Bei dieser Überschrift wäre man vielleicht spontan geneigt, an Rußland zu denken, gilt doch dessen Innenministerium als Hort von Korruption und Amtsmißbrauch, weshalb in den letzten Monaten nicht nur Dutzende hochrangiger Beamter entlassen worden sind, sondern auch eine grundlegende Polizeireform ins Werk gesetzt werden soll. Nein, es geht heute - nicht zum ersten Mal in der Geschichte von Backyard Safari - um Vergehen im oftmals bieder wirkenden deutschen Sicherheitsapparat.
Ende April kam in Sachsen-Anhalt wieder Bewegung in eine Affäre des hiesigen Verfassungsschutzes, über die ich bereits im Sommer 2009 berichtet hatte. Es ging um die rechtswidrige Speicherung der Daten von Kindern. Nunmehr die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages ihren Abschlußbericht über die Angelegenheit vorgelegt. Die Mitteldeutsche Zeitung schreibt dazu:
"[...]Gegen die Verantwortlichen innerhalb der Verfassungsschutzabteilung des MdI laufen derzeit Disziplinarverfahren, die wohl - wie üblich - im Sande verlaufen werden.
Aus dem am Mittwoch von der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags verabschiedeten Bericht geht hervor, dass die Abteilung des Innenministeriums offenbar ganz bewusst verschleierte, warum sie eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes anstrebte, mit der die Speicherung von Daten von Kindern rechtlich möglich werden sollte.
[...]
Die PKK kommt zu dem Schluss, dass der Verfassungsschutz die tatsächlichen Folgen der Gesetzesänderung nicht benannte. "Vielmehr musste der Eindruck entstehen, die Änderung sei nur eine technische Anpassung." Gleichzeitig kritisiert die PKK aber auch die Hausspitze des Innenministeriums, weil diese trotz der Brisanz des Themas nicht nachgefragt habe. "Aus Sicht der PKK ist festzustellen, dass eine notwendige Sensibilisierung der verantwortlichen Ministeriumsspitze (Innenminister Hövelmann und Staatssekretär Erben) hinsichtlich der Fragestellung einer Speicherung personenbezogener Daten Minderjähriger unter 14 Jahren durch den Verfassungsschutz unterblieben ist, wie auch seitens der Hausleitung offenkundig keine Hinterfragung der beabsichtigten Änderung des § 10 Verfassungsschutzgesetz stattgefunden hat", heißt es in dem Bericht, der am Mittwoch dem Innenausschusses des Landtages übergeben wurde.
Im Klartext: Weder Innenminister Holger Hövelmann noch sein Staatssekretär Rüdiger Erben (beide SPD) haben beim Verfassungsschutz nachgefragt, warum dieser per Gesetz Daten von Kindern elektronisch speichern wolle. Entsprechende Hinweise darauf fand die PKK auch nicht in den Unterlagen, die Erben zu den Beratungen in der Staatssekretärsrunde und Hövelmann mit ins Kabinett nahmen.
Der Vorgang wurde erst offensichtlich, als der Rechtsausschuss die Gesetzesänderung diskutierte. Dabei stellte sich heraus, dass der Verfassungsschutz nicht nur den Plan hatte, mit einem neuen Programm namens "Domea" Daten von Kindern zu speichern, sondern dies in einem als Probebetrieb bezeichneten Verfahren bereits zwei Jahre lang tat. Die PKK widerspricht jedoch der Darstellung, es habe sich um einen Probebetrieb gehandelt, weil dieser mit echten, personenbezogenen Daten stattfand und auf unbestimmte Zeit angelegt war.
[...]"
Etwas weniger "Glück" hatten zur gleichen Zeit zwei Beamte des Autobahnpolizeireviers Dessau-Roßlau, die sich wegen Diebstahls bei einem Unfall auf der A 9 vor Gericht verantworten mußten. Die MZ berichtet:
"[...]An diesem Fall schockiert nicht nur das Verhalten der beiden jetzt verurteilten Polizisten. Das wäre für sich genommen zwar schlimm, aber kein Anlaß für tieferschürfende Überlegungen. Vielmehr beunruhigt mich die vom Gericht festgestellte Tatsache, daß es für Beamte üblich ist, sich selbst aus dem Eigentum Dritter zu bedienen - also zu stehlen - und daß es offenbar verzweigte Netzwerke gibt, um allen "Kollegen" etwas Gutes zu tun und sie an der Beute zu beteiligen.
Wegen Diebstahls von Ladung aus einem verunglückten Lastwagen sind zwei Polizisten vom Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen am Mittwoch zu jeweils sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die beiden Beamten des Autobahnpolizeireviers Dessau hatten im Juni 2008 Waschmittel im Wert von rund 1000 Euro von der Unfallstelle für den Eigenbedarf und für Kollegen mitgenommen.
Wie sich im Prozess herausstellte, ist es offenbar nicht unüblich, dass Ware von Unglücks-Lastwagen unter Einsatzkräften verteilt wird, wenn sie als nicht mehr verwertbar gilt. Das sagten mehrere Polizisten und Mitarbeiter von Bergungsfirmen als Zeugen aus. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung kritisierte diese Praxis scharf. "Das ist Diebstahl. Die Ware gehört nach wie vor dem Eigentümer", sagte der Rechtsexperte des Verbandes, Alex Schindler, der MZ.
Die beiden Beamten waren mit Aufnahme der Ermittlungen gegen sie vom Dienst suspendiert worden. Ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren soll wieder aufgenommen werden, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Die zuständige Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost nannte das Vorgehen der Polizisten "unentschuldbar".
Die 54 und 47 Jahre alten Angeklagten hatten am 30. Juni 2008 gegen 22 Uhr die Sicherung der Bergungsarbeiten übernommen, nachdem auf der A 9 bei Wolfen ein mit 25 Tonnen Waschmitteln beladener Lkw in einen Lastwagen mit Schrott geprallt war. Beide Ladungen wurden auf der Autobahn verteilt. Die beiden Beamten packten den Kofferraum ihres Dienstwagens mit diversen Waschmitteln und Haushaltsreinigern aus der verunglückten Ladung voll. "So viel wie möglich", war später im Ermittlungsprotokoll zu lesen, damit für viele Kollegen etwas abfalle.
[...]
Nach Ansicht des Gerichts wurde eindeutig bewiesen, "dass mindestens zwei Drittel der eingeladenen Dinge nicht zum Bereich verworfener Ware gehörten". Somit sei der Vorwurf des Diebstahls bestätigt.
[...]"
Insofern könnte man schon fast von Strukturen organisierter Kriminalität in den Reihen der deutschen Polizei sprechen. Man fragt sich, was diese Büttel möglicherweise bei anderen Gelegenheiten den Bürgern wegnehmen und in ihren Kofferraum packen.
Mein Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte des Polizeiapparates ist jedenfalls gering; im Zweifelsfall hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus (Stichwort: Korpsgeist). Denn das schärfste kommt noch: Es ist noch nicht entschieden, ob die beiden verurteilten Beamten aus dem Polizeidienst entlassen werden oder weiter Streife fahren dürfen:
"[...]Da reibt sich der deutsche Michel verwundert die Augen: Ja, ist denn so etwas möglich? Verurteilte Straftäter dürfen möglicherweise weiter in Uniform und mit Pistole am Koppel durch die Gegend stolzieren?
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe erstattete der Leiter des Polizeiautobahnreviers Dessau Anzeige von Amts wegen gegen insgesamt fünf Beamte. Drei davon, darunter ein damaliger Dienstgruppenleiter, standen unter dem Verdacht der Hehlerei - sie sollen von ihren beiden Kollegen Waschmittel als Geschenk angenommen haben. Doch die Beweislage war dünn, deswegen seien die Ermittlungen gegen das Trio eingestellt worden, sagte Polizeisprecher Ralf Moritz Donnerstag.
So hatte der Fall für die unter Hehlerei-Verdacht stehenden Polizisten nur geringfügige Konsequenzen: Zwei von ihnen mussten jeweils 150 Euro Bußgeld zahlen, dem dritten wurden für mehrere Monate die Dienstbezüge gekürzt. Für ihre beiden wegen Diebstahls verurteilten Kollegen könnten die Disziplinarmaßnahmen schärfer ausfallen: Ihnen drohe möglicherweise die Entlassung. "Das Dienstvergehen ist erheblich", sagte Moritz. Das Disziplinarverfahren soll wieder aufgenommen werden, sobald das Urteil rechtskräftig ist.
[...]"
Man vergleiche das bitte einmal mit den Anforderungen an die Zuverlässigkeit gem. § 5 WaffG, denen etwa Jäger und Sportschützen genügen müssen. Sonach wären die beiden Verurteilten nicht mehr zuverlässig und folglich ihre Waffenbesitzkarte los. Aber im Namen des Staates unter Umständen auf Menschen schießen, das dürfen sie noch.
Wie ich sie liebe, diese Doppelstandards bei Vergehen von Staatsdienern und ordinären Bürgern. Aber das sind wir obrigkeitshörigen Deutschen ja gewöhnt.
Vor einer solchen Polizei kann man sich als Bürger nur noch fürchten. Und es zeigt sich, wieder einmal, daß derjenige, der seine persönliche Sicherheit ausschließlich in die Hände des Staates und seiner Beamten legt, im Zweifelsfall der Dumme ist. Deshalb hat der Stuttgarter Justizminister Goll ganz recht, wenn er lieber selbst für seinen Schutz sorgen will.
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