Zu (auto-)biographischen Abhandlungen über das Leben und Wirken bedeutender Menschen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Während die einen (z.B. Militärs) vielleicht durch ihre großen Taten beeindrucken, sind die Biographien vieler Männer des Wortes eher peinlich. Sei es, dass sie im täglichen Umgang kleinlich und streitsüchtig waren wie Schopenhauer, machtbewußt und herrschsüchtig wie Carl Schmitt oder schlicht geisteskrank wie Nietzsche. Deshalb ziehe ich es zumeist vor, diese großen Denker und Wissenschaftler nur durch etwas dauerhaftes, nämlich ihre Werke, auf mich wirken zu lassen. Das heute anzuzeigende Buch stellt insofern allerdings eine Ausnahme dar: „Selbstbestimmt – Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik“ stammt von Wolfgang Seiffert, einem Juristen, der mir schon vor Jahren durch seine bisweilen recht intimen und von großer Sachkenntnis geprägten Rußlandanalysen aufgefallen ist.
Was Seifferts Autobiographie so lesenswert macht, ist der Verlauf seines Lebens. Er hatte, wenn man so will, ein Talent dafür, sich zwischen alle Stühle zu setzen und gegen jeden Mainstream zu sein. Geboren 1926 in Schlesien, kriegsbedingtes Notabitur, gerät im Frühjahr 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er nutzt dort die Möglichkeiten zur Fortbildung und lernt die russische Sprache. Angesichts seiner Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte verwundert es nicht, daß er 1949 in der UdSSR auf eine sog. Antifa-Schule geschickt wurde. Danach wurde er in die gerade gegründete Bundesrepublik entlassen.
Und die Politik wurde für ihn zu einem fesselnden Thema, welches ihn nicht mehr losließ. Namentlich die Frage nach der deutschen Nation, vor allem ihrer Einheit, zieht sich durch Seifferts ganzes Leben.
Anfang der 1950er Jahre engagiert er sich im westdeutschen Zweig der FDJ, überzeugt, den verwerflichen Entwicklungen der Regierung Adenauer entgegenzuwirken. Das brachte ihm dann einige Jahre Haft ein, aus der er allerdings entweichen und in die DDR fliehen konnte. Dort besteht er darauf, Deutscher und nicht DDR-Bürger zu sein und beginnt 1956 ein Jura-Studium an der Berliner Humboldt-Universität. Nebenbei unterhält ver weiterhin Kontakt zu seinen westdeutschen Genossen. Es folgt die übliche wissenschaftliche Laufbahn: Dissertation über ein arbeitsrechtliches Thema, später Habilitation. Seine Spezialisierung auf das internationale Privat- und Wirtschaftsrecht bringt ihm 1967 die Berufung zum Leiter eines neugegründeten Forschungsinstitutes.
Damit beginnt wohl sein Abnabelungsprozeß von der DDR-Führung. Er sieht Ulbrichts Wirtschaftsreformen scheitern und mit Honecker (einem seiner guten Bekannten aus Jugendtagen) einen Mann an die Staatsspitze treten, der nicht nur eine miserable Wirtschaftspolitik betreibt, sondern durch sein Beharren auf der Zweistaatlichkeit auch die deutsche Teilung vertieft. Sein Renommee und seine zahlreichen Kontakte in der wissenschaftlichen „Community“ bringen Seiffert 1978 schließlich einen Lehrauftrag an der Uni Kiel – und seinen Abschied von der realexistierenden DDR.
In Kiel spezialisiert er sich auf das osteuropäische Recht, wobei ihm seine Kontakte vor allem zu sowjetischen Kollegen weiterhelfen. Daneben wird er zu einem lautstarken Verfechter der deutschen Einheit – zu einem Zeitpunkt, als sich selbst viele Unionspolitiker mit der Teilung abgefunden hatten. Als sich 1989/90 sein Lebenstraum erfüllt, muß er allerdings auch mitansehen, wie arrogant sich einige westdeutsche Hochschullehrer gegenüber ihren Kollegen aus der früheren DDR verhalten. So konnte es vorkommen, daß ein „Wessi“ zuerst für die Entlassung eines vermeintlich „belasteten“ Professors sorgt, um sich danach selbst auf den freigewordenen Lehrstuhl zu setzen.
Die 1990er Jahre bringen auch für Wolfgang Seiffert neue Herausforderungen. Nach seiner Emeritierung nimmt er 1994 das Angebot an, das Zentrum für russisch-deutsche Zusammenarbeit am Institut für Staat und Recht der Akademie der Wissenschaften aufzubauen, wo er bis 2001 lehrte und russischen Studenten das deutsche und EU-Recht vermittelte. Während seiner Tätigkeit in Russland konnte er auch hier zahlreiche Erfahrungen sammeln, nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch im Vorstand eines Unternehmens. Und im Jahr 2000 hat er eine der ersten deutschsprachigen Biographien des damals neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin verfaßt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die letzten Seiten von Seifferts Buch, das im Jahre 2006 erschienen ist, mit den Verhältnissen in der RF beschäftigen, wobei sich seine Urteile erfreulich vom oberflächlichen deutschsprachigen Mainstream unterscheiden.
„Selbstbestimmt“ – so lautet nicht nur der Buchtitel, so hat Seiffert auch sein Leben geführt. Das macht seine Autobiographie ebenso lesenswert wie die „ausgeplauderte Interna“ aus DDR und BRD, die man sonst kaum irgendwo finden wird. Und Seiffert gezeigt, daß Juristen keineswegs immer staubtrockene Paragraphenreiter sein müssen. ;-) Am 15. Januar 2009 ist er in Hamburg verstorben.
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