Mittwoch, 4. August 2010

WM-Eindrücke II


Gestern hatte ich noch geschrieben, daß bei der ISSF-WM in München bisher sowohl für die deutschen als auch für die russischen Schützen die großen Einzelerfolge ausgeblieben sind. Das hat sich im Laufe des gestrigen Tages zumindest für Rußland geändert. Bereits mittags gewann Dmitrij Romanow im Schießen mit dem Luftgewehr auf die Laufende Scheibe den Weltmeistertitel vor Zhai Yuija (China) und Krister Holmberg (Finnland). In der ISSF-Pressemitteilung heißt es dazu:
"[...]

Romanov, 23, from Moscow, the current European Champion in this event, made it to the Medal Match with a qualification score of 577 points (289 points scored in the “slow run” qualification series, where the target runs in five seconds, plus 288 points in the “fast run”, where the target runs through the same distance twice as fast, in 2.5 seconds).

Competing in the medal match, the young shooter won the first round against People’s Republic of Korea by 6 to 3 points, proceeding to the Gold match where he then outdid China’s Zhai Yuija 6 to 4 points, ecuring the brightest medal.

In spite of being one of the younger competitors on the international scene (Romanov just turned 23, and started shooting in 2000), the Russian athlete had already won four World Championship titles, three as a Junior shooter in 2002 and 2006, and one in the open category at the 2009 World Championship held in Heinola (FIN), as well as several European titles (he led both the 10m Running Target events at the last Europeans of Meraker).

[...]"
In der Mannschaftswertung haben die drei an dieser interessanten Disziplin teilnehmenden russischen Schützen ebenfalls Gold geholt (2. - China, 3. - Ukraine, 9. - Deutschland). Schade, daß die Laufende Scheibe 2004 aus dem olympischen Programm gestrichen wurde.



Am Dienstagnachmittag schien sich die Pechsträne der russischen Sportler fortzusetzen. Im Finale der besten acht Luftpistolen-Schützen der Welt kam Sergej Tscherwjakoswkij mit 685,5 Ringen nur auf Platz 4 und verfehlte damit eine Medaille. Gewonnen hat der Japaner Matsuda Tomoyuki (689,4), der schon am Sonntag mit der Freien Pistole Gold errungen hatte. In der LP-Mannschaftswertung gewann Rußland jedoch Gold vor Serbien und Südkorea.

Für die Liebhaber von Statistiken hat Igor Ruljow wieder ein Diagramm erstellt. Diesmal ging es um die Frage, welche Luftpistolenmodelle bei der WM von den Männern geschossen wurden.



Ebenfalls am Nachmittag konnten sich die Juniorinnen aus der RF zwei Medaillen mit der KK-Sportpistole sichern. Die zwanzigjährige Olga Kaweschnikowa (geb. Nikulina) gewann Gold (578 Ringe), ihre zwei Jahre jüngere Mannschaftskameradin Jekaterina Lewina Bronze (575). Silber ging an die Ungarin Sara Babicz (577); zwei deutsche Starterinnen - Carina Windhorst und Magdalena Wolf - kamen auf die Plätze 6 und 10. In derselben Disziplin konnten die russischen Juniorinnen auch die Mannschaftswertung vor Südkorea und China für sich entscheiden.

Diese beiden Bilder zeigen die Siegerin Kaweschnikowa, die bei der ISSF noch immer unter ihrem Geburtsnamen Nikulina geführt wird. (Man beachte bitte ihre Fingernägel. Ein Petersburger Freund hat mir einmal gesagt, daß in Rußland keine Frau auch nur den Müll runterbringe, ohne sich vorher zurechtgemacht zu haben. ;-) Wie viel mehr trifft diese Weisheit auf eine Weltmeisterschaft zu! Aber ich will nicht lästern, es hat der jungen Dame Gold gebracht. :-) Sie schießt besser, als ich es je schaffen werde. ;-))



Diese kleine russische Erfolgsserie konnte am Dienstagabend von Alexej Alipow im Trapschießen fortgesetzt werden. Nach einem spannenden Stechen mit dem aus der tschechischen Waffenstadt Brünn stammenden Jiri Liptak gewann Alipow Silber. Die Goldmedaille ging an den spanischen Topschützen Alberto Fernandez.



Bisher hatte ich die ISSF-Veranstaltungen nur sehr kursorisch verfolgt, doch mich hat ein wenig überrascht, wie stark manche Staaten im Sportschießen sind. In Ostasien nicht nur die VR China, sondern auch Nord- und Südkorea sowie Japan; in Europa vor allem Serbien, Italien und die Slowakei. So waren beispielsweise gestern unter den acht Schützen im LP-Finale zwei Serben: Andrija Zlatic (Silber mit 689,2) und Damir Mikec (8.). Es freut mich, daß dieses Land, das sich seit 20 Jahren in schwierigen politischen Verhältnissen befindet, wenigstens sportlich auf Weltniveau liegt. Auch polnische und kroatische Schützen zeigen z.T. sehr gute Leistungen, wenn man etwa an Tomasz Palamarz, den neuen Juniorenweltmeister mit der Freien Pistole, denkt.

Über die Nachfolgestaaten der Sowjetunion hatte ich gestern schon ein wenig geschrieben. Diese WM zeigt, daß sich die Ukraine, Kasachstan, Rußland und Belarus allesamt zu relativ starken Schießsportnationen entwickelt haben, insbesondere im Juniorenbereich.



Von Ausländern, die in Hochbrück anwesend sind, hört und liest man immer wieder Worte der Begeisterung. Die WM sei das größte und beste Ereignis in der Geschichte des internationalen Schießsports und es sei erfreulich, daß so viele Zuschauer auf die Anlage kommen. Genau dieser schöne Sport, zu dem sich allein in Bayern eine halbe Million Menschen bekennt, soll durch den seit über einem Jahr laufenden Kreuzzug der Waffengegner beseitigt werden. Ich hoffe, daß diese Weltmeisterschaft keine Abschiedsvorstellung für das deutsche Schützenwesen ist.

Die Gefahren, die unserem Sport drohen, macht ein Blick auf das britische Waffenrecht deutlich. Damit muß ich noch einmal auf die Rede von IOC-Chef Jacques Rogge zurückkommen, die er am 30. Juli bei der WM-Eröffnung auf dem Münchener Marienplatz gehalten hat. Darin heißt es mit Bezug auf die Olympischen Sommerspiele 2012 in London:
"[...]

I think that the 2012 shooting venue it is going to be state of the art, as well as a very sustainable range!

[...]"
Man fragt sich schon, ob in diesem Satz Ironie versteckt ist oder ob er das ernst meint mit der Umweltverträglichkeit. Zur Erinnerung: Es war lange Zeit nicht sicher, ob bei der nächsten Olympiade überhaupt Pistolendisziplinen außer der LP geschossen werden können. Nachdem dieses waffenrechtliche Problem endlich geklärt wurde - sogar eine Handvoll englischer Schützen hat Ausnahmegenehmigungen für die sonst verbotenen Kurzwaffen erhalten -, gab es immer noch Querelen um den Austragungsort. Statt im traditionsreichen Bisley finden die Schießwettbewerbe 2012 in einer Londoner Kaserne statt. Die Schießstände werden dafür komplett neu errichtet - und nach Ende der Spiele sollen sie möglichst rückstandslos wieder beseitigt werden.

Dieser Vorgang ist ein Symbol für den Umgang mit dem Schießsport in modernen (oder besser: dekadenten) "westlichen" Gesellschaften. Wenn er Medaillen und (politischen) Ruhm verspricht, dann nimmt man ihn mehr oder minder notgedrungen kurzfristig hin. Ansonsten möchte man den Sport, die Waffen und am liebsten auch ihre Eigentümer möglichst restlos entsorgen. Hier schließt sich der Kreis, nicht nur hinsichtlich der Ideologie, sondern auch der Terminologie, sind doch viele Waffengegner zugleich Öko-Fanatiker.



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Fotos: ISSF, www.shooting-russia.ru.
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