Samstag, 22. Oktober 2011
Hochmut kommt vor dem Fall
Im November 1988 geschah in der DDR etwas unerhörtes, von dem man zuvor geglaubt hatte, dergleichen wäre unmöglich: Die sowjetische Zeitschrift Sputnik wurde aus dem Postzeitungsvertrieb genommen und damit de facto verboten. Bereits 1987 war das Magazin von der Abonnementliste gestrichen worden und somit nur noch an Kiosken erhältlich. Sputnik war ein Digest, der Artikel aus verschiedenen sowjetischen Periodika in deutscher Sprache wiedergab, wobei das Spektrum von ernsten Themen wie Geschichte und Kultur bis zu Kochrezepten und Reiseberichten reichte. Auch gegen andere sowjetische Medien, z.B. die Zeitschrift Neue Zeit, von der mehrere Ausgaben in der DDR nicht ausgeliefert werden durften, ging die SED seit Mitte der 80er Jahre vor. Ebenso wurden sowjetische Filme, die nicht linientreu genug waren, verboten.
Grund des Mißtrauens in Ostberlin waren Beiträge über Michail Gorbatschows Reformpolitik, die unter den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestrojka“ lief. Konkreter Anlaß waren Artikel über bis dahin verschwiegene Verbrechen während der Stalin-Ära, über die nun in der Sowjetunion gesprochen werden durfte. (Die Historikerin Katja Kuhn hat den Fall in ihrer Dissertation dokumentiert; vgl. auch G. Holzweißig: Die schärfste Waffe der Partei, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 147 ff. Es gehört zur Tragik der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, daß sich ihre Funktionäre Ende der 1980er Jahre auf die Seite der SED stellten und somit die vielbeschworene Freundschaft zur SU noch selektiver wurde als zuvor.)
Doch das sah die ostdeutsche Staats- und Parteiführung anders. Eine Verleumdung der UdSSR und eine verzerrende Darstellung ihrer Geschichte dürfe nicht hingenommen werden. Man müsse den DDR-Bürgern ein sauberes Bild der Sowjetunion zeigen, d.h. es sollte im Sinne der SED geschönt werden. Keinesfalls durften z.B. Fragen nach dem Schicksal deutscher Kommunisten gestellt werden, die während ihres Exils in der SU „verschwunden“, also den stalinschen Säuberungen zum Opfer gefallen sind. Dies hätte zwangsläufig auch die Frage nach sich gezogen, weshalb andere wie etwa Walter Ulbricht insofern keine Probleme hatten.
Mit anderen Worten: Die „orthodoxen“ Genossen in Ostberlin meinten, daß der „große Bruder“ seit Gorbatschows Amtsantritt vom rechten Kurs und der reinen Lehre abgekommen sei. Dies steigerte zugleich ihr Selbstbewußtsein gegenüber der SU. Man glaubte, die ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme, die mit Glasnost und Perestrojka angegangen werden sollten, wären auf die UdSSR beschränkt. Hingegen sei der Sozialismus in der DDR weitaus besser aufgestellt; Grund zur Sorge und für Reformen bestehe nicht, denn alles sei in bester Ordnung. Ausdruck dessen war der arrogante Satz Kurt Hagers aus dem Jahre 1987, daß man seine Wohnung nicht renovieren müsse, weil der Nachbar dies tue. Oder, wie Erich Honecker ganz optimistisch meinte: „Den Sozialismus [in der DDR] in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf“.
In der Folge trat ein Hochmut zu Tage, der in der DDR-Führung latent immer vorhanden war. (Schon Ulbricht hatte gelegentlich gegenüber Chruschtschow einen belehrenden, fordernden und überheblichen Ton angeschlagen, sah er sich doch als Parteiveteran.) Zugleich konnte und wollte man die eigene Propaganda nicht über Nacht umstellen, hieß es doch bisher vollmundig: „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“. Mithin wurde versucht, den Ostdeutschen nur noch ganz bestimmte Informationen aus der UdSSR zukommen zu lassen, um ihnen so das Wunschbild von Honecker & Co. zu vermitteln. Dazu zählte die negative Darstellung der Reformpolitik, verbunden mit einer starken Betonung der damit einhergehenden Wirtschaftsprobleme. Ferner wurden etwa neuere Erkenntnisse sowjetischer Historiker verschwiegen, wenn sie der SED nicht paßten.
Somit war die DDR bei den klassischen Methoden der deutschen Rußlandberichterstattung angekommen, die in allen politischen Systemen – auch heute – funktionieren. Selektive Informationsauswahl durch Überbetonung von negativen Ereignissen und Verschweigen von „unpassenden“ Nachrichten, verbunden mit (typisch deutschen?) Überlegenheitsgefühlen und dem Bedürfnis, den anderen zu belehren und ihm z.B. vorzuschreiben, wie er seine eigene Geschichte zu sehen hat. Maßgeblich für eine derartige Informationspolitik waren (und sind) innenpolitische Bedürfnisse, für die ein ganz bestimmtes Bild vom anderen benötigt wird, das nicht zwingend etwas mit der Realität in dem fremden Land zu tun haben muß.
Deshalb überrascht es mich nicht, daß einer der deutschen Journalisten, die mit am eifrigsten an einem negativen Rußlandbild werkeln, seine Karriere als Moskaukorrespondent in der späten DDR begonnen hat. Die Rede ist von Manfred Quiring, dessen Vita ein beachtliches Maß an Anpassungsfähigkeit zeigt. Geboren 1948, von 1969 bis 1973 Studium an der Uni Leipzig, der Kaderschmiede des DDR-Journalismus, von 1982 bis 1987 und 1991 bis 1995 Moskau-Korrespondent der Berliner Zeitung, danach Wechsel zu Springer und für dessen Zeitungen seit 2002 wieder in Rußland tätig.
Jahrelang habe ich mich gefragt, was einen DDR-Journalisten zu solch russophoben Tiraden bringt, wie sie Quiring regelmäßig in der Welt zum besten gibt. Es dürfte nicht nur die Vorgabe seines Verlages sein, die ihn zu seinen negativen Texten treibt. Denn bereits sein erster Aufenthalt in Moskau fiel in eine Zeit, als auch in der DDR das traditionell (und oft übermäßig) positive Bild der Sowjetunion schlechter wurde. Es bliebe noch zu untersuchen, wie Quiring in den 80er Jahren über die SU geschrieben hat. Ich vermute jedoch, er mußte sich nach der „Wende“ nicht allzu sehr wandeln. Damals war der Sozialismus in der DDR dem in der UdSSR überlegen, heute ist es der deutsche Kapitalismus gegenüber dem in der RF.
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