Ein nur wenig bekanntes Kapitel aus der Geschichte des Zweiten Weltkrieges stellt der Historiker Günther Deschner in seiner Schrift „Bomben auf Baku“ vor. Es geht um nichts weniger als die 1939/40 entworfenen britisch-französischen Pläne für massive Angriffe auf die südliche Sowjetunion, namentlich die Kaukasusregion. Damit sollten zwei Ziele verfolgt werden. Zum einen ging es um ein Abschneiden der deutschen Rohstoffzufuhren (vor allem Erdöl und Erdölprodukte) aus der SU, zum anderen um die Fortsetzung jenes schon nach 1917 begonnenen „Kreuzzugs gegen den Bolschewismus“. Deschner stellt die alliierten Planungen völlig zu recht in den Kontext der Intervention der Westmächte während des russischen Bürgerkrieges (1918-1919) und zeigt so langfristige Kontinuitäten des politischen Denkens auf, die teilweise bis heute fortwirken.
Konkret waren zunächst Luftangriffe gegen Industriezentren im Kaukasus geplant. Diese sollten durch Geheimdienstoperationen ergänzt werden, mithilfe derer bewaffnete Aufstände unter der dort lebenden Bevölkerung ausgelöst werden sollten. Schließlich waren auch Vorstöße zu Lande geplant, für die allein französischerseits eine Streitmacht von 150.000 Mann – vollmotorisiert! – zur Verfügung stand. Ins Werk wurde davon jedoch nichts gesetzt, doch fehlten die modernen Kampfflugzeuge und mechanisierten Verbände im Frühjahr 1940 während des Kampfes um Frankreich. Im Ergebnis waren die Planungen also nichts als eine große Diversion – allerdings nicht vom Gegner, sondern von den alliierten Generalstäben durchgeführt.
Deschner zeigt auf, daß das Kriegsbündnis der Jahre 1941 bis 1945 keineswegs natürlich war und auch andere Konstellationen denkbar gewesen wären. Des weiteren wird deutlich, daß die europäischen Großmächte keineswegs alle so friedliebend waren, wie sie sich selbst in der Rückschau gerne sehen. Und – das macht den aktuellen Wert des Buches aus – es werden jene westlichen Denkmuster hinsichtlich Rußlands aufgezeigt, die auch heute noch sehr oft anzutreffen sind, trotz alle Beteuerungen des Gegenteils.
Das führt zu einem weiteren, rein historischen Punkt: Da die Staatsführung der UdSSR von Deutschland über die Angriffspläne informiert worden war, baute sich bei ihr ein Mißtrauen gegenüber den Westmächten auf, das bis zum Kriegsende nicht abgebaut werden konnte. Ferner zeigt sich, daß um das Jahr 1940 herum von einem festgefügten völkerrechtlichen Verbot des Angriffskrieges keine Rede sein konnte.
Das Thema ist freilich nicht ganz neu und wurde bereits 1973 auch vom Spiegel aufgegriffen.
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