Sonntag, 1. März 2009

Das "Special Forces"-Fieber

Es gibt Modeerscheinungen, die bisweilen seltsame Blüten treiben. Dazu zählt auch die Beschäftigung mit militärischen und polizeilichen Spezialeinheiten. Um nicht falsch verstanden zu werden: Daran ist an sich nichts falsch oder kritikwürdig! Allerdings führt es manchmal zu Skurrilitäten, über die man nur noch schmunzeln oder den Kopf schütteln kann. An vorderster Front stehen insofern einige Airsoft-Freunde, die sich in Diskussionsforen mittels eines seltsamen Konglomerats aus deutscher und englischer Sprache, beide bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermengt und mit Insiderabkürzungen gewürzt, verständigen. So wird beispielsweise ein Zielfernrohr fast durchweg als „Scope“ bezeichnet. Und jedes qualitativ mäßige Messer verkauft sich besser, sobald es mit den Schriftzügen „SAS“, „Special Forces“ oder „Marines“ beworben wird.

Ähnliche Probleme hat auch ein so seriöser Autor wie Kaj-Gunnar Sievert in seinem Buch „Kommandounternehmen – Spezialeinheiten im weltweiten Einsatz“. Sievert war Offizier bei den Fallschirmaufklärern der Schweizer Armee und hat mit seinem Werk eine interessante und hervorragend aufbereitete Analyse von Einsätzen militärischer Spezialeinheiten vorgelegt. Die ausgewählten Operationen (vom Zweiten Weltkrieg bis zum Bosnienkonflikt) werden hinsichtlich der wesentlichen Aspekte kurz und präzise erläutert – ohne allzuviel Pathos und Ausschmückungen.
Anscheinend haben ernsthafte Autoren, die sich dem Thema Spezialeinheiten widmen, ebenso ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Es ist nachvollziehbar, daß es ein paar Fachbegriffe gibt, die sich nicht oder nur unzureichend aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen lassen. Auf das Wort „retired“ trifft dies jedoch nicht zu. Mithin sollte Ulrich K. Wegener in guter preußischer Manier „General des BGS a.D.“ bleiben und nicht zum „General (ret.)“ ernannt werden.


Ein anderer deutscher Autor, der unter den zahlreichen „Special Forces“-Schreiberlingen noch zu den kompetentesten zählt, heißt Sören Sünkler. Er schreibt nicht nur regelmäßig in Caliber, dem Schweizer Waffenmagazin (SWM), auf Webseiten und in seiner eigenen Zeitschrift K-ISOM, sondern publiziert auch Bücher. Eines davon, „Elite- und Spezialeinheiten Europas“, bietet eine grobe und zumeist gelungene Übersicht über die Spezialeinheiten der meisten europäischen Staaten. Es reicht aber, um es vorab zu sagen, nicht an Jan Bogers Klassiker „Elite- und Spezialeinheiten international“ heran. Dafür sind viele der gelieferten Informationen dann doch zu dünn. Zudem bleibt es Sünklers Geheimnis, weshalb er einerseits Albanien und die Türkei zu Europa zählt, andere Staaten wie Rußland, die Ukraine oder Belarus hingegen keinerlei Erwähnung finden.
Auch bei ihm hapert es mit der deutschen Sprache. So bleibt dem Leser etwa verborgen, weshalb im Text über Rumänien der englische Begriff „Special Forces“ verwendet wird. Entweder gebraucht man den entsprechenden rumänischen Terminus oder aber den deutschen „Spezialkräfte“.

Im selben Artikel zeigt sich dann ein weiteres, m.E. viel schwerer wiegendes Manko von Sünklers Schriften: die partielle Unfähigkeit zur korrekten Erfassung und Darstellung der historischen und (sicherheits-)politischen Rahmenbedingungen, unter denen Spezialeinheiten operieren. So wird etwa behauptet, daß Luftlandeeinheiten des Warschauer Vertrages (WV) eine ständige Bedrohung der NATO gewesen seien. Es erschließt sich mir aber nicht, warum diese Aussage ausgerechnet im Zusammenhang mit rumänischen Fallschirmjägern getroffen werden muß. Offenbar ist dem Autor nicht bekannt, daß sich Rumänien nach 1968 weitgehend aus den militärischen Strukturen des WV zurückgezogen und dann bis 1991 eine Stellung eingenommen hat, die derjenigen Frankreichs innerhalb der NATO vergleichbar war.


Dieses Problem zieht sich auch durch die anderen Schriften Sünklers. So behandelt er in den SWM-Heften 2 und 3/2009 die Spezialeinheiten der Schweizer Armee. Die Reportagen an sich sind sehr ordentlich, dann schlägt aber wieder sein eindimensionales Weltbild zu: „rote“ Angriffe, geführt von „kommunistischen Panzerdivisionen“ (SWM 3/2009, S. 14) hätten zu Zeiten des Kalten Krieges die Schweiz bedroht. Das erinnert nicht nur sprachlich an schon vergangen geglaubte Propaganda.
Eben diese gefährlichen „Roten“ kommen im o.g. Rumänien-Beitrag gar nicht gut weg. Sonach hätten die Spezialeinheiten in den WV-Staaten nicht auf demselben Niveau gestanden wie die der NATO – weder ausbildungs- und ausrüstungsmäßig noch hinsichtlich der Qualität des Personals. (Das hat sich freilich vor 1990 noch anders gelesen, als viele in der BRD in ständiger Angst vor Massen von „Spetsnaz“-Superagenten gelebt haben. ;-)) Insofern bleibt Sünkler die Begründung schuldig, warum die Spezialkräfte der NATO-Staaten und Israels per se besser sein sollen als die des WV. Die Leistungsbilanz kann es wohl kaum sein, eher dürfte wiederum das simple Weltbild des Autors zugeschlagen haben: NATO = „Westen“ = gut = hohe Qualität; WV = UdSSR = böse = schlecht. Der einzig bemerkenswerte Unterschied ist m.E. die Tatsache, daß man im WV aufgrund der strikten Geheimhaltung viel weniger Wert auf ein „tacticooles“ Äußeres gelegt hat.

An einer anderen Stelle in Sünklers SWM-Artikeln gewinnt man endgültig den Eindruck, der Autor bewege sich in einem „Special Forces“-Paralleluniversum. So spekuliert er nicht nur über den weltweiten Einsatz der Schweizer Spezialkräfte, sondern redet auch von Luftbetankung und versteigt sich gar zu der Forderung, die Schweiz müsse ggf. bereit sein, einen Flugplatz in Afrika, der als Operationsbasis für eine Geiselbefreiung benötigt wird, mittels eines eidgenössischen Grenadierbataillons zu erobern (SWM 2/2009, S. 10). Dieses Szenario wirkt derart surreal, daß man sich einen Lachanfall kaum verkneifen kann.
Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens ist der Autor scheinbar unfähig, die politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu bedenken, die im Falle der Schweiz erheblich schwerer wiegen würden als ein halbes Dutzend toter Geiseln. Die Eidgenossenschaft ist einer der Garanten der internationalen Diplomatie, weshalb es dem Bundesrat in Bern nicht schwerfallen sollte, sich mit anderen Staaten – etwa im Falle einer Geiselnahme – abzustimmen. Schweizer Alleingänge hingegen wären insofern mehr als kontraproduktiv.

Darüber hinaus ist erschreckend, wie selbstverständlich für Sünkler der weltweite Einsatz von Militäreinheiten in fremden Staaten ist. Völkerrechtliche Aspekte, z.B. das Gewalt- und Interventionsverbot gem. Art. 2 UN-Charta und dessen Ausnahmen, bleiben außer Betracht. Hier zeigt sich, daß er durch die geistige Schule bestimmter Kreise in den USA gegangen ist – ohne allerdings eine kritische Rückfrage nach den (auch praktischen) Folgen dieses Denkens zu stellen, wie sie sich derzeit im Mittleren Osten zeigen.
Richtig liegt er hingegen mit seiner Einlassung, auch ein kleiner Staat wie die Schweiz dürfe sich vom Ausland nicht erpressen lassen und müsse außenpolitisch handlungsfähig bleiben. Die letzte tatsächlich durchgeführte (und erfolgreiche) Erpressung der Schweiz von einem fremden Staat fand in den 1990er Jahren im Konflikt um die nachrichtenlosen Vermögen statt. Betrachtet man allerdings dessen Verlauf, so wird man feststellen müssen, daß den Eidgenossen damals auch die beste Spezialeinheit der Welt nicht geholfen hätte. Insofern bleibt das alles recht abstrakt.


Dieselben, oben schon benannten Kritikpunkte tauchen auch in der von Sünkler verantworteten Zeitschrift „Kommando – International Special Operations Magazine“ (K-ISOM), deren Nummer 2/2009 mir seit einigen Tagen vorliegt, immer wieder auf. Der erste Eindruck der Illustrierten: Hochglanzpapier und viele bunte Bilder. Wie zu erwarten, sind die dazugehörigen Texte tendenziell schwach und in „Denglisch“ geschrieben. Warum muß man z.B. eine Spezialeinheit der polnischen Militärpolizei, die amtlich als „OSZW“ abgekürzt wird, dann noch einmal als „SWAT“ bezeichnen (S. 38)? Was soll der Begriff „Straßen-Riots“ (S. 15), wenn man mit „Straßenunruhen“ dasselbe ausdrücken könnte?

Auf jeden Fall wirkt die Lektüre von K-ISOM wie eine Realsatire: Auf der Webseite der Zeitschrift wird (in englischer Sprache!) behauptet, daß es sich um eine deutschsprachige Zeitschrift handeln würde. Davon ist im Heft selbst freilich nur wenig zu merken. (Übrigens hat die SWM-Redaktion Herrn Sünkler klugerweise nicht als Journalisten, sondern nur als Fotojournalisten tituliert. ;-))
Des weiteren ist die „reale Welt“ der Spezialeinheiten, aus der K-ISOM dem eigenen Anspruch nach berichten will, ziemlich klein und besteht scheinbar nur aus den NATO-Staaten und Israel. Daß „hinter den Bergen“ auch noch Menschen wohnen und Spezialkräfte existieren, ist Sünkler & Co. wohl entgangen.

Ein absolutes „Schmankerl“ in negativer Hinsicht ist jedoch Ben Kellers Artikel über litauische Spezialeinheiten im Afghanistaneinsatz. In holprigem Deutsch geschrieben, mit manchen sinnvollen, aber auch vielen überflüssien englischen Worten garniert, läßt sich der Autor über „Special Operations Forces“, eine „CT-Truppe“ u.a.m. aus, bevor er endlich auf S. 5 zur litauischen Bezeichnung für diese Spezialkräfte kommt: „Aitvaras“. Warum wird das nicht an den Anfang gestellt?
Stattdessen wird der Leser mit Sätzen wie dem folgenden auf S. 5 behelligt:

„[…] Kampfschwimmer (Combat Divers Service) KNT (Koviniu Naru Tarnyba) für amphibische und Boarding-Operationen an den Küsten […]“.
Welchen informatorischen Mehrwert hat an dieser Stelle der englische Terminus „Combat Divers Service“? Da Englisch in Litauen keine Amtssprache ist, ist auch die Bezeichnung der litauischen Streitkräfte als „LAF (Lithuanian Armed Forces)“ auf S. 10 (ohne deutsche Übersetzung!) nichts anderes als sinnlos. Ebenso würde ich gern erfahren, was mit einem „Compound in Südafghanistan“ (S. 7) gemeint ist.

Eine hochinteressante Frage wird von Keller leider überhaupt nicht behandelt: Wie sehen litauische Offiziere und Politiker, die selbst in den Reihen der Sowjetarmee in Afghanistan gedient haben, den heutigen Einsatz ihrer Streitkräfte dort? Vielleicht übersteigt diese, eigentlich naheliegende, Fragestellung aber auch die intellektuellen Fähigkeiten von Redaktion und Leserschaft der K-ISOM?

Weiters fabuliert Keller über sog. „GWOT-Operationen (Global War on Terror)“ (S. 6). Spätestens hier zeigt sich, daß man ihn – und auch die Zeitschrift – nicht sonderlich ernst nehmen kann. Der Begriff „GWOT“ ist natürlich amerikanischer Provenienz und wurde in neokonservativen Kreisen geprägt. Analytisch und sicherheitspolitisch ist dieser Terminus (im wahrsten Sinne des Wortes) sinnlos, worauf nicht zuletzt Zbigniew Brzeziński in einem fast schon verzweifelten Artikel in der Washington Post hingewiesen hat: „Terrorized by 'War on Terror' – How a Three-Word Mantra Has Undermined America“. Terror (bzw. Terrorismus) ist eine Kampf-Form, gegen die man schlechterdings keinen Krieg führen kann, denn letzterer setzt einen konkreten, personifizierbaren Gegner voraus.
Einen Vorteil hat die kontinuierliche Verwendung rein ideologischer Begriffe wie „GWOT“ allerdings: Man weiß, was man von den Autoren und Redakteuren der K-ISOM zu halten hat. Ebenso ernüchternd ist es, wenn einer „Fachzeitschrift“ angesichts des jüngsten Konflikts um den Gazastreifen nicht mehr einfällt, als nur das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel zu beschwören. Hier wäre Schweigen die bessere Antwort gewesen, bis man eine Analyse hätte vorlegen können.

Soweit sich die K-ISOM-Artikel nur mit der Mikroebene von Waffen und Spezialkräften beschäftigen, sind sie durchaus lesenswert. Im Heft 2/2009 sind dies z.B. die Beiträge über den Scharfschützenzug des Fallschirmjägerbataillons 313, über „Car Gunfight“ und über Modifikationen des G 3. Sobald es aber auf die Makroebene von Politik und Geschichte geht, sieht es sehr, sehr trübe aus. Man hat, kurz gesagt, den Eindruck, daß Sören Sünkler wie auch seine Kollegen insoweit zu einem analytischen und kritischen Denken unfähig sind. Insoweit stehen sie etwa früheren Offizieren der NVA oder der Sowjetarmee, die nach wie vor vom „Klassenstandpunkt“ u.ä. marxistischen Begriffen reden, in nichts nach – nur, daß sie eben die „andere Feldpostnummer“ vertreten. Im Zweifel geht bei beiden Gruppen Gesinnungstüchtigkeit vor sachlicher Richtigkeit und (selbst-)kritischer Distanz.

Leser, die nach bunten Bildern und lesenswerten Reportagen aus der Welt der Spezialkräfte suchen, sind bei K-ISOM im allgemeinen und Sören Sünkler im besonderen an der richtigen Adresse. Allerdings darf man die Einlassungen besagter Herrschaften, soweit sie über dieses eng begrenzte Feld hinausgehen, keineswegs ernst nehmen. Die journalistischen Qualitätsansprüche bleiben dort auch sonst auf der Strecke. So heißt es in einem Interview mit einem Mitarbeiter der Fa. Zeiss (S. 74):

„Die Welt hat sich verändert. Sie ist unsicherer und unübersichtlicher geworden. Mit den Technologien von Carl Zeiss Optronics helfen wir, die Welt sicherer und durchschaubarer zu machen.“
Eine Zeitschrift, die derart platte Marketingsprüche völlig unkritisch im redaktionellen Teil abdruckt, hat nur eine Reaktion verdient: Nichtbeachtung. Und so wird dieses eine Heft von K-ISOM auch das letzte sein, das ich gekauft habe, zumindest solange es nicht zu substantiellen Verbesserungen kommt. Weitere 6,50 € ist mir dieses Elaborat jedenfalls nicht wert. Aber die Airsoft-Kinder mit ihrem M-4-Varianten werden schon für den nötigen Umsatz sorgen.
Mit Wehmut denkt man daher an die frühere Zeitschrift Barett zurück. Auch dort gab es Ausreißer, aber die Masse der Artikel war doch sehr ordentlich. Einen Tiefpunkt hat K-ISOM allerdings noch nicht erreicht: Soldier of Fortune ist noch schlechter. Aber ob dies der richtige Orientierungspunkt für ein aufstrebendes Magazin ist?

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh Mann Krenkel, so viel ätzender Neid auf einen Autor. Wahnsinn.

E.K. hat gesagt…

Warum sollte ich auf die Kombination aus Dummheit und Geldschneiderei neidisch sein?

Anonym hat gesagt…

Schon mal darüber nachgedacht, dass das VORGEGEBENE Format von Büchern und Zeitschriften letztendlich keinen Anspruch auf akademische Feinheiten zulässt? Und ja, es ist eine Mikroebene. Dafür aber Barett loben, die ja fachlich wirklich nur Bullshit gebracht und auf Copyrights gepfiffen hat sowie auch sonst aus der national-konservativen Ecke mit dubiosen Schleichbotschaften kam. Da fasse ich mir nur an den Kopf. Du erwartest von einer "Mikroebene" auf 80 oder 200 Seiten akademische und sicherheitspolitische Höchstleistungen. Wie soll das funktionieren? Kauf die "Europäische Sicherheit" und Du wirst bedient. Kauf K-ISOM und Du wirst fachlich anders bedient. Aber beide Bereiche auf einen Nennen anzuwenden empfinde ich als unfair. Zwei unterschiedliche Baustellen. Sicherlich, man könnte dort einiges verbessern und auch die Motorbücher lassen oft zu wünschen übrig aber zur Zeit gibt es keine Alternative. Und vorher gab es auch nichts. Also, warum sich an aus dem Kontext herausgerissenen Einzelaussagen so spottend aufziehen? Ich empfinde es den Autoren gegenüber als unfair. Warum also diese überzogene Gift- und Gallespritze an dieser Stelle?

E.K. hat gesagt…

Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe hier darauf geantwortet:

http://backyard-safari.blogspot.com/2009/05/debatte-uber-das-special-forces-fieber.html

Anonym hat gesagt…

Message für Krenkel

Ich bin Autor des Buches "Kommandounternehmen .... " und habe Ihre Bemerkungen mit Interesse gelesen.

Darf ich Sie bitten, mir an meine Mailadresse kgs1965@bluewin.ch Ihre Mailadresse zu schicken.

Ich würde gerne mehr über ihre INputs erfahren, da ich gegenwärtig meinen 2. Band schreibe resp. fast fertig bin.

Freundliche Grüsse

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