Im April-Heft der Zeitschrift Visier hat David Schiller einen lesenswerten Beitrag über die amerikanische „Waffenlobby“ in Gestalt der National Rifle Association publiziert. Daran möchte ich anknüpfen und meine eigenen Gedanken hinsichtlich der politischen Lage in den USA und deren Vorbildwirkung für uns Deutsche darlegen.
Bekannt ist, daß die verfassungsrechtliche Ausgangslage aufgrund des Zweiten Zusatzartikels eine ganz andere ist als hierzulande. Trotzdem ist auch die NRA relativ klein geblieben: von den – laut Medienberichten – etwa 80 Millionen Legalwaffenbesitzern in den USA gehören nur 4 Mio. der NRA an. Aber diese 4 Millionen sind eine schlagkräftige Massenorganisation. Überhaupt hat es die NRA geschafft, sich als Bürgerrechtsbewegung zu etablieren – auch wenn die linksliberalen Mainstreammedien diesen Begriff nicht verwenden und statt dessen haßerfüllt von der „Waffenlobby“ sprechen. Zugleich hat die NRA m.E. darauf geachtet, sich von diversen politischen Narren, wie z.B. den „Milizen“, abzugrenzen, denn nichts ist für eine Bürgerbewegung gefährlicher, als mit notorischen Extremisten in einen Topf geworfen zu werden.
Das zweite Erfolgsrezept ist die professionelle politische und juristische Arbeit, die sowohl „Lobbying“ in der Politik als auch „Legal Action“ in den Gerichten umfaßt. Die Erfolge sind jedoch nicht in kurzer Zeit eingetreten. Auch die NRA-Mitglieder und -Mitarbeiter mußten sich viele Jahre im „geduldigen Bohren dicker Bretter“ (Max Weber) üben. Und die positiven Ergebnisse dieses Bohrens sind nicht zementiert. Sie müssen vielmehr täglich gegen neue Vorstöße der sehr aktiven und einflußreichen Waffengegner verteidigt werden. Die Vorstellung, es könne nach ausgekämpftem Streit ein Zurück in die „heile Welt“ des Privatwaffenbesitzes geben, ist naiv und unrealistisch. Der Kampf um unser Recht ist in den USA wie in Deutschland zum Dauerzustand geworden, an den wir uns, auch psychisch, gewöhnen müssen.
Von kaum zu überschätzender Bedeutung für die Erfolge der NRA ist jedoch das amerikanische Wahlsystem. Dessen Ausprägung des Mehrheitswahlrechts sorgt dafür, daß die einzelnen Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus gezwungen sind, als Personen um jede einzelne Stimme zu kämpfen. Hier setzt die Graswurzelbewegung der amerikanischen Waffenbesitzer an, indem sie ihre Abgeordneten als Person auf eine bestimmte Linie einschwören.
(Dies ist jedoch keine zwangsläufige Folge des Mehrheitswahlrechts. In Großbritannien etwa ist der Einfluß der politischen Parteien ähnlich groß wie in Deutschland.)
Hierzulande ist die Ausgangslage eine gänzlich andere. De facto haben wir ein Verhältniswahlrecht, in dem die von den Parteien aufgestellten Kandidatenlisten entscheidend sind. Die Erfahrung lehrt zudem, daß auch die Direktkandidaten in den Wahlkreisen nicht wegen ihrer persönlichen Verdienste, sondern wegen ihres Parteibuchs gewählt werden. Das hat zwangsläufig zur Folge, daß die Loyalität eines Abgeordneten gegenüber seiner Partei erheblich größer ist als seine Interaktion mit einzelnen Wählern. Denn die Partei entscheidet über seine persönlichen Zukunftsaussichten und nicht die Bürger in seinem Wahlkreis.
Einen positiven Aspekt hat das deutsche Wahlrecht allerdings doch. Es ermöglich auch relativ kleinen Parteien wie der FDP, die in den USA nie großgeworden wäre,
in den Bundestag einzuziehen – was angesichts der faktisch vorhandenen „großen Koalition“ (aus SPD, CDU und CSU) gegen den privaten Waffenbesitz sicher nicht von Nachteil ist.
Von einem guten Bekannten ist deshalb geäußert worden, daß sich die LWBs nicht nur auf ihre eigenen Organisationen verlassen sollten, sondern selbst politisch aktiv werden müssen, indem sie in Parteien eintreten und aktiv an der Politik teilnehmen. Dieser Vorschlag hört sich zunächst sehr gut an, bei näherer Betrachtung werde ich jedoch skeptisch. Warum? Ein politisches Engagement ist am ehesten auf kommunaler Ebene zu erreichen. Doch hier haben wir LWBs kein Problem. Die Kommunalpolitiker haben beim Waffenrecht nichts zu melden, denn die Ausführung des WaffG gehört zum sog. übertragenen Wirkungskreis, ist also eine Landesaufgabe, die von den Kommunalbehörden unter Aufsicht der Landesbehörden lediglich ausgeführt wird. Des weiteren sind nicht wenige Kommunalpolitiker aller Parteien durchaus nicht so waffenbesitzerfeindlich wie ihre Kollegen auf Bundesebene.
Weitaus wichtiger wäre es also, wenn sich LWBs auf Landesebene (Stichwort: Bundesrat) und vor allem auf Bundesebene in den Parteien engagieren würden. Hier kommt jedoch der oben schon erwähnte Einfluß der Parteien zum tragen. Ein Beispiel: Im Frühjahr 2009 hatte ich u.a. drei CDU-Landtagsabgeordnete (darunter zwei Mitglieder des Innenausschusses) angeschrieben, die sich selbst als Waffenbesitzer „geoutet“ hatten, um sie für das Problem der WaffG-Verschärfung zu sensibilisieren. Keiner dieser Herren hat mich einer Antwort für würdig erachtet, wohingegen ausgerechnet die SPD-Abgeordneten (die m.W. selbst keine Waffen besitzen) recht ausführlich auf meine Briefe reagiert haben.
Was lernen wir daraus? Den waffenbesitzenden Abgeordneten ist offenkundig der eigene Job wichtiger als die Interessen der Vereins- oder Jagdkameraden im heimischen Wahlkreis. Deshalb unterwerfen sie sich der Parteidisziplin, opponieren nicht gegen die Pläne der Parteispitze und schweigen gegenüber den besorgten Bürgern.
(BTW: Wie hat eigentlich DJV-Präsident und MdB Jochen Borchert am 18.06.2009 abgestimmt? Doch nicht etwa für die Verschärfung des WaffG? Weiß das jemand?)
Wie man sieht, ist eigenes parteipolitisches Engagement zugunsten eines freiheitlichen Waffenrechts im deutschen politischen System wenig aussichtsreich, denn der Wille der Parteiführungen geht über alles.
Aussichtsreicher erscheint mir das bisher schon praktizierte Vorgehen, indem man Wahlempfehlungen zugunsten einer politischen Partei ausspricht, von der die Legalwaffenbesitzer eine positive Politik erwarten dürfen. Das ist derzeit, zumindest auf Bundesebene, ausschließlich die FDP. Dabei muß es jedoch nicht für immer und ewig bleiben. Die deutsche „Waffenlobby“ darf sich nicht zum Anhängsel einer einzigen Partei degradieren lassen. Vielmehr muß sie sich die notwendige Offenheit, Denk- und Gesprächsbereitschaft bewahren, um jede Partei und jeden einzelnen Politiker zu unterstützen, der bereit ist, die legitimen Interessen der privaten Waffenbesitzer zu vertreten. Alles andere wäre fatal.
Das zeigt auch der Blick in die USA. Die NRA hatte in der Vergangenheit Erfolge, bei denen sie das Zünglein an der Wahlwaage spielen konnte. Es ist ihr jedoch bekanntlich nicht gelungen, im Jahr 2008 die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten zu verhindern. Die Ursache dürfte darin liegen, daß die NRA seit einigen Jahren immer mehr als bloße Vorfeldorganisation der Republikanischen Partei wahrgenommen wird. Und viele Wähler waren von der Politik der Republikaner so enttäuscht, daß sie die möglicherweise drohenden Verschärfungen des Waffenrechts auf Bundesebene als kleineres Übel angesehen haben.
Zudem ist es nicht besonders glaubwürdig, wenn man einerseits ein freiheitliches Waffenrecht fordert, aber andererseits kein Problem damit hat, Bürgerrechte in anderen Bereichen einzuschränken. Bespiele gäbe es viele: Internetsperren, Überwachung der Bürger, Aushöhlung von „habeas corpus“ usw. usf. Der Zweck darf nicht die Mittel heiligen, selbst wenn es um den „Kampf gegen der Terrorismus“ geht.
Ebenso schädlich wäre es, wenn man die Waffenbesitzer auf eine bestimmte (und damit leichter bekämpfbare) soziale Gruppe reduzieren würde, etwa „die Reichen“. Denn auch an dieser Hypothek hat die NRA zu tragen. Obwohl es nicht den Tatsachen entspricht, werden ihre Mitglieder häufig mit ungebildeten Hinterwäldlern gleichgesetzt, wohingegen die urbanen Eliten als „modern“, d.h. linksliberal und waffenfeindlich, gelten. (Siehe dazu auch den American Gun Culture Report, der beweist, daß auch linke Intellektuelle für ein freiheitliches Waffenrecht eintreten können.)
Abschließend noch der Hinweis auf eine neue und interessante Form des politischen Engagements in den USA: die Tea-Party-Bewegung. Nachdem es tausende von linken Bürgerbewegungen gibt, hat sich nun eine aus der rechten Hälfte des politischen Spektrums gebildet. Diese Tatsache allein führt zur in europäischen Medien gängigen Diffamierung der Tea Party als rassistisch, fremdenfeindlich, gewalttätig usw. Davon sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen. Gewiß gibt es in dieser recht heterogenen Bewegung auch ein paar Narren, aber der Großteil sind normale Bürger, die sich gegen die zunehmende Bevormundung durch den Staat wehren wollen. Ihr Leitmotiv heißt „Freiheit“ und ihre Themen reichen vom Kampf gegen Steuererhöhungen und staatliche Unterstützung für Großkonzerne bis hin zum Waffenrecht. Damit richtet sich die Tea Party nicht nur gegen die derzeit regierenden Demokraten, sondern ebenso gegen die Republikaner.
Ich denke, wir sollten diese wohl hauptsächlich als libertär anzusprechende Bewegung aufmerksam beobachten, um ggf. von ihr zu lernen. Zum Schluß deshalb noch zwei kurze Videos:
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