Das Strafverfahren gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden, welches derzeit in Stuttgart stattfindet, gerät – zumindest von außen betrachtet – immer mehr zur Farce. Wenn ich die Presseberichte darüber lese, erhebt sich die Frage, weshalb der Vorsitzende Richter bestimmten Umtrieben nicht entgegentritt und für eine Versachlichung des Prozeßklimas sorgt.
Bereits die Zulassung der Anklage war ja mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen; nach Beginn des Prozesses wies das Gericht aus unerfindlichen Gründen darauf hin, daß dem Angeklagten auch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung drohen könne, obwohl gerade dieses Delikt von der Staatsanwaltschaft nicht angeklagt worden ist. Dabei ist ein derartiges Urteil mehr als unwahrscheinlich (warum, wird hier erklärt).
Sodann haben es sich die Aktivisten vom Aktionsbündnis Winnenden (bzw. dessen Nachfolgeorganisationen) nicht nehmen lassen, ihre Meinung über den Angeklagten kundzutun:
"[…]Bitte, wo leben wir denn? Seit wann muß sich ein Angeklagter selbst kasteien? Was soll das Gerede von der verspielten Chance – wird der Angeklagte jetzt vom ABW hingerichtet? Gisela Mayer mag Nebenklägerin sein, aber sie ist nicht Richterin. In jedem einigermaßen zivilisierten Rechtssystem hat ein Angeklagter das Recht, seine Anwälte für sich sprechen zu lassen. Daraus kann man ihm schlechterdings keinen Strick drehen!
Die Nebenkläger zeigten sich geschockt. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagte Gisela Mayer, deren getötete Tochter Referendarin an der Albertville-Schule gewesen war. „Er hatte seine Chance – und er hat sie vertan“, quittierte sie K.s Schweigen. „Drei Sätze hätten gereicht“, sagte eine andere Mutter. Drei Sätze, die das Mitgefühl des Angeklagten wahrhaftig rübergebracht hätten - statt einer bloßen Erklärung seines Anwalts, dass es existiere.
[…]"
Doch das ABW zeigt hier wieder einmal sein wahres Gesicht. Diese fanatischen Aktivisten sehen sich selbst als Mittelpunkt der Welt und nur was ihren Ansprüchen genügt, darf überhaupt Geltung besitzen. Der Angeklagte äußert sich über seinen Rechtsbeistand – doch sie fordern eine höchstpersönliche Erklärung. Die ABWler sind anscheinend von Dominanzphantasien geprägt, denn das gleiche Muster ist uns aus der politischen Debatte des Jahres 2009 bekannt. Damals hatte das ABW eine Dialog mit Verbänden der Legalwaffenbesitzer nur dann führen wollen, wenn er ausschließlich zu den Bedingungen des ABW erfolgt wäre. Diese paar Hanseln leiden offenkundig an maßloser Selbstüberschätzung.
Doch immerhin ist es ihnen gelungen, eine Stiftung zu gründen, deren hauptamtliche Mitarbeiter Hardy Schober und Frau Mayer mittlerweile sind. So kann man aus dem Tod der eigenen Kinder noch lange Kapital schlagen. Der blindwütige Rachefeldzug dieser Figuren zeigt allerdings auch, wie falsch ihre massive Unterstützung durch die evangelische Landeskirche ist. Es wäre wohl für alle Beteiligten besser gewesen, wenn man die Hinterbliebenen seelsorgerisch besonders betreut hätte, anstatt sie in ihrem alttestamentarisch anmutenden Handeln zu bestärken. Begriffe wie „Gnade“ und „Vergebung“ scheinen in Württemberg nicht sehr bekannt zu sein, vielleicht hat man dort auch nur eine andere Ausgabe des Neuen Testaments.
Möglicherweise erwartet das ABW sogar, daß Jörg K. – wie einst in den stalinistischen Schauprozessen – ein vorgefertigtes Geständnis unterschreibt und um seine Bestrafung bittet. Das Ausbleiben einer solchen Handlung würde dann als „besondere Verstocktheit“ gewertet. Auf einen Kommentar dazu verzichte ich an dieser Stelle lieber, doch zeigt sich hier, in welch bedenkliche Richtung der Prozeß driften könnte. Dazu kommt die unglückliche Rolle der Medien, die laut rufen „Kreuziget ihn!“
Durch den erheblichen öffentlichen Druck wird der Spielraum des Gerichts für ein faires Verfahren immer kleiner. Der Täter – Tim K. – ist während seiner Tat umgekommen. Nun dürstet die aufgepeitschte Stimmung nach Sühne und sucht sich in Gestalt des Vaters einen Ersatzsündenbock. Deshalb schließe ich seine erstinstanzliche Verurteilung nicht aus, selbst wenn die Urteilsbegründung haarsträubend sein sollte. Nur so können die aufgeheizten öffentlichen Emotionen abgekühlt werden. Jörg K. müßte dann die Kraft und das Geld aufbringen, sich durch die Instanzen zu kämpfen, in der Hoffnung, daß er irgendwo außerhalb Stuttgarts doch noch ein paar furchtlose und unvoreingenommene Richter findet.
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