Liegt es einfach an der die Gedanken anregenden Mittelgebirgslandschaft oder gar am genius loci? Seit einigen Monaten bin ich des öfteren in Thüringen unterwegs und habe mich seither wieder einmal intensiver mit dem
Partisanenkampf während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Die Anfänge dieses Interesses liegen schon lange zurück. Prägend dafür waren nicht nur die wenigen Schuljahre in der DDR, sondern auch westeuropäische Schriften. Seien es die Klassiker – etwa von Dachs
„Totaler Widerstand“ und die
„Winke für Jagdeinheiten“ – oder eher analytische Arbeiten wie z.B.
Hahlwegs „Guerilla – Krieg ohne Fronten“,
Schmitts „Theorie des Partisanen“,
von der Heydtes „Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen“ oder
van Crevelds „Zukunft des Krieges“.
Dabei hatte ich die vielfältigen Partisanenaktivitäten an der Ostfront nur wenig beachtet. Zu dicht schien mir lange das Gewirr aus Propagandalügen und Halbwahrheiten, zu sehr legten einige angelsächsische Publikationen der 1990er Jahre nahe, daß es einen auch nur ansatzweise erfolgreichen Partisanenkampf de facto nicht gegeben habe. (Wenn man manche sowjetische Bücher aus der Nachkriegszeit liest, so könnte man fast den Eindruck gewinnen, es habe in manchen Teilen Weißrußlands mehr Partisanen als überhaupt Landeseinwohner gegeben. ;-))
Dazu kam im Zuge der sog. Wehrmachtsausstellung die These, daß deutscherseits die Partisanenbekämpfung (oder zeitgenössisch formuliert: der Bandenkampf) auf dem Gebiet der UdSSR nur ein Vorwand für die Judenvernichtung gewesen sei. Doch die Lektüre eines
Bildbandes sowie die
Forschungen über die Vorbereitung von Untergrundkämpfern für den Fall eines dritten Weltkriegs haben diesen Eindruck verändert. Es muß sowjetischerseits nicht unerhebliche Erfolge gegeben haben, sonst hätte man sich dort nicht noch Jahrzehnte später so intensiv mit dieser Facette der Kriegführung beschäftigt und sie wäre nicht so stark im kollektiven Gedächtnis (insbesondere in Belarus und der Ukraine) haften geblieben.
Von den klassischen
Partisanen – also den (zivilen) Landeseinwohnern, die in die Wälder gegangen sind –, sind analytisch die
Aufklärungs- und Diversionsgruppen zu unterscheiden, die vom militärischen Nachrichtendienst
GRU und vom Staatssicherheitsdienst (
NKWD bzw.
NKGB) zumeist per Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesetzt worden sind. Diese Unterscheidung wurde in der älteren sowjetischen Literatur oft nicht getroffen (hier war die Bezeichnung „Partisan“ sehr umfassend), in der jüngeren russischen hingegen schon. Nachfolgend soll es vor allem um diese Form der Aufklärung, Sabotage und Propaganda gehen, denn das waren die Aufgabenfelder der eingesetzten Gruppen.
Die Verluste der „Raswedtschiki“ (russ. für Aufklärer) waren jedoch beträchtlich. Es hat wohl geradezu legendäre Soldaten und Offiziere gegeben, die zahlreiche Einsätze erfolgreich durchgeführt haben. Doch gerade in der Endphase des Krieges, als sich der Einsatzraum zunehmend auf deutsches Gebiet verlagerte, hatten viele der eingesetzten Gruppen nur geringe Überlebensaussichten. Das kann man etwa auf
dieser Webseite anhand der 1944/45 über Ostpreußen abgesetzten Einheiten erkennen.
Dort und auch in der jüngeren russischen Literatur, die sich von der Propaganda und Geheimnistuerei der Sowjetzeit befreit hat, kann man ein weiteres Detail ersehen: Bereits damals wurden die eingesetzten Spezialeinheiten mit individuell festgelegten Namen bezeichnet, z.B. „Moros“ (dt.: Frost) oder „Pobeditel“ (dt.: Sieger). Dieser Tradition ist man in der RF bis heute treu geblieben – im Geschäftsbereich des Innenministeriums ganz offiziell (z.B.
„Witjas“,
„Rus“, „Pereswet“, „Merkurij“) und im Föderalen Sicherheitsdienst inoffiziell (
„Alfa“,
„Vympel“).
Doch zurück zum Zweiten Weltkrieg. Einen Sonderfall der sowjetischen „Fallschirmagenten“ stellen jene Deutschen dar, die sich in den Dienst der UdSSR gestellt haben, um gegen Hitler zu kämpfen. Seien es bekehrte Kriegsgefangene oder alte Kommunisten, spätestens mit der Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland und dem Vordringen der Roten Armee gen Westen wurden sie für die sowjetische Aufklärung immer wichtiger. Während sie in der DDR-Literatur oftmals als „antifaschistische Widerstandskämpfer“ gefeiert und in der BRD ebenso kritisch gesehen wurden (ausnahmsweise sachlich ist G. Nollau:
„Gestapo ruft Moskau“), ohne daß man allzuviel über ihre konkrete Tätigkeit wußte, hat sich eine Autorin doch Mühe gegeben, daß Schicksal einer solchen Aufklärungsgruppe einigermaßen sachlich nachzuzeichnen. Die Rede ist von
Barbara Neuhaus und ihrem Buch
„Funksignale vom Wartabogen“.
Eine Gruppe von fünf Deutschen springt im August 1944 in der Nähe von
Tschenstochau im
Generalgouvernement mit dem Fallschirm ab. Ihr Auftrag: Aufklärung der deutschen Truppenbewegungen und anderer Ziele, wobei sie sich bis ins Reichsgebiet, nach Berlin, vorarbeiten sollen und sich als Angehörige des
Nationalkomitees Freies Deutschland ausgeben. Ihre Erlebnisse werden von Neuhaus eindringlich geschildert, wobei sie sich erfreulicherweise von früheren DDR-Darstellungen derselben Gruppe abhebt. Es geht ihr nicht mehr um die blinde Glorifizierung. Nicht unproblematisch ist allerdings die gewählte Darstellungsweise. Das Buch ist zwar kein Roman, genügt aber auf der anderen Seite auch nicht den Anforderungen an einen wissenschaftlichen Text.
Zwei darin behandelte Probleme möchte ich hervorheben: Zum einen die Zusammenarbeit der fünf Deutschen mit der Roten Armee und anderen, im gleichen Raum operierenden Aufklärungsgruppen (die hier als Partisanen tituliert werden). Zum zweiten die Verhältnisse im damals als Generalgouvernement bezeichneten Polen. War das Verhältnis vieler Polen, gerade auch der einheimischen Partisanen, zu den fünf Deutschen allein aufgrund ihrer Nationalität sehr angespannt, so scheint es auch einen mehr oder weniger stillen Bürgerkrieg unter den Polen selbst gegeben zu haben. Während sich in der
Volksgarde eher die linken Kräfte sammelten, um mit der UdSSR gegen die deutschen Besatzer zu kämpfen, so waren es in der
Heimatarmee wohl eher die rechten, die gegen Deutschland und die SU gleichermaßen kämpfen wollten. Es wird sogar behauptet, daß antikommunistische Kader der Heimatarmee bisweilen als zu links oder sowjetfreundlich geltende Landsleute der Gestapo in die Hände gespielt hätten. Sollte dieser Vorwurf berechtigt sein, so wäre dies ein Schlag gegen die weit verbreiteten Hagiographien der Heimatarmee.
Das Ende des Kalten Krieges hat zu einer weitgehenden Offenlegung der Archive der am 2. WK beteiligten Staaten geführt. So konnte denn im Jahre 2004 der Sammelband
„Krieg im Äther – Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg“ erscheinen (hrsg. von
H. Schafranek und
J. Tuchel). Darin geht es um den Kampf Deutscher gegen den Nationalsozialismus von außen. Obgleich es auch einige Beiträge über britische oder französische Aktivitäten gibt, befasst sich doch die Mehrzahl auf die eine oder andere Weise mit der Sowjetunion. Sie sind durchweg faktengesättigt und reichhaltig mit Fußnoten versehen.
Für den hier interessierenden Aspekt des Partisanenkrieges sind zwei Texte von besonderer Bedeutung, da die darin enthaltenen Informationen in deutscher Sprache wohl sonst kaum zu finden sind: erstens F. Chaustovs Essay über „Operative Gruppen sowjetischer Fallschirmagenten in den Kriegsjahren“ und zweitens N. Petrovs Abhandlung über die Organisation der Staatssicherheitsorgane und ihre Diversionstätigkeit. Der geneigte deutsche Leser wird hier viel Neues erfahren, wenngleich eine weitere Vertiefung dann wohl nur noch in der russischsprachigen Literatur möglich ist.
Um noch einmal auf das Buch an sich zurückzukommen: Es ist amüsant, wenn im Aufsatz von P. Huber („Sowjetische und parteikommunistische Nachrichtenkanäle in der Schweiz“) – der ansonsten sehr gut ist! – behauptet wird, bestimmte Archivbestände in Rußland seien für die Forschung nicht zugänglich, während ein zweiter Autor (H. Coppi) ausführlich aus eben jenen, angeblich unerreichbaren Dokumenten zitiert.
Der Sammelband darf heute wohl als repräsentativ für den Stand der Forschung gelten.
Gänzlich anders ist der Charakter des dritten hier zu besprechenden Buches:
Waclaw Bilinskis „Der Tod lauert am Wolnapaß“ ist ein in den 1960er Jahren in der DDR erschienener Roman (und nicht mal ein besonders guter, zumindest ist die deutsche Übersetzung ziemlich schlecht), der jedoch ein Schlaglicht auf die Zeit kurz nach dem 2. WK wirft. Die Helden sind
polnische Grenzsoldaten, die sich anno 1946 im Dreiländereck Polen-Tschechoslowakei-UdSSR mit allerlei Banditen herumzuschlagen haben. Am schlimmsten treibt es die
Ukrainische Aufstandsarmee (UPA), die - von den USA wegen ihres Antikommunismus unterstützt - gegen ihre alten und neuen Feinde in Polen und der Sowjetukraine kämpfte. Trotz sowjetischen und polnischen Befriedungsaktionen wie etwa der
Operation „Weichsel“ ist es diesen Partisanen noch bis Anfang der 1950er Jahre gelungen, Unsicherheit zu verbreiten.
Der Roman zeigt, wie sehr in dieser Gemengelage nationale und politische Konflikte miteinander verwoben waren. Erstaunlicherweise spielt die kommunistische Ideologie im Buch so gut wie keine Rolle. Ebenso lassen sich die historisch tatsächlich stattgefundenen Maßnahmen der polnischen Regierung (für die sich m.E. gute Gründe finden lassen) auf Marx oder Lenin zurückführen. Die heute populäre Sicht auf die osteuropäischen Staaten als vollständig moskauhörige Satelliten dürfte insofern stark überzogen sein.
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