Mittwoch, 17. Februar 2010

Spetsnaz III: Der FSB nach 1991

Zeit der Wirren 1: Jeden Monat ein neuer Geheimdienst

Die Entwicklung der Nachrichten- und Sicherheitsdienste im postsowjetischen Rußland ist ein schwieriges und sehr komplexes Thema. Noch im Dezember 1991 wurde das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR aufgelöst, an seine Stelle trat ein kurzlebiger „Zwischenrepubliks-Sicherheitsdienst“, von dem man hoffte, daß er im Rahmen der neugegründeten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) erhalten bliebe. Dem war jedoch nicht so, obwohl sich im GUS-Vertrag auch Bestimmungen über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, etwa im Bereich der Grenzsicherung, finden. Bereits vor dem formellen Ableben der SU waren in den sich nach und nach für unabhängig erklärenden Unionsrepubliken eigene Sicherheitsbehörden entstanden, die zumeist aus den dort angesiedelten vormaligen KGB-Diensteinheiten bestanden. (Dieser Vorgang lief bei den Streitkräften analog ab.)

In der Rußländischen Föderation liefen verschieden Organisationsentwicklungen parallel, deren wichtigstes Merkmal darin bestand, daß im Ergebnis der mächtige Apparat des KGB zerschlagen und in zahlreiche Einzelbehörden aufgespalten wurde. Dabei nahm man die Spitze des KGB weg und verselbständigte i.d.R. die auf der darunterliegenden Hierarchieebene befindlichen Organisationseinheiten. So wurde z.B. aus der 1. Hauptverwaltung des KGB später der Dienst für Auslandsaufklärung (SWR).
Nachfolgend einige Eckdaten der Entwicklung in Rußland im Hinblick auf die „inneren“ Nachrichten- und Sicherheitsdienste: 26.11.1991-24.01.1992 Agentur für föderale Sicherheit der RSFSR; 24.01.1992-21.12.1993 Ministerium für Sicherheit der RF; 21.12.1993-12.04.1995 Föderaler Dienst für Spionageabwehr der RF (FSK). Im Frühjahr 1995 hatte zumindest auf dieser Strecke Präsident Jelzins dauerndes Herumexperimentieren mit den Sicherheitsbehörden ein Ende: An die Stelle der letztgenannten Behörde ist der Föderale Sicherheitsdienst der RF (FSB - russ.: Federalnaja Slushba Besopanosti) getreten und existiert bis heute.

Nachfolgend soll diese Behörde so skizziert werden, wie sie sich heute darstellt, d.h. ich werde auf die Schilderung von Details der Entwicklung seit 1995 verzichten.



Die Lubjanka, das Hauptquartier des FSB im Zentrum Moskaus.


Aufgaben des FSB

Durch Art. 8 des Föderalen Gesetzes über den FSB sind der Behörde folgende Aufgaben zugewiesen worden: Spionageabwehr, Bekämpfung des Terrorismus, Bekämpfung der (organisierten) Kriminalität, Schutz der Staatsgrenze, Auslandsaufklärung (im Zusammenwirken mit dem SWR) und die Gewährleistung der Informationssicherheit.
Der FSB erfüllt mithin sowohl polizeiliche als auch nachrichtendienstliche Funktionen und läßt sich insofern am ehesten mit dem amerikanischen FBI vergleichen (vorab: der Grenzschutz spielt innerhalb des FSB eine Sonderrolle). Oder, wem der Vergleich mit deutschen Sicherheitsbehörden lieber ist: Der FSB entspricht gewissermaßen einer Kombination aus BKA, Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik – plus dem alten BGS.

Wichtig ist ferner, daß es sich beim FSB um eine föderale Behörde (zu Deutsch: eine Bundesbehörde) handelt, d.h. die Föderationssubjekte der RF (die den deutschen Ländern entsprechen) haben hier nichts zu melden, während sie auf die Innenbehörden und die Miliz einen großen Einfluß ausüben.

Organisation des FSB

Die Struktur des FSB ist nur in groben Zügen bekannt. Neben der Zentrale in Moskau und den dort angesiedelten Abteilungen existieren Verwaltungen in jedem Föderationssubjekt, die ggf. über zusätzliche lokale Dienststellen verfügen. Dazu kommen Abteilungen für die Spionageabwehr in den Streitkräften. Unterstützt werden diese (und weitere, selbständige Organisationseinheiten) von einem ganzen Apparat von „Servicediensten“: Ausbildungseinrichtungen, Spezialeinheiten, Fliegerkräfte, Medizinischer Dienst, Versorgungsdienst usw. usf.

Eine Sonderrolle spielt der Grenzschutzdienst. Von 1993 bis 2003 war er eine selbständige, direkt dem Präsidenten der RF unterstellte Behörde. Im Zuge von Putins Geheimdienstreform ist er jedoch dieses Status’ verlustig gegangen und dem Direktor des FSB unterstellt worden. Soweit bekannt, verfügt der Grenzschutz jedoch innerhalb des FSB nach wie vor über eine eigene Organisationsstruktur. D.h. er ist nicht in die übrigen Organe des FSB integriert, sondern diesem nur insgesamt unterstellt. Dabei fungiert der Chef des Grenzschutzes zugleich als stellvertretender Direktor des FSB.
Ebenfalls 2003 wurde die vormals selbständige Behörde FAPSI, die u.a. für Telekommunikationsaufklärung zuständig war, zwischen dem SWR, dem FSO und dem FSB aufgeteilt (daher kommt die Aufgabe Informationssicherheit).

Amtliche Daten zur Personalstärke des FSB werden m.W. nicht publiziert. In diversen Publikationen kursiert eine Zahl von 350.000 Mitarbeitern, ohne daß auf deren Herkunft oder Zusammensetzung näher eingegangen würde. Deshalb erscheint sie mir zu hoch. Eine russische Quelle spricht hingegen von 66.200 Mitarbeitern im eigentlichen „Kern-FSB“ plus 165.000 Mann im Grenzschutzdienst. Das wären dann zusammen 231.200 Mitarbeiter in der gesamten Behörde.

Heute ist der FSB m.E. die wichtigste Sicherheitsbehörde der RF, wenn es um die Bewältigung der aktuell drängenden Sicherheitsprobleme wie Terrorismus oder organisierter Kriminalität geht. Der jeweilige Direktor des FSB – derzeit General Alexander Bortnikow – ist nicht nur einem Minister gleichgestellt (hat also Kabinettsrang), sondern steht zugleich dem Nationalen Anti-Terror-Komitee, einer Art interministeriellen Arbeitsgruppe, vor.



Die bisherigen Ausführungen sollten genügen, um den FSB grob einordnen und auch die Stellung der Spezialeinheiten dieser Behörde einigermaßen verstehen zu können. Denn denen wollen wir uns jetzt wieder zuwenden. (Insofern ist außerdem zu bedenken – das sei hier nur am Rande vermerkt –, daß im Geschäftsbereich des Innenministeriums [MWD] ebenfalls zahlreiche Spezialeinheiten existieren. Diese werden das Thema späterer Beiträge der Spetsnaz-Reihe auf Backyard Safari sein.)

Der Weg von „Alfa“ nach 1991

Soweit ich das nachvollziehen kann, verlief der Weg von Alfa nach dem Ende der SU etwas weniger chaotisch als der ihrer Kollegen von Vympel (s.u.). Zunächst gehörte die Einheit zum Zwischenrepubliks-Sicherheitsdienst, dann zum Sicherheitsministerium der RF, später zum FSK (wo sie wohl, zumindest temporär, auch zur Hauptverwaltung für Bewachung [GUO] zählte), dann ab 1995 zum FSB. Der organisatorische Rahmen scheint somit relativ stabil gewesen zu sein, das Aufgabenfeld der Einheit – Terrorismusbekämpfung – blieb unverändert und sie hatte auf diesem Feld auch gut zu tun.



Zeit der Wirren 2: „Vympel“ nach 1991

Die erste Hälfte der 1990er Jahre war für die Angehörigen der einstmals auf Auslandseinsätze spezialisierten Gruppe „Vympel“ besonders chaotisch. Ende 1991 wurden sie zunächst in die Sicherheitsagentur der RSFSR und danach in das Sicherheitsministerium der RF übernommen. 1992 wurde die Einheit der für Bewachungsaufgaben zuständigen Behörde GUO unterstellt (selbige hing damals noch formell am FSK, wurde später eigenständig und ist 2003 im Föderalen Bewachungsdienst [FSO] aufgegangen). Während dieser Episode änderte sich das Aufgabenprofil von Vympel. Schwerpunkt war nun der Schutz strategisch wichtiger Objekte (z.B. Atomkraftwerke) gegen terroristische Angriffe – schließlich wußten diese Männer, wie man solche Attacken optimal durchführt.

Im Dezember 1993 verfügte Jelzin, daß Vympel ins Innenministerium überführt werden soll. Von den damals knapp 500 Angehörigen der Gruppe waren jedoch nur 57 bereit, diesen Weg zu gehen; sie bildeten später im MWD die Spezialeinheit „Wega“. Rund 150 Offiziere verblieben bei der GUO und wurden Personenschützer oder sie wechselten zu einem der anderen Nachrichtendienste. Viele ließen sich auch entlassen oder pensionieren. Unter ihnen wurde ein anderes, selbst für die damaligen Verhältnisse extrem kurzlebiges Projekt geplant: die Bildung einer neuen, direkt und ausschließlich dem Präsidenten der RF unterstellten Spezialeinheit. Es sollte bei der Idee bleiben, obwohl eine solche Einheit hervorragend in die chaotische Zeit gepaßt hätte, in der es wohl Dutzende Behörden gab, die allein dem Präsidenten verantwortlich waren (zumindest in der Theorie).

Das Ende des Kalten Krieges hatte die bis dahin bestehende Einheit Vympel überflüssig gemacht und das verbliebene Personal suchte nun händeringend nach einer neuen, qualifizierten Beschäftigung. Infolge des skizzierten organisatorischen Hickhacks war die alte Einheit ohnehin de facto zerschlagen worden, auch wenn einige Reste noch da und dort fortbestanden. Die einzige organisatorische und personelle Kontinuität zwischen der alten Vympel-Gruppe und der heutigen Spezialeinheit gleichen Namens stellt die bereits genannte Einheit Wega dar. Im August 1995 ordnete Präsident Jelzin an, daß Wega fortan zum FSB gehören soll – wo Alfa schon lange angekommen war. Seit diesem Zeitpunkt heißt die Einheit auch wieder Wympel bzw., in der offiziellen Version, Verwaltung „W“ (manchmal auch als „V“ transkribiert).

An dieser Stelle ging es mir erst einmal nur um die Organisationsentwicklung. Die Einsätze von Alfa und Vympel/Vega nach 1991 und die weitere Entwicklung der Einheiten, insbesondere die Bildung des Zentrums für Spezialaufgaben (ZSN) im FSB, werden im IV. Teil dieser Reihe behandelt.



Stärkere Regionalisierung der Spezialkräfte

Dieser Beitrag wäre unvollständig, wenn er nicht jene Spezialkräfte des FSB zumindest erwähnen würde, die formell zwar nicht zu Alfa oder Vympel gehören, aber dennoch einen Gutteil der Anti-Terror-Arbeit, auch im brenzligen Nordkaukasus, leisten.

Im August 1995 wurde die fünf Jahre zuvor unter der Überschrift „Anti-Terror-Schirm“ begonnene Aufstellung von über das Land verteilten Spezialeinheiten des KGB (später des FSB) fortgesetzt. Gemäß einem Erlaß des Präsidenten begann man in mehreren territorialen Verwaltungen des FSB mit der Bildung von Regionalen Spezialdiensten (RSSN) bzw. Regionalen Spezialabteilungen (ROSN) – und zwar in St. Petersburg, Murmansk, Woronesh, Krasnodar (mit Zweigstellen in Sotschi und Noworossijsk), Rostow am Don, Jekaterinburg, Nowosibirsk, Krasnojarsk, Irkutsk, Chabarowsk, Wladiwostok, Wolgograd und Nishnij Nowgorod. Berichten zufolge verfügen mittlerweile auch manche Grenzschutzbehörden über eigene Spezialkräfte in Form eines RSSN bzw. einer ROSN.

Dabei bildete man in Krasnodar, Jekaterinburg und Chabarowsk die seit 1990 bzw. 1984 bestehenden Filialen von Alfa um; in den übrigen Regionen waren es hingegen Neuaufstellungen. Seither tragen die regionalen Spezialkräfte einen großen Teil der Arbeitslast und es muß nicht mehr wegen jeder „Kleinigkeit“ Alfa-Personal aus Moskau eingeflogen werden. In ihrer Qualifikation stehen sie, sofern man verschiedenen Wettkampfberichten Glauben schenken darf, ihren Kameraden von Alfa in nichts nach. Genaue Angaben über die Stärke der einzelnen ROSN bzw. RSSN sind mir nicht bekannt; selbige dürfte jedoch, wenn man die Gesamtorganisation betrachtet, eher im niedrigeren zweistelligen Bereich liegen.



Bibliographie

BMI (Hrsg.): Verfassungsschutzberichte des Bundes 2004, Berlin 2005.

BMI (Hrsg.): Verfassungsschutzberichte des Bundes 2008, Berlin 2009.

F. Barmin: Speznas cholodnoj wojny, in: Bratischka 8/2009, S. 46 ff.

P. Ewdokimow: Polkownik Speznasa, in: Bratischka 1/2010, S. 8 ff.

R. Faruschkin / A. Musijenko: Totschen-snatschet shiw, in: Bratischka 11/2009, S. 2 ff.

Federal Border Service, o.o. o.J.

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Kalendar „Bratischki“, in: Bratischka 1/2010, S. 79.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (1), in: Bratischka 8/2007, S. 14 ff.

G. Sajzew / P. Ewdokimow: Gruppa krowi „A“ (2), in: Bratischka 9/2007, S. 32 ff.


Wikipedia: FSB (russ.), FSK (russ.), MSB (russ.), MB (russ.), AFB (russ.), Border Guard Service (eng.).


Die Bilder 2 bis 6 zeigen Spezialkräfte des FSB bei einer Übung im Kaliningrader Gebiet im Juli 2009. Die genaue organisatorische Zuordnung ist mir leider nicht bekannt.


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Fotos: isidro2007, RIA Nowosti.
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