Freitag, 19. September 2008

Schießsport und Schule


Manchmal habe ich den Eindruck, die Deutschen würden nicht mehr "richtig ticken", so weit sind absurde Auffassungen bezüglich verschiedenster Themen schon zum gesellschaftlichen und medialen Konsens geworden. Denn auch hierzulande scheint mittlerweile die früher - vor allem auf dem Land - selbstverständliche Stellung der Schießsportvereine unterminiert zu werden. Aus den USA kennt man ja schon Schulen und Universitäten mit einer "No-Gun-Policy", wodurch dort z.T. sogar die Ausbildung von Reserveoffizieren zurückgefahren werden mußte. Auch in Deutschland reagieren Politiker und Pädagogen zunehmend allergisch auf den Schießsport.

Eines der aufsehenerregendsten Beispiele hierfür hat sich anno 2002 im sachsen-anhaltischen Zscherndorf zugetragen.

1. Akt: Der örtliche Schützenverein verfügte bis dato über keinen eigenen Schießstand und wollte nun - mit Unterstützung des Gemeinderates - im Keller der örtlichen Schule einen solchen einrichten. Dagegen regt sich Widerstand bei einigen Eltern und Lokalpolitikern, der mit dem Verweis auf den Erfurter Amoklauf begründet wurde. Hintergrund dürften auch persönliche Animositäten gewesen sein: der oberste Elternaktivist war zugleich Vorsitzender der CDU-Fraktion im Gemeinderat, der Vorsitzende des Schützenvereins war stellvertretender Bürgermeister.

"[...]

Die Pläne des Zscherndorfer Schützenvereins, im Keller der Grundschule einen Schießstand einzurichten, sind auf heftige Kritik des Kreiselternrates gestoßen. Nach dem Amoklauf von Erfurt sei es unsensibel, ausgerechnet eine Schule auszusuchen, sagte Vorsitzender Georg Kuropka der MZ. [...]
Der Streit um den Schießstand ist auch ein Streit innerhalb des Gemeinderates. Denn Kuropka sitzt der CDU-Fraktion vor. Der Präsident des Schützenvereins, Wolfgang Henschel (parteilos), ist stellvertretender Bürgermeister in Zscherndorf. Der Rat hatte in der vergangenen Woche mehrheitlich beschlossen, die Pläne der Schützen zu unterstützen, will dafür allerdings kein Geld bereit stellen.

Henschel kann die Aufregung des Elternrates nicht verstehen. Wie er gegenüber der MZ gestern sagte, habe der Verein bisher kein eigenes Domizil, sondern sei gezwungen, zum Training nach Bitterfeld, Greppin oder Raguhn auszuweichen. Der Keller der Schule biete die Möglichkeit, drei bis vier Schussbahnen einzurichten und eine Bahn für Druckluftwaffen. Geschossen werden solle dort mit so genannten Kurzwaffen, also Sportpistolen und Revolvern. Henschel: "Wir haben uns mehrere Räume angesehen." In Frage komme nur der Schulkeller, schon wegen seiner dicken Wände, die Lärm nicht nach außen ließen.
Henschel sagte, das Geschehen von Erfurt sei schlimm und habe dem Ruf der Sportschützen geschadet. Der Erfurter Todesschütze war Mitglied in einem Schützenverein. Es sei ihm klar gewesen, so der Präsident, dass es Kritik an dem Vorhaben geben werde. Man solle die Kirche aber im Dorf lassen. "Für zunehmende Gewalt in der Gesellschaft sind bestimmt nicht die Schützenvereine verantwortlich zu machen." Da solle man eher bei Videospielen und Gewaltdarstellungen im Fernsehen ansetzen, riet Henschel.

"Es gibt nichts, das für die Pläne des Schützenvereins spricht", sagte hingegen Kuropka. "In Erfurt wurden Menschen in der Schule erschossen und hier soll das Schießen in der Schule geübt werden", empörte er sich. Schulleiterin Elvira Springer zeigte Verständnis für solche Bedenken. Letztlich sei aber gegen einen Schießstand auch in der Schule nichts einzuwenden, wenn alle Vorschriften eingehalten würden. "Es muss sicher sein, dass die Kinder da nicht ran können." Henschel sicherte zu, dies werde der Fall sein. Waffen und Munition dürften dort gar nicht gelagert werden. Training solle nur außerhalb der Unterrichtszeiten stattfinden. "Vielleicht zwei bis dreimal pro Woche, nachmittags und abends." [...]"

2. Akt: Was als Lokalposse begonnen hat, weitet sich zum Politikum aus. Neben dem Kultusminister tritt auch Innenmister Jeziorsky (ebenfalls CDU) - seines Zeichens selbst aktiver Sportschütze - mit Kritik auf den Plan. Die Begründung ist ebenfalls "Erfurt".

"[...]

Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) will es genau wissen. Bis heute 13 Uhr erwartet er einen Bericht des Regierungspräsidiums Dessau. Gegenstand des ministeriellen Interesses sind die Vorgänge in der Gemeinde Zscherndorf (Landkreis Bitterfeld). Dort will der ortsansässige Schützenverband in der Grundschule einen Schießstand einrichten (die MZ berichtete).
"Nach dem tragischen Geschehen in Erfurt ist ein solches Ansinnen mindestens höchst unsensibel", sagte Ministeriumssprecher Matthias Schuppe. Der Minister wolle sich nun umgehend Bericht über die Auffassung des Schulträgers, über waffenrechtliche Details sowie über emissionsschutz-rechtliche Fragen erstatten lassen. Auch müsse geprüft werden, ob es sich bei dem Vorhaben um eine Nutzungsänderung handelt. [...]

Schulleiterin Elvira Springer zeigt zwar Verständnis für Bedenken, hat aber gegen einen Schießstand in der Schule nichts einzuwenden, wenn alle Vorschriften eingehalten werden.
Genau drauf wird der Innenminister jetzt wohl genauestens achten. Inzwischen nämlich gibt es auch außerhalb Sachsen-Anhalts Fragen zu den Zscherndorfer Plänen."

"[...]

[Bürgermeister] Burgahn und seine Gemeinderäte stehen erheblich unter Druck, seit sie beschlossen haben, das Ansinnen des Schützenvereins zu unterstützen. Der scharfen Kritik des Kreiselternrates und des Innenministeriums schlossen sich gestern auch Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) und der Bitterfelder Landrat Uwe Schulze (CDU) an. Olbertz sprach gegenüber der MZ von einem "Mangel an gesellschaftlicher Sensibilität", von dem er überrascht und verärgert sei. In einem Brief an Burgahn verlangte er, die Entscheidung des Gemeinderates zu korrigieren. Das forderte auch Schulze - der Bürgermeister reagierte prompt."

3. Akt: Unter dem massiven politischen und medialen Druck gibt der Schützenverein schließlich auf und verzichtet auf das Vorhaben.

"[...]

"Wir bedauern den ... Medienrummel, welcher für unsere Gemeinde und die Mehrheit des Gemeinderates einen erheblichen ideellen Schaden verursacht hat." Es sei verständlich, "dass dieses mit dem Vorgang in Erfurt in Zusammenhang gebrachte Informationsgeschehen derartige Emotionen ... auslösen muss".
Auf Nachfrage der MZ sagte Henschel, er beziehe sich damit auf die Berichterstattung "ohne Sach- und Fachverstand". Man könne über das Vorhaben "jetzt nicht mehr sachlich diskutieren", es sei "unter diesen Umständen nicht mehr richtig". Henschel erklärte weiter, der Verein distanziere sich ausdrücklich von sinnlosen Gewalttaten wie in Erfurt.

Erledigt haben dürfte sich damit auch die Forderung der CDU im Gemeinderat, Burgahn solle den Ratsbeschluss für nichtig erklären. Fraktionschef Hans-Georg Kuropka, der auch Mitglied des Kreiselternrates ist, hatte argumentiert, Henschel als stellvertretender Bürgermeister hätte wegen Befangenheit von der Abstimmung ausgeschlossen werden müssen. Gestern zeigte Kuropka sich erleichtert über den Rückzug des Vereins. "Man darf nach solchen Vorfällen wie in Erfurt nicht einfach zum Alltag übergehen."
Erleichterung herrscht auch in Magdeburg. "Ich begrüße ausdrücklich diese Entscheidung und zolle den Sportschützen großen Respekt für die Verantwortung, die sie damit zeigen", sagte Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) der dpa."

Was an diesem nun schon sechs Jahre alten Fall auch heute noch bedenklich stimmt, sind folgende Aspekte:
a) Von Medien und Politik werden alle Sportschützen für die Straftat eines Einzelnen in Kollektivhaftung genommen, rationale Argumente, die nur in einer gemäßigten Atmosphäre wirken können, drangen nicht mehr durch.
b) Eine Provinzposse wird zu einer Angelegenheit überregionaler Bedeutung stilisiert, wobei die verschiedenen Ebenen einer einzelnen Partei (nämlich der CDU) eine maßgebliche Rolle gespielt haben;
c) Die hysterische Kampagne wurde weder von der SPD, den Grünen oder der PDS angeführt, sondern von der CDU - womit (einmal mehr) erwiesen ist, daß deren vorgeblich waffenbesitzerfreundliche Positionen das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Selbst der Innenminister als bekennnender Sportschütze hatte keinerlei Hemmungen, bei dieser Treibjagd mitzumachen, da sie politischen Gewinn versprach. Statt auf vernünftiges Argumentieren hat auch diese "bürgerliche" Partei auf billigste Emotionalisierung gesetzt.

Wie anders ist die Lage doch in vielen Staaten Osteuropas, wo derartige Berührungsängste nicht bestehen. Und das liegt weniger an Unterschieden in der Rechtslage als vielmehr an der gesellschaftlichen Akzeptanz dieses Sports.
So werden z.B. in Polen Schüler im Rahmen des Schulunterrichts an das Field-Target-Schießen herangeführt. Oder es finden Wettkämpfe zwischen den Mannschaften verschiedener Schulen statt.
Auch in Russland gibt es in vielen Schulen Arbeitsgemeinschaften für das Sportschießen und entsprechende Wettbewerbe (siehe z.B. hier, hier, hier, hier und hier).
Ähnliche Beispiele findet man ebenfalls in der Ukraine, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und dem Baltikum. Übrigens gab es auch in der früheren DDR solche AG "Junger Schütze" im Rahmen der GST.
Man kann davon ausgehen, daß nahezu alle Schüler in den genannten Staaten während ihrer Schulzeit mindestens einmal mit einem Luftgewehr geschossen haben. Allein diese Vorstellung dürfte bei deutschen Hoplophoben und Pazifisten schon zu Schweißausbrüchen führen.

Ich bin mittlerweile zu der Auffassung gelangt, daß die Menschen in Osteuropa noch viel "normaler ticken" als viele Westeuropäer - und das nicht nur bei diesem Thema, sondern auch bei anderen. Auf meinen Reisen in diese Länder habe ich dies mehrfach festgestellt. Und viele Westeuropäer blicken auf die Menschen dort auch noch herab und mißverstehen ihre eigene Dekadenz als zivilisatorische Überlegenheit.


Verwandte Beiträge:
22.03.2009: Bilder des Tages
"Schwerter zu Pflugscharen"

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen