Die seit über zwei Jahren in der Rußländischen Föderation laufende umfangreiche
Militärreform hatte im deutschsprachigen Raum bisher nur ein geringes publizistisches Echo gefunden, das sich auf einige Artikel in Zeitungen und Fachzeitschriften beschränkte. Doch der
Elbe-Dnjepr-Verlag aus Klitzschen bei Leipzig bietet Abhilfe an. Vor kurzem erschienen dort drei Hefte über die
Streitkräfte der RF nach der Streitkräftereform, verfaßt von
Dieter Stammer. Im ersten Band werden die Luftstreitkräfte, Luftverteidigung, Luftlandetruppen, strategischen Raketentruppen sowie die kosmischen Truppen behandelt. Im zweiten Heft geht es um die Marine inklusive der Landeinheiten. Und im dritten werden die Landstreitkräfte, die Inneren Truppen des Innenministeriums sowie die Spezialkräfte der Militäraufklärung behandelt.
So weit, so gut. Der Autor hat es unternommen, sämtliche Militärverbände in Rußland zu katalogisieren. Das ist natürlich sehr interessant – wenn die Informationen denn sämtlich stimmen würden. Leider bleiben bei mir erhebliche Zweifel. So tauchen in seiner Liste Truppenkörper auf, die es in dieser Form laut russischen Quellen nicht mehr gibt (z.B. bei der Marineinfanterie im Heft 2). Oder es werden zweifelhafte Unterstellungsverhältnisse angegeben. Am witzigsten finde ich seine Darstellung der 46. Operativen Brigade der Inneren Truppen, die in Tschetschenien stationiert ist. Laut Stammer verfügt sie über 11 (!) Bataillone, doch sollen in diesen Einheiten lediglich 2.000 Mann Dienst tun (Heft 3/4, S. 40 f.). Das paßt nicht, weshalb man die Zusammenstellungen mit einem gehörigen Stück Skepsis lesen sollte.
Dieser zwiespältige Eindruck setzt sich bei den Bildern und Illustrationen fort. Erfreulich ist, daß die Hefte nicht als monotone Zeichenkolonnen daherkommen, sondern illustriert sind. Wenn dann aber, wie im Heft 3/4 auf Seite 57 oben ein Foto der Sowjetzeit zugeordnet wird (Truppenverlegung nach Afghanistan), obwohl die darauf abgebildeten Flugzeuge eine erst nach 1991 eingeführte Kennzeichnung der RF tragen, dann grenzt das schon fast an Geschichtsfälschung.
Hier hat – wie im gesamten Layout der Hefte – eine ordentliche Lektorierung seitens des Verlages gefehlt. Die Hefte sind bedauerlicherweise mit vielen kleinen Fehlern angefüllt, die (zumindest bei mir) immer zu einem permanenten Mißtrauen gegenüber dem Autor führen.
Einer der Gründe für die inhaltlichen Fehler dürfte darin liegen, daß Stammer seine Quellen nicht nennt. Es findet sich lediglich der kurze Hinweis, daß alle Informationen aus der russischen Presse stammen. Daran zweifle ich nicht, doch dem kritischen Leser ist es damit nicht möglich, Stammers Angaben direkt zu überprüfen. Mithin wird die Lektüre zur Glaubenssache.
Leider kommt die inhaltliche Auseinandersetzung mit den vielen verschiedenen Aspekten der Militärreform zu kurz (was hat sich geändert?). Gänzlich abwegig ist schließlich Stammers Feststellung, daß „Rußland auf einem guten Weg“ sei, „die Traditionen der Sowjetarmee fortzusetzen“ (Heft 1, 4. Umschlag-S.). Damit werden die erheblichen Strukturveränderungen der letzten zwei Jahre – insbesondere die Abkehr von einer großen, auf die Massenmobilmachung ausgerichteten Armee – negiert.
Von den drei hier behandelten Heften bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Positiv ist zweifelsohne der Versuch, das gesamte Militär der RF kompakt darzustellen (wo liegt welche Einheit). Dabei konnte auch ich viele neue Erkenntnisse gewinnen. Doch die vorhandenen Fehler und Mängel schaffen es, dem Käufer der Bände die Lektüre zu verleiden. Sie sind der Glaubwürdigkeit des Autors auf jeden Fall abträglich, zumal man die Herkunft der von ihm verarbeiteten Informationen nicht nachvollziehen kann.
Vor einer unkritischen Lektüre muß dringend gewarnt werden. Man sollte die von Stammer dargebotenen Informationen nach Möglichkeit immer anhand von russischen Quellen prüfen. Deshalb eignen sich die Hefte leider nur bedingt für solche Zeitgenossen, die der russischen Sprache nicht mächtig sind, aber trotzdem etwas über die Streitkräfte der RF erfahren sollen. Insofern existiert nach wie vor eine große Leerstelle.
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