Sonntag, 17. Mai 2009

17.05.2009: Text des Tages


Heute ein Ausschnitt aus dem Dritten Aufzug von Schillers Drama "Wilhelm Tell": Ein rechter Schütze hilft sich selbst. Und: Früh übt sich, wer ein solcher werden will.

"Hof vor Tells Hause. Tell ist mit der Zimmeraxt, Hedwig mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Walther und Wilhelm in der Tiefe spielen mit einer kleinen Armbrust.

Walther singt:

Mit dem Pfeil, dem Bogen,
Durch Gebirg und Tal
Kommt der Schütz gezogen
Früh am Morgenstrahl.
Wie im Reich der Lüfte
König ist der Weih -
Durch Gebirg und Klüfte
Herrscht der Schütze frei.
Ihm gehört das Weite
Was sein Pfeil erreicht,
Das ist seine Beute,
Was da kreucht und fleugt.


Kommt gesprungen.

Der Strang ist mir entzwei. Mach mir ihn Vater.

Tell:

Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst.

Knaben entfernen sich.

Hedwig:

Die Knaben fangen zeitig an zu schiessen.

Tell:

Früh übt sich, was ein Meister werden will.

Hedwig:

Ach wollte Gott, sie lernten's nie!

Tell:

Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben
Sich frisch will schlagen, muss zu Schutz und Trutz
Gerüstet sein.


Hedwig:

Ach, es wird keiner seine Ruh
Zu Hause finden.


Tell:

Mutter, ich kann's auch nicht,
Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,
Rastlos muss ich ein flüchtig Ziel verfolgen,
Dann erst geniess ich meines Lebens recht,
Wenn ich mir's jeden Tag aufs neu erbeute.


Hedwig:

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt,
Denn mich erfüllt's mit Grausen, was die Knechte
Von euren Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Dass du mir nimmer werdest wiederkehren.
Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,
Verirrt, von einer Klippe zu der andern
Den Fehlsprung tun, seh wie die Gemse dich
Rückspringend mit sich in den Abgrund reisst,
Wie eine Windlawine dich verschüttet,
Wie unter dir der trügerische Firn
Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig
Begrabner, in die schauerliche Gruft -
Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht
Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,
Das ist ein unglückseliges Gewerb,
Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!


Tell:

Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen,
Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,
Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Not,
Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren.


[...]"



Bild 2: www.goethezeitportal.de; man beachte bitte auch die Inschrift der 25 Franken-Münze im letzten Bild: "In den Waffen liegen Freiheit und Frieden".

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