Dienstag, 2. Februar 2010

Warum immer auf die Eisenbahn?


Die Eisenbahnstrecken von und nach St. Petersburg müssen auf Terroristen und sonstige gestörte Personen eine große Faszination ausüben. Bereits 2007 und 2009 war es zu Bombenanschlägen gekommen. Für das erste Attentat, bei dem es "nur" 60 Verletzte gegeben hatte, sind mittlerweile zwei Inguschen verurteilt worden. Und auch für das im letzten November, bei dem 26 Menschen ums Leben gekommen sind, und bei dem es - besonders perfide! - eine zweite Bombe gab, die sich gegen die Hilfskräfte richtete, haben Islamisten die Verantwortung übernommen.

Heute früh um 04.15 Uhr Ortszeit kam es nun zu einem Sprengstoffanschlag auf den Gleiskörper im südlichen Stadtgebiet von Petersburg, an einer Strecke, die zum Baltischen Bahnhof führt und über die großteils Regional- und Vorortzüge (sog. Elektritschkas) fahren. (In der Nähe des Tatortes wohnen übrigens Freunde von mir, die glücklicherweise nicht betroffen sind.) Ersten Ermittlungen zufolge soll der Sprengsatz relativ schwach gewesen sein (200 bis 400 g TNT-Äquivalent), weshalb es lediglich einen Verletzten gab - ein Bahnmitarbeiter, der mit einer Motordraisine unterwegs war, um die Strecke zu kontrollieren. Mittlerweile konnte wohl auch ein Versteck, von dem aus die Bombe gezündet worden ist, gefunden werden. (Vgl. z.B. hier, hier und hier.)

Dieses Video (leider nur auf Russisch) vermittelt einen (zumindest visuellen) Eindruck von der Unfallstelle (ein direktes Einbinden des Videos ist leider nicht möglich):

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У пострадавшего в результате взрыва машиниста перелом ноги

Состояние здоровья 37-летнего Константина Махонина - машиниста, пострадавшего в результате взрыва на железной дороге в Петербурге, оценивается как удовлетворительное. Он находится на лечении в травматологическом отделении Дорожной больницы, куда он поступил с переломом ноги.

Da in der deutschsprachigen Berichterstattung einiges durcheinander läuft, hier noch zwei Klarstellungen von Fakten:
1. Die Strecke war beschädigt und deshalb für einige Stunden gesperrt, schließlich mußten Gleise ausgetauscht werden.
2. Die Ermittlungen führen derzeit drei Behörden: Die Transport-Miliz, weil sie auf dem Bahngelände örtlich zuständig ist; der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), weil er bei Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktionen immer sachlich zuständig ist (der FSB-Chef ist in Personalunion Leiter des gesamtstaatlichen Anti-Terror-Komitees); sowie das Ermittlungskomitee der Generalstaatsanwaltschaft (so hoch gehangen ebenfalls wegen des Terrorverdachts). Das ist ein ganz normales Prozedere und bietet keinerlei Anlaß für irgendwelche Spekulationen.
3. Dasselbe gilt für den Straftatbestand, aufgrund dessen das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Illegaler Sprengstoffbesitz (Art. 222 des StGB der RF) ist bei solchen Fällen der Standardvorwurf, der ggf. auf andere Tatbestände erweitert wird.

Aufgrund der Durchführung des Anschlags, insbesondere der geringen Menge an Sprengstoff, schießen schon wieder die wildesten Gerüchte über den Hintergrund ins Kraut. Die Durchführung erscheint auch aus meiner Sicht für eine der bekannten islamistischen Terrorgruppen zu unprofessionell. Diese Leute können das besser.
Aber auch die These, irgendjemand (die Regierung? oder gar der Bösewicht Putin persönlich?) wolle Terrorangst schüren, ist doch ziemlich abwegig. Gerade nach den Attentaten im November 2009 (ja, es gab noch ein zweites) ist die Terrorangst real und es wird gerade an neuen Sicherheitskonzepten für den Bahnverkehr gearbeitet (vgl. hier und hier). Da muß niemand künstlich nachhelfen nachhelfen.
Am wahrscheinlichsten erscheint mir als Täter ein einzelner Amateur: entweder jemand mit einem islamistischen Hintergrund oder einfach ein Jugendlicher, der die Experimente mit seinem Chemiebaukasten übertrieben hat. Alles andere, auch die Variante mit dem "Warnschuß" einer kriminellen Organisation, ist m.E. abwegig. (Doch auch meine Gedanken sind derzeit nur spekulativ und es kann auch gar nicht anders sein!)

Dies waren meine Überlegungen, bis ich die Ausführungen eines Funktionärs der Partei "Jabloko" lesen mußte:
"[...]

Die oppositionelle Jabloko-Partei befürchtet, die Explosion könnte von der Regierung als Anlass benutzt werden, um die oppositionelle Bewegung im Land an den Pranger zu stellen.
Der Vorsitzende der Petersburger Jabloko-Sektion Maxim Resnik gab zu bedenken, dass dies bereits bei der Bombenexplosion im Mac Donald’s-Restaurant am Newski Prospekt geschehen sei. Weil am selben Tag eine Demonstration der Opposition stattgefunden habe, seien sie damals sofort als Urheber für den Anschlag verdächtigt worden, obschon sich später herausgestellt hatte, dass ein Rechtsextremer den Sprengsatz gelegt habe.

[...]"
Wie kommt der Mann nur auf die Idee, einen Zusammenhang zwischen der Politik seiner Partei und dem heutigen Anschlag herzustellen? Diese Idee erscheint doch absurd und sie ist, soweit ich das überblicke, auch in den spekulationsfreudigen russischen Medien bisher nicht erörtert worden. Warum also? Oder waren Resniks Sätze eine freudsche Fehlleistung und die Linksliberalen von Jabloko gehen insgeheim doch schon mit dem Terrorismus schwanger - so wie ihre Gesinnungsgenossen im 19. Jahrhundert?


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Foto: www.vesti.ru.
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