Der Doppelanschlag von Olso hat in Deutschland zu einer geradezu absurden Debatte geführt. Weil in Norwegen jemand unter Verwendung von Sprengstoff und Schußwaffen viele Menschen ermordet hat, müsse in Deutschland das Waffenrecht verschärft werden. Diese These ist ungefähr so sinnvoll, als ob man wegen einem umgefallenen Sack Reis in Peking die Einführung schärferer Hygienebestimmungen in Berlin fordern würde. Einer, der sich diese Auffassung zu eigen gemacht hat, ist Professor Alexander Kekulé, seines Zeichens Mediziner, der sich an der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale mit Mikrobiologie und Virologie befaßt.
In einem Kommentar für den Berliner Tagesspiegel schreibt Kekulé, nur ein schärferes Waffenrecht könne Täter stoppen. Diese Lehre sei aus den Ereignissen von Norwegen zu ziehen. Besonders kapriziert er sich auf die kurzzeitige Mitgliedschaft des Attentäters in einem Schützenverein.
Kekulés Betrachtung ist allerdings kurzsichtig und hält einer näheren Analyse nicht stand. Warum sollte sich eine offenbar seit Jahren geplante Straftat gerade durch Erschwernisse bei der Beschaffung eines von mehreren Tatmitteln verhindern lassen. Die Tatsache, daß in Deutschland vor allem illegal besessene Waffen deliktrelevant sind, wird von ihm komplett ignoriert: "Die meisten Mordopfer kommen jedoch, auch weltweit, durch Schusswaffen um." Das mag sein, doch wie soll eine Verschärfung des Waffenrechts in Deutschland dagegen helfen, wenn die meisten Tatwaffen bereits jetzt unerlaubt im Umlauf sind?
Auch die Frage, ob der norwegische Attentäter Mitglied in einem Schütznverein war, ist doch irrelevant. Dort hat er weder das Ermorden von Kindern noch das Bauen von Bomben gelernt. Eher dürfte man ihm diese Kenntnisse in der norwegischen Heimwehr vermittelt haben, denn Medienberichten zufolge war er dort Soldat. Aber auch das hilft nicht weiter. Millionen aktiver und ehemaliger Soldaten auf der ganzen Welt führen ein normales Leben, ohne Gewaltphantasien in die Tat umzusetzen. Ebenso führt das Herumreiten auf anderen soziologischen Merkmalen des Täters nicht weiter. Eine Straftat wird eben nicht von der Gesellschaft begangen, sondern von einem Individuum.
Kekulé ist unter den Medizinern an der Uni Halle mit seinem wirren Geschreibsel nicht allein. Schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich dort Emil Abderhalden hervorgetan. Nicht nur, daß seine wissenschaftlichen Theorien scheinbar heute widerlegt sind, obwohl sie für viele Jahre groß in Mode waren. Nein, Abderhalden, obwohl Schweizer, hat nach 1933 die Nähe der Nazis gesucht und ihre Rassenlehre mit seinen wissenschaftlichen Weihen versehen. Dazu gehörte auch die Befürwortung der Euthanasie. Noch heute ist in Halle eine Straße, an der mehrere Uni-Einrichtungen und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina liegen, nach ihm benannt.
Mithin wirkt Kekulés Engagement nicht überraschend. Möglicherweise fühlen sich hallische Mediziner besonders dazu berufen, in der Politik mitzumischen und krude Ideologien mit dem Segen vermeintlicher Wissenschaftlichkeit zu versehen. Erfreulicherweise ist es ihm und seinen Gesinnungsgenossen aus dem rot-grünen Lager (diesmal) nicht gelungen, sich mit ihren abstrusen Forderungen durchzusetzen. Erschreckend ist aber, daß viele Medien wiederum bereit waren, derartige Thesen zu verbreiten und das Publikum weiter strikt auf Hoplophobie zu trimmen.
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