Dienstag, 20. Juli 2010

Aktuelles aus der russischen Waffenindustrie


In der Vergangenheit hatte ich über verschiedene Entwicklungen der Waffenindustrie in Rußland berichtet. Dazu zählte auch die - aus deutscher Sicht nur schwer nachvollziehbare - Preisentwicklung. So wurde im Forum Talks.guns.ru behauptet, daß Innenministerium und Föderaler Sicherheitsdienst derzeit nur Präzisionsgewehre des finnischen Herstellers Sako beschaffen würden, weil ihnen das in Ishewsk produzierte Modell SW-98 zu teuer geworden sei.
Dieser Tage habe ich nun einen Zeitungsartikel auf Gazeta.ru finden können, in dem konkrete Zahlen genannt werden. Es handelt sich um ein Interview mit dem Duma-Abgeordneten Igor Barinow, der zugleich Mitglied des Verteidigungsausschusses des Parlaments ist. Auf die Frage nach den Kosten des im Inland produzierten Rüstungsmaterials antwortet Barinow:
"[...]

Die Preise für die Produkte des militärisch-industriellen Komplexes wachsen stärker als die Inflation und die Löhne. Zum Beispiel [die Rakete] Topol ist innnerhalb von drei Jahren zweieinhalb mal teurer geworden, und das Scharfschützengewehr kostete zu Beginn der 2000er Jahre weniger als 30.000 Rubel und jetzt kauft das Ministerium für Verteidigung [die Gewehre] für 400.000 [Rubel].

[...]"
Rechnet man die eben genannten Rubelpreise für das SW-98 in Euro um, dann betrug der Preis zunächst knapp 770 € und ist später bis auf rund 10.250 € pro Waffe gestiegen. Den Hauptgrund für diese drastische Verteuerung sieht der Abgeordnete im Fehlen genügender Konkurrenz. M.a.W.: Es gibt in der RF zu wenige Anbieter, die somit als Monopolisten agieren können.

Dies treibt die staatlichen Nachfrager zu Käufen im Ausland. War man das schon seit Jahren von den diversen Sicherheitsbehörden gewöhnt, so sind die jüngsten Beschaffungsvorhaben des Verteidigungsministeriums ein Alarmsignal: Drohnen in Israel, evtl. Landungsschiffe in Frankreich (Stichwort: "Mistral") und u.U. sogar Panzerungen für SPWs in Italien oder Deutschland. Dieses Ministerium war bis dato eine sichere Bank, denn es hat grundsätzlich nur in Rußland selbst eingekauft. Jetzt sollte die russische Waffenindustrie jedoch aufwachen und sowohl an ihren Preisen als auch an ihrer Qualität arbeiten.

In die gleiche Richtung gehen auch die Bemerkungen, die Präsident Dmitrij Medwedew anläßlich der Amtseinführung des neuen stellvertretenden Verteidigungsministers Wladimir Popowkin gemacht hat:
"[...]

Aber hier wird die methodische, akribische Arbeit gefordert, insbesondere mit den Lieferanten der technischen Kampfmittel, weil sie manchmal verwöhnt werden, nicht die nötige Qualität liefern und für uns sehr unangenehme Preissteigerungen auftreten.

[...]"
Daß die rußländische Regierung dabei auch vor dem "Schlachten heiliger Kühe" in der Rüstungsindustrie nicht zurückschreckt, hat in den letzten anderthalb Jahren die Krise des unrentablen Waffenherstellers Molot bewiesen. Seit zwei Monaten wird mit der italienischen Firma Beretta über ein Joint Venture verhandelt, mit dem der Kernbereich von Molot - die Fertigung von Handfeuerwaffen - gerettet und modernisiert werden soll. Im Fokus sollen dabei Dienstpistolen sowie Jagd- und Sportwaffen stehen. Für die Umstrukturierung von Molot hat die Regierung im Juni 171 Mio. Rubel (ca. 4,39 Mio. €) bereitgestellt. Das Geld soll vor allem Umschulungsmaßnahmen für entlassene Mitarbeiter und ähnlichen Zwecken dienen.

Für die Waffenhersteller in Ishewsk, namentlich Izhmash und Izhmekh, wurden kürzlich in der Presse ebenfalls radikale Maßnahmen diskutiert. Die oben erwähnten hohen Preise und allgemeine Unrentabilität könnten dort mittelfristig zu größeren Umstrukturierungen führen. Izhmash hat kürzlich eine neue Webseite erstellt, auf der die zahlreichen Zivilwaffen des Unternehmens intensiv (und zweisprachig) beworben werden. Damit findet der Zivilmarkt neue Aufmerksamkeit, während der Behördenmarkt ein wenig zu stagnieren scheint - gerade auch hinsichtlich von Neuentwicklungen wie der AK-200.

Bleibt zu hoffen, daß sich für die Jagd- und Sportwaffen auch geeignete deutsche Importeure finden, die bereit sind, diese nicht gerade kleinen Sortimente bei uns zu vertreiben, ggf. auch auf eine Einzelbestellung hin. Denn eines ist kurios: Zivilwaffen aus einheimischer Produktion sind in Rußland selbst nicht teuer. Wenn sie jedoch in Deutschland auf den Markt kommen, dann liegen die Preise häufig bei 150 bis 250 Prozent des russischen Ladenpreises. Die oben behandelte Preisentwicklung der Behördenwaffen korreliert offenbar nicht mit jener des Jagd- und Sportsegmentes. Anders formuliert: Wenn russische Waffen hierzulande z.T. recht teuer sind, dann liegt das eher an den Importeuren als an den Herstellern.



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Die Fotos sind bei Izhmash entstanden (Quellen: venividi.ru, www.ej.ru).
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