Donnerstag, 17. Dezember 2009

Totalitarismus auf Samtpfoten



In den letzten Jahren hat die Weltgegend, die man gemeinhin als "den Westen" oder "das Abendland" bezeichnet, einen kontinuierlichen Niedergang erlebt. Und daran sin weder die pösen Chinesen noch Außerirdische schuld, sondern nur wir selbst. Eine kurze, aber hervorragende Analyse bietet die Rezension "The nanny state turns nasty" von Chris Snowdon, deren vollständige Lektüre ich meinen Lesern nur empfehlen kann, auch wenn es vodergründig nur um die Verhältnisse im Vereinigten Königreich geht:
"[...]

At the start The Bully State, his rambunctious account of the nanny state’s recent history, Brian Monteith argues that the term ‘nanny’ is too cuddly a word for the alliance of ‘puritans, control freaks and prohibitionists’ who are waging war on individual freedom on both sides of the Atlantic.

Nanny, he says, has lost her patience with us. Her policies of re-education have failed to ‘nudge’ us towards government-approved behaviour. Targets have not been met. Too many calories are being consumed. Too many units of alcohol are being knocked back. Some of us are even smoking and using offensive language. Not so much disappointed as angry, she has now turned bully. What happens now is going to hurt us a lot more than it hurts her.

[...]"
Der vom Rezensenten wiedergegebene Gedanke des Autors ist knackig, aber m.E. zutreffend: Bei allen Debatten von der Datenspeicherung über den Kampf gegen das Rauchen bis hin zu Forderungen nach einem verschärften Waffenrecht geht es vor allem um eines: verschärfte Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung mit dem Ziel, unerwünschtes Verhalten auszumerzen - und das in einer Gesellschaft, die sich selbst für offen und pluralistisch hält.

Die Mechanismen der Kampagnenführung, insbesondere unter Einbeziehung von PR-Firmen und "unabhängigen" Medien sind auch den deutschen Legalwaffenbesitzern nicht unbekannt:
"[...]

These activists – or ‘storm troopers’ as Monteith’s describes them – are far closer to the government than the public is led to believe, both in ideology and funding. Action on Smoking and Health, Alcohol Concern, Barnardo’s and dozens of other ‘campaigning charities’ receive so much money from the state that they could almost be considered the government in drag. Through the use of rigged public consultations, dubious opinion polls and policy-based evidence, this self-serving elite manufactures a demand for greater state power.

A favoured tactic is to float a new piece of Draconia in the press and if it is met with anything less than howls of derision, it gets the go ahead. The public, says Monteith, are then fed ‘a steady stream of news releases, PR stunts, giveaways and junk science dressed up as authoritative research from quangos and politically active charities that have morphed into lobby groups’. If, on the other hand, the idea gets shot down (such as the plan to force people to buy smoking licenses or banning people from buying more than three drinks in a pub), it is popped into a file marked ‘Too Soon’, to be reopened at a later date.

[...]"
Der Kern dieses umsichgreifenden Totalitarismus auf Samtpfoten liegt jedoch hier:
"[...]

The smoking ban represented a milestone because it successfully pitted a largely ambivalent majority against a dwindling and cowed minority, while blurring the distinction between public and private property at the same time.

[...]"
Das ist der Punkt, inwieweit sich die derzeitigen Tendenzen von dem unterscheiden, was man noch im klassischen Sinne freiheitlich nennen kann. Es gehört zum Wesen des liberalen Staates, daß er zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre zu unterscheiden versteht. Selbst im angeblich so finsteren 19. Jahrhundert war dies gegeben. Nunmehr hingegen dringen staatliche Maßnahmen immer weiter in den Privatbereich ein, der einstmals selbst unter den finstersten Diktaturen ein Refugium der Freiheit war. Das Bundesverfassungsgericht versucht, sich dem entgegenzustellen, indem es in den letzten Jahren immer häufiger von einem "Kernbereich der privaten Lebensgestaltung" spricht, welcher absolut zu schützen sei und den der Staat auch nicht mittels technischer Überwachungsmaßnahmen verletzen dürfe.

Leider nehmen es andere Teile der öffentlichen Gewalt damit nicht so genau. Wie etwa in diesem Fall:
"[...]

Ein aufmerksamer Spaziergänger sah, daß ein Vater und sein Sohn in Ihrem Garten mit Pistolen schossen ...
... Daraufhin verständigte er die Polizei ...
... Die verständigte Polizei rückte daraufhin mit einem Grossaufgebot an Streifenwagen und Beamten an ....
.... Es stellte sich schnell heraus das es sich bei den Pistolen um sogenannte Softair Waffen handelte ....
.... Die Softairs wurden als Anscheinswaffen eingestuft und von den Beamten beschlagnahmt.
Den Vater erwartet eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz,
außerdem werden ihm als Verursacher die Kosten des Einsatzes auferlegt werden ...

[...]"
Da haben wir wieder das typisch deutsche Phänomen: Ein "aufmerksamer" Zeitgenosse, den man alternativ auch (treffender) als Denunzianten, Blockwart oder Spitzel titulieren könnte, mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts, aber auch gar nichts angehen. Wenn sich Vater und Sohn auf ihrem Privatgrundstück mit Airsoftwaffen beschäftigen, dann geht das Außenstehende - mit Verlaub - einen feuchten Kehrricht an. Solange die gesetzliche Grenze des § 12 IV WaffG nicht offensichtlich überschritten ist und eine Gefährdung der Allgemeinheit gegeben ist, besteht kein Grund für eine Anzeige.

Und was macht die Polizei? Anstatt diese mediokren Spitzelnaturen gute Manieren beizubringen, springt sie auf den gemeldeten Verdacht an und veranlaßt einen Großeinsatz. Weshalb? Weil zwei Menschen auf ihrem eigenen Grund und Boden mit einer Luftpistole hantiert haben!

Man könnte nun einwenden, sowohl der Denunziant als auch die Polizei hätten davon ausgehen müssen, daß es sich um eine scharfe Waffe handeln würde, weshalb die veranlaßten Maßnahmen aus Gründen der Vorsicht angebracht waren. Dieses Argument greift jedoch nicht, denn wenn behauptet wird, daß geschossen würde, dann hätte man bei einer scharfen Waffe auch zwangsläufig einen lauten und vernehmlichen Schußknall hören müssen und nicht nur das leise "Plopp" einer Airsoftpistole. Bei einer einigermaßen verständigen und sachgerechten Beurteilung des "Falles" hätten folglich Informant wie Polizei zu der Schlußfolgerung kommen müssen, daß hier keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben ist.

Denn genau darum geht es. Ein Einschreiten der Polizei wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn durch das Verhalten von Vater und Sohn eine Verletzung allgemeiner Gesetze oder der Rechtsgüter von Dritten gedroht hätte. Denn das ist der Inhalt der Ermächtigung in der polizeilichen Generalklausel, die in den Landespolizeigesetzen enthalten ist. Nach allen, mir natürlich nur kursorisch vorliegenden Informationen war genau das jedoch nicht der Fall!

Daraus ergibt sich zwangsläufig die folgende Schlußfolgerung: Viele Polizeivollzugsbeamte betrachten offenkundig allein den Umgang und das Hantieren mit einem Gegenstand, der äußerlich als Schußwaffe erscheint, als grundsätzlich kriminellen Akt und damit als hinreichenden Grund zum Einschreiten zur "Gefahrenabwehr" - auch dann, wenn man sich auf seinem eigenen Grund und Boden befindet. Um ein behördliches Einschreiten hervorzurufen, muß man sich also weder auf die Straße begeben noch etwas objektiv rechtswidriges tun. Die Observation durch einen "aufmerksamen" (sprich: übermäßig neugierigen) Spaziergänger, verbunden mit dessen überbordender Phantasie, genügt heutzutage (wieder), um Bekanntschaft mit der ganzen Härte übersteuerter Gesetzeshüter zu machen. Das ist die Realität in Deutschland anno Domini 2009!

(Nebenbei bemerkt: Die Beschlagnahmung der Airsoftpistole als "Anscheinswaffe" i.S.v. § 42a WaffG ist im vorliegenden Sachverhalt sinnlos und rechtswidrig. Denn § 42a WaffG untersagt nur das Führen sog. Anscheinswaffen im öffentlichen Raum. Letzterer war hier aber gar nicht berührt. Ein weiterer Beleg für meine These, daß deutsche Polizisten unfähig sind, die für unser Rechtssystem - auch historisch - existenzielle Unterscheidung zwischen öffentlich und privat zu treffen.)

Wir müssen also davon ausgehen, daß wir nicht einmal in unseren eigenen Häusern vor Schikanen durch böswillige Mitmenschen und eine ebensolche Obrigkeit geschützt sind. Die Substanz von Art. 13 GG droht, sich aufzulösen. Da gewinnt der alte Satz "My home is my castle" eine ganz neue Dimension. Und ich mußte unwillkürlich an Ernst Jüngers "Waldgang" denken:
"[...]

Ein Angriff auf die Unverletzbarkeit, ja Heiligkeit der Wohnung zum Beispiel wäre im alten Island unmöglich gewesen in jenen Formen, wie er im Berlin von 1933 inmitten einer Millionenbevölkerung als reine Verwaltungsmaßnahme möglich war. Als rühmliche Ausnahme verdient ein junger Sozialdemokrat Erwähnung, der im Hausflur seiner Mietwohnung ein halbes Dutzend sogenannter Hilfspolizisten erschoß. Der war noch der substantiellen, der altgermanischen Freiheit teilhaftig, die seine Gegner theoretisch feierten. Das hatte er natürlich nicht aus seinem Parteiprogramm gelernt. Jedenfalls gehörte er nicht zu jenen, von denen Leon Bloy sagt, daß sie zum Rechtsanwalt laufen, während ihre Mutter vergewaltigt wird.

Wenn wir nun ferner annehmen wollen, daß in jeder Berliner Straße auch nur mit einem solchen Falle zu rechnen gewesen wäre, dann hätten die Dinge anders ausgesehen. Lange Zeiten der Ruhe begünstigen gewisse optische Täuschungen. Zu ihnen gehört die Annahme, daß sich die Unverletzbarkeit der Wohnung auf die Verfassung gründe, durch sie gesichert sei. In Wirklichkeit gründet sie sich auf den Familienvater, der, von seinen Söhnen begleitet, mit der Axt in der Tür erscheint. Nur wird diese Wahrheit nicht immer sichtbar und soll auch keinen Einwand gegen Verfassungen abgeben. Es gilt das alte Wort: „Der Mann steht für den Eid, nicht aber der Eid für den Mann.“ Hier liegt einer der Gründe, aus denen die neue Legislatur im Volke auf so geringe Anteilnahme stößt. Das mit der Wohnung liest sich nicht übel, nur leben wir in Zeiten, in denen ein Beamter dem anderen die Klinke in die Hand drückt.

[...]"
Was den von Jünger beschriebenen Niedergang angeht, sind uns die Briten weit voraus (und damit kommen wir auf den Beginn dieses Beitrages zurück). Vorgestern wurde dort zwei Geschäftsleute zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie es gewagt haben, einen Einbrecher, der sie und ihre Familie heimgesucht hatte, etwas zu hart anzufassen. Das Verbrechensopfer geht ins Gefängnis, der Täter hingegen bleibt in Freiheit.
Verkehrte Welt, für viele Engländer aber scheinbar normal. Angesichts dessen ist es geradezu lächerlich, wenn britische Truppen - wie in Afghanistan und im Irak - in Länder einfallen, um dort "Freiheit" und "Demokratie" herbeizubomben. Welcher normale, freiheitsliebende und rechtschaffene Mensch, sei er Christ oder Moslem, möchte denn freiwillig in einer so deformierten Gesellschaft wie der britischen leben? Also ich nicht.


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