Freitag, 23. Oktober 2009

Ostalgie ;-)


Es gehört zu den positiveren Hinterlassenschaften der DDR an das geeinte Deutschland, daß in ihr - gewissermaßen zwangsläufig - die Beschäftigung mit osteuropäischer Kunst und Literatur besonders gefördert wurde. So wurden etwa unzählige Bücher aus der Sowjetunion und anderen Mitgliedsstaaten von Warschauer Vertrag und RGW ins Deutsche übersetzt. Wie es sich gehört, waren darunter auch zahlreiche Berichte über den Zweiten Weltkrieg. Der Militärverlag hat solche u.a. in einer losen Reihe herausgebracht, wobei allein das Layout ein verbindendes Element darstellt (siehe Bilder). In ostdeutschen Antiquariaten sind diese Bücher meist zahlreich vertreten und preiswert erhältlich.

Mit der Auswahl sollte man jedoch vorsichtig sein. Denn einige dieser Schriften, insbesondere, wenn sie aus der SU stammen, sind schwer verdaulich. Entstanden noch vor Glasnost und Perestroika, war es für die sowjetischen Autoren nach wie vor selbstverständlich, die führende Rolle der Kommunistischen Partei zu betonen und in ideologischen Phrasen zu schwelgen. Selbst der große Heerführer Georgij Schukow, dessen zweibändige Memoiren mit dem einfallslosen deutschen Titel "Erinnerungen und Gedanken" (frei nach Bismarck ;-)) die bekanntesten in der hier vorzustellenden Reihe sind, ist (leider) nicht frei davon. So bleibt etwa der Bericht über die Schlacht von Chalchin Gol sehr abstrakt, kommt aber ohne den obligatorischen Kotau vor der Partei nicht aus.

Zwei weitere sowjetische Titel, die m.E. zu den lesenswerteren zählen, sind Viktor N. Leonow: "Auf Vorposten am Nordmeer" und Marina P. Tschetschnewa: "Der Himmel bleibt unser". Leonow berichtet von seinen Einsätzen als Aufklärer der Marineinfanterie an der Front vor Murmansk, in Norwegen und - 1945 - in Korea. Tschetschnewa war Pilotin in einem (nur aus Soldatinnen bestehenden) Nachtbomberregiment (vgl. auch hier und hier). Sie schildert ausführlich ihren Werdegang von den 1930er Jahren bis in die 50er Jahre hinein.



Meine persönlichen Favoriten stammen allerdings nicht aus der UdSSR, sondern aus Ungarn und Bulgarien: erstens Sandor Rado: "Dora meldet" und zweitens Elena u. Dobri Dshurow: "Operationsbasis Murgasch - Partisanen in den Wäldern des Balkans".
Beide Bücher sind spannend geschrieben und lesen sich wie Agentenromane, nur daß ihr Inhalt großteils der Realität entsprechen dürfte. Rado war als Agent des sowjetischen Militärnachrichtendienstes in der Schweiz eingesetzt und u.a. für die Gruppe "Rote Kapelle" zuständig. Sein Leben hat mich schon als Schüler fasziniert, beschreibt er doch, wie er - als überzeugter Kommunist! - in der Schweiz zu einem erfolgreichen Geschäftsmann geworden ist. ;-)
Die Dshurows schreiben ebenfalls eine sehr anschauliche Lebensgeschichte. Vom Leben im Bulgarien der Zwischenkriegszeit, vom Beginn ihrer politischen Tätigkeit, dann dem Weg in den Untergrund und dem zwiespältigen Leben als Partisan.

Das besondere an beiden Titeln ist, daß ihre Autoren zugeben, ein eigenes Leben jenseits der Kommunistischen Partei zu führen. Sie hatten natürlich auch persönliche Gedanken, Ideen und Emotionen - und teilen diese ihren Lesern mit. Das macht die Bücher lebensnah und authentisch, denn viele sowjetische Autoren haben ja so getan, als sei das Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft das höchste der Gefühle und haben ihre Schriften dementsprechend mit den üblichen ideologischen Phrasen verunstaltet. Doch in Ungarn und Bulgarien war man insofern wohl schon immer etwas anders. Natürlich waren auch Rado und die Dshurows Kommunisten, allerdings keineswegs in jenem doktrinären Sinn der späten Sowjetunion. Das macht ihre Autobiographien auch heute noch in zweifacher Hinsicht interessant: einmal als Berichte über den 2. WK, zum anderen als Dokumente über den Zeitgeist während der kommunistischen Ära in Osteuropa.


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