Mittwoch, 10. Februar 2010

Nur ein wehrloses Opfer ist ein gutes Opfer


Dieser Tage ist eine Nachricht durch die Medien gegangen, die für viel veröffentlichtes Entsetzen gesorgt hat. Dominik Brunner, der vor vier Monaten in München einigen bedrängten Jugendlichen beistehen wollte und deshalb totgeschlagen wurde, soll - Gott sei bei uns - irgendwann einmal in einer Boxschule trainiert haben. Zumindest behauptet das der Spiegel:
"[...]

Die Jugendlichen stiegen in die S-Bahn, in der auch Dominik Brunner saß, Markus Sch. und Sebastian L. folgten ihnen. Der 50-Jährige wollte die Jugendlichen beschützen und schlug ihnen vor, mit ihm in München-Solln auszusteigen. An der Haltestelle soll Brunner laut Zeugen dem Fahrer der S-Bahn zugerufen haben: "Jetzt gibt's hier hinten Ärger."

Brunner hat nach SPIEGEL-Informationen mindestens ein Jahr lang in einer Boxschule trainiert. Zeugen berichteten, er habe die Fäuste gehoben und sei auf die beiden Angreifer zugegangen. Dann habe er den ersten Fausthieb gesetzt und einen der beiden Täter ins Gesicht getroffen.

Bislang war nur bekannt, dass Brunner einem der Täter auf dem Bahnsteig zur Selbstverteidigung einen Schlag verpasst hatte. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" sollen die beiden Angeklagten in Richtung Brunner gelaufen sein, während dieser aggressiv gewirkt habe. Dies habe der S-Bahn-Fahrer ausgesagt. Andere Zeugen haben die Situation jedoch ganz anders wahrgenommen. Nicht Brunner, sondern die beiden mutmaßlichen Täter hätten sich aggressiv verhalten.

[...]"
Es dürfte kein Zufall sein, daß gerade dieses durch seine militante Anti-Waffen-Haltung bekannte Blatt diese Information lanciert, die dann auch von anderen Medien bereitwillig aufgegriffen wurde. Und es überrascht nicht, daß im selben Text deutlich auf den starken Alkoholkonsum der mutmaßlichen Täter hingewiesen wird. Denn damit haben wir zwei stichworte, die der verhausschweinte, von den linksliberalen Mainstreammedien verdummte Bundesbürger braucht, um den Fall Brunner neu zu bewerten.

Erstens die rührselige Geschichte von den Jugendlichen, die auf die schiefe Bahn geraten sind und im Drogen- und Alkoholrausch fast gar nicht anders handeln konnten. Man kennt das ja ...

Und zweitens - das ist besonders brisant - wird Brunner zumindest implizit eine Mitschuld an seinem Tod zugesprochen. Wie kann man bloß in einer Boxschule trainieren und dann gegenüber den Schlägern auch noch die Arme hochnehmen?! Das ist ja aktive Gewaltanwendung! Aber dergleichen tut man doch nicht, schließlich leben wir im pazifistischen Deutschland. Hierzulande gilt: Nur ein wehrloses Opfer ist ein gutes Opfer. Wer es sich wagt, Angreifern ebenfalls mit Gewalt entgegenzutreten, wird mit denselben fast auf eine Stufe gestellt. Um so mehr, wenn es sich - wie im Fall Brunner - um Nothilfe (vgl. § 32 II StGB) zugunsten anderer Menschen handelt. Hierzulande wird viel von Zivilcourage und dergleichen gefaselt, doch wenn jemand wie Domik Brunner damit Ernst macht und der rechtswidrigen Gewalt aktiv entgegentritt, so wird ihm der posthume Heldenstatus schnell wieder aberkannt.

Diese jüngste Entwicklung hat mich wieder an drei Artikel in der Zeitschrift Eigentümlich frei erinnert, die mir schon im Herbst 2009 aufgefallen waren und die jetzt neue Aktualität erlangen. Wolfgang Halder denkt über Gewalt und Zivilcourage nach:
"[...]

Solange dieser Staat uns Bürgern keine effektive Selbstverteidigung mit Waffen gestattet, hat er auch kein Recht, von uns Zivilcourage zu verlangen, weil wir sonst entweder vom Pöbel ins Krankenhaus oder ins Grab geprügelt werden oder selbst zum Täter gemacht werden. Und solange dem so ist, sollten Eltern ihre Kinder – und auch sich selbst – auf solche Situationen vorbereiten, so weit das möglich ist, damit sie sich selbst helfen können und wissen, wie sie andere so zum Helfen bringen, dass niemand zu Schaden kommt, denn bis der Inhaber des Gewaltmonopols in Gestalt der Polizei da ist, ist es oft zu spät.

„Wie können Menschen so etwas tun?“ – das sei laut einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ der Kern des Problems. Falsch. So etwas haben Menschen schon immer getan. Es kommt darauf an, auf solche Situationen vorbereitet zu sein – damit Menschen wie Dominik Brunner für ihren Mut belohnt werden und nicht mit dem Leben bezahlen müssen.

[...]"
Andreas Tögel bezweifelt, daß Zivilcourage tatsächlich gefragt ist und brandmarkt das Versagen unseres verlogenen Staates:
"[...]

Dies deshalb, weil „Experten“, insbesondere Politiker, Psychologen und Polizeioffiziere, im Falle gewaltsamer Bedrohungen regelmäßig und ausnahmslos dazu raten, sich nur ja nicht zu wehren, um größeren Schaden (vom Täter?) abzuwenden. Routinemäßig wird von diesen „Experten“ das Davonlaufen als Ultima ratio empfohlen. Weil Widerstand oder gar Gegenwehr gegenüber Verbrechern seit Jahr und Tag geradezu als grobe Fahrlässigkeit gebrandmarkt werden. Nur nicht wehren! Nur nicht am Ende selbst zu Waffe greifen (über die ja – dank der kriminalitätsfördernd restriktiven Waffengesetzgebung unserer Nanny-Staaten beinahe nur noch Gangster verfügen), da diese vom Angreifer „entwendet“ werden und gegen ihren Besitzer eingesetzt werden könnte – was für ein zynischer Witz!

[...]"
Und Dirk Friedrich lobt Brunner als vorbildliches Individuum.

Eine Gemeinheit haben sich Spiegel & Co. bisher jedoch verbeten: Brunner aufgrund seines Boxtrainings als potentiellen Killer zu diffamieren, der eine tickende Zeitbombe gewesen sei und nur auf eine Konfrontation gewartet habe, in welche die drei bedauernswerten Drogenkonsumenten dann zufällig hineingeraten seien.
Aber vielleicht kommt das auch noch, denn hier geht es weniger um die Person Brunners als vielmehr um die Folgen seines Todes: Einigen unserer Mitbürger dürfte seither klargeworden sein, daß der Staat sie bewußt in einem Zustand der Wehrlosigkeit hält, weshalb sie kriminellen Gewalttätern schutzlos ausgeliefert sind. Nachdem der Spiegel und andere Presseorgane im Frühjahr und Sommer 2009 die Waffenrechtsdebatte kräftig angeheizt hatten, drohte ihnen seit dem Tod Brunners die Deutungshoheit zu entgleiten. Denn die spontane Reaktion auf diesen Zwischenfall muß aus Sicht der Pazifisten und Waffengegner besorgniserregend gewesen sein: Wer wollte jetzt noch daran glauben, daß Passivität moralisch besser sei als Gegenwehr? Also muß man versuchen, an Brunners Image zu kratzen und einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit zu finden (das Boxtraining). Er weicht eben vom deutschen Idealbild des "guten" - weil wehrlosen und "unschuldigen" - Opfers ab und muß daher demontiert werden.

Fragt sich nur, ob dieses Unterfangen gelingt. Mich beeindruckt Brunners Mut jedenfalls nach wie vor und ich kann nur sagen: Gut, daß er seine vermutlich marginalen Nahkampffähigkeiten so gut einsetzen wollte. Gewiß, er ist mit seinem Versuch tragisch gescheitert, doch sollte er uns allen als Vorbild und sein Tod als Fanal dienen, um endlich mit der verfehlten Politik von gewaltloser Zivilcourage, dem Kult der Friedfertigkeit um jeden Preis und der Entwaffnung der rechtschaffenen Bürger Schluß zu machen. Positive Beispiele gibt es etwa aus Österreich zu vermelden.

Nachtrag: Einen konkreten, praktischen Zweck verfolgen die vermeintlichen Enthüllungen über Dominik Brunner außerdem. Es dürfte der Staatsanwaltschaft jetzt schwerfallen, seine Tötung vom Gericht als Mord einstufen zu lassen. Denn dazu fehlt es an der berühmten Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.


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Foto: www.faz.net.
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