Dienstag, 3. August 2010

Erste WM-Eindrücke


Die ersten vier Wettkampftage der ISSF-Weltmeisterschaft in München sind vorbei und es ist an der Zeit, einige (höchst subjektive) Eindrücke festzuhalten, soweit dies aus der Ferne möglich ist.

Die Schützen aus Deutschland und Rußland haben ein gemeinames Problem: In den prestigeträchtigen Einzelwettbewerben konnten sie bisher keine Medaillen erringen, sondern nur in den oft vernachlässigten Mannschafts- und Juniorenwettkämpfen. Wie sich das für den DSB darstellt, kann man hier nachlesen. (Angesichts der durchaus vorhandenen Erfolge ist es mir schleierhaft, wie einige deutsche Zeitungen schreiben können, die WM wäre ein Desaster für die deutschen Schützen.)

Für die Rußländische Schießsportunion sieht die Bilanz bisher wie folgt aus: Silber für die Luftgewehr-Mannschaft der Männer (1787 Ringe); Bronze in den LG-Einzel- und Mannschaftswertungen der Junioren (Alexander Drjagin - 593; Mannschaft - 1771); Silber für die Juniorenmannschaft mit der Freien Pistole (1625), Bronze in der Mannschaftswertung der Männer im English Match (1790) sowie, als bisher beste Plazierungen, Gold und Silber für die Junioren beim Schießen auf die Laufende Scheibe (Jurij Dowgal - 567, Alexander Naumenko - 566).
Manche russischen Spitzenschützen hatten einfach Pech, wenn sie sich wie Wladimir Gontscharow (5. mit der FP) und Denis Sokolow (6. mit dem LG) im Finale geschlagen geben mußten. Tragisch ist es schon, wenn ein Artjom Chadshibekow das Finale im English Match als 9. des Hauptwettkampfes knapp verpaßt. (Die Leistungsdichte bei dieser WM ist enorm.) Das Abschneiden von Ljubow Galkina mit dem LG (87. mit 390 von 400 Ringen) ist nur noch enttäuschend.



Demgegenüber haben andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion in München aufgetrumpft. Mehrere Medaillen gingen in die Ukraine, Wjatscheslaw Podlesnij aus Kasachstan gewann Bronze mit der Freien Pistole und Sergej Martinow aus Belarus errang erneut den Weltmeistertitel im English Match. Die ISSF-Presseabteilung schreibt dazu:

"[...]

42-year old Belarusian shooter Sergei Martynov won his second consecutive World Championship title in the 50m Rifle Prone men event today, securing an Olympic Quota Place, a pass to the London 2012 Olympic Games.
The two-time Olympic Bronze medallist of Sydney and Athens finished on the highest step of today’s podium with a total score of 703.9 (599+104.9) points after a spine-chilling last shot.

After leading the qualification rounds with 599 points, and shooting an average higher than 10.5 per shot throughout the first part of the match, Martynov fired a frustrating 9.8-point last shot, finishing in first with just one tenth of a point of advantage over the Silver medallist Sauveplane of France (which means less than one millimetre of difference on a target set 50 meter far from them).

By winning his second consecutive title four years after the 2006 ISSF World Championship in Zagreb, Martynov also become the first-ever ISSF World Championship multi-medallist in the 50m Rifle Prone Men event: nobody, before Martynov, had ever been able to win two WCH medals in this competition.

“Of course I am happy. But I have to admit that I am somehow used to win: this is not my first victory!” Said the shy Belarusian athlete to the EBU cameras right after the last, breathtaking shot “This tile means to me that I am not too old to compete in the next Olympic Games!” concluded Martynov, who will be 44-year old in 2012.

[...]"


Martinows Sieg belegt nicht nur, daß auch ältere Herrschaften erfolgreiche Schützen sein können, sondern zeigt auch, daß man in einer solchen Position nicht auf Stil verzichten muß. Was meine ich damit? Vor etwa zwei Jahren war ich an einer Diskussion beteiligt, in der es darum ging, warum moderne Sportwaffen so häßlich sein müssen. Metall und andere Werkstoffe haben das traditionelle Holz etwa bei der Schaftfertigung weitgehend verdrängt, was mit der besseren Verstelbarkeit usw. begründet wird. Damals hatte ich (als bekennender Holzfetischist ;-)) dafür plädiert, nach Kompromissen zwischen Funktionalität und Ästhetik zu suchen. Und das WM-Finale gibt mir recht: Die Gewehre mehrerer Schützen sahen nicht aus wie orthopädische Gehhilfen, sondern verfügten als "richtige" Gewehre über einen Holzschaft. Darunter war auch das Anschütz-Gewehr des neuen Weltmeisters Martinow. Er war im Finale nicht die einzige, der an seiner Waffe auf hypermodernen Schnickschnack verzichtet hat. Trotzdem hat es ihm nicht zum Nachteil gereicht. :-)

Interessant ist auch die schon am Sonntagmorgen gestellte Frage, welche Waffen in der Disziplin Freie Pistole verwendet werden. Igor Ruljow hat dazu drei nette Statistiken erstellt: siehe hier, hier und hier. Fazit: Der nicht mehr produzierte russische Klassiker TOZ-35 ist nach wie vor gut vertreten, verliert aber langsam im Erwachsenenbereich an Boden. Von den drei Medaillengewinnern im Einzelwettkampf hat niemand eine TOZ verwendet, jedoch war sie unter den acht Finalteilnehmern immerhin zweimal vertreten, sofern ich das im Video richtig erkennen konnte.



Besonders erfreulich ist das offenbar große Zuschauerinteresse auf der Schießanlage in Hochbrück. Bleibt zu hoffen, daß die WM eine positive Außenwirkung auf die breite Öffentlichkeit entfaltet.

Bleibt zum Schluß noch ein kurzer Blick auf die Arbeit der deutschen Medien. Während es etwa im russischen Fernsehen Live-Übertragungen aus München gibt, können sich hierzulande manche Printmedien wie z.B. die Mitteldeutsche Zeitung nur zu zwei (!) Kurzmeldungen durchringen, die von Agenturen stammen (vgl. hier). Gleichzeitig werden dort jedoch Artikel über Vereinsinterna kroatischer Fußballclubs abgedruckt, als ob das hierzulande jemanden interessieren würde. So tut man alles dafür, den Schießsport als angebliche "Randsportart" wirklich an den Rand auch der öffentlichen Wahrnehmung zu drängen und so die mühsam aufgebaute waffenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung zu erhalten. Dies hat nichts mit den bisher ausbleibenden Großerfolgen des DSB zu tun, denn auch über die "kleinen" Medaillen könnte man berichten. Vielmehr ist diese Verweigerung simpler Sportberichterstattung die Fortsetzung der waffenbesitzerfeindlichen Kampagnen mit den Mitteln des hier in Sachsen-Anhalt herrschenden Pressemonopols.



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Fotos: 1+2 - Sergej Martinow bei der Siegerehrung und zuvor auf dem Schießstand; 3 - Wjatscheslaw Podlesnij und der zweitplazierte Südkoreaner Lee Daemyung im FP-Finale; 4 - Silbermedaillengewinner Valerian Sauveplane und Martinow (mit einer denkwürdigen Beinhaltung) im Wettkampf (Quelle: ISSF).
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