Sonntag, 29. November 2009

Ist die jüngste Verschärfung des Waffenrechts verfassungswidrig?


1. Einleitung

Seit im Sommer diesen Jahres die Verschärfung des Waffengesetzes im Eilverfahren durch die gesetzgebenden Instanzen gepeitscht wurde, stellen sich viele Legalwaffenbesitzer die Frage, ob es Erfolgsaussichten für eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz gibt. Den größten verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet m.E. die Neuformulierung von § 27 III S. 1 Nr. 2 WaffG, womit Jugendlichen unter 18 Jahren das sportliche Schießen mit anderen als den dort genannten Waffenarten verboten wurde:
"Unter Obhut des zur Aufsichtsführung berechtigten Sorgeberechtigten oder verantwortlicher und zur Kinder- und Jugendarbeit für das Schießen geeigneter Aufsichtspersonen darf […] Jugendlichen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht 18 Jahre alt sind, auch das Schießen mit sonstigen Schußwaffen bis zu einem Kaliber von 5,6 mm lfB (.22 l.r.) für Munition mit Randfeuerzündung, wenn die Mündungsenergie höchstens 200 Joule (J) beträgt und Einzellader-Langwaffen mit glatten Läufen mit Kaliber 12 oder kleiner gestattet werden, wenn der Sorgeberechtigte schriftlich sein Einverständnis erklärt hat oder beim Schießen anwesend ist."
Der Gesetzgeber hat mit dieser Änderung das Ziel verfolgt, Jugendlichen, die er wohl als besonders „amokgefährdet“ ansah, jeglichen Umgang mit Schußwaffen zu verwehren (wenn man von den wenigen, o.g. Ausnahmen absieht). In der amtlichen Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 16/13423) heißt es auf S. 70:
"Durch die Änderung des § 27 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 soll nunmehr Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, das Schießen mit so genannten großkalibrigen Waffen nicht mehr möglich sein. Damit soll erreicht werden, daß dieser Altersgruppe der Umgang mit diesen deliktsrelevanten Waffen verwehrt bleibt. Das Schießen für Minderjährige bleibt grundsätzlich auf Kleinkaliberwaffen beschränkt. Die Ausnahme für Flinten – und hier nur Einzellader-Langwaffen – trägt der Besonderheit der Disziplinen des Schießens auf Wurfscheiben (Trap/Skeet) Rechnung. Die Regelung in Absatz 5, eine Spezialvorschrift für jugendliche Jäger, bleibt von der Neufassung des Absatzes 3 unberührt."
Unter das Verbot fallen nicht nur die vermeintlich „bösen“ Großkaliberwaffen, sondern z.B. auch Vorderlader und (möglicherweise) Druckluftwaffen über 7,5 Joule. Somit geht der Anwendungsbereich dieser Norm weit über das während des Gesetzgebungsverfahrens verkündete politische Ziel hinaus. Entsprechende Einwände wurden z.B. vom DSB-Vertreter Jürgen Kohlheim vorgetragen, sind jedoch ungehört verhallt.

2. Das Problem der Ungleichbehandlung

Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen § 27 III 1 Nr. 2 WaffG gründen sich auf den nach wie vor unveränderten § 27 V WaffG, der es Jugendlichen ab 14 Jahren, die sich in der Ausbildung zum Jäger befinden, das Schießen auch mit großkalibrigen Waffen gestattet. Man muß kein Professor sein, um hier eine Ungleichbehandlung zu konstatieren. Die Frage ist nun, ob mit Blick auf Art. 3 I GG diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich zulässig ist.

3. Der allgemeine Gleichheitssatz des GG

Art. 3 Abs. 1 ist eine der schwierigsten Normen des deutschen Grundgesetzes. Hier ist nicht der Ort, um auf alle Facetten des allgemeinen Gleichheitssatzes einzugehen. Statt dessen werde ich mich eng an der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts orientieren.
In seiner schon klassischen, erstmals 1951 geprägten Willkürformel geht das Gericht davon aus, daß Art. 3 I GG die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem verbiete (vgl. BVerGE 1, 14 [52]). Sonach liege eine Verletzung des Gleichheitssatzes vor, wenn sich kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung finden lasse. Damit wird dem Gesetzgeber ein äußerst weiter Gestaltungsspielraum zugestanden.
In seiner jüngeren Judikatur hat sich das BVerfG verschiedentlich zur Dogmatik des Gleichheitssatzes geäußert und neigt seit 1980 dazu, zwischen der (Un-)Gleichbehandlung gleicher Normadressaten und der (Un-)Gleichbehandlung gleicher Lebenssachverhalte zu differenzieren, wobei es im letztgenannten Fall bei der Willkürformel bleibt, während die (Un-)Gleichbehandlung gleicher Normadressaten einer verschärften Prüfung standhalten muß, die bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen kann (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; s. auch Bryde / Kleindiek: Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Jura 1999, S. 36 ff. [39 f.]):
"Demgemäß ist dieses Grundrecht [Art. 3 I GG, Anm. E.K.] vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten." (BVerfGE 55, 72 [88])
Damit hat das Gericht die Bedeutung der Freiheitsgrundrechte auch für die Auslegung des Gleichheitssatzes gestärkt (vgl. Osterloh: Art. 3, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz, 5. Aufl., München 2009, Rdnr. 15).

4. Anwendung des Gleichheitssatzes auf § 27 WaffG

Die entscheidende Frage ist nun, ob es sich im Vergleich der Absätze 3 und 5 des § 27 WaffG um Lebenssachverhalte oder Normadressaten handelt, denn danach richtet sich der Prüfungsmaßstab.

Man könnte zunächst geneigt sein, von ungleichen Lebenssachverhalten auszugehen. Im Abs. 3 finden sich Regelungen für Kinder und Jugendliche, die dem Schießsport nachgehen wollen, während Abs. 5 für Jungjäger gilt. Dem ist jedoch nicht so! Der Gesetzgeber hat mit seinen Änderungen im Sommer 2009 eindeutig das Ziel verfolgt, Personen unter 18 Jahren den Umgang mit erlaubnispflichtigen Schußwaffen – mit Ausnahme der in § 27 III 1 Nr. 2 genannten Ausnahmen (kurz: Kleinkaliberwaffen und Schrotflinten) – zu verwehren. Das geht aus der Gesetzesbegründung eindeutig hervor (vgl. BT-Drs. 16/13423, S. 70).
Um so erstaunlicher ist es, daß der Widerspruch zwischen den beiden hier in Rede stehenden Absätzen des § 27 WaffG während des Gesetzgebungsverfahrens nicht aufgefallen ist oder, falls doch, von den Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates nicht als problematisch angesehen wurde. Denn an derselben Stelle heißt es, Absatz 5 als Spezialvorschrift für jugendliche Jäger bleibe unberührt.

Die Änderung des WaffG sollte also – so zumindest die Intention des Gesetzgebers – alle Jugendlichen treffen. Dies kann auch gar nicht sein, da die wohl implizit unterstellte Amokneigung dieser Personengruppe sich kaum danach unterscheiden dürfte, ob ein Jugendlicher zwischen 14 und 18 im Rahmen der Schießsports oder der Jagdausbildung mit einer WBK-pflichtigen Waffe schießt. Denn eine solche Waffe darf ein Jugendlicher in keinem Fall besitzen (vgl. § 2 I WaffG); es geht in den Fällen des § 27 III u. V WaffG immer nur um einen temporären und zudem beaufsichtigten Umgang mit den dort genannten Schußwaffen.

Daraus folgt: Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Ungleichbehandlung von Normadressaten, die sich hinsichtlich ihres insoweit wesentlichen Merkmals, nämlich dem Lebensalter, nicht unterscheiden. Es liegen auch keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht (im Sinne der Neuen Formel) vor, die diese Differenzierung begründen könnten.

Der einzigste Unterschied zwischen jugendlichen Jägern und Sportschützen dürfte in der finanziellen Potenz dieser beiden Personenkreise liegen. Während es sich beim Schießsport um einen Breitensport handelt, denn potentiell jeder Jugendliche ausüben kann, sind das Erlernen und die Ausübung der Jagd mit vergleichsweise höheren Aufwendungen verbunden, die sich nur ein Teil der deutschen Bevölkerung leisten kann. Es gibt folglich weniger jugendliche Jäger als Sportschützen. Somit wären wir bei einer sozialen Differenzierung, die der Gesetzgeber allerdings nicht zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Regelungen in den Abs. 3 und 5 von § 27 WaffG heranziehen darf (vgl. Art. 20 I GG). Zudem kann die finanzielle Potenz eines Jugendlichen bzw. seines Elternhauses kein relevantes Kriterium bei der Regelung von Fragen der öffentlichen Sicherheit im allgemeinen und der Prävention von (Schul-)Amokläufen im besonderen sein. Anderenfalls müßte der Gesetzgeber einen Kausalzusammenhang zwischen diesem Parameter und der Gewaltneigung Jugendlicher nachweisen.

5. Ließe sich die Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertigen?

Selbst wenn man hilfsweise einmal die Willkürformel anwendet und fragt, ob sich die Ungleichbehandlung jugendlicher Jäger und Sportschützen ausnahmsweise durch einen sachlichen Grund rechtfertigen ließe, so wird sich eine solche Rechtfertigung nicht finden lassen. In Deutschland herrscht gewiß kein Jägermangel, der es etwa aus forstwirtschaftlichen Gründen geboten erscheinen ließe, besonders schnell Nachwuchs für die Ausübung des Waidwerks auszubilden.
Somit ist die Neuregelung auch nach dem weniger strengen Prüfungsmaßstab der Willkürformel zu beanstanden. Die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung unterschiedlicher Gruppen von Jugendlichen erscheint in der Tat als willkürlich.

Im übrigen ist das Thema während des Gesetzgebungsverfahrens zwar angesprochen worden (vgl. z.B. die Stellungnahme von Dieter Deuschle, S. 2), anscheinend hat jedoch keiner der Politiker oder Sachverständigen die verfassungsrechtliche Brisanz erfaßt. Die BT-Drs. 16/13423 deutet jedoch darauf hin, daß man eine Ungleichbehandlung zumindest geahnt hat. An einer Begründung derselben fehlt es jedoch (vgl. S. 70); offenkundig sind auch unseren Abgeordneten keine sachlichen Gründe eingefallen.

6. Ergebnis

Das in der Neufassung von § 27 III 1 Nr. 2 enthaltene Verbot für jugendliche Sportschützen, mit anderen als den dort ausnahmsweise genannten Schußwaffen auf Schießstätten zu schießen, verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und ist somit verfassungswidrig.

7. Exkurs

Man könnte jetzt noch die Frage stellen, ob § 27 III 1 Nr. 2 und § 27 V WaffG noch andere Normadressaten neben den dort genannten Kindern und Jugendlichen haben. Das sind zweifelsohne Erwachsene, worauf § 53 I Nr. 12 WaffG hinweist (damit sind etwa Eltern und Schießstandbetreiber gemeint). Dieser Befund ändert jedoch nichts an der soeben entwickelten Argumentation, sondern hat vor allem Auswirkungen auf die prozeßrechtlichen Fragen einer evtl. Verfassungsbeschwerde (kurz: Wer darf in Karlsruhe klagen?).
Außerdem könnte sich hier eine weitere Dimension der Ungleichbehandlung auftun, denn Erwachsene, die einem jugendlichen Sportschützen entgegen § 27 III 1 Nr. 2 WaffG das Schießen mit einer Waffe gestatten, begehen eine Ordnungswidrigkeit. Eine OWi liegt hingegen nicht vor, wenn sich ein Jugendlicher in der Ausbildung zum Jäger befindet. Hier erhebt sich die Frage, wann von einer solchen Ausbildung überhaupt gesprochen werden kann, insbesondere, an welche formalen und somit kontrollierbaren Kriterien sie gebunden ist.
Folglich ergänzen die soeben skizzierten Gedanken die bisherigen Ausführungen. Bezüglich § 27 WaffG bestehen also noch einige verfassungsrechtliche Unklarheiten.

8. Wie weiter?

Dieses Ergebnis ist an sich nicht unerfreulich, jedoch ist damit allein für die deutschen Legalwaffenbesitzer (leider) noch nichts gewonnen.

Zunächst braucht es einen von der Neuregelung betroffenen Bürger, der bereit ist, eine entsprechende Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben (zum Verfahren s. §§ 90 ff. BVerfGG). Diese ist gegen das Gesetz zu richten, denn § 27 III 1 Nr. 2 WaffG gilt unmittelbar und bedarf keines weiteren Vollzugsaktes. Dabei ist die Frist des § 93 III BVerfGG zu beachten, d.h. die Verfassungsbeschwerde muß bis zum 17.07.2010 in Karlsruhe eingereicht werden. M.E. ist es die Aufgabe der Organisationen der deutschen LWBs, einen potentiellen Kläger auf seinem beschwerlichen Weg auch finanziell zu unterstützen.

Und selbst, wenn das BVerfG der hier vertretenen Argumentation folgen würde, heißt das noch nicht, daß die Änderung des § 27 III WaffG wieder zurückgenommen wird! Denn der allgemeine Gleichheitssatz hat eine Crux: Verfassungsrechtlich geboten ist in der Regel lediglich die Gleichbehandlung als solche. Wie diese konkret auszugestalten ist, bleibt dem Gesetzgeber – also Bundestag und Bundesrat – überlassen. Es könnte folglich im schlimmsten Fall passieren, daß in Folge eines eventuellen BVerfG-Urteils § 27 V WaffG an den Abs. 3 angepaßt wird, womit auch für Jungjäger eine höhere Altersgrenze verbunden wäre. Ein derartiges Ergebnis wäre natürlich unangenehm und kontraproduktiv.
Daher bedarf es unsererseits politischer Aktivitäten, die eine Verfassungsbeschwerde flankieren, um so zu einem positiven Gesamtergebnis zu kommen. Ansonsten wäre eine Entscheidung aus Karlsruhe nicht mehr als ein Pyrrhussieg. Seit der Bundestagswahl im September 2009 und den jüngsten Personalveränderungen im BMI dürften unsere Erfolgsaussichten in der politischen Arena ein wenig gestiegen sein. Das Ziel der LWB sollte darin bestehen, wieder vergleichbare Regelungen für jugendliche Jäger und Sportschützen zu schaffen, d.h. es geht zumindest um eine Wiederherstellung der bis Juli 2009 geltenden Rechtslage.

Schließlich muß die Öffentlichkeitswirkung einer für uns positiven Entscheidung des BVerfG bedacht werden. Das Gericht genießt in der Bevölkerung ein großes Vertrauen, weshalb die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Teilen der Waffenrechtsverschärfung die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren würde, daß auch Schützen, Jäger und Sammler Grundrechtsträger sind und deshalb nicht einfach so zum „Abschuß“ freigegeben werden dürfen.


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Freitag, 27. November 2009

27.11.2009: Video des Tages

Heute begeht man in Rußland der "Tag der Marineinfanterie". Diese Waffengattung, deren Anfänge in der Zeit Peters des Großen liegen, wird in einem kleinen Video aus der Redaktion der Zeitschrift Bratischka gewürdigt.



Donnerstag, 26. November 2009

26.11.2009: Bilder des Tages


Vom 26. bis zum 28. November 1812 tobte in Weißrußland die Schlacht an der Beresina. Napoleons Grande Armee befand sich auf dem Rückzug, nachdem die Invasion des Russischen Reiches gescheitert war. Der Übergang über den Fluß Beresina mußte nicht nur erst von den französischen Pionieren hergestellt, sondern auch gegen ständige russische Angriffe erzwungen werden.
Besonders hervorgetan haben sich dabei die Schweizer Regimenter, die - der Reisläufertradition folgend - in Napoleons Diensten standen. An ihren Heldenmut erinnert das Beresinalied - so, wie der Löwe von Luzern an ihre Vorgänger im Dienst der französischen Könige.
An diese Schlacht soll mit den heutigen Bildern - Historiengemälden - erinnert werden.





Mittwoch, 25. November 2009

Kulturelle Differenz der Polizeigewerkschaften


Während sich in Deutschland Polizeigewerkschaften regelmäßig dazu bemüßigt fühlen, den privaten Waffenbesitz generell in Frage zu stellen oder zumindest den Schießsport für jugendgefährdend zu erklären, sieht die Welt ein paar hundert Kilometer östlich von uns schon wieder besser, vernünftiger aus. Zum Beispiel in Rußland. Dort veranstaltet der Veteranenverband der Antiterroreinheit "Alfa" alljährlich ein Schießsportturnier in Sarow. Und zwar keine geschlossene Veranstaltung für handverlesene Gäste, sondern einen offenen Wettkampf für alle Interessierten. Bilder von den Veranstaltungen 2007 und 2008 kann man hier und hier ansehen.


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Foto: www.alphagroup.ru.

Dienstag, 24. November 2009

Ich Ungläubiger ... ;-)


Lange Zeit habe ich die Lobreden auf die Diabolos von Josef Schulz, Bohumin, für Übertreibungen gehalten. Doch seit einigen Wochen bin ich eines Besseren belehrt. Von der niederländischen Firma Target-Master (die noch akzeptable Preise hat) habe ich 250 Geschosse Exact Jumbo Express im Kaliber 5,5 mm und 500 Exact im Kaliber 5,0 mm bezogen. Und ich bin begeistert. :-) Letztere laufen im Weihrauch HW 80 k deutlich besser als die H&N Field Target Trophy. Die Kombination aus dem HW 95 und den Exact Jumbo Express produziert ebenfalls engere Streukreise als es zuvor mit den H&N FTT in 5,5 mm der Fall war. Allerdings ist hier der Unterschied nicht so groß wie beim HW 80 k.
Trotzdem: Die JSB-Diabolos sind es wert, ihnen treu zu bleiben, sofern man nicht gerade an einen Händler mit Wucherpreisen gerät.


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Freitag, 20. November 2009

Wie geht es mit dem FWR weiter?

Vorgestern erhielt ich für mein Empfinden seltsame Post vom Forum Waffenrecht, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten will:




Wie hier schon geschrieben, habe ich meine Mitgliedschaft im Förderkreis des FWR zum 31.12.2009 gekündigt. Und nun das! Sechs Wochen vor dem Austritt soll ich noch Delegierte wählen. Bisher wußte ich gar nicht, daß die Fördermitglieder dort überhaupt etwas zu sagen haben; ich hielt diese für eine bloße Staffage der ordentlichen Mitglieder, also der Verbände und der Industrie.

Die angekündigte Wahl bietet natürlich die Möglichkeit, Einfluß auf die Zusammensetzung des Vorstandes zu nehmen und insbesondere Herrn Keusgen aus dem Amt zu jagen. Doch ist dies realistisch? Vor allem: Welchen Einfluß haben die Vertreter der Fördermitglieder tatsächlich innerhalb des FWR? Und ganz praktisch: Wen sollte man als Delegierten vorschlagen und ggf. wählen? Gibt es da eine Übersicht der Kandidaten oder gleicht diese Wahl einem Blinde-Kuh-Spiel? Das scheint mir alles ein wenig mysteriös - zumal die Vorschläge sehr kurzfristig einzureichen sind (nämlich bis heute).

Von diesen naheliegenden Fragen abgesehen stellt sich mir noch eine viel grundsätzlichere: Soll ich im FWR verbleiben und meine Kündigung zurücknehmen? Bei aller berechtigten Kritik - Stichworte: Armatix, Geheimdiplomatie - hat sich doch in der öffentlichen Waffenrechtsdebatte seit März 2009 gezeigt, daß es ohne das FWR, insbesondere ohne Herrn Streitberger, nicht geht. Wie immer man zu seiner Person stehen mag: Er und sein Nachfolger Göpper haben sich schon ins Zeug gelegt. Doch reicht dies aus? Lohnt es sich, dort im Interesse der Sache weiter mitzumachen? Ich weiß es nicht ...


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20.11.2009: Video des Tages

Am heutigen "Tag der Artillerie" darf ein entsprechendes Video natürlich nicht fehlen. ;-)



Montag, 16. November 2009

16.11.2009: Video des Tages

Das "Colours of Russia"-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, medial vermittelten Stereotypen entgegenzutreten. Nachfolgend ein von ihm produziertes Video mit Bildern des kanadischen Fotografen Michael Hockney. (Während der ersten vier Minuten ist fast ausschließlich das geliebte St. Petersburg zu sehen. ;-))



Sonntag, 15. November 2009

Amerikanische Waffen für den Zaren

Von Umberto Eco stammt die Erkenntnis, daß man vor allem deshalb in eine Bibliothek gehe, um Bücher zu entdecken, von deren Existenz man zuvor nichts wußte. Bei einem solchen Gang durch eine große historische Bibliothek ist mir die Dissertation von Joseph Bradley aufgefallen: "Guns for the Tsar - American Technology and the Small Arms Industry in Nineteenth-Century Russia". Dieser Titel ist in Deutschland recht unbekannt; selbst Karl-Heinz Wrobel erwähnt ihn in seinem zweibändigen Standardwerk über die Entwicklung des Mosin-Nagant-Gewehrs nicht.

Dabei hat es Bradleys Schrift in sich. Im Jahre 1990 erschienen (also noch vor dem Ende der Sowjetunion), mußte er sich mit einem geschichtspolitisch unproblematischen Thema beschäftigen. Das hat Bradley jedoch gründlich getan und viele russische und amerikanische Originalquellen ausgewertet, um den amerikanischen Einfluß auf die Waffenindustrie des Zarenreiches darzustellen. Der wichtigste Name in diesem Kontext ist Samuel Colt, der als Person in Rußland großes Ansehen genoß und mehrfach vom Zaren zu einer Audienz empfangen wurde. Doch auch andere sind zu nennen.
Bradley hat sich allerdings nicht nur auf dieses enge Feld kapriziert, sondern behandelt ausführlich auch verwandte Aspekte: den Zustand und die Entwicklung der Waffenmanufakturen, die Entwicklung der Waffentechnik und des Militärwesens im allgemeinen sowie die politische Großwetterlage. Und zwar nicht nur auf Rußland bezogen, sondern immer auch im Vergleich mit dem Rest Europas und den USA. Der zeitliche Rahmen wird in etwa durch die Jahre 1850 und 1900 abgesteckt.

Damit ist das knapp 190 Seiten starke Buch ein "must-have", welches Informationen liefert, die ansonsten in deutscher oder englischer Sprache kaum zu bekommen sind. Daher lege ich die Lektüre allen an der russischen Waffengeschichte Interessierten sehr ans Herz.


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Dienstag, 10. November 2009

10.11.2009: Videos des Tages

Heute feiert Michail Timofejewitsch Kalaschnikow seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlaß nachfolgend eine Dokumentation des russischen Fernsehens über sein Leben und Werk (mit englischen Untertiteln).
Wünschen wir dem Jubilar alles Gute und vor allem viel Gesundheit!










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Sonntag, 8. November 2009

"Selbstbestimmt"

Zu (auto-)biographischen Abhandlungen über das Leben und Wirken bedeutender Menschen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Während die einen (z.B. Militärs) vielleicht durch ihre großen Taten beeindrucken, sind die Biographien vieler Männer des Wortes eher peinlich. Sei es, dass sie im täglichen Umgang kleinlich und streitsüchtig waren wie Schopenhauer, machtbewußt und herrschsüchtig wie Carl Schmitt oder schlicht geisteskrank wie Nietzsche. Deshalb ziehe ich es zumeist vor, diese großen Denker und Wissenschaftler nur durch etwas dauerhaftes, nämlich ihre Werke, auf mich wirken zu lassen. Das heute anzuzeigende Buch stellt insofern allerdings eine Ausnahme dar: „Selbstbestimmt – Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik“ stammt von Wolfgang Seiffert, einem Juristen, der mir schon vor Jahren durch seine bisweilen recht intimen und von großer Sachkenntnis geprägten Rußlandanalysen aufgefallen ist.

Was Seifferts Autobiographie so lesenswert macht, ist der Verlauf seines Lebens. Er hatte, wenn man so will, ein Talent dafür, sich zwischen alle Stühle zu setzen und gegen jeden Mainstream zu sein. Geboren 1926 in Schlesien, kriegsbedingtes Notabitur, gerät im Frühjahr 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er nutzt dort die Möglichkeiten zur Fortbildung und lernt die russische Sprache. Angesichts seiner Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte verwundert es nicht, daß er 1949 in der UdSSR auf eine sog. Antifa-Schule geschickt wurde. Danach wurde er in die gerade gegründete Bundesrepublik entlassen.
Und die Politik wurde für ihn zu einem fesselnden Thema, welches ihn nicht mehr losließ. Namentlich die Frage nach der deutschen Nation, vor allem ihrer Einheit, zieht sich durch Seifferts ganzes Leben.

Anfang der 1950er Jahre engagiert er sich im westdeutschen Zweig der FDJ, überzeugt, den verwerflichen Entwicklungen der Regierung Adenauer entgegenzuwirken. Das brachte ihm dann einige Jahre Haft ein, aus der er allerdings entweichen und in die DDR fliehen konnte. Dort besteht er darauf, Deutscher und nicht DDR-Bürger zu sein und beginnt 1956 ein Jura-Studium an der Berliner Humboldt-Universität. Nebenbei unterhält ver weiterhin Kontakt zu seinen westdeutschen Genossen. Es folgt die übliche wissenschaftliche Laufbahn: Dissertation über ein arbeitsrechtliches Thema, später Habilitation. Seine Spezialisierung auf das internationale Privat- und Wirtschaftsrecht bringt ihm 1967 die Berufung zum Leiter eines neugegründeten Forschungsinstitutes.

Damit beginnt wohl sein Abnabelungsprozeß von der DDR-Führung. Er sieht Ulbrichts Wirtschaftsreformen scheitern und mit Honecker (einem seiner guten Bekannten aus Jugendtagen) einen Mann an die Staatsspitze treten, der nicht nur eine miserable Wirtschaftspolitik betreibt, sondern durch sein Beharren auf der Zweistaatlichkeit auch die deutsche Teilung vertieft. Sein Renommee und seine zahlreichen Kontakte in der wissenschaftlichen „Community“ bringen Seiffert 1978 schließlich einen Lehrauftrag an der Uni Kiel – und seinen Abschied von der realexistierenden DDR.

In Kiel spezialisiert er sich auf das osteuropäische Recht, wobei ihm seine Kontakte vor allem zu sowjetischen Kollegen weiterhelfen. Daneben wird er zu einem lautstarken Verfechter der deutschen Einheit – zu einem Zeitpunkt, als sich selbst viele Unionspolitiker mit der Teilung abgefunden hatten. Als sich 1989/90 sein Lebenstraum erfüllt, muß er allerdings auch mitansehen, wie arrogant sich einige westdeutsche Hochschullehrer gegenüber ihren Kollegen aus der früheren DDR verhalten. So konnte es vorkommen, daß ein „Wessi“ zuerst für die Entlassung eines vermeintlich „belasteten“ Professors sorgt, um sich danach selbst auf den freigewordenen Lehrstuhl zu setzen.

Die 1990er Jahre bringen auch für Wolfgang Seiffert neue Herausforderungen. Nach seiner Emeritierung nimmt er 1994 das Angebot an, das Zentrum für russisch-deutsche Zusammenarbeit am Institut für Staat und Recht der Akademie der Wissenschaften aufzubauen, wo er bis 2001 lehrte und russischen Studenten das deutsche und EU-Recht vermittelte. Während seiner Tätigkeit in Russland konnte er auch hier zahlreiche Erfahrungen sammeln, nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch im Vorstand eines Unternehmens. Und im Jahr 2000 hat er eine der ersten deutschsprachigen Biographien des damals neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin verfaßt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die letzten Seiten von Seifferts Buch, das im Jahre 2006 erschienen ist, mit den Verhältnissen in der RF beschäftigen, wobei sich seine Urteile erfreulich vom oberflächlichen deutschsprachigen Mainstream unterscheiden.

„Selbstbestimmt“ – so lautet nicht nur der Buchtitel, so hat Seiffert auch sein Leben geführt. Das macht seine Autobiographie ebenso lesenswert wie die „ausgeplauderte Interna“ aus DDR und BRD, die man sonst kaum irgendwo finden wird. Und Seiffert gezeigt, daß Juristen keineswegs immer staubtrockene Paragraphenreiter sein müssen. ;-) Am 15. Januar 2009 ist er in Hamburg verstorben.


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Samstag, 7. November 2009

In eigener Sache: Quo vadis?

Alles im Leben hat seine Zeit und seinen Ort. Auch dieser Weblog. Er entstand aus einer bestimmten Lebenssituation heraus und hat jetzt bereits die dritte Transformation überlebt. Es zählt zu den wichtigsten Eigenschaften eines Bloggers, sein Projekt überhaupt durchgehalten zu haben. Bisher ist mir das gelungen. Es wird sich zeigen, ob es auch fernerhin gelingt.
Um es offen auszusprechen: Ich bin mir derzeit nicht sicher, inwieweit ich Backyard Safari über das Jahresende hinaus weiterführen kann. Die Gründe dafür sind vielfältig und sollen hier nicht im Detail erörtert werden.
Bitte nicht falsch verstehen: Das sind keine Abschiedsworte, sondern lediglich eine "Vorwarnung". Für die nächsten Wochen habe ich noch einige Beiträge vorbereitet. Und was danach kommt, wird sich finden ...
Es ist schade, daß die Lage jetzt so entwickelt, wo mich die Zeitschrift Visier schon zum zweiten Mal ihren Lesern empfohlen hat. Aber manche Umstände kann man nicht ändern.

07.11.2009: Video des Tages

Im Herbst 1941 rückte die deutsche Wehrmacht immer weiter in Richtung Moskau vor. Trotz der Bedrängnis fandt am 7. November die traditionelle Militärparade zum Tag der Oktoberrevolution auf dem Roten Platz statt. Die daran teilnehmenden Verbände, zum Teil soeben erst in der Stadt eingetroffen, marschierten danach direkt an die Front.
Seit einigen Jahren wird dieses denkwürdige Ereignis nachgestellt, großteils bestritten von Reenactmentgruppen und Offiziersschülern. Das heutige Video stammt aus dem Jahr 2008.



Mittwoch, 4. November 2009

Präsentation


Glücklicherweise besteht hierzulande für WBK-freie Waffen (noch?) keine Tresorpflicht, so daß man mit ihnen ohne weiteres sein Wohn- oder Arbeitszimmer dekorieren kann. :-) Letzteres habe ich auch getan: Die Luftgewehre hängen in einem Waffenregal an der Wand (das nur in Holland zu bekommen war); die Luftpistolen und Messer befinden sich (vorerst) in einem der Bücherregale.


Montag, 2. November 2009

02.11.2009: Text des Tages

Gestern hatte ich die Fandorin-Krimis von Boris Akunin kurz vorgestellt, heute soll nun ein Auszug aus "Der Tod des Achilles" wiedergegeben werden. Der Text erinnert deutlich an die Werke Lermontows (siehe hier und hier) und schildert die Erziehung eines Jungen in den wilden Gegenden des Kaukasus zur Mitte des 19. Jahrhunderts:
"[...]

Den Säbel gab Hassan seinem Neffen nicht in die Hand; Arm und Schultern sollten erst noch wachsen. Aber einen Dolch schenkte er ihm gleich am allerersten Tag und wies ihn an, sich nie von ihm zu trennen: "Hänge ihn dir um den Hals, wenn du nackt in den Fluß steigst, um zu baden." Nach einiger Zeit war der Dolch für Ahimaaz zu einem Körperteil geworden, so wie der Stachel für die Wespe. Mit ihm konnte man Reisig fürs Feuer hauen, den erlegten Hirsch zum Ausbluten bringen und einen feinen Span schnitzen, um sich nach dem Hirschbraten in den Zähnen zu stochern. Am Rastplatz, wenn es weiter nichts zu tun gab, übte Ahimaaz Zielwerfen gegen einen Baum: im Stehen, Sitzen oder Liegen. Diesen Zeitvertreib bekam er nie über. Zuerst vermochte er nur eine Kiefer zu treffen, später auch schon eine junge Buche und am Ende jeden beliebigen Buchenast.

[...]" (S. 255)


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Bild 1: B. Cannarssa.

Sonntag, 1. November 2009

Fandorin ermittelt

Die erste Berührung mit den Werken Boris Akunins im allgemeinen und seiner Fandorin-Reihe im besonderen hatte ich durch den Spielfilm „Türkisches Gambit“. Seither habe ich einige dieser Kriminalromane gelesen und bin darob geradezu begeistert – was angesichts meines etwas gespannten Verhältnisses zur zeitgenössischen Literatur eine Überraschung ist. ;-)

Akunin, von Hause aus Japanologe (was durchaus mit in seine Schriften einfließt), hat mit den Fandorin-Büchern eine lose Folge historischer Krimis geschaffen, die im Rußland des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt. (Ein Zeitabschnitt, den ich - wie meine Leser vielleicht wissen werden - sehr interessant finde.) Der junge Held mit dem komisch wirkenden Namen Erast Petrowitsch Fandorin, sehr gebildet und von hoher Herkunft, aber ein wenig verarmt, arbeitet bei der Moskauer Polizei. Neben gewöhnlichen Kriminellen hat er es auch mit Bombenlegern und anderen „politischen“ Verbrechern zu tun. Seine Ermittlungen führen ihn häufig in die intriganten „besseren“ Kreise der russischen Gesellschaft.
Fandorin erscheint als ein typischer Vertreter seiner Zeit: für jeden technischen Fortschritt interessiert er sich ebenso wie für die „verwissenschaftlichten“ Formen der Kriminalitätsbekämpfung wie z.B. die Daktyloskopie. Ein Rezensent hat die Figur Fandorin gar als Mischung aus Sherlock Holmes und James Bond, aber mit russischer Seele, bezeichnet.

Akunin versteht es, spannend und flüssig zu schreiben, wobei er zudem mit seinen deutschen Übersetzern großes Glück hatte. Seine Bücher sind alles andere als langatmig und lassen auch beim Leser keine Langeweile aufkommen. Die Sprache ist gebildet und zugleich ein wenig (selbst-)ironisch, wie das folgende Zitat aus dem „Türkischen Gambit“ verdeutlicht (S. 23):
"[…]

Dafür sprach [der große Schriftsteller] wohlgesetzt und überzeugend: In der Tat sei die Unschuld ein lächerliches Vorurteil und die bürgerliche Moral widerwärtig, und der menschlichen Natur brauche man sich nicht zu schämen. Warja hörte zu, dann beriet sie sich stundenlang mit Petja, was zu tun sei. Petja fand auch, daß Keuschheit und Scheinheiligkeit Fesseln seien, die der Frau aufgezwungen würden, aber mit dem Großen Schriftsteller in physiologische Beziehungen zu treten, davon riet er ihr entschieden ab. Er ereiferte sich, argumentierte, daß der Schriftsteller gar nicht so groß sei, viele fortschrittliche Menschen hielten ihn gar für einen Reaktionär.

[…]"
Oder ein kleiner Seitenhieb auf die Journaille (im selben Buch auf S. 89):
"[…]

"Um ein gutes Feuilleton zu schreiben, muß man kein Thema haben", erklärte der Franzose. "Man muß nur gut schreiben können."

[…]"
So macht Lesen Spaß. :-) Ähnlich kluge Sentenzen finden sich zuhauf.
Mit den historischen Bezügen geht Akunin etwas freier um (schließlich sind es keine Sachbücher), doch sind alle wesentlichen Aspekte korrekt dargestellt, etwa hinsichtlich der komplizierten Polizeiorganisation oder der revolutionären Verschwörergruppen. Auch bei der Schilderung waffentechnischer Details hat sich der Autor viel Mühe gegeben. So werden z.B. unterschiedliche Revolver- und Pistolentypen ebenso vorgestellt wie deren verdeckte Trageweisen. Dazu kommen noch kleine Ausflüge in die fernöstliche Philosophie und - wie bei dieser Zeit und diesem Milieu nicht anders zu erwarten - jede Menge Ehrenhändel.

Die Fandorin-Bücher sind zwar mittlerweile zu Mainstreamkrimis geworden, dennoch bieten sie alles, was man von ihnen erwartet: historisches Flair, Spannung, intellektuelle Anregung, Action, überraschende Wendungen – kurzum: gute Unterhaltung. Für den Einstieg in die insgesamt 13 Titel umfassende Reihe eignet sich m.E. der zweite Band „Türkisches Gambit“ am besten. Sofern man daran Gefallen findet, sollte man mit dem ersten Band („Fandorin“) fortsetzen und sich danach den Folgebänden („Mord auf der Leviathan“, „Der Tod des Achill“, „Der Tote im Salonwagen“ usw.) zuwenden.



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Bilder: B. Cannarssa (1), E.K. (2).