Sonntag, 31. Juli 2011

"Waffen, Schützen, Büchsenmacher"

Im vergangenen Winter ist mir beim Stöbern in einem Leipziger Antiquariat ein nicht ganz gewöhnliches Waffenbuch aufgefallen. „Waffen, Schützen, Büchsenmacher“ von Ludise Letosnikova und Josef Hercik ist erstmals in tschechischer Sprache 1975 im Prager Albatros-Verlag erschienen. Dieser Verlag besorgte 1982 auch die deutsche Übersetzung, welche hier vorgestellt wird.

Das Buch ist eher populärwissenschaftlich aufgemacht und richtet sich an waffengeschichtlich interessierte Laien ab dem Jugendalter. Behandelt wird die Entwicklung der Schußwaffen von den Bögen und Armbrüsten des Mittelalters bis zu den Hinterladern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Autoren richten ihren Blick auch auf Regionen, die oft nicht im Fokus des (deutschen) Fachpublikums stehen. Dies sind z.B. Büchsenmacher in Städten, die heute zur Tschechischen Republik, zu Polen oder Rußland gehören. Zugleich belegen sie den schon in der frühen Neuzeit vorhandenen Austausch waffentechnischen Wissens in ganz Europa. Die Autorin stellt in der Regel zunächst eine konkrete Waffe vor, um sodann die Geschichte ihrer Herstellung oder Verwendung zu erzählen. Ergänzt werden die Texte durch zahlreiche farbige Zeichnungen sowie zeitgenössische Bilder.

Positiv überrascht hat mich angesichts des Erscheinungsortes und -jahres das Fehlen jeglicher politisch-ideologischer Einsprengsel im Text. Die Autorin versteht es, dem Leser die von alten Waffen ausgehende Faszination zu vermitteln, indem sie eine Beziehung zwischen dem Gegenstand und der politischen-, Technik- oder Kulturgeschichte herstellt. Insofern ist das Buch eher ein bebilderter Essay denn ein Fachbuch; Tabellen mit technischen Daten wird der Leser darin vergebens suchen. Nichtsdestotrotz ein interessanter Ansatz, um das Thema Waffensammeln für eine breitere Öffentlichkeit darzustellen.


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Donnerstag, 28. Juli 2011

28.07.2011: Video des Tages

Heute stellt uns ein belgischer Messersammler die Produkte der spanischen Firma Nieto vor. Auch mir persönlich gefallen in letzter Zeit die eher klassischen Modelle von der iberischen Halbinsel immer mehr.



Montag, 25. Juli 2011

Vielleicht doch kein Wahnsinniger


Der Doppelanschlag, dem am Freitag in Oslo und Umgebung über hundert Menschen zum Opfer gefallen sind, hat Eigentümlichkeiten, die ihn von den in den letzten Jahren bekanntgewordenen Amokläufen unterscheiden. Letztere trugen regelmäßig den Charakter eines erweiterten Selbstmords, d.h. der Täter wollte die Menschen, die er für sein verpfuschtes Leben verantwortlich gemacht hat, mit in den Tod nehmen. Das war beim Massenmord in Norwegen anders. Nach allem was bisher bekanntgeworden ist, hat sich der Täter monatelang akribisch auf den Tag X vorbereitet: Tarnfirmen gegründet, Sprengstoff hergestellt, finanzielle Transaktionen getätigt, PR-Maßnahmen betrieben bzw. vorbereitet. Und er hat sich, nachdem er sein blutiges Werk volbracht hatte, widerstandslos festnehmen lassen. Kein Selbstmord also. Auf seinen Überlebenswillen deutet auch die getragene ballistische Schutzweste hin. Folglich wirft schon die Begehensweise Fragen auf.

Darauf deuten auch seine vor der Polizei gemachten Aussagen hin. So soll er davon gesprochen haben, daß es ihm um die Bekämpfung von Islam und "Kulturmarxismus" gegangen und daß seine Tat zwar grausam, aber notwendig gewesen sei. Dies deutet darauf hin, daß er sich seiner Handlungen und ihrer Konsequenzen vollauf bewußt war. Somit verbietet es sich - zumindest vor einer genaueren psychiatrischen Untersuchung -, von einem kranken und gestörten Täter zu sprechen, denn man kann seinen Handlungen eine gewisse innere Rationalität nicht absprechen. Er sieht die Einwanderung von Muslimen nach Norwegen als Bedrohung an und wendet sich mit Gewalt gegen die politischen Kräfte innerhalb Norwegens, die seines Erachtens dafür verantwortlich sind: die Sozialdemokraten.

Die Begründung, daß man endlich mit Gewalt gegen den in Europa vordringenden Islam vorgehen müsse, habe ich übrigens vor Jahren schon einmal gehört. Am Rande einer studentischen Großveranstaltung in Berlin meinte einer der Teilnehmer, daß man wohl erst einmal ein paar Millionen Muselmanen umbringen müßte, damit sie Europa den Rücken kehren und "uns" in Frieden lassen. Bereits damals war ich über diese These erstaunt und die Ereignisse in Norwegen zeigen, daß sich dieser Gedanke in Kreisen radikaler Islamgegner offenbar festgesetzt hat. Während es in diesen Kreisen, die sich in Deutschland um Webseiten wie z.B. Politically Incorrect scharen, zumeist bei verbalen Unmutsäußerungen (wenn auch oft unterhalb der Gürtellinie) bleibt, dann wissen wir jetzt, daß dieses Denken, sofern es sich radikalisiert, auch erhebliche Konsequenzen haben kann.

Deshalb sollten die Taten von Oslo Anlaß zum Nachdenken sein. Zum einen für die Islamkritiker. Zu oft wird von ihnen eine radikale und blutrünstige Sprache verwendet. Es wird doch wohl möglich sein, die zweifelsohne bestehenden Probleme mit islamischen Zuwanderern in den europäischen Gesellschaften zu thematisieren, ohne sich dabei im Ton zu vergreifen oder, wie etwa im Fall der Mohammed-Karrikaturen, andere Menschen bewußt zu beleidigen. So kommt kein zielführender Dialog zustande.

Vor allem aber müssen die Gewaltphantasien aufhören. Der oben genannte Student führte dann weiter aus, er hoffe auf den freiwilligen "Rückzug" der Muselmanen aus Europa, vielleicht komme man in diesem Fall auch ohne oder mit wenig Gewalt aus. Dabei wird übersehen, daß die Mehrzahl der hier lebenden Muslime auch hierbleiben will. Eine freiwillige Rückwanderung wird somit nicht stattfinden und eine vom Staat angeordnete Zwangsrückführung dürfte aus vielerlei politischen und rechtlichen Gründen scheitern. D.h. daß die Moslems auch hier in Europa bleiben werden; sie sind damit automatisch zu einem Teil unserer Gesellschaften geworden. Mithin erübrigt sich auch jede (Schein-)Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht.

Die Korangläubigen sind hier und wir Autochthonen müssen mit diesem Tatbestand umgehen. Mir persönlich wäre es lieber, es würden mehr christliche Kirchen anstelle von Moscheen gebaut und auch mir sind die bärtigen, weißgekleideten jungen Männer auf dem Weg zum Freitagsgebet nicht immer geheuer. Doch was hilft es, die Realität zu ignorieren und sich in Träume vom christlichen Abendland zu flüchten? Wenn man keinen Akt der Barbarei wie in Norwegen begehen will, dann muß man sich auf eine Gesellschaft einstellen, in der auch der Koran einen Platz hat - unabhängig davon, was man von theoretischen Konzepten wie Multikulti hält.

Das war die eine Seite. Doch auch die andere kann nicht so weitermachen. Es ist einfach zu billig, jeden Islamkritiker der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und des Rechtsextremismus zu beschuldigen. Einige dieser Leute können auf reale negative Erfahrungen mit muslimischen Zuwanderern zurückblicken. Die von manchen dieser Einwanderer verursachten Probleme - insbesondere im Bereich der Kriminalität - sind unzweifelhaft vorhanden, weshalb Leugnen absurd ist.

Leugnen und das Beharren auf der Xenophobiethese führen im Extremfall - wie in Norwegen - dazu, daß sich Kritik nicht mehr mit Worten, sondern mit Gewalt äußert, weil sich der Kritiker völlig unverstanden fühlt. Das muß verhindert werden, indem reale Probleme und Konflikte auch offen benannt und diskutiert werden dürfen - wobei freilich auf das Minimum an zwischenmenschlichem Respekt zu achten ist, ohne welches kein Gespräch möglich ist (doch dieser Respekt ist etwas anderes als die abweichende Meinungen erstickende PC).
Und es muß auch für unsere Sicherheitsbehörden möglich sein, gegen gewaltbereite Islamisten und schnöde Kriminelle moslemischen Glaubens vorzugehen, ohne daß dies als "Kreuzzug" gegen alle Muslime dargestellt oder wahrgenommen wird. Analoges gilt für andere Gruppen hier lebender Ausländer, deren "Migrationshintergrund" kein Freibrief für das Begehen von Straftaten sein darf.

Schließlich werden die norwegischen Behörden auf der praktischen Ebene einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Wie konnte es dazu kommen, daß der Täter 90 Minuten auf der Ferieninsel ungehindert über 80 Menschen töten konnte? Wieso haben die Spezialkräfte der Polizei aus der nur knapp 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo so unsagbar viel Zeit benötigt, bis sie auf der Insel Utøya waren? Gab es auf der Insel niemanden, der ihn möglicherweise hätte stoppen können (z.B. privater Sicherheitsdienst, ortsansässiger Jäger)? Das war kein spontaner Amoklauf eines Irren, sondern ein geplantes, anderthalbstündiges Massaker, dessen Urheber anscheinend wußte, was er tat.

Die Tat des Anders Behring Breivik war zwar höchst unmoralisch, aber nicht unbedingt irrational. Die durch sie aufgeworfenen Fragen werden sich jedoch in den deutschen Medien wohl kaum wiederfinden. Statt dessen wird die Journaille vermutlich wieder den gewohnten Film abspielen: geistesgestörter Täter, schlechte Kindheit, Killerspiele und Schußwaffen, der diesmal noch durch die Zutaten christlicher Fundamentalismus, Islamophobie, Rechtsterrorismus usw. angereichert wird. Und es werden wieder die üblichen Verdächtigen zu Wort kommen, die die üblichen Parolen verbreiten ...


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Foto: DPA.

Samstag, 23. Juli 2011

Aufbaujahre in China

Wenn man sich heute bisweilen die Frage stellt, weshalb asiatische Staaten im allgemeinen und die Volksrepublik China im besonderen mittlerweile eine bedeutende Rolle im internationalen Schießsport spielen (wie die letzte Weltmeisterschaft wieder gezeigt hat), dann liegt das vielleicht weniger am Doping oder anderen unlauteren Methoden als vielmehr am systematischen Aufbau dieses Sports, der seit Jahrzehnten vonstatten geht. Einen Einblick in die Anfangsjahre gewährt uns der folgende Artikel, welcher 1959 in Der Sportschütze erschienen ist:



Ich persönlich möchte in China keinen Leistungssport betreiben, denn das Training scheint doch sehr drillmäßig und voller Druck zu sein. Nichtsdestotrotz bringt dieses System Erfolge hervor, denen man die Anerkennung kaum verweigern kann. Und es ist für Menschen aus ostasiatischen Kulturen wahrscheinlich auch weniger problematisch als für uns Europäer.


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Dienstag, 19. Juli 2011

Putin, der Universalbösewicht


Wladimir Putin spielt in Westeuropa zunehmend die Rolle eines Universalbösewichts, dem man alle möglichen Untaten anhängen kann. Nicht nur die angeblich so schlimme Innenpolitik, die er früher als Präsident und nunmehriger als Premierminister der Rußländischen Föderation betrieben hat. Jetzt wird er in Frankreich auch zur sinistren Zentralfigur einer Verschwörung stilisiert, die sich gegen Dominique Strauss-Kahn richten soll. Angeblich hätten Putin und Präsident Nicolas Sarkozy die Vergewaltigung in New York gemeinsam inszeniert, um Strauss-Kahn aus dem Internationalen Währungsfonds zu vertreiben. Dabei bleibt allerdings offen, warum Putin oder die Geheimdienste der RF so etwas tun und welche politischen Ziele sie damit verfolgen solten. Das hindert die Anhänger dieser von "DSK" selbst kolportierten Verschwörungstheorie freilich nicht daran, sie weiterzuverbreiten.

Hieran zeigt sich, daß in den vergangenen sechs Jahren in den westlichen Medien ein überaus negatives Bild Putins aufgebaut worden ist, so daß die bloße Nennung seines Namens genügt, um negative Emotionen und Protest hervorzurufen. So auch nach der Bekanntgabe, daß er einer von vier Preisträgern des diesjährigen Quadriga-Preises sei. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, wobei die vorgebrachten Einwände jede intimere Kenntnis und differenzierte Darstellung der Verhältnisse in Rußland vermissen ließen. Des weiteren hatten sie nichts mit der Begründung des Kuratoriums zu tun, wonach die besonderen Verdienste Putins um die deutsch-russischen Beziehungen gewürdigt werden sollten.

Hans-Georg Schnaak hat dies in seinem Kommentar gut zusammengefaßt:
"[...]

Ich bin deutscher Staatsbürger, arbeite aber seit etwa 20 Jahren in Moskau. Was sich in Deutschland tut, erlebe ich somit eher aus der Ferne, Russland dagegen hautnah.
Auch die Nominierung Putins für den Quadriga-Preis habe ich also aus der Ferne, über die Medien mitbekommen. Und ich fand diese Nominierung für seine wohl unumstrittenen Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen durchaus berechtigt. Was aber danach kam, ist mehr als peinlich.

Irgendwie erinnerten mich die Proteste gegen die Preisverleihung (oder wohl eher gegen Putin selbst?) wieder an die Rhetorik aus dem Kalten Krieg. So haben 260 Historiker und Wissenschaftler anderer Disziplinen sowie Politiker ein Schreiben unterzeichnet haben, in dem die Rücknahme der geplanten Ehrung gefordert wird, wie die «Süddeutsche Zeitung» (Montag) schreibt. Unter «der Ägide Putins wurden in Russland Bürgerrechte beschnitten und ein autoritäres Regime errichtet», heißt es demnach in dem Brief. Diesen habe auch die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) unterzeichnet. Auch das hat mit Putins Verdiensten für die deutsch-russischen Beziehungen absolut nichts zu tun…

Bei den Wissenschaftlern fällt mir ein, dass im vorigen Jahr auch zu Guttenberg unter den Preisträgern war, zwar noch als Dr. zu Guttenberg, aber daran scheint sich niemand mehr zu stören. Insgesamt ist die Zusammensetzung der Preisträger aber so, dass man sich ohnehin fragen muss, ob man sich wegen der einen geehrt oder wegen der anderen beleidigt fühlen müsste, in diese Liste aufgenommen zu werden.

Unter den Protestierenden sind auch so genannte Russland- und Osteuropaexperten. Bei manchen Argumenten möchte man meinen, dass die Experten ihr Expertenwissen in Bezug auf Putin aus Boulevardzeitungen haben. Einen solchen Eindruck bekam ich zum Beispiel bei Marieluise Beck von der Grünen-Bundestagsfraktion. Der Zeitung "Die Welt" sagte sie, sie habe nicht verstehen können, warum ausgerechnet Putin, der Erfinder der "gelenkten Demokratie", als Zeichen für die deutsch-russische Verbundenheit ausgezeichnet werden sollte. Hier verstehe ich auch nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat.

Laut dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning (FDP) steht die „Quadriga“ für Freiheit, Bürgerrechte und Menschenrechte. Putin habe aber in Russland die Demokratie zurückgedreht.

Wie gesagt, ich erlebe Russland seit etwa 20 Jahren hautnah. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, was Putin von Jelzin für einen Scherbenhaufen übernommen hatte: ein durch 70 Jahre Sozialismus und die darauf folgenden zehn Jahre rücksichtslosen Raubkapitalismus und die Tschetschenienkriege vom Auseinanderfallen bedrohtes Land, in dem Gesetze jegliche Bedeutung verloren zu haben schienen.

Und es gab viele in Russland, die meinten, wenn Putin dagegen angeht, dann hat er zu viele zu mächtige Feinde gegen sich. Gemeint waren die sogenannten Oligarchen und die mit ihnen verbundenen Politiker in einnahmeträchtigen Ämtern (die sich lautstark als Demokraten verkündeten), kurzum, das grenze an Selbstmord. Und es gab kein Rezept, wie man aus all dem eine wirkliche Demokratie aufbaut… Aber gelenkt werden musste dieses Riesenland, in dem unter Demokratie Anarchie verstanden wurde, ja irgendwie. Und zwar mit „straffer Hand“, wie das von Jelzin enttäuschte Volk forderte.

Putin hat versucht, unter diesen Bedingungen eine demokratische Ordnung zu schaffen und der Anarchie eine „gelenkte Demokratie“ entgegengesetzt. Was im Westen als erneutes „autoritäres Regime“ verschrien wurde, war kein Rückschritt gegenüber Jelzins Ära, sondern brachte dem Land eine gewisse Stabilität. Man kann einem Land von heute auf morgen keine Demokratie überstülpen, wenn es dazu insgesamt noch nicht reif ist. Nicht einmal mit Waffengewalt, wie die USA im Irak begreifen mussten. Das versuchen sie schon seit Jahren ergebnislos. Putin war acht Jahre Präsident. Medwedew ist es inzwischen seit fast vier Jahren. Beide hintereinander oder auch zusammen haben viel erreicht. Aber Demokratie von Null an braucht eben Zeit.

Ich erinnere mich auch noch an das Schulterklopfen für Jelzin im Westen, als er das Land nahezu restlos ruinierte, und an die Angst im Westen, als mit der Anarchie in Russland das Land unberechenbar zu werden schien.

Russland ist berechenbar und stabil geworden, und das hat es nicht zuletzt Putin zu verdanken. Das Land hatte seine eigene stürmische Geschichte und muss seinen eigenen Weg in die Zukunft finden. Und auch hier hat Putin, ebenso wie der jetzige russische Präsident, Dmitri Medwedew, nicht wenig geleistet. Und das bei all den übernommenen Problemen nicht immer alles glatt geht, das ist wohl völlig normal. Wenn ich an die letzten großen Skandale in Italien und Großbritannien denke - nach wie viel Jahren Demokratie?

Mir drängt sich allerdings angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahlen Anfang nächsten Jahres in Russland der Verdacht auf, dass einige im Westen schon indirekt zu verstehen geben wollen, dass sie Putin nicht als russischen Präsidenten nach den Wahlen sehen wollen. Die Kandidaten in Russland sind noch nicht nominiert…

[...]"
Ergänzend dazu sind m.E. an den Ereignissen der letzten Wochen darüber hinaus noch drei Aspekte bemerkenswert:

Wladimir Putin sollte explizit für sein Engagement um die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland geehrt werden. Die lautstarke Kritik daran kann nur bedeuten, daß vielen Deutschen eben diese Beziehungen herzlich egal sind oder sie sogar für eine Verschlechterung plädieren. Ich halte dies für sehr bedenklich, denn fast auf den Tag genau 70 Jahre nach Beginn des Unternehmens "Barbarossa" sollten wir eigentlich froh darüber sein, daß sich unsere bisweilen höchst unangenehmen bilateralen Beziehungen seit einigen Jahrzehnten so positiv entwickelt haben.

Dies wird auch dadurch gestützt, daß die Nichtverleihung des Preises wenige Tage vor den deutsch-russischen Regierungskonsultationen bekanntgegeben wurde. Man mag diese zeitliche Nähe für Zufall halten, doch zumindest bei einem Teil der lautstarken Kritiker wird man wohl unterstellen dürfen, daß sie die Beziehungen zwischen beiden Staaten beschädigen wollen. Dazu paßt auch die ebenfalls jetzt lautgewordene Kritik am Petersburger Dialog. Dieses Forum ist manchen Deutschen nicht nur zu honoratiorenlastig, sondern auch zu stark vom Dialoggedanken geprägt. Ihnen wäre eine Anklagebank lieber, auf der sie die Russen über ihre echten und vermeintlichen Fehler belehren könnten. Frei nach dem Motto (nach dem heute auch die Grünen leben): "An unserem deutschen Wesen soll die Welt genesen. Und ist die Welt nicht willig, dann brauch ich Gewalt."

Dazu zählt auch Roland Jahn, seines Zeichens Bundesbeauftragter für die Unterlagen des ehem. MfS der DDR. Als Bundesbeamter ist dieser Mann eigentlich zur Zurückhaltung im politischen Meinungskampf verpflichtet. Das hat ihn freilich nicht davon abgehalten, sich zur Preisverleihung zu äußern und Putin als nicht preiswürdig zu bezeichnen. Interessant ist die Begründung: Putin sei als KGB-Offizier in den 1980er Jahren eine Stütze der kommunistischen Regimes gewesen. Komischerweise hat man vor zwei Jahren Michail Gorbatschow, der nicht nur langjährige Stütze, sondern später sogar Chef eines kommunistischen Regimes war, ebenfalls mit dem Quadriga-Preis geehrt, ohne daß es zu Protesten kam. Woran diese Doppelzüngigkeit wohl liegen mag?

Viel Wert wurde auch auf die Einlassungen früherer Empfänger des Quadriga-Preises gelegt. So habe Vaclav Havel die Rückgabe seines Preises angedroht und dies sei schließlich ausschlaggebend für die Entscheidung der Jury über die Aussetzung des Preises gewesen. Nun ist Havel nicht nur ein histtorischer Bürgerrechtler, sondern auch in der aktuellen Politik involviert. Und sein dabei zutagetretendes Weltbild ist schon zweifelhaft, wenn er etwa im März diesen Jahres für einen Krieg gegen Libyen plädiert hat - ganz nach dem Motto, daß man erst einmal viele Menschen töten müsse, damit sie "befreit" würden.

Die Bedeutung, die man Havel beimißt, ist ein Indiz für eines der größten Probleme der deutschen Außenpolitik. In einigen Staaten Osteuropas gibt es grundsätzliche Aversionen gegen Rußland, die sich keineswegs nur mit realen historischen Erfahrungen erklären lassen. Von Deutschland fordern derart gestimmte Politiker dann im Namen der "europäischen Solidarität" den Kampf gegen die RF ein. Zu diesem Personenkreis zählt auch Vaclav Havel, der nicht politisch oder menschenrechtlich, sondern kulturell argumentiert: für Havel gehört Rußland - im Gegensatz zur Ukraine oder Belarus - einfach nicht zu Europa und muß deshalb ausgeschlossen bleiben (vgl. z.B. hier, hier, hier und hier). Diese bisweilen patholgische Russophobie führt für die BRD zu einem Dilemma, denn im deutschen Interesse liegen gute Beziehungen zu allen Staaten Osteuropas, einschließlich Rußlands. Somit sind wir Deutschen anfällig für Erpressungsversuche und Leute wie Havel nutzen diesen Umstand weidlich aus. Leider mit Erfolg, wie die Ereignisse der letzten Tage belegen.

Die Kritik an der Ehrung Putins zeigt vor allem, wie anfällig wir Deutschen immer noch (oder schon wieder) für krude Ideologien sind. Die Welt wird in schwarz und weiß unterteilt, wobei die Rollen der "Guten" und "Bösen" eindeutig zugeordnet sind. Beispiel: Wenn in Deutschland ein ehemaliger BND-Präsident Minister wird, dann ist das in Ordnung. Wenn hingegen in Rußland ein früherer Nachrichtendienstler Präsident wird, dann wird dagegen agitiert.

Schon bei der Debatte um den geplanten Panzerverkauf an Saudi-Arabien habe ich mich gefragt, ob viele meiner Mitbürger (insbesondere unter den Journalisten) noch ganz bei Sinnen sind. Etwa, als von den "moralischen Grundlagen der deutschen Außenpolitik" die Rede war. Worin selbige bestehen, blieb zwar unausgesprochen, doch offenbar fühlen sich nicht wenige Deutsche dem Rest der Welt moralisch überlegen, so daß für strategische Gedankengänge oder die Anerkennung unzweifelhafter Leistungen kein Platz bleibt.

Dem steht nur eine Minderheit wie z.B. Margarita Mathiopoulos gegenüber:
"[...]

Der "heftig aufgekommene Moralismus von verschiedenen politischen und publizistischen Ecken", erstaune sie, sagte Mathiopoulos der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie fragte: "Sind wir in dieser Republik nicht auch von Politikern wie Hans Globke, Herbert Wehner oder Joschka Fischer mitregiert worden? Hatten alle drei nicht auch eine kontroverse Vergangenheit?" In der Tat sei Putin kein "lupenreiner Demokrat". Aber auch "in lupenreinen Demokratien sind nicht unbedingt alle politisch Verantwortlichen lupenreine Demokraten".

[...]"
In Rußland wurde der Skandal erstaunlich unaufgeregt aufgenommen und kommentiert. Vizepremier Viktor Subkow und andere Spitzenbeamte verwiesen darauf, daß die Rücknahme der Preisverleihung keine Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen haben werde. Subkow stellte allerdings auch die Frage, welcher rußländische Politiker außer Putin sich denn in den vergangenen zehn Jahren besonders um die Beziehungen zu Deutschland bemüht habe. Ferner meint die liberale Nesawissimaja Gaseta, daß die Proteste vom generellen Unverständnis der westeuropäischen Linksliberalen für die Verhältnisse in der RF zeugen. Ansonsten wird in den Kommentaren betont, daß der Quadriga-Preis keine öffentliche, sondern eine private Veranstaltung ist und daß die mangelnde Koordination innerhalb des Kuratoriums ausschlaggebend für die jetzt entstandene chaotische Situation gewesen sei.

Thomas Fasbender, ein anderer in Moskau lebender Deutscher, fragt in seinem lesenswerten Kommentar: "Hand auf's Herz - wer kannte vor drei Wochen einen Quadriga-Preis? Eine Werkstatt Deutschland? Nun ist ganz Deutschland eine Werkstatt, darauf sind wir zu recht stolz - aber eine Werkstatt Deutschland e.V.?" Ich kannte sie jedenfalls nicht. Fasbender weiter:
"[...]

Grund dafür ist ein Fettnäpfchen namens Wladimir Putin. Und mit Fettnäpfchen ist es in Deutschland so eine Sache. Ist der Fuß erst einmal drin, geht sie zumeist übel aus. Dabei hatten sich die Trustees gemessen an ihrem heurigen Motto "Leadership" mit Putin keinen schlechten Kandidaten ausgesucht. Was immmer man ihm vorwerfen mag, seine Führungsqualitäten wird niemand ernsthaft bezweifeln.

Aber kann so einer Vorbild für Deutschland sein - a role model for Germany?

Nun werden die Trustees kaum gewollt haben, Deutschland à la Putin zu regieren. Auch die Russen würden mit Frau Merkel ihre Probleme haben. Vielleicht hatten sie eine von Putins wichtigsten Leistungen im Blick, das Zurückfahren der Staatsschulden von fast 150 % des Bruttosozialprodukts auf fast Null im Laufe von einem halben Jahrzehnt. So gesehen kein unaktuelles Thema, und im Ergebnis durchaus vorbildlich. Oder sie wollten den russischen Ministerpräsidenten ganz einfach für seinen Beitrag zu den guten nachbarlichen Beziehungen ehren.

Aber die Rechnung war ohne den Wirt gemacht. Der Wirt, das sind die deutschen Medien, nicht minder staatstragend als der Werkstattverein, aber ungleich mächtiger. Putin ist ihr persönlicher Buhmann, der sich erfrecht, dem Westen zu zeigen, dass Russland auch anders kann. [...]

Am Ende hatte das Spektakel mit Putin selbst am allerwenigsten zu tun. Es ging nur noch um Positionierung und schnelle Flucht. Manche kennen das von Hauptstadtparties, wenn die Rede auf Russland kommt. Was, Sie sind für Putin - sind Sie denn kein Demokrat? [...]

Die Sieger können nun frohlocken; so schön kann Widerstand sein. Das Risiko ist nicht höher als beim Mitbeten während der heiligen Messe, und man steht garantiert auf der richtigen Seite. Ist doch was: Sophie-Scholl-Feeling zum Nulltarif.

[...]"

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Foto: liveinternet.ru.

Freitag, 15. Juli 2011

15.07.2011: Musik des Tages

Der Liedermacher Alexander Rosenbaum besingt im folgenden Lied den legendären Newskij Prospekt in seiner Heimatstadt St. Petersburg, die derzeit wegen der "weißen Nächte" wieder mit Touristen gefüllt ist. :-)



Montag, 11. Juli 2011

Spetsnaz XIII: Der Föderale Drogenkontrolldienst (FSKN)

Heute soll eine Sicherheitsbehörde der Rußländischen Föderation vorgestellt werden, die in Westeuropa nur wenig bekannt ist, doch die im eurasischen Raum eine wichtige Rolle spielt. Gemeint ist der Föderale Dienst für die Kontrolle von Narkotika (russ.: Federalnaja slushba po kontrolju sa oborotom narkotikow, Abk.: FSKN), den man als Äquivalent zur amerikanischen Drug Enforcement Administration (DEA) sehen kann.

Geschichte

Der FSKN ist eine junge Behörde. Sein Vorläufer war das 2002 gegründete und dem föderalen Innenministerium (MWD) unterstehende Staatliche Komitee für die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels. Im Jahre 2003 wurde dieses Komitee im Zuge der Reform der Sicherheitsbehörden aus dem MWD herausgelöst und verselbständigt (Gosnarkokontrol). Der heute verwendete Name des FSKN wurde 2004 eingeführt. Erster Behördenleiter war seit 2002 Viktor Tscherkessow; 2008 ist ihm Viktor Iwanow als Direktor des FSKN nachgefolgt.

Im Jahr 2004 übernahm der FSKN einen großen Teil des Personals und der Sachmittel der aufgelösten Steuerpolizei. Diese bewaffnete Exekutive der Finanzverwaltung, die in den 1990er Jahren weltweite Berühmtheit erlangt hatte, war entbehrlich geworden, nachdem das rußländische Steuersystem durch eine grundlegende Reform einfacher und durchsichtiger geworden war (z.B. Einkommenssteuer als „flat tax“ von 13 %), weshalb die Bürger ihre Steuern zunehmend freiwillig entrichteten.

Tscherkessows Name wurde durch eine seltsame Affäre beschädigt, als es 2007 den Anschein hatte, daß sich der FSKN und der FSB befehden und ihre Mitarbeiter gegenseitig festnehmen würden.
Bis zum Frühjahr 2011 waren die Dienststellen des FSKN übrigens die einzige Sicherheitsbehörde der RF, die offiziell als „Polizei“ tituliert wurde.


FSKN-Direktor Iwanow während einer Pressekonferenz.


Das Drogenproblem

Einer Schätzung des FSKN aus dem vergangenen Jahr zufolge konsumieren Drogensüchtige in Rußland pro Jahr etwa 30 Tonnen Heroin. Hinzu kommen in großem Umfang Cannabis sowie synthetische Drogen. In 2010 hat die Drogenbehörde insgesamt 49 t Rauschmittel beschlagnahmen können, darunter 3 t Heroin.


Wissenschaftliche Konferenz.


Aufgaben

Das Drogenproblem wird in Rußland sehr ernst genommen und seine Bearbeitung als gesamtstaatliche Aufgabe angesehen. In der 2009 verabschiedeten Strategie der staatlichen Anti-Drogen-Politik kommt dies zum Ausdruck. Darin werden der internationale Drogenhandel und die mit ihm verbundene organisierte Kriminalität (welche als sehr einträglich gilt) als Bedrohung der nationalen Sicherheit eingestuft und zahlreiche Gegenmaßnahmen empfohlen.

Im Gegensatz zu anderen Sicherheitsbehörden der RF sind die Kompetenzen und Befugnisse des FSKN über zahlreiche Gesetze und Rechtsverordnungen verteilt. Ihm obliegt im präventiv-verwaltungsmäßigen Bereich die Kontrolle über den Umgang mit Betäubungsmitteln i.w.S., deren legale Verwendung (z.B. in der Medizin), Herstellung, Ein- und Ausfuhr usw.
Im repressiven Bereich, also bei der aktiven Bekämpfung des illegalen Drogenhandels, besitzt der FSKN kein Monopol; auch die Polizei und der FSB werden auf diesem Gebiet tätig. Gleichwohl ist der FSKN aufgrund seiner Fachkompetenz hier in einer Vorzugsstellung. Seine Kompetenzen beschränken sich nicht nur auf die Drogenkriminalität selbst, sondern schließen auch damit zusammenhängende Delikte wie z.B. Geldwäsche mit ein. Man ist sich darüber im klaren, daß man das gesamte ökonomische Geflecht des illegalen Drogenhandels zerstören muß, um Erfolg zu haben.

Damit dieser nachhaltig wird, muß jedoch auch die Nachfrage nach unerlaubten Drogen reduziert werden. Hier setzt die allgemeine Drogenprävention ein, welcher vom FSKN eine hohe Priorität eingeräumt wird. Die Behörde geht z.B. in Schulen und klärt dort über Drogengefahren auf. Ferner werden Sport- und Kulturveranstaltungen durchgeführt, die Jugendliche für die Risiken sensibilisieren sollen und es gibt – wie auch in Deutschland – öffentliche Kampagnen wie Plakate etc. Deshalb betreibt der FSKN auch eine sehr aktive Öffentlichkeitsarbeit (vielleicht die aktivste aller Sicherheitsbehörden in der RF).


Plakat „Gemeinsam für das Leben - gemeinsam gegen Drogen“.


Organisation

An der Spitze des FSKN steht der Direktor. Ihm unterstehen unmittelbar die Abteilungen des Zentralapparates mit Sitz in Moskau. Dies sind: die Abteilungen für operative Arbeit, Kriminologie und Spezialaufgaben, innere Sicherheit (Antikorruption!), internationale Verbindungen und Recht, Personal, Finanzen etc.

Darunter stehen die territorialen Organe des FSKN. In der Regel handelt es sich dabei um eine Verwaltung für jedes Föderationssubjekt. Deren Leiter bekleiden in der Regel den Rang eines Obersten oder Generalmajors. Den Territorialverwaltungen unterstehen wiederum Abteilungen für einzelne Städte bzw. Kreise. In diesen regionalen und lokalen Behörden wird die Hauptarbeit geleistet.

Als Besonderheit ist das Staatliche Anti-Drogen-Komitee zu nennen, dessen Leitung dem Direktor des FSKN in Personalunion obliegt. Diese interministerielle Dienststelle dient – analog dem Anti-Terror-Komitee – der Koordination verschiedener rußländischer Behörden bei der Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln.

Im übrigen sind nur wenige Details über die Organisation des FSKN bekannt. Belastbare Angaben zur Personalstärke gibt es m.W. nicht, doch aufgrund der weitverzweigten Struktur wird man wohl von mehr als 10.000 Mitarbeitern ausgehen können.


Go-Kart-Rennen unter dem Motto „Adrenalin ohne Drogen“.


Spezialkräfte

Wie jede Sicherheitsbehörde der RF so verfügt auch der FSKN über eigene Spezialkräfte. Diese sind zum einen Teil der (zentralen) Abteilung für spezielle und kriminalistische Unterstützung mit Standort Moskau. Innerhalb dieses Departements bilden sie die Verwaltung für Spezialaufgaben und Bewachung.
Hervorgegangen sind die Spezialkräfte der Drogenpolizei aus einigen, zwischenzeitlich aufgelösten Spezialeinheiten der Miliz (SOBR). Ihr erster Chef war General Jewgenij Raschodtschikow, der zuvor in der Gruppe „Alfa“ gedient hatte.

Ihre Aufgabe ist die Durchführung von Hausdurchsuchungen und Festnahmen im Drogenmilieu. Die Kriminellen, selbst wenn sie nur „nebenamtlich“ in diesem „Business“ nachgehen, sind überaus gewaltbereit und eröffnen auch bei relativ geringen BTM-Mengen das Feuer, um ihren Besitz zu schützen. Hinzu kommt die gute Organisation bei größeren Mafiagruppierungen, deren Bosse oft über eigene Leibwächter verfügen. Oberste Priorität hat bei allen Operationen des FSKN das Aus-dem-Verkehr-Ziehen von Drogen.
Bei der Ausbildung wird neben den üblichen Themen wie Nahkampf und Schießen besonderer Wert auf die juristische Ausbildung gelegt, schließlich müssen die Fälle gerichtsfest gemacht werden.

Es ist unklar, ob die regionalen Behörden der Drogenkontrolle über die genannte Spezialeinheit hinaus noch über eigene Spezialkräfte verfügen. In deren Pressemitteilungen sind zwar regelmäßig Fotos solcher Beamter enthalten, es wird jedoch nicht erläutert, ob es sich um eingeflogene Mitarbeiter der Moskauer Spezialverwaltung oder um eigene Kräfte handelt.



Internationale Zusammenarbeit

Besonderen Wert legt der FSKN auf die Abstimmung mit anderen Staaten, denn Rußland ist für den internationalen Drogenhandel vor allem ein Transitland und erst in zweiter Linie ein Empfängerland. Dies trifft insbesondere auf die Opiumherstellung in Afghanistan und die Cannabisproduktion in weiteren Staaten Mittelasiens zu.

Neben dem Austausch von Informationen und dem Abhalten von Konferenzen zur Koordinierung zwischen verschiedenen Staaten geht es dem FSKN auch um substantielle operative Zusammenarbeit. So haben die Mitgliedsstaaten der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS/CSTO) Mitte November 2010 abgestimmte Razzien durchgeführt, an denen auch Beobachter aus den USA, Italien, China und dem Iran teilgenommen haben. Dabei hat der FSKN allein in St. Petersburg 179 kg Rauschgift beschlagnahmt. Insgesamt waren es in allen OVKS-Staaten 6,6 t.

Ein Schwerpunkt sind insoweit die früheren Sowjetrepubliken in Mittelasien. Vor allem Tadshikistan hat sich seit dem Abzug der rußländischen Grenztruppen im Jahr 2003 zu einem Brennpunkt des Drogenschmuggels entwickelt. Um die Dimension zu verdeutlichen: Im Juni 2005 hat die Drogenpolizei bei mehreren Operationen gegen eine einzige Bande tadshikischer Schmuggler nahe Moskau insgesamt 240 kg Heroin im Wert von 8 bis 9 Mio. US-Dollar sichergestellt. Deshalb möchte der FSKN so früh wie möglich mit der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels beginnen – nicht nur in Tadshikistan, sondern auch im Ursprungsland von 90 % des weltweit vertriebenen Heroins: in Afghanistan.


Fotos von einer Razzia in Konakowo.


Afghanistan

Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft ist die Opiumproduktion in Afghanistan, die es dort immer gegeben hat, in die Höhe geschnellt. Mittlerweile sollen 6,4 % der afghanischen Bevölkerung im Mohnanbau beschäftigt sein. Dies wurde für Rußland zu einem erheblichen, auch außenpolitischen Problem, denn fast alle Schmuggelrouten aus Afghanistan nach Europa laufen über das Territorium der RF. (Der grassierende Drogenschmuggel ist einer der Gründe, weshalb sich die EU nach wie vor weigert, die Visaverfahren für Bürger der RF zu vereinfachen.) Verschlimmert wurde die Lage noch dadurch, daß sich die ausländischen Besatzungstruppen in Afghanistan jahrelang geweigert haben, gegen den grassierenden Schlafmohnanbau vorzugehen.

Erst in jüngster Zeit hat sich die Position der ISAF zu diesem Problem geändert, was sicher auch mit auf den politischen Druck aus Moskau zurückzuführen ist. Auch in den NATO-Staaten wurde erkannt, daß das Opiumgeschäft heute auch der Finanzierung der afghanischen Kämpfer von Taliban & Co. dient. (Aus dieser Perspektive ist das Heroin freilich nur ein mittelbares Problem.) Nunmehr kooperieren also die Drogenbehörden der Vereinigten Staaten, Rußlands und der mittelasiatischen Staaten mit der afghanischen Regierung und der ISAF im Kampf gegen die Drogenmafia. Ihre Strukturen werden gemeinsam analysiert und Gegenmaßnahmen geplant.

Bisheriger Höhepunkt war die Bildung einer amerikanisch-russischen Arbeitsgruppe, die den Anti-Drogen-Kampf am Hindukusch koordiniert. Seit Oktober 2010 haben DEA, CIA und FSKN zusammen mit dem Kabuler Innenministerium und der ISAF mehrere Operationen zur Zerstörung von Drogenlaboren in Afghanistan durchgeführt. Allein die erste Aktion am 28. Oktober, die sich gegen vier Labore richtete, brachte eine Ausbeute von 932 kg Heroin und 156 kg Opium. Bei einer Operation im Dezember konnten immerhin 200 kg Heroin sichergestellt werden. Die Arbeit am Boden haben vor allem amerikanische Spezialkräfte sowie afghanische Polizisten erledigt. Der FSKN war – auch aus Rücksicht auf afghanische Befindlichkeiten – nur mit einer Handvoll Spezialisten beteiligt. Dennoch hagelte es danach Kritik von Präsident Karsai.

Aus rußländischer Sicht ist dies das erste Mal seit vielen Jahren, daß die USA im Sicherheitsbereich zu einer substantiellen Zusammenarbeit bereit sind. (Im Gegensatz zu den kaukasischen Islamisten.) Man hofft, daß durch die gemeinsamen Erfolge nicht nur die Bedrohung durch den Drogenhandel eingedämmt werden kann, sondern daß sich daraus mittelfristig auch mehr gegenseitiges Verständnis zwischen den Politikern und Sicherheitsbehörden beider Staaten entwickelt.


In den nächsten Folgen der Speznas-Reihe wird es voraussichtlich um den Grenzschutz gehen.



Bibliographie

Offizielle Webseite des FSKN

Offizielle Webseite der Verwaltung des FSKN für das Gebiet Twer

Offizielle Webseite der Abteilung des FSKN in der Stadt Konakowo

Aufsichtsbehörde gibt Ausmaße der „Drogentragödie“ in Russland bekannt, RIA Nowosti v. 03.12.2010

Bodansky, Yossef: Narco-terrorism and narco-criminality at the heart of Asia, Valdai International Discussion Club v. 06.07.2011

CSTO veranstaltet Großrazzia gegen Dealer, RIA Nowosti v. 22.11.2010

Drogenlabors in Afghanistan sprießen wie Pilze aus dem Boden, RIA Nowosti v. 29.10.2010

Fedjaschin, Andrej: Russland wehrt sich gegen die Drogenflut, RIA Nowosti v. 28.10.2010

Jewdokimow, Pawel: Antinarkotitscheskij speznas, in: Bratischka 4/2006, S. 30 f.

Karsai erbost über Drogenrazzia mit Russen, RIA Nowosti v. 01.11.2010

Lamzow, Michail: Kommandos w afganskoj „jame“, in: Bratischka 2/2011, S. 8 f.

Moskauer Forum ruft zu koordiniertem Vorgehen gegen afghanische Drogengefahr auf, RIA Nowosti v. 24.06.2010

Renz, Bettina: Russia's "force structures" and the study of civil-military relations, in: Journal of Slavic Military Studies 18 (2005), S. 559 ff.

Russischer Nato-Botschafter kündigt härteres Vorgehen gegen afghanische Drogen an, RIA Nowosti v. 02.12.2010

Russland und USA setzen Razzien gegen Drogenlabors in Afghanistan fort, RIA Nowosti v. 01.11.2010

Russland und USA zerstören Rauschgiftlabors in Afghanistan, RIA Nowosti v. 20.04.2011

Russland will mehr Anti-Drogen-Einsätze mit USA in Afghanistan, RIA Nowosti v. 29.10.2010

Russlands Drogensüchtige pumpen sich jährlich mit 30 Tonnen Heroin voll, RIA Nowosti v. 23.12.2010

Wikipedia: FSKN (russ., eng.)




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Spetsnaz X: Die Marineinfanterie heute
Aufruhr in Kirgisistan
Fehleinschätzungen in Washington

Bilder: fskn.gov.ru, www.nk.konakovo.org, RIA Nowosti.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Der Literaturkanon des Waffenbesitzers


In vielen waffenbezogenen Blogs und Foren werden Bücher vorgestellt. Nicht nur technische, sondern auch schöngeistige Literatur. Backyard Safari macht insofern keine Ausnahme. Kürzlich stellte sich mir nun die Frage, wie ein „Literaturkanon des Legalwaffenbesitzers“ aussehen könnte und welche Titel er umfassen sollte.

Zunächst ist freilich zu klären, was mit einem solchen Kanon gemeint ist. Dabei denke ich zuvörderst an solche Bücher, die erstens den legalen privaten Waffenbesitz als Normalität und, in gewissem Sinne, Kulturleistung darstellen (man denke beispielsweise nur an die Jagd). Zweitens sollte der verantwortungsvolle Umgang mit diesen Geräten gezeigt werden (also keine halbstarken Gangstertypen u.ä.). Das schließt möglicherweise auch Schriften aus, deren Held nur als Staatsbediensteter tätig wird, hier bin ich mir aber noch nicht sicher.

Nach einer kurzen Revue meiner in den letzten Jahren gelesenen Prosa- und Poesiewerke würde ich mit einem ersten, vier Titel umfassenden Vorschlag eines solchen Kanons beginnen:
Alphonse Daudet: „Tartarin von Tarascon“

Iwan Turgenjew: „Aufzeichnungen eines Jägers“

Gottfried Keller: „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“

Michail Lermontow: „Ein Held unserer Zeit“

Ernest Hemingway: „Die grünen Hügel Afrikas“
Eigentlich wollte von Lermontow noch mehr dazunehmen, doch sind diese Gedichte und kleinen Stücke oft zu verstreut. Bei den Klassikern der Abenteuerliteratur wie etwa Karl May oder James F. Cooper liegt meine Lektüre schon viel zu lange zurück, als daß ich mich an einzelne Titel erinnern könnte. Dasselbe gilt für Berichte von Forschungsreisenden usw. Welche weiteren Jagdbücher sollten noch aufgenommen werden?

Deshalb die Bitte an meine Leser: Welche Bücher würden Sie empfehlen? Was sollte ein (deutscher) Legalwaffenbesitzer gelesen haben, um in unserer Zeit, in der Waffen aller Art zunehmend als „hundepfui“ dargestellt werden, als Mensch von Kultur und Bildung bestehen zu können? Anregungen und Ergänzungen zu diesem Projekt eines Literaturkanons werden gerne entgegengenommen.


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Dienstag, 5. Juli 2011

"Die 17er"

Kaj-Gunnar Sievert, der den deutschsprachigen Buchmarkt bereits durch mehrere Bücher über die Einsätze internationaler Spezialeinheiten bereichert hat, hat Anfang diesen Jahres einen Band über seine eigene Einheit vorgelegt: „Die 17er – Die Fallschirmaufklärer der Schweizer Armee“. Darin stellt er, der selbst vier Jahre lang die Fallschirmaufklärungskompanie 17 geführt hat, die Einheit vor. Es beginnt mit der Geschichte, die in den Anfängen – wie bei vielen Spezialeinheiten – relativ steinig war. Sodann werden ausführlich die Selektion, die Aus- und Fortbildung sowie die Übungen der Fallschirmgrenadiere behandelt.

Besonders gelungen ist Sieverts ausführliche Darstellung des eidgenössischen Milizsystems, in welches auch die „17er“ eingebunden sind. Angesichts dessen nötigen die Leistungen der Kompanieangehörigen, die sie zum Teil in ihrer Freizeit erbringen, um so größeren Respekt ab. Und die ausländischen Leser lernen so das Militär der Schweiz kennen, das sich in den letzten 20 Jahren mehrfach gewandelt hat – auch über die Spezialkräfte hinaus.

Interviews mit anderen Offizieren der Einheit sowie Vorstellungen der Ausrüstung runden das Buch ab. Mit ihm ist Sievert – soweit ein deutscher Rezensent, dessen Interessenschwerpunkt anderenorts liegt, dies beurteilen kann – eine sehr gute Darstellung gelungen, die aufgrund ihrer Qualität (und, weil es sonst kaum Literatur dazu gibt) wohl als Standardwerk zu bezeichnen ist. Dennoch ist es kein trockenes Fachbuch, sondern leicht lesbar, ohne dabei jedoch in Plattheiten zu verfallen. Damit ist schon die Vorfreude auf Sieverts nächste Projekte geweckt. :-)


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