionen zu stecken. Und anstatt bisweilen diffusen Traditionen nachzuhängen, im Hier und Jetzt zu leben und zu handeln. Und zur Not auch vor einem Rathaus oder Regierungsgebäude zu demonstrieren.
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