Samstag, 27. August 2011

Geheimdienste der BRD und RF im Vergleich

Vor wenigen Wochen ist eine Monographie erschienen, die erstmals einen rechtswissenschaftlich fundierten Vergleich zwischen den geheimen Nachrichtendiensten der Bundesrepublik Deutschland und der Rußländischen Föderation anstellen will: „Die Nachrichtendienste Deutschlands und die Geheimdienste Rußlands – ein Vergleich“ von Patrick Spitzer. Da anspruchsvolle und inhaltlich korrekte Darstellungen der rußländischen Sicherheitsbehörden in deutscher Sprache sehr selten sind, soll Spitzers Dissertation nachfolgend eingehender behandelt werden als es sonst bei Rezensionen hier auf Backyard Safari üblich ist.

1. Definitionsprobleme

Wie es sich für einen guten Wissenschaftler gehört, definiert Spitzer zunächst seine Kernbegriffe. Doch dabei treten bereits die ersten Schwierigkeiten auf, die sich durch die gesamte Abhandlung ziehen. In Rußland seien, so Spitzer, „Geheimdienste“ am Werk, die nach einer klassischen Definition nicht nur Informationen sammeln, sondern auch selbst aktiv tätig werden, um Einfluß zu nehmen. Demgegenüber wären die bundesdeutschen Dienste seit 1945 ihres operativen Elements verlustig gegangen, d.h. sie betrieben ausschließlich Informationssammlung und -analyse (S. 12). Mithin seien sie reine „Nachrichtendienste“ (deshalb auch der gestelzt wirkende Titel des Buches).

Diese Betrachtung erscheint, mit Verlaub, infantil, denn selbstverständlich sind auch die deutschen Dienste um Einflußnahme bemüht. Sei es im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (z.B. Ausbildung für fremde Staaten, Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern usw.) oder im Inland durch den Verfassungsschutz (hier sei nur die aktive Beeinflussung der rechtsextremen Szene zu nennen, die im Jahr 2003 zum Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens vor dem BVerfG geführt hat). Schon auf den ersten Seiten kann man erkennen, daß der Blick des Autors auf seine Untersuchungsgegenstände ein wenig getrübt ist.

2. Die deutschen Geheimdienste

Bevor er sich den Behörden der RF zuwendet, stellt Spitzer die Dienste der BRD vor. Seine Darstellung ist eine gute Zusammenfassung der aktuellen Literatur. Besonders hervorzuheben ist die Behandlung des Trennungsgebotes. Zutreffend stellt Spitzer dar, daß diesem Gebot auf Bundesebene kein verfassungsrechtlicher Rang zukommt, es also zur Disposition des Gesetzgebers steht. Leider vermag er – so wie viele deutsche Juristen – nicht, sich geistig aus dem Bannkreis dieses Trennungsgebots, das es in dieser Form wohl nur in der Bundesrepublik Deutschland gab und gibt, zu befreien. Es spukt also auch in den späteren Kapiteln noch im Buch herum.

Im übrigen neigt der Autor generell zu einer idealisierten Darstellung der deutschen Geheimdienste. So erfährt der Leser mit Erstaunen, daß der BND bei seiner Auslandsaufklärung nicht etwa finstere Spionage, sondern Verfassungsschutz – also etwas positives – betreibe (S. 20 ff.). Indem er den Verfassungsschutz-Begriff auch auf die weltweite Spionage erweitert, begeht der Autor denselben Fehler, den er weiter hinten dem Gesetzgeber der RF vorwirft: Er schafft eine extrem weite Aufgabenbeschreibung.

Das Hauptanliegen von Spitzer ist die Darstellung der Sicherheitsdienste der RF. Dies geht leider nicht ohne erhebliche Probleme vonstatten.

3. „Äpfel“ und „Birnen“

Eines der größten Probleme, welches die gesamte Untersuchung beeinträchtigt, ist die ungleiche Vergleichsbasis.
Auf deutscher Seite werden lediglich die 17 Verfassungsschutzbehörden, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst – also die klassischen Geheimdienste – einbezogen. Völlig außer Betracht bleiben das Bundeskriminalamt, die 16 Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, die Bundespolizei (ehem. BGS), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie die Aufklärungsdienststellen der Bundeswehr. Viele dieser Behörden dürfen mittlerweile ebenfalls typisch nachrichtendienstliche Mittel wie etwa V-Leute sowie Telefon- und Wohnraumüberwachung einsetzen. Mithin hat auch in der BRD das Trennungsgebot nicht verhindern können, daß in den letzten Jahren eine Vernachrichtendienstlichung der Polizei stattgefunden hat.
Dieses Problem wird von Spitzer nicht diskutiert, weshalb der Rezensent nur darüber spekulieren kann, weshalb er diese „Zwitterbehörden“ aus Polizei und Geheimdienst ausgeblendet hat.

Demgegenüber werden auf rußländischer Seite alle Nachfolgebehörden des früheren sowjetischen KGB dargestellt: der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), der Föderale Wachdienst (FSO), der Auslandsaufklärungsdienst (SWR) und die Militäraufklärung GRU. Dabei bleibt jedoch schleierhaft, warum vom Autor gerade diese (und zwar nur diese) Behörden ausgewählt worden sind. Was macht z.B. den Personen- und Objektschutz, der dem FSO obliegt, zu einer Geheimdienstaufgabe? Hier hätte sich ein Vergleich mit der Sicherungsgruppe des BKA angeboten, der jedoch unterbleibt. Ebenso bleibt schleierhaft, wieso Spitzer fast im gesamten Buch so tut, als sei der Grenzschutz in der RF eine „Geheimdienst“-Tätigkeit. Als es jedoch konkret wird, erfährt der überraschte Leser, daß der Autor auf die grenzschutzspezifischen Befugnisse im Rechtsvergleich nicht weiter eingehen will (S. 345). Warum wird der Grenzschutz dann überhaupt als Geheimdienst tituliert? Womöglich wollte sich Spitzer auch nur vor dem eigentlich notwendigen Vergleich mit der deutschen Bundespolizei „drücken“.

Aus nicht ersichtlichen Gründen verzichtet der Autor zudem auf eine Darstellung der Drogenkontrollbehörde FSKN, obwohl deren rechtliche und organisatorische Stellung stark dem FSB, FSO und SWR ähnelt. Auch die übrigen Sicherheitsbehörden, insbesondere die dem Innenministerium unterstehenden, werden nicht behandelt, wenn man von einer kurzen Erwähnung auf S. 349 absieht. Das von Spitzer behauptete Chaos in der Sicherheitsarchitektur hätte sich aufgelöst, wenn er das in der Praxis besonders relevante Ermittlungskomitee mit betrachtet hätte. Doch diese Dienststelle wird nicht einmal erwähnt.

Diese ungleiche Darstellung belastet die gesamte Untersuchung, denn ein sinnvoller Organisations- und Rechtsvergleich zwischen der Sicherheitsarchitektur der RF und der BRD ist so nicht möglich. Mithin verwundert es nicht, daß Spitzers Darstellung ständig hinkt.
Besser wäre es gewesen, zunächst die rußländische Sicherheitsarchitektur in ihrer Gesamtheit darzustellen und danach, darauf aufbauend, in ausgewählten Bereichen die Rechtsgrundlagen zu vergleichen. Z.B. welche Aufgaben und Befugnisse hat die Spionageabwehr in beiden Staaten? Oder: Welche Aufgaben und Befugnisse haben die Personenschützer des Staatschefs?

Spitzers Vorgehen, etwa den FSB vor allem mit den Verfassungsschutzbehörden zu vergleichen geht fehl; zumindest müßte er das BKA mit einbeziehen. In anderen Staaten sind die Sicherheitsbehörden oft anders organisiert als hierzulande, deshalb muß man sich von einer „typisch deutschen“ Betrachtungsweise lösen. Sinnvollerweise kann man dann nicht verschiedene Behörden direkt miteinander vergleichen, sondern nur ihre jeweiligen Tätigkeitsfelder. Um das obige Beispiel weiterzuführen: Sowohl in Rußland als auch in den USA existieren zwei Bundesbehörden, die (u.a.) sowohl für die Verbrechensbekämpfung als auch für die Spionageabwehr zuständig sind (FSB und FBI). Jeder Vergleich dieser Behörden nur mit dem deutschen Verfassungsschutz muß somit zwangsläufig scheitern, wenn man das Bundeskriminalamt außen vor läßt.

M.a.W.: Die Behörde FSB hat die Tätigkeitsfelder A, B und C und man muß sie auf diesen Feldern einzeln mit der jeweils zuständigen deutschen Behörde vergleichen. Dann ließe sich auch der extensive, absurd weite Geheimdienstbegriff, den Spitzer verwendet, vermeiden. Auf S. 321 spricht er von Geheimdiensten mit Polizeiaufgaben – zutreffender wäre die Formulierung „Behörden mit nachrichtendienstlichen und polizeilichen Funktionen“ gewesen. In Rußland selbst ist ohnehin kaum von Geheim- oder Nachrichtendiensten, sondern – angemessen – von „Spezialdiensten“ oder, allgemeiner, von Rechtsschutzorganen die Rede.

Ironischerweise kommt auch Spitzer an der soeben skizzierten Alternativmethode nicht vorbei. Er wendet sie jedoch nur auf der Mikroebene an, leider nicht auch auf der Makroebene.
Deshalb werden die Leser, die sich vom hier behandelten Buch eine Einführung in die Sicherheitsarchitektur der RF erhoffen, enttäuscht werden. Dies hängt auch damit zusammen, daß die Darstellung in sich nicht immer stimmig ist, der Autor sich z.T. sogar selbst widerspricht und an vielen Punkten deutlich wird, daß er seinen Untersuchungsgegenstand, die rußländischen Sicherheitsbehörden, nicht hinreichend durchdrungen und verstanden hat. Zudem fehlt ihm offenbar – sowohl in der BRD als auch in der RF – oft das Verständnis für die praktischen Aspekte der Behördentätigkeit. Dies soll nachfolgend an einigen Beispielen werden.

4. GRU

Leider vermag es Spitzer nicht, den Charakter und die Organisationsstruktur der Hauptverwaltung für Aufklärung des Generalstabes (GRU) zu erfassen. Diese Militärbehörde ist für die gesamte Aufklärung im Bereich der Streitkräfte zuständig – und ohne Informationen sind selbige schlicht handlungsunfähig. Der Zuständigkeitsbereich der GRU reicht vom Aufklärungsoffizier auf Bataillons- und Brigadeebene über Einheiten der Truppen- und Fernmeldeaufklärung bis hin zu Spezialkräften (Speznas) und dem eigentlich geheimen Nachrichtendienst, der sog. Agenturaufklärung.

Deshalb überrascht es, daß Spitzer auf S. 320 zu behaupten, die GRU würde – rechtswidrig – auch im Inland in den Militäreinheiten der Militärbezirke „spionieren“. Es ist eine kühne und zugleich absurde These, die weltweit üblichen Aufklärungselemente der mittleren und unteren militärischen Ebenen wären Einrichtungen zum Zwecke der Inlandsspionage. Zudem bestimmte sich ihre Tätigkeit im Tschetschenienkonflikt gewiß nicht nach dem Auslandsaufklärungsgesetz, sondern – wie die Verwendung aller dem Verteidigungsministerium unterstehenden Kräfte und Mittel im Inland – nach anderen Rechtsgrundlagen.

Noch abenteuerlicher wird seine Darstellung auf S. 267:
„Unterstützt wird die Abteilung für die elektronische Aufklärung durch mobile „Unterabteilungen besonderer Bedeutung“ ([…] osnaz), die bei Militäreinsätzen die Aufgaben der sechsten Abteilung zum Teil übernehmen können. Ob die Spezialeinheiten daneben an Sabotageaktionen und militärischen Handlungen teilnehmen, ist unklar.“
Das, was der Autor hier beschrieben hat, ist vor allem ihm selbst, aber sonst keinem Fachmann unklar, weil er zwei Kategorien vermischt, die getrennt betrachtet werden müssen. Das sind erstens die Truppeneinheiten für Fernmeldeaufklärung und Eloka auf Ebene der Militärbezirke, die zwar im weitesten Sinne auch der GRU unterstehen, aber organisatorisch eigenständig sind und einem anderen Kommando unterstehen. Zweitens meint er die Einheiten der Spezialaufklärung, umgangssprachlich Speznas genannt. Diese Spezialkräfte i.e.S. sind in Brigaden zusammengefaßt, die bis zum vergangenen Jahr direkt der GRU unterstanden und heute ebenfalls den Militärbezirken bzw. den operativ-strategischen Kommanden zugeordnet sind.

All dies ist kein geheimes Spezialwissen, sondern läßt sich zahllosen öffentlich zugänglichen Quellen entnehmen. Insbesondere über die Speznas, aber auch über die übrigen Bereiche der GRU liegen mittlerweile zahlreiche Abhandlungen in russischer Sprache vor (vgl. u.a. hier). Man müßte sie nur lesen – was Spitzer vermutlich versäumt hat.

5. FSO und FSB

Dem Föderalen Wachdienst (FSO) obliegen primär die Aufgaben des Personen- und Objektschutzes sowie der Regierungskommunikation. Deshalb bleibt unverständlich, warum Spitzer ihn explizit als Geheimdienst tituliert. Damit wird der Eindruck erweckt, der FSO sei eine omnipotente Behörde. Erst sehr viel später verrät der Autor nebenbei, daß sich die Befugnisse des FSO räumlich weitestgehend nur auf die zu schützenden Personen und Liegenschaften erstrecken – und damit der Aufgabe angemessen sind.

Schwerwiegender ist ein Übersetzungsfehler. Die maßgebliche Rechtsgrundlage des FSO, das föderale Gesetz für die staatliche Bewachung, wird von ihm im Deutschen als Staatsschutz-Gesetz bezeichnet. Dieser Mangel muß beim Leser zwangsläufig zur (weiteren) Verwirrung führen, denn der Begriff Staatsschutz ist hierzulande gänzlich anders definiert (man denke an die §§ 80 ff. StGB) und wird vom Autor an anderer Stelle im Buch auch in diesem typisch deutschen Sinn verwendet.

Die Phantasie des Autors geht schließlich mit ihmdurch, wenn er auf S. 377 meint, Art. 15 Punkt 14 des Gesetzes über die föderale Bewachung erlaube dem FSO die Gründung von „Tarnfirmen“. Mithin sei er ein klassischer Geheimdienst. Tatsächlich geht es in dieser Rechtsnorm um die Gründung von nichtkommerziellen Wirtschaftsabteilungen zur Erfüllung der FSO-eigenen Aufgaben. Welche dies sind, hat Spitzer selbst zuvor aufgezählt: die Unterhaltung des Regierungsfuhrparks und die Bewirtschaftung (inklusive Beköstigung) einiger der von der Behörde zu schützenden Objekte. Um aus diesem offensichtlichen Zusammenhang auf geheim operierende Tarnfirmen zu kommen, muß man wohl der „Spionomanie“ verfallen sein.

Ebenso unsinnig – und damit ein neuerliches Zeugnis von Spitzers blühender Phantasie – ist seine Einlassung auf S. 344. Bezugnehmend auf Art. 11 FSB-Gesetz, wonach der Grenzdienst die ökonomischen und anderen Interessen der RF schützen soll, erklärt der Autor, diese Norm sei ein Indiz für die „Spionagetätigkeit“ des Grenzschutzes. Dabei bezieht sich diese Formulierung auf dem Schutz der Ressourcen in den Territorialgewässern und der Ausschließlichen Wirtschaftszone. In diesem Sinne wird sie in der russischen Literatur regelmäßig gebraucht (vgl. z.B. W. W. Tereschtschenko: Na ochrane rubeshej otetschestwa, Moskau 2008, S. 428 ff.) und es besteht kein Grund, dort etwas besonders geheimnisvolles hineinzudeuten. Komischerweise hat Spitzer selbst einige Seiten zuvor auf diesen Tatbestand hingewiesen (S. 294). Daß er nicht fähig ist, ihn im folgenden korrekt zu interpretieren, bestärkt den Rezensenten in seiner Auffassung, daß der Autor seinen Untersuchungsgegenstand nur ungenügend durchdrungen hat.

Das nächste Beispiel für Spitzers oberflächliche Kenntnisse ist auf S. 207 zu finden:
„Der Dienst [der FSO] war [Anfang der 1990er Jahre] mit […] eigenen Spezialeinheiten „Alfa“ und „Vympel“ ausgestattet.“
Das ist nicht zutreffend, weshalb Widerspruch angzeiegt ist. Die Spezialeinheit „Alfa“ hat immer dem FSB bzw. dessen Vorgängerbehörden unterstanden. „Vympel“ gehörte 1992/93 kurzzeitig zum FSO-Vorgänger GUO und gab danach bis 1995 ein „Gastspiel“ im Innenministerium; seither gehört auch sie zum FSB (vgl. hier, hier und hier). Der Autor hätte auch insoweit gut daran getan, russische Literatur heranzuziehen, anstatt sich auf zweifelhafte englischsprachige Veröffentlichungen zu stützen.

6. Auslandstätigkeit der Sicherheitsbehörden

Ein weiteres Beispiel, das offenlegt, wie wenig sich Spitzer in die Sicherheitsarchitektur Rußlands und die einschlägigen Rechtsnormen (denen eigentlich sein Hauptaugenmerk galt) eingearbeitet hat, ist auf S. 276 zu finden. Dabei bezieht er sich auf Artikel 9 Absatz 5 des Sicherheitsgesetzes der RF, der den Sicherheitsbehörden aufgibt, sich an Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit im Ausland zu beteiligen, soweit dies im Einklang mit völkerrechtlichen Verträgen, denen die RF beigetreten ist, geschieht. Der Autor meint dazu:
„Spätestens anhand dieser Bestimmung werden die Nachteile einer allgemeinen Festlegung von „Funktionen“ für alle Sicherheitsdienste der RF deutlich: Weder werden alle Geheimdienste im Ausland tätig (das traditionell nur der SVR und die GRU) noch geht es bei der von Geheimdiensten im Ausland ausgeübten Spionage um die „Beteiligung an Maßnahmen“ im Rahmen von internationalen Verträgen.“
Spitzer hat zwar bei seiner Einordnung der Auslandsspionage völlig recht, doch verkennt er die Bedeutung dieser aus dem Jahr 1992 stammenden Norm zur Gänze. Denn es geht hierbei gerade nicht um Spionage, sondern um zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Hier ist insbesondere auf die im Dezember 1991 gegründete Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) zu verweisen. In deren 1993 angenommener Satzung vereinbaren die Mitgliedsstaaten auch eine Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich, insbesondere auf dem Gebiet des Grenzschutzes. Darauf aufbauend hat der Grenzdienst der RF jahrelang aktiv mit den Behörden der übrigen Mitglieder zusammengearbeitet. Am intensivsten war dies in Tadshikistan, wo die rußländischen Grenzwächter bis 2005 auch die aktive Verteidigung der Grenze gegen Islamisten und Drogenschmuggler übernommen hatten. So lange brauchte die Regierung in Duschanbe, um eigene effektive Grenzeinheiten aufzustellen. (Vgl. dazu z.B. Tereschtschenko, a.a.O., S. 398 ff.)

Weitere Beispiele für den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 5 Sicherheitsgesetz-RF sind das Anti-Terror-Zentrum der GUS sowie die z.T. sehr intensive sicherheitsbehördliche Kooperation im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS/CSTO) und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ/SCO). Schließlich sind die internationalen Aktivitäten des FSKN zur Bekämpfung des von Afghanistan ausgehenden Drogenschmuggels zu nennen, wobei u.a. mit US-Behörden zusammengearbeitet wird.

Folglich kann keine Rede davon sein, diese Bestimmung im Sicherheitsgesetz wäre faktisch bedeutungslos oder würde sich auf die Auslandsaufklärung beziehen. Auch in Rußland hat man erkannt, daß sich Sicherheit heute nicht mehr isoliert gewährleisten läßt, sondern daß es dazu internationaler Kooperation bedarf. Der einzige, der dies nicht erkannt hat, ist Patrick Spitzer.

7. Sicherheitsbegriff

Damit ist einer der Hauptkritikpunkte des Autors an der rußländischen Gesetzgebung angesprochen. Er beklagt, es gäbe einen viel zu weiten, ufer- und konturlosen Sicherheitsbegriff (insbesondere S. 220 ff.). Dabei verkennt er jedoch dreierlei. Erstens findet sich der Begriff auch in bundesdeutschen Sicherheitsgesetzen. Zweitens ließe sich der Begriff sehr wohl operabel gestalten, wenn man denn bereit wäre, sich auf ihn einzulassen und auszulegen.
Drittens – und das ist das schwerste Manko – zeigt Spitzer, daß die ebenfalls hierzulande geführte Debatte um den erweiterten Sicherheitsbegriff völlig an ihm vorbeigegangen ist. Der russische Gesetzgeber und die Regierung sind ganz auf der Höhe der Zeit, wenn sie diesen Begriff verwenden, während einige deutsche Juristen noch immer der irrigen Ansicht sind, man könne heute noch sauber und trennscharf zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterscheiden.

8. Silowiki-These

Das Gebiet der wissenschaftlichen Forschung verläßt Spitzer im Buch mehrfach, wenn er darauf hinweist, daß seit einigen Jahren in Rußland die Geheimdienste eine besondere Machtposition innehätten und den Staat fast schon unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Er bedient sich dazu der Silowiki-These, ohne diesen Terminus jedoch zu verwenden. Diese These beruht auf soziologischen Untersuchungen, die herausgefunden haben wollen, daß viele der heutigen Spitzenbeamten und Parlamentarier irgendwann einmal in ihrem Leben im Militär gedient oder anderweitig Uniform getragen haben. Dieser Befund ist, selbst wenn er stimmen sollte, wenig aussagekräftig, denn sowohl in der Sowjetunion als auch in der RF galt bzw. gilt die allgemeine Wehrpflicht.
Doch einige kühne „Wissenschaftler“ glauben nun, aus diesem soziologischen Merkmal politische Schlußfolgerungen ziehen zu müssen. Sonach gäbe es eine geheime, alle Lebensbereiche umfassende Verschwörung aktiver und ehemaliger Uniformträger (der „Silowiki“), um den Staat und alle Behörden zu übernehmen. Mithin drohe die Gefahr einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft.

Diese These ist schlechterdings absurd. Denn sie verkennt, daß die angeblichen Verschwörer verschiedenen Parteien angehören und in zahlreichen politischen Fragen höchst unterschiedliche Positionen vertreten. Glaubte man ihr, dann würde das bedeuten, daß z.B. kommunistische wie liberale oder sonstige Ex-Offiziere insgeheim zusammenarbeiten. Ferner verkennt sie, daß es auch in Staaten wie der BRD, den USA und Israel keineswegs unüblich ist, daß frühere Militärs später politische Ämter übernehmen. Warum sollte dergleichen dann in Rußland gefährlich sein?

Das sieht übrigens auch Hannes Adomeit so, der nun gewiß kein Freund der Herren Putin und Medwedew ist. In der ÖMZ 3/2009 (S. 11 ff. [19]) schreibt er mit Blick auf die seit 2008 laufende Armeereform:
„Westliche Wahrnehmungen, dass der Einfluss der Silowiki auf die Politik in der Ära Putin gewachsen sei, mögen zutreffen. Unzutreffend ist allerdings die davon abgeleitete Vorstellung, diese Gruppierung sei mehr oder weniger homogen, habe gleich lautende Ziele, trete geschlossen auf und habe – wie an der Vervierfachung der Militärausgaben unter Putin abzulesen – erfolgreich den Vorrang militärischer Belange in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durchgesetzt. Der analytische Fehler besteht nicht nur darin, dass, wie oben dargestellt, die Verteidigungsausgaben nicht überproportional zum Wirtschaftswachstum gestiegen sind, sondern auch, dass ehemalige und aktive Geheimdienstler mit den Militärs in einen Topf geworfen werden. Die mangelnde Trennung der Akteure verwischt die Tatsache, dass die Militärs zwar immer wieder in der Lage waren, Reformen zu bremsen oder ganz zu blockieren, aber nicht, größeren Einfluss auf die Politik zu nehmen.“
Spitzers Versuche, eine übermäßige Militarisierung der russischen Dienste zu beweisen wirken krampfhaft. So meint er etwa auf S. 265 f., wegen der hohen Zahl von Mitarbeitern, die im Rechtsverhältnis eines Soldaten stehen, sei es irreführend, den SWR als zivilen Auslandsnachrichtendienst zu bezeichnen. Anscheinend entzieht es sich seiner Kenntnis, daß auch im BND eine große Zahl von Bundeswehrangehörigen tätig ist. Ist Pullach damit zu einem Anhängsel des BMVg geworden?

Nächster Fall: Die Direktoren des FSB würden de facto über doppelte Führungsvollmachten verfügen. Zum einen kraft des Direktorenamtes, zum zweiten kraft des Generalsdienstgrades (S. 252 f.). Hier übersieht Spitzer, daß seit Wladimir Putin 1999 für wenige Monate FSB-Chef war, keiner der Direktoren die Behörde im Sinne eines militärischen Vorgesetzten geführt hat. Putin war damals schon jahrelang Oberst a.D. (und ist es bis heute) und auch seine Nachfolger Nikolaj Patruschew (1999-2008) und Alexander Bortnikow (seit 2008) treten in der Öffentlichkeit nur in Zivil auf. Ihre Generalsdienstgrade verdanken sie der Tatsache, daß sie – im Gegensatz zu Putin, der 1991 aus dem Dienst ausgeschieden ist – keine Verwaltungskarriere, sondern eine innerhalb der Sicherheitsbehörden gemacht haben. (Vgl. dazu auch N. Geworkian et.al.: Aus erster Hand – Gespräche mit Wladimir Putin, München 2000, S. 160 f.)

Fazit: Man muß keineswegs General sein, um in der RF eine Sicherheitsbehörde zu leiten. Das zeigt auch der SWR, von dessen bis dato vier Direktoren nur zwei militärische Ränge innehatten; der erste (Jewgenij Primakow) und der jetzige Chef (Michail Fradkow) sind Zivilisten.

9. Geheimdienstrecht

Das Buch ist in den Kapiteln am stärksten, wo der Autor seiner eigentlichen Profession nachgehen kann: dem Umgang mit Gesetzen. So sind insbesondere seine Einlassungen zu den Befugnissen der Sicherheitsbehörden sehr erhellend. Bedauerlicherweise leiden jedoch auch dieser Teile unter zahlreichen kleineren und größeren Mängeln. Sei es, daß behördliche Mittel mit Befugnissen verwechselt werden wie auf S. 376, sei es, daß er reihenweise Rechtsnormen für „verfassungswidrig“ erklärt, ohne auf die angeblich verletzte Verfassungsnorm einzugehen oder selbige zumindest zu benennen.

Überhaupt muß stellenweise ein Mangel an normativer Argumentation konstatiert werden, der den Wert der Untersuchung schmälert. Das heißt nicht, daß der Autor in jedem Fall unrecht hätte. Mitnichten. Doch seine knappen Behauptungen der Verfassungswidrigkeit einiger Bestimmungen sind oft zu wenig substantiiert, als daß sie den Leser überzeugen könnten.
Ebenso sind die Ausführungen zum Extremismusgesetz viel zu kurz. Auf eine (lohnenswerte) gründliche Analyse von Gesetz und der Praxis seiner Anwendung wird leider verzichtet. Der Leser muß sich mit einigen oberflächlichen Bemerkungen begnügen, die der Wichtigkeit des Themas auch im Hinblick auf die politische Kultur des Landes nicht gerecht werden.

10. Welche Maßstäbe?

In der Einleitung schreibt Spitzer, es käme ihm darauf an, aus dem deutschen Geheimdienstrecht die relevanten Fragestellungen für das rußländische zu entwickeln. Dies allein ist schon problematisch, denn die „deutsche Brille“ hindert den Autor daran, das der RF als eigenständiges (Rechts-)System zu erfassen. Doch dabei ist es nicht geblieben. Er legt auch aus dem deutschen (Verfassungs-)Recht abgeleitete Maßstäbe an. Zwar räumt er ein, daß in der RF (wie in den meisten Staaten der Welt) das Trennungsgebot nicht gilt. Doch kommt er später mehrfach auf dieses Gebot zurück, wenn er z.B. eine eindeutige Unterscheidung zwischen Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und Vorfeldermittlungen fordert (z.B. auf S. 322 f.).

Ebenso ist es mit dem Rechtsstaatsprinzip. Spitzer bezeichnet es als universal – wohl, um sich so der Mühe zu entheben, die spezifische Bedeutung dieses Prinzips im rußländischen Recht darzutun. Statt dessen verwendet er munter Maßstäbe und Termini des deutschen Rechts und ist dann darüber verbittert, daß der rußländische Gesetzgeber es sich gewagt hat, Normen zu verabschieden, die sich vom deutschen System unterscheiden. Doch warum sollte man in Moskau anders handeln? Der Leser gewinnt den Eindruck, als ginge es dem Autor darum, am deutschen Wesen (hier: am deutschen Recht) die Welt genesen zu lassen.

11. Tötung von Terroristen

Ein Beispiel für Spitzers eigenartiges Vorgehen findet sich auf den S. 331 f. In Artikel 3 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes existiert eine Bestimmung, wonach die „Unschädlichmachung von Terroristen“ im Rahmen einer Anti-Terror-Operation zulässig ist.
Der Autor beklagt zunächst die angebliche Unklarheit der Norm (einer seiner Lieblingsausdrücke), obwohl sie an Deutlichkeit wohl kaum zu überbieten ist. Sodann behauptet er, daß diese Bestimmung sowohl gegen die Verfassung der RF als auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Dabei unterläßt er jedoch eine grundrechtsdogmatische Argumentation, weshalb sein Urteil nicht zu überzeugen vermag.

Noch schwieriger sind seine Einlassungen mit Blick auf die EMRK. Denn das, worum es hier geht, nennt sich im deutschen Polizeirecht „finaler Rettungsschuß“. Würde man Spitzer zustimmen, dann wären auch die entsprechenden Bestimmungen der hiesigen Polizeigesetze menschenrechtswidrig. Das wird jedoch von der h.M. – zu Recht – anders gesehen.

12. Weitere Begriffsverwirrung

Der Autor ist z.T. nicht einmal in der Lage, grundlegende Begriffe des rußländischen Verfassungsrechts zutreffend zu interpretieren. Konkret geht es auf S. 378 um eine Bestimmung im Auslandsaufklärungsgesetz-RF, wonach Bürger der RF im Inland nicht zum Ziel der Auslandsaufklärung werden dürfen, Ausländer aber schon. Spitzer meint nun, dies stelle eine Ungleichbehandlung verschiedener Menschen aufgrund ihrer „Nationalität“ dar und sei somit gem. Art. 19 Abs. 2 Verf-RF verboten. Er verkennt allerdings, daß sich der Begriff der Nationalität in Art. 19 auf die ethnische Zugehörigkeit einer Person bezieht, nicht jedoch auf die Staatsangehörigkeit.

13. Relevanz der Probleme

Der Autor muß selbst konzedieren, daß die praktische Relevanz der von ihm als problematisch empfundenen Rechtsnormen nicht besonders groß ist. Die Anzahl der diesbezüglichen Klagen vor dem Verfassungsgericht ist sehr klein. Zudem wäre es eine grobe Verzeichnung der Realität, wenn beim Leser der abwegige Eindruck entstünde, in Rußland handele es sich um einen Überwachungsstaat. Dies soll an einem Beispiel dargelegt werden.

Der Rezensent hat schon mehrfach in der RF Prepaid-SIM-Karten für Mobiltelefone erworben – und zwar nicht in dubiosen Hinterhofläden, sondern bei namhaften Anbietern. („Richtige“ Mobilfunkverträge sind in Rußland noch selten.) Dabei haben sich die Verkäufer nur kurz den Reisepaß vorzeigen lassen, persönliche Daten wurden jedoch nie notiert. Im Gegensatz dazu sind in Deutschland die Mobilfunkanbieter auch bei Prepaid-Karten verpflichtet, die Daten ihrer Kunden zu erfassen und ggf. den Behörden zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der wesentlich freizügigeren Praxis in der RF gestaltet sich selbst eine normale Telefonüberwachung schwierig, weil (zumindest bei Handys) i.d.R. weder die Telefongesellschaften noch der Staat wissen, welcher Anschluß welcher Person zuzuordnen ist.

14. Mangelnde Aktualität

Das Buch ist im Frühjahr 2011 erschienen; inhaltlich befindet es sich – ausweislich des Vorwortes – auf dem Stand vom Januar 2010. Dies trifft jedoch für viele Passagen nicht zu. Große Teile des rußlandbezogenen Teils stammen offenkundig aus den Jahren 2008 und früher. Dies wird durch schon seit Jahren veraltete Personalien (z.B. auf S. 410) und die Nennung schon lange aufgelöster Organisationen verdeutlicht. Auch manche politischen Ideen aus den Jahren 2005/06, die nie ins Werk gesetzt worden sind, werden vom Autor als aktuelle Probleme dargestellt. In seinen Ausführungen über den Grenzschutz hat er die Organisationsreform von 2006 übersehen (vgl. Tereschtschenko, a.a.O., S. 473 ff.). Derart „wieder aufgewärmter kalter Kaffee“ ist bei einer Anhandlung über ein Thema, das ständig im Fluß ist, sehr ärgerlich. Der einigermaßen im Stoff stehende Leser fühlt sich dadurch – mit Verlaub – veralbert.

15. Übersetzung

Bedauerlicherweise hat Spitzer es nicht für nötig befunden, die von ihm ausgewerteten Rechtsquellen ins Deutsche zu übersetzen und seinen Leser – etwa im Anhang oder auf einer separaten Internetseite – zugänglich zu machen. Zwar finden sich die Übersetzungen einiger
Besonders relevanter Normen im Text, doch dies dürfte für die Mehrheit des deutschen Publikums, die der russischen Sprache nicht mächtig ist, kaum genügen.
Zudem haben sich zahlreiche ungenaue oder gar falsche Übersetzungen eingeschlichen. So wird z.B. der seit Jahrzehnten in der deutschen Sprache feststehende Begriff „Militärbezirk“ vom Autor uneinheitlich als „Wehrkreis“ und „Wehrbezirk“ übersetzt.

16. Quellen- und Literaturbasis

Der Autor hat zwar viel für seine arbeit gelesen, einige besonders relevante Publikationen übersehen. So liegen beispielsweise zahlreiche Bücher über den Grenzdienst vor, weshalb die insofern fast ausschließliche Verwendung von Zeitungsartikeln ein Manko darstellt. Auch an manch anderer Stelle ist die Literaturbasis dünn.
Schließlich stellt sich die Frage, ob Spitzer überhaupt selbst russische Medien konsumiert hat, wenn er auf den S. 441 ff. von einer angeblichen „Auflösung“ unabhängiger Medien spricht, was dazu führe, daß es keinerlei kritische Berichterstattung über die Sicherheitsbehörden mehr gebe. Der Rezensent ist sich hingegen sicher, daß die Suche auf der Webseite einer beliebigen größeren russischen Zeitung zahlreiche kritische Artikel zu Tage fördern wird.

17. Resümee

Patrick Spitzer ist mit seinem Versuch, die Geheimdienste Deutschlands und Rußlands umfassend darzustellen und sodann ihre Rechtsgrundlagen einem gründlichen Vergleich zu unterziehen, gescheitert. Dies ist jedoch nicht seine Schuld, sondern liegt an der Weite des Themas und der daraus folgenden Menge des Stoffes. Dieses Arbeitspensum kann nicht von einer Person in einem einzigen Buch bewältigt werden. Wie oben schon (unter 3.) gesagt, wäre ein zweistufiges Vorgehen – erst umfassende Darstellung der Sicherheitsarchitektur der RF, danach Rechtsvergleiche – zielführender gewesen.
In der vorliegenden Form ist die Arbeit nur bedingt zu gebrauchen und sollte deshalb sehr kritisch gelesen werden. Es bleibt zu hoffen, daß sich Spitzers zahlreiche Fehler nicht im deutschsprachigen Raum festsetzen und so ein Eigenleben entwickeln. Dies würde der seriösen Beschäftigung mit den rußländischen Sicherheitsbehörden schweren Schaden zufügen.

Auch die Schlußfolgerung des Autors, die rechtsstaatlichen Mängel in der RF seien so groß, daß die Probleme in Deutschland dagegen verblassen (S. 485), vermag nicht zu überzeugen. Dabei unterliegt er der irrigen Annahme, die Tätigkeit von Nachrichtendiensten lasse sich umfassend normieren. Gerade die Geschichte der bundesdeutschen Dienste lehrt jedoch, daß dem nicht so ist. Sie haben z.T. jahrzehntelang ohne Rechtsgrundlage in Grundrechte eingegriffen, was kaum jemanden gestört hat. Warum sollten sie nun, nur weil ein paar neue Gesetze verabschiedet worden sind, von ihrer lange bewährten Praxis abrücken? Diese Frage ist auch vor dem Hintergrund der – auch von Spitzer eingeräumten – unzureichenden Kontrolle der deutschen Dienste zu sehen.

Demgegenüber arbeiten die rußländischen Sicherheitsbehörden von Beginn an auf der Grundlage von Parlamentsgesetzen. Auch hinsichtlich des Datenschutzrechts war man in Rußland schneller. Insofern sind sie ihren deutschen Kollegen, was die historische Abfolge betrifft, weit voraus. Daß diese Gesetze bisweilen sehr unbestimmt sind, liegt in der Natur der Sache. Der Gesetzgeber der RF ist insoweit ehrlicher, als er mit dem von ihm verfolgten abstrakt materiell-kompetenzielle Ansatz gar nicht erst den Anschein erweckt, als könne man diesen Bereich umfassend regeln. Im übrigen laufen auch viele der detaillierten deutschen Bestimmungen – etwa hinsichtlich der Auskunftsansprüche – faktisch ins Leere.
Auch hierzulande ist das „Vor-die-Klammer-Ziehen“ von Normen, die für mehrere Behörden gelten, keine Seltenheit; Spitzer selbst legt es anhand des MADG und des BNDG dar, die auf das BVerfSchG verweisen.

Des weiteren entsteht der Eindruck, als wolle der Autor den Mangel an inhaltlicher Substanz in seinem Buch durch sprachliche Keulenschläge ausgleichen. Während man in den Kapiteln über die deutschen Dienste das Wort „Spionage“ kaum findet (der BND betreibt ja „nur“ Verfassungsschutz), wird dieser Terminus im rußländischen Teil fast ausschließlich verwendet. Dadurch soll vermutlich dem Leser suggeriert werden, daß die Moskauer Behörden besonders unmoralisch handeln und schnöde Spionage betreiben. In der russischen Literatur ist hingegen fast durchweg und wertneutral von „Aufklärung“ die Rede. Warum konnte sich Spitzer nicht zur Übernahme dieser authentischen Begrifflichkeit entschließen?

Aufgrund der unheimlich großen Stoffülle und Themenbreite ist die Arbeit über weite Strecken zu oberflächlich geraten. An vielen Stellen verweist der Autor, wohl um sich der Notwendigkeit einer eigenen Argumentation zu entheben, einfach nur zustimmend auf Publikationen seines Doktorvaters Otto Luchterhandt. Dies ist schade, denn damit hat er die Chance vertan, bestimmte Fragen genauer zu analysieren. Deshalb ist es leider nicht möglich, den (nicht nur) in Deutschland kursierenden Gerüchte und Halbwahrheiten über die Sicherheitsbehörden der RF auf einer fundierten Basis zu begegnen. Dies bleibt ein Desiderat.


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Mittwoch, 24. August 2011

24.08.2011: Musik des Tages

Die Gruppe Pelageja (ein altslawischer Frauenname, den die Leadsängerin trägt) mit ihrer Mischung aus Folk und Pop ist in Rußland recht beliebt. Nachfolgend bringen sie das Lied "Ljubo, bratzy, ljubo" (dt.: Es ist eine Freude, Brüder) zu Gehör, das auf ein altes Kosakenlied aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht.



Sonntag, 21. August 2011

Anarchismus im ZDF

DTN News - LONDON RIOTS NEWS: London Rioters Resent Media Image Of Hooded Teen Thug


Es ist Sommerzeit und damit für das deutsche Fernsehen wieder Gelegenheit, Reportagen aus Rußland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu senden, zumal sich dieser Tage der Putschversuch vom August 1991 zum zwanzigsten Mal jährt. So hatte sich das ZDF in seiner dreiteiligen Reihe "Die Schönen des Ostens" am 11. August Sankt Petersburg vorgenommen (Video).

Zunächst ließ sich die Reportage ganz gut an, doch zur Mitte hin versank Anne Gellineks Produkt wieder in den üblichen und lange gepflegten Rußlandklischees des deutschen Fernsehens. Die deutschen Sender können offenbar nicht ohne Straßenkinder, Alkoholiker und verlodderte Komunalkas auskommen. Doch wo waren die normalen Menschen, deren überwiegender Teil in Eigentumswohnungen lebt? Wo waren die Bewohner der neuen, seit Jahren aus dem Boden sprießenden Straßenzüge? Kurzum: Wo waren die "Iwan-Normalbürger", die weder auf der Straße noch in Luxusvillen leben? Von den im Film vorgestellten Personen kommen ihnen nur der Brückenwärter und - mit Abstrichen wegen ihrer besonderen Herkunft - die adeligen Damen nahe.

Mit diesen Defiziten könnte man (zähneknirschend) leben, denn sie sind in deutschen Medien so normal, daß sie keine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Doch ZDF-Korrespondentin Gellinek glaubte wohl, sie müsse auch noch politisch werden und hat ausführlich die Anarchistengruppe "Wojna" porträtiert. Wojna heißt auf Deutsch "Krieg" und die Protagonisten dieser Gruppe wähnen sich im Krieg gegen das "System". Alle Politiker wären unfähig (komischerweise sagen Wirtschaftsdaten und Meinungsumfragen etwas anderes), weshalb es in Rußland eine neue Revolution bräuchte.

Spätestens an dieser Stelle hätte der kritische Journalismus, auf den die deutsche Journaille immer so stolz ist, eingreifen müssen: Revolution warum? Rußland hat in den zurückliegenden 110 Jahren mehrere gewaltsame Revolutionen erlebt und tiefgreifende Veränderungen durchmachen müssen. Allein für die Periode 1917 bis 1922 (Februar- und Oktoberrevolution, Bürgerkrieg, ausländische Intervention) verloren schätzungsweise mehrere Millionen Menschen ihr Leben, von den verheerenden ökonomischen Folgen ganz zu schweigen. Wollen die "Wojna"-Aktivisten erneut ein solches Blutbad heraufbeschwören, wo sich das Land seit etwa zehn Jahren wieder erholt?

An kritischen Rückfragen mangelte es auch, als die Aktionen von "Wojna" gezeigt wurden. Es handelt sich dabei nicht, wie vom ZDF behauptet, um "Kunst" bzw. legitimen, künstlerisch ausgedrückten Protest, sondern durchweg um das Begehen von Straftaten, die nicht nur im angeblich so furchtbar autoritären Putinreich, sondern auch in Deutschland (und den meisten übrigen Staaten) strafrechtlich geahndet würden. Deshalb ist es absurd, wenn "Wojna" als verfolgte demokratische Opposition dargestellt wird.

Zu diesen Straftaten zählen nicht nur zahlreiche Sachbeschädigungen, etwa das Beschmieren von Bauwerken und das Zerstören von Polizeifahrzeugen, sondern auch die tätlichen Angriffe auf Polizeibeamte. Das, was im ZDF als harmlose "Kußattacke" dargestellt wird, ist rechtlich ganz anders zu bewerten. Neben der möglichen Körperverletzung sowie der Frage des Widerstands gegen die Staatsgewalt steht hier vor allem der Vorwurf der Vergewaltigung im Raum. Die genaue Rechtslage in der RF ist mir insoweit zwar nicht bekannt, aber in vielen EU-Staaten gilt ein erzwungener Zungenkuß bereits als vollendete Vergewaltigung! Dies verdeutlicht, daß es sich bei den Wojna-Kämpfern nicht um harmlose Aktionskünstler, sondern um Kriminelle handelt.

Doch die Fehlleistungen beschränken sich insofern nicht nur auf die Rußlandberichterstattung des ZDF. Oftmals wurde in den letzten Wochen versucht, den Gewaltausbrüchen in London, Madrid und Berlin eine politische Note zu geben. Das ist ein Reflex der seit hundert Jahren geübten Praxis, andere Personen oder einfach "die Gesellschaft" für Straftaten verantwortlich zu machen, nur nicht denjenigen, der sie tatsächlich begangen hat. Doch worin besteht die angeblich politische Botschaft wahllos angezündeter Autos in der deutschen Hauptstadt? Wieso unterstellt man dem tagelang in Großbritannien randalierenden Mob politische Intentionen, wenn kein einziges Plakat zu sehen war und die Chaoten sich auf das Morden, Plündern und Brandschatzen in ihrer eigenen Nachbarschaft (!) beschränkten, während die angeblich am allgemeinen Elend schuldigen Großbanken etc. verschont blieben? Wie krank muß man sein, um gemeine Diebstähle als "sozialen Protest" auszugeben?

Nein, in England und andernorts zeigt sich nicht die Not der europäischen Jugend, sondern eine weitverbreitete Lust an Gewaltstraftaten. Es wäre die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, dabei nicht tatenlos zuzusehen, sondern unverzüglich und energisch einzuschreiten. Die Versammlungsfreiheit gilt auch nach Artikel 11 EMRK nur für friedliche Veranstaltungen, nicht für Randale.
Die tendenzielle Schönfärberei von Straßengewalt durch die deutschen Medien hat sich schon Anfang diesen Jahres im Kult um den "arabischen Frühling" gezeigt (vgl. hier, hier, hier und hier). Da im Nahen und Mittleren Osten nunmehr der Katzenjammer Einzug gehalten hat, muß sich die Revolutionslust der (oft linksdrehenden) Journalisten und Sozialwissenschaftler andere Spielwiesen suchen. An die mittelbaren und unmittelbaren Opfer ihrer verantwortungslosen Agitation denken diese Herrschaften freilich nicht.


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Donnerstag, 18. August 2011

Die deutsche Frage III

Seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hat sich eine seltsame Diskussion erhoben. Infolge der Öffnung der MfS-Archive wird bezüglich der BRD von einer „unterwanderten Republik“ (Hubertus Knabe) gesprochen. Man wähnt überall Einflußagenten östlicher Geheimdienste und hält sogar die – angesichts der Gesamtlage völlig normale – Spionagetätigkeit der DDR für ethisch verwerflich. Dies gipfelt dann regelmäßig in Forderungen nach der Enttarnung von „Stasi-Spitzeln“, nach einem weiteren „gaucken“ von Amtsträgern usw. usf. Komischerweise geht es dabei immer nur um die vor 22 Jahren aufgelöste Staatssicherheit der DDR. Die Frage, inwieweit die BRD von Agenten westlicher Geheimdienste unterwandert war, wird meist gar nicht gestellt oder als irrelevant abgetan. Dabei sollte es doch eigentlich keinen Unterschied machen, in wessen Auftrag ein Westdeutscher Landesverrat begangen hat.

Erfreulicherweise hat sich der Historiker Herbert Elzer dieses Desiderats angenommen und arbeitet einen Teilaspekt in der Studie „Die Schmeisser-Affäre – Herbert Blankenhorn, der ‚Spiegel’ und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland (1946-1958)“ auf. Was der Sache nach eine solide, primärquellengestützte, historische Monographie ist, liest sich wie ein verwirrender Agententhriller. Das liegt freilich nicht an den mangelnden Fähigkeiten des Autors, sondern an den chaotischen Zeitverhältnissen. Festzuhalten bleibt, daß es zahlreiche zwielichtige Gestalten gab, die zugleich für einen der französischen Dienste und eine deutsche Verfassungsschutzbehörde arbeiteten und sich außerdem im Schwarz- und Nachrichtenhandel betätigten.

Erstaunlich ist allerdings, daß es einigen dieser Figuren gelang, in höchste westdeutsche Regierungskreise einzudringen, ja sogar Bundeskanzler Adenauer abzuschöpfen. Mit Adenauers engem Vertrauten Herbert Blankenhorn bestand eine enge Kooperation, in der Blankenhorn Informationen gegen Entgelt und Lebensmittel an die Franzosen verkaufte. Ebenso waren, das dürfte feststehen, sämtliche westdeutschen Nachrichtendienste von Agenten der Westalliierten durchsetzt. Hierbei ging es nicht nur um Informationsbeschaffung, sondern auch um die Förderung separatistischer Aktivitäten, wie sie im Saargebiet am augenfälligsten war. Franz Josef Strauß befürchtete schon 1954, „daß in allen Ministerien und in allen wichtigen Dienststellen Vertrauensleute östlicher und westlicher Nachrichtendienste sitzen“. Deshalb plädierte er für eine genaue Überprüfung aller Geheimnisträger.

Elzer schreibt dazu:
„[…]

Eine „unterwanderte Republik“ (Hubertus Knabe) bestand schon in der Gründerzeit, bevor die Staatssicherheit der DDR das ihre dazu beitrug. Obwohl der Kalte Krieg tobte, verliefen die Frontlinien keineswegs ausschließlich entlang der ideologischen Barrieren. Im Laufe der 1950er Jahre bröckelten allmählich die Beziehungen zwischen den Geheimdiensten der Westmächte und der Sowjetunion ab – das geteilte Deutschland wurde „zum eigentlichen Schlachtfeld des geheimen Krieges“. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sah dies anders aus, mochten auch die Gemeinsamkeiten schwinden. Eine bestand jedenfalls fort: das mit größter Kraftanstrengung niedergerungene Deutschland nicht wieder zu einem Faktor werden zu lassen, der den Weltfrieden in Gefahr bringen konnte. Hier die Grenzen zu ziehen, war freilich nicht einfach: Die UdSSR und Frankreich gingen in der Außenpolitik deutlich weiter in ihren Eindämmungbestrebungen als die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Ähnlich verhielt es sich in der Parallelwelt der Geheimdienste.

[…]“ (S. 11)
Und:
„[…]

Die mißtrauischen Westalliierten unterwanderten planmäßig Behörden und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Die Sorge vor einem Wiedererwachen des Nationalsozialismus führte die Feder. Insoweit ist dieses Verhalten verständlich, wenngleich Washington, Paris und London ängstlich bemüht waren, ihre Anstrengungen im Verborgenen zu halten. Der Fall Schmeisser dürfte nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Man muß nicht so weit gehen, die gesamte innere und äußere Prägung der Bundesrepublik der „große(n) Spinne des Nachrichtenwesens“ zuzuschreiben, mit der die Westmächte heimlich ihre Werte und Ziele den ohnmächtigen Deutschen aufoktroyiert hätten. Allein, Informanten und Kontrolleure gab es gewiß in großer Zahl.

[…]“ (S. 59)
Angesichts dieser Befunde erhebt sich die Frage, wie es denn seit Ende der 1950er Jahre um dieses Problem bestellt ist. Im Juni ist bekanntgeworden, daß die CIA den seinerzeitigen Präsidenten des BKA, Paul Dickopf, als V-Mann geführt und für seine Dienste auch Geld an ihn bezahlt hat. Der Fall des amerikanischen Spitzels in der FDP-Führung, der infolge der Wikileaks-Enthüllungen bekannt wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, daß die Unterwanderung deutscher Institutionen nach wie vor besteht. Und im Gegensatz zu irgendwelchen MfS-IMs, die schon vor über 20 Jahren „abgeschaltet“ worden sind, werden davon vermutlich auch aktuell die deutschen Sicherheitsinteressen beeinträchtigt.


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Montag, 15. August 2011

Besser als im Training ...


... war mein Luftpistolen-Ergebnis beim diesjährigen Berlin-Cup am 13. August. Schon nach den ersten 40 Schüssen hatte ich das zweitbeste Ergebnis meines Lebens geschossen, nur einmal im Training waren es zwei Ringe mehr. Als dann die 60 Wertungsschüsse abgegeben waren, konnte ich auf mein bisher bestes Resultat blicken: neun Ringe über dem bisherigen Trainingshöchstwert. :-)



Es wird unter Schießsportlern wohl nicht allzu oft vorkommen, daß man im Wettkampf deutlich besser schießt als während der Übungseinheiten. Eine Medaille konnte ich am Samstag natürlich nicht gewinnen, dafür war das Leistungsniveau dieser als Vorbereitung für die Deutsche Meisterschaft konzipierten Veranstaltung zu hoch. Nichtsdestotrotz ein schöner Erfolg.



Dank gebührt auch den gastgebenden Adlershofer Füchsen für die gute Organisation. Diese Truppe, eigentlich die Schießsportabteilung des PSV Olympia Berlin, ist m.E. ein Musterbeispiel für einen modernen Schützenverein, in dem nicht nur sehr viele Disziplinen angeboten werden, sondern auch sehr leistungsorientiert gearbeitet wird. Erstaunt hat mich die große Zahl der jugendlichen Teilnehmer, viele davon aus der Sportschule Frankfurt/Oder. Das kenne ich aus meiner Heimat gar nicht, wo ich eines der jüngsten Mitglieder bin.



Ich freue mich schon auf den Berlin-Cup 2012, dann sicher auch in den KK-Kurzwaffendisziplinen.





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Freitag, 12. August 2011

Pausenfüller


Während der derzeitigen Sommerpause im Schießsport habe ich die freie Zeit genutzt und wieder häufiger mit meinem "Universal-Luftgewehr" HW 95 geschossen. Das Schießen im Garten ist schon etwas ganz anderes als auf dem geschlossenen Stand. Um den Erholungseffekt und die Abwechslung vom "Löchlestanzen" zu vergrößern, verwende ich derzeit kaum Ringscheiben, sondern symbolische Darstellungen wie Glücksscheiben oder Tierscheiben. Von beidem bieten diverse Scheibenhersteller wie Braundruck oder Wuttkedruck ein relativ großes Sortiment an.

Das Zielen, insbesondere auf die jagdlichen Scheiben, ist alles andere als leicht. Man sieht durch das Zielfernrohr keine kontrastreichen Ringe in Schwarz-weiß, sondern muß auf den relativ kontrastarmen Tierkörper schießen, wobei der Zielraum nur ungefähr bekannt ist (über bzw. kurz hinter den Vorderbeinen).

Dabei hat sich auch gleich die Gelegenheit ergeben, einige Munitionssorten zu testen, die mir ein Bekannter freundlicherweise überlassen hatte. Dabei haben die von Haender & Natermann für den britischen Markt gefertigten Bisley Long Range ganz hervorragend abgeschnitten. Sie liefen besser als ihren deutschen Verwandten, die H&N Field Target Trophy und genau so gut wie die JSB Jumbo Express. Rundkugeln, wie z.B. von Gamo, sind für LGs wohl nicht zu empfehlen. Sie machen zwar große Löcher in die Scheibe und gehörigen Lärm im Kugelfang, doch ist die Präzision sehr mäßig. Hingegen sind die Flachkopf-Dias von Crosman sehr gut zum Scheibenschießen auf kürzere Distanzen geeignet.

Ach ja, das billige Fernost-Zielfernrohr, welches seit zwei Jahren die HW 95 ziert, hält nach fast 2000 Schuß immer noch, ohne daß es bisher Probleme wegen der aufgetretenen mechanischen Belastungen gegeben hätte.

Im September stehen einige Veränderungen an der Waffe an. Zunächst soll sie einen neuen Schaft bekommen. Ferner wurde bei Steve Pope ein 7,5 Joule-V-Mach-Kit in Auftrag gegeben, was eine Einzelanfertigung sein wird. Und vielleicht kommt auch noch ein neues ZF auf das Gewehr, denn das jetzige hält zwar, ist jedoch nicht gerade lichtstark.


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Bekennender JSB-Fan ;-)

Dienstag, 9. August 2011

Politisierende Mediziner aus Halle

Der Doppelanschlag von Olso hat in Deutschland zu einer geradezu absurden Debatte geführt. Weil in Norwegen jemand unter Verwendung von Sprengstoff und Schußwaffen viele Menschen ermordet hat, müsse in Deutschland das Waffenrecht verschärft werden. Diese These ist ungefähr so sinnvoll, als ob man wegen einem umgefallenen Sack Reis in Peking die Einführung schärferer Hygienebestimmungen in Berlin fordern würde. Einer, der sich diese Auffassung zu eigen gemacht hat, ist Professor Alexander Kekulé, seines Zeichens Mediziner, der sich an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale mit Mikrobiologie und Virologie befaßt.

In einem Kommentar für den Berliner Tagesspiegel schreibt Kekulé, nur ein schärferes Waffenrecht könne Täter stoppen. Diese Lehre sei aus den Ereignissen von Norwegen zu ziehen. Besonders kapriziert er sich auf die kurzzeitige Mitgliedschaft des Attentäters in einem Schützenverein.

Kekulés Betrachtung ist allerdings kurzsichtig und hält einer näheren Analyse nicht stand. Warum sollte sich eine offenbar seit Jahren geplante Straftat gerade durch Erschwernisse bei der Beschaffung eines von mehreren Tatmitteln verhindern lassen. Die Tatsache, daß in Deutschland vor allem illegal besessene Waffen deliktrelevant sind, wird von ihm komplett ignoriert: "Die meisten Mordopfer kommen jedoch, auch weltweit, durch Schusswaffen um." Das mag sein, doch wie soll eine Verschärfung des Waffenrechts in Deutschland dagegen helfen, wenn die meisten Tatwaffen bereits jetzt unerlaubt im Umlauf sind?

Auch die Frage, ob der norwegische Attentäter Mitglied in einem Schütznverein war, ist doch irrelevant. Dort hat er weder das Ermorden von Kindern noch das Bauen von Bomben gelernt. Eher dürfte man ihm diese Kenntnisse in der norwegischen Heimwehr vermittelt haben, denn Medienberichten zufolge war er dort Soldat. Aber auch das hilft nicht weiter. Millionen aktiver und ehemaliger Soldaten auf der ganzen Welt führen ein normales Leben, ohne Gewaltphantasien in die Tat umzusetzen. Ebenso führt das Herumreiten auf anderen soziologischen Merkmalen des Täters nicht weiter. Eine Straftat wird eben nicht von der Gesellschaft begangen, sondern von einem Individuum.

Kekulé ist unter den Medizinern an der Uni Halle mit seinem wirren Geschreibsel nicht allein. Schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich dort Emil Abderhalden hervorgetan. Nicht nur, daß seine wissenschaftlichen Theorien scheinbar heute widerlegt sind, obwohl sie für viele Jahre groß in Mode waren. Nein, Abderhalden, obwohl Schweizer, hat nach 1933 die Nähe der Nazis gesucht und ihre Rassenlehre mit seinen wissenschaftlichen Weihen versehen. Dazu gehörte auch die Befürwortung der Euthanasie. Noch heute ist in Halle eine Straße, an der mehrere Uni-Einrichtungen und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina liegen, nach ihm benannt.

Mithin wirkt Kekulés Engagement nicht überraschend. Möglicherweise fühlen sich hallische Mediziner besonders dazu berufen, in der Politik mitzumischen und krude Ideologien mit dem Segen vermeintlicher Wissenschaftlichkeit zu versehen. Erfreulicherweise ist es ihm und seinen Gesinnungsgenossen aus dem rot-grünen Lager (diesmal) nicht gelungen, sich mit ihren abstrusen Forderungen durchzusetzen. Erschreckend ist aber, daß viele Medien wiederum bereit waren, derartige Thesen zu verbreiten und das Publikum weiter strikt auf Hoplophobie zu trimmen.


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Foto: Mib99/Wikipedia.

Sonntag, 7. August 2011

In eigener Sache: Dreijähriges


Seit nunmehr drei Jahren betreibe ich diesen Blog und wundere mich selbst darüber, dieses Experiment solange durchgehalten zu haben. Da sich mittlerweile mehr als 140.000 Leser meiner Ergüsse gefunden haben, scheinen sie auch nicht ganz uninteressant zu sein. ;-)

Mittlerweile ist die Frequenz neuer Beiträge zwar nicht mehr so hoch wie im Winter 2008/09, doch dafür ist ihre Länge gewachsen. Ferner habe ich viele meiner Hobbyaktivitäten aus dem rein privaten Bereich ins größere "real life" verlagert - und muß gestehen, daß mir die dadurch bedingte zeitweise Internetabstinenz ganz gut bekommt. Auf dem jetzigen quantitativen Niveau sollte sich der Blog noch eine Weile weiterführen lassen, ich bin ja nicht mehr genötigt, täglich zu schreiben.

Meinen regelmäßigen Lesern danke ich für ihre bisherige Treue und wünsche noch viele Anregungen. Wie immer gilt, daß ich für Kommentare und Kritik immer dankbar bin.

Mittwoch, 3. August 2011

Deutsche Desinformationen III


Wenn ich deutsche Zeitungen lese und Fernsehnachrichten ansehen, dann beschleicht mich immer stärker das Gefühl, Opfer einer großen Manipulationsmaschine zu sein. Nachfolgend zwei Beispiele aus dem letzten Tagen.

1. Putins angeblicher Expansionskurs

Gestern wurde eine Meldung der Deutschen Presseagentur verbreitet, in der von "Putins Expansion nach Westen" die Rede war. (Mittlerweile wurde der Text entschärft.) Die DPA spielt damit mit dem seit 200 Jahren in Deutschland tiefverwurzelten Klischee vom vermeintlich eroberungslustigen russischen Bären. Bei Lichte offenbart diese Horrormeldung jedoch nichts anderes als die bare Unkenntnis der DPA-Journalisten.

In den Äußerungen, die Wladimir Putin während einer Fragerunde in einem Ferienlager mit internationalem Publikum getan hat (hier im Original), ging es keineswegs um eine Expansion Rußlands. Ein weißrussischer Jugendlicher, Dmitrij A. Panko, hatte den Ministerpräsidenten der RF gefragt, ob das Verhältnis zwischen beiden Staaten wieder so werden könne wie zu Zeiten der Sowjetunion. Insbesondere wolle er als Bürger von Belarus nicht von einem rußländischen Polizisten nach seiner Aufenthaltserlaubnis gefragt werden.

Darauf antwortete Putin, daß ein solcher Zustand durchaus möglich und auch wünschenswert sei, seine Realisierung jedoch zu 100 % vom Willen des weißrussischen Volkes abhänge.

Panko meinte sodann, daß das Volk dies wolle, worauf Putin entgegnete, daß es dann darum kämpfen müsse. Angesichts der unterschiedlichen Stimmen in Belarus müßten sie sich Gehör verschaffen. Wladimir Wladimirowitsch meinte weiter, auch wenn es hin und wieder zwischen Minsk und Mokau Streit gebe, so gingen beide Staaten doch weiter auf dem Weg der Integration.

Mit diesen Informationen kann der durchschnittliche deutsche Leser nur wenig anfangen. Deshalb ist die DPA so freundlich, im o.g. Artikel zu informieren:
"[...]

Russland und Weißrussland verbindet eine Zollunion, der auch die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan angehört. Bürger beider Länder bejahen eine besondere Nähe, sie können dank einer offenen Grenze weitgehend ungehindert ins Nachbarland reisen.

[...]"
Das stimmt so nicht, besser gesagt: es ist nicht die ganze Wahrheit. Rußland und Belarus verbindet weit mehr als nur die Zollunion. Seit 1997 (!) existiert ein gemeinsamer Unionsstaat, der wie die Zollunion zur Abstimmung auf vielen Rechtsgebieten geführt hat. des weiteren sind beide Staaten militärische Verbündete, insbesondere in der OVKS, und wirken überdies in der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (aus der die Zollunion hervorgegangen ist) mit.

Das ist doch weitaus mehr als nur kulturelle Nähe. Und wenn man bedenkt, daß zumindest dem Namen nach bereits seit 14 Jahren ein gemeinsamer weißrussisch-russischer Staat existiert, dann bekommen Putins Einlassungen ein ganz anderes Gewicht. Es geht nicht um Expansion nach Westen, sondern um die Belebung von Kooperationsformen, die auf dem Papier schon lange existieren, aber in der Realität z.T. erst noch umgesetzt werden müssen.
Bemerkenswert auch Putins (durchaus ernstgemeinter) Hinweis auf den Willen des weißrussischen Volkes. Eine Integration zweier Staaten kann kein bloßes Projekt der politischen und wirtschaftlichen Eliten sein, sondern muß von der Mehrheit der Bürger gewünscht werden.

Bei Lichte betrachtet entpuppt sich die alarmistische DPA-Meldung mithin als heiße Luft.



2. US-Staatsschulden

Die jüngste politische Krise in den Vereinigten Staaten von Amerika hat in der deutschen Presse einen großen Widerhall gefunden. fast durchweg einig waren sich die Kommenatoren darin, daß die Ursache der Krise nicht in einer seit Jahren verfehlten Finanzpolitik, die zu den erheblichen Staatsschulden geführt hat, zu suchen sei, sondern in der Weigerung einiger republikanischer Abgeordneter, beim von Obama gewünschten fröhlichen Neuverschulden mitzumachen. Das führt hierzulande zu einer groben Verzeichnung sowohl des Problems als auch der Meinungslage in den USA.

Den besonderen Haß unseres linksdrehenden Medienestablishments hat sich die Tea Party-Bewegung zugezogen. Dieses heterogene bürgerlich-libertär-konservative Sammelbecken, zu dessen Kernforderungen die Gesundung der öffentlichen Haushalte und damit verbunden Steuersenkungen zählt, wird als "ultrakonservativ", "populistisch", "fundamentalistisch" diffamiert und damit mit allen Negativcodes belegt, die die deutsche Politsprache bereithält. Vor allem wirft man ihren Vertretern vor, sie würden einen Kompromiß, der für jede Demokratie unabdingbar sei, unmöglich machen. Dabei wird freilich übersehen, daß es seit Jahren ebendiese faulen Kompromisse waren, die zu den stetig wachsenden Staatsschulden beigetragen haben. Wer damit Schluß machen will, kann sich nicht in den kuscheligen Konsens der politischen Klasse zurückziehen, die wie selbstverständlich davon ausgeht, daß der ganze Spaß ohnehin mit dem Geld anderer Leute (nämlich dem der Steuerzahler) bezahlt werden muß.

Deshalb ist es gut, daß mit der Tea Party-Bewegung endlich eine einflußreiche politische Gruppe in einem Industriestaat entstanden ist, die sich einen ausgeglichenen Staatshaushalt und Steuersenkungen zum Ziel gesetzt hat. Endlich haben Bürger erkannt, daß die Politik ihnen immer mehr Geld wegnimmt, wenn sie nicht endlich dagegen protestieren und selbst politisch aktiv werden. Die Linken fürchten völlig zu recht um die Realisierung ihrer sozialistischen Träume:
"[...]

Die Tea Party hat die große ideologische Auseinandersetzung, die die USA im Prinzip seit den Zeiten des New Deal spaltet, noch einmal auf ihren nackten, eigentlichen Kern zurückgeführt. Es geht darum, ob die USA ein Sozialstaat bleiben, in dem die Gewinner der Gesellschaft mit ihren Steuern sicherstellen, dass die Verlierer nicht untergehen. Oder ob sie eine Raubtiergesellschaft werden, in der jede Steuer als Diebstahl betrachtet wird.

[...]" (Quelle)
Wer nicht freiwillig und gern viele und stetig steigende Steuern zahlt, will also einen herzlosen Raubtierkapitalismus, in dem die Armen krepieren müssen. Aha. Angesichts dieses Kommentars überrascht es kaum, daß dieselbe Zeitung ihren Lesern die Tea Party-Bewegung als "knallhart und kompromißlos" vorstellt:
"[...]

Programmatisch richtet sich die Tea-Party-Movement gegen «big government», also gegen die angebliche Tendenz Washingtons, sich immer mehr in das Leben der Menschen einzumischen und alles zu regulieren. Die Bewegung will weniger Staat, weniger Steuern - und wettert gegen Sozialprogramme europäischer Prägung.

[...]"
Die Tendenz moderner Staaten, immer stärker in alle Bereiche des menschlichen Lebens einzudringen, ist unter Juristen eigentlich unstrittig, weshalb hier das Adjektiv "angeblich" nicht paßt. Es gibt - nicht nur in Deutschland - heute weitaus mehr Gesetze als vor hundert Jahren. In diesem Dickicht verfangen sich oft nicht nur ahnungslose und harmlose Bürger, sondern bisweilen sogar Rechtskundige. Schon deshalb ist eine politische Bewegung gegen zuviel Staatstätigkeit wünschenswert. Daß damit natürlich auch Reduzierungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Finanzen einhergehen müssen, versteht sich von selbst. Schließlich ist die Erhebung von Steuern ein erheblicher Eingriff in die Rechtssphäre der Bürger, der jeden Bürger trifft, nicht nur die "Reichen".

Das dies wollen unsere Journalisten nicht wahrhaben. Sie wollen den totalen Nanny-Staat. Doch politische Kräfte wie die Tea Party stehen dieser Vision (gottseidank) im Wege. Leider gibt es dergleichen bei uns in der BRD nur in kleinen Zirkeln, die, sobald sie etwas größer werden, von den Hyänen der Presse gnadenlos zerfleischt werden.


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Fotos: RIA Nowosti, Wikipedia/NYyankees51.