Freitag, 20. Mai 2011

Die ukrainischen Nationalisten

Der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, inspiziert die großteils aus ukrainischen Freiwilligen gebildete 14. Waffen-Grenadier-Division der SS "Galizien".


Im April haben die Kollegen vom Jagdwaffennetz einen Artikel über den "ukrainischen und baltischen Widerstand unter sowjetischer Besetzung" publiziert. Da das Thema auch meine Forschungsinteressen berührt, sehe ich mich genötigt, nachfolgend einige Anmerkungen zu machen, die sich nur auf die Ukraine beziehen.

Das Problem der ukrainischen Nation

Die Ukraine in ihrer heutigen Gestalt hat ein Problem mit ihrer Identität. Niemand weiß so recht, was den "typischen Ukrainer" ausmacht. Ist es die nach der Auflösung der UdSSR begründete Staatsbürgerschaft des neuen Staates? Oder ist es vielmehr die kulturelle, sprachliche und z.T. auch konfessionelle Identität der "Kleinrussen", insbesondere in jenen Landesteilen, die vor 1918 zu Österreich-Ungarn gehört hatten? Insofern ließe sich vielleicht besser von einem westukrainischen Nationalismus sprechen. Ausdruck dessen ist die regelmäßig festzustellende Spaltung des Landes, etwa bei Wahlen.

Stepan Bandera

Bandera, einer der bekanntesten Führer von OUN und UPA, ist auch in der Ukraine mitnichten ein vollumfänglich verehrter Nationalheld, auch wenn der frühere Präsident Juschtschenko ihm diesen Titel posthum verliehen hat. Seine Anhängerschaft beschränkt sich weitgehend auf der Westteil des Landes.


Gedenkgottesdienst für Stepan Bandera im Jahr 2010.


OUN/UPA und Juden

Dieses Thema sollte man nicht auf die Frage verengen, ob und wenn ja, inwieweit Angehörige des Bataillons "Nachtigall" im Sommer 1941 an Pogromen in Lemberg beteiligt waren. Unstrittig ist, daß es dort nicht nur zur Ermordung von Gefangenen durch die abziehenden sowjetischen Sicherheitskräfte gekommen ist. Vielmehr hat es in Lemberg wie an zahlreichen anderen Orten in der Westukraine mehr oder minder spontane Pogrome gegen jüdische Einwohner gegeben. Diese Pogrome wurden nach derzeitigem Forschungsstand zwar i.d.R. nicht direkt von den Deutschen initiiert, aber wohlwollend geduldet. Zweifelsohne haben OUN-Aktivisten und -Sympathisanten dabei eine maßgebliche Rolle gespielt, war doch der Antisemitismus einer der Eckpfeiler ihrer Ideologie.
(Vgl. auch Breitman/Goda, S. 74 f., 90; das Thema wird derzeit gründlich erforscht, entsprechende Publikationen sind geplant.)

Ferner darf die Rolle von OUN-Mitgliedern, insbesondere aus dem Zweig von Andrej Melnik, in der von den Deutschen gebildeten ukrainischen Verwaltung und Polizei ("Schutzmannschaft") nicht unterschätzt werden. Hier haben sie ihrem Haß auf den "jüdischen Bolschewismus" freien Lauf lassen und an der Judenvernichtung mitarbeiten dürfen. Für Taten in diesem Zusammenhang wurde in München kürzlich John Demjanjuk zu einer Haftstrafe verurteilt. Des weiteren haben Tausende Westukrainer in der 14. SS-Waffen-Grenadier-Division "Galizien" gedient. Diese waren zahlreich an Kriegsverbrechen beteiligt. Hinzu kommt das spätere Vorgehen von Kämpfern der UPA gegen Juden, als erstere schon nicht mehr in deutschen Diensten standen.

OUN/UPA und Polen

Der bewaffnete Kampf der ukrainischen Nationalisten richtete sich selbstverständlich auch gegen den polnischen Staat, beherrschte dieser doch einen Teil des ukrainischen Territoriums. Polen stellte dort - traditionell - die Oberschicht. So wurde Bandera im Jahre 1934 wegen der Beteiligung an einem Attentat auf den polnischen Innenminister zum Tode verurteilt. Dementsprechend negativ fiel die amtliche polnische Reaktion auf den Heldentitel für Bandera aus.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden von der UPA Gruppen des polnischen Untergrundes bekämpft. Ab 1943 sind UPA-Kämpfer, nachdem die meisten Juden weg waren, auch verstärkt gegen die polnische Bevölkerung in "ihren" Gebieten vorgegangen sind. Heute würde man das wohl als ethnische Säuberung bezeichnen. Deshalb war ich überrascht, als das Jagdwaffennetz davon sprach, UPA und Heimatarmee hätten miteinander kooperiert. Womöglich handelt es sich um eine nachträgliche "Geschichtsglättung" aus der Zeit des Kalten Krieges, als es darum ging, frühere Feindschaften dem Kampf gegen den Kommunismus unterzuordnen.

In seiner Position zum ukrainischen Nationalismus hat sich der polnische Staat der Jahre 1944 ff. nicht von dem vor 1939 unterschieden. Um den Aufstand der UPA niederzuwerfen, wurden u.a. Ukrainer aus den östlichen Gebieten der Volksrepublik Polen im Rahmen der Aktion "Weichsel" in andere Landesteile deportiert.

OUN/UPA und ausländische Nachrichtendienste

Die ukrainischen Nationalisten hatten nach 1945 kaum Schwierigkeiten, sich im beginnenden Kalten Krieg auf die richtige Seite zu schlagen. Ihr Feind blieb der gleiche, auch wenn es jetzt untunlich war, weiter gegen Juden zu agitieren. Und die amerikanischen Nachrichtendienste griffen zunächst dankbar auf die erfahrenen Widerstandskämpfer/Terroristen zurück, um Aufklärungs- und Kampfaufträge innerhalb der UdSSR auszuführen. Die US-Dienste zogen sich jedoch recht bald von Bandera zurück, den sie für nicht vertrauenswürdig hielten. Zudem finde seine Ideologie innerhalb der Ukraine kaum noch Unterstützung. Statt dessen setzten die USA auf andere Fraktionen der ukrainischen Emigration, während Bandera vom britischen MI 6 eingespannt wurde.
(Ausführlich hierzu Breitman/Goda, S. 73 ff.)


Aktivisten der OUN-Nachfolgeorganisation Kongreß ukrainischer Nationalisten zeigen den Hitlergruß.


Annotierte Bibliographie

Breitman, R. / Goda, N.: Hitler's Shadow - Nazi War Criminals, U.S. Intelligence and the Cold War, hrsg. v. Nationalarchiv der USA
(ein Kapitel über die ukrainischen Nationalisten im 2. WK und den Jahren des kalten Krieges)

Figes, Orlando: Die Tragödie eines Volkes - Die Epoche der russischen Revolution 1891-1924, Berlin 2008
(Herausbildung der ukrainischen Identität im 19. Jahrhundert)

Rossolinski-Liebe, Grzegorz: The "Ukrainian National Revolution" of 1941 - Discourse and Practice of a Fascist Movement, in: Explorations in Russian and Eurasian History, vol. 12, no. 1 (Winter 2011), S. 83 ff.
(Ideologie und Struktur der OUN 1941)

Schünemann, Manfred: Zur aktuellen Situation in der Ukraine, 17.11.2010

Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus - Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991, Köln 2002
(sehr umfangreiche Darstellung über u.a. antikommunistische Emigrantengruppen, deren Innenleben, Aktivitäten einschließlich Propaganda sowie die Finanzierung und Steuerung durch amerikanische Dienststellen)



Ukrainische Nationalisten stören in Lemberg die Gedenkveranstaltungen anläßlich des Kriegsendes am 09.05.2011


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