Montag, 25. Juli 2011

Vielleicht doch kein Wahnsinniger


Der Doppelanschlag, dem am Freitag in Oslo und Umgebung über hundert Menschen zum Opfer gefallen sind, hat Eigentümlichkeiten, die ihn von den in den letzten Jahren bekanntgewordenen Amokläufen unterscheiden. Letztere trugen regelmäßig den Charakter eines erweiterten Selbstmords, d.h. der Täter wollte die Menschen, die er für sein verpfuschtes Leben verantwortlich gemacht hat, mit in den Tod nehmen. Das war beim Massenmord in Norwegen anders. Nach allem was bisher bekanntgeworden ist, hat sich der Täter monatelang akribisch auf den Tag X vorbereitet: Tarnfirmen gegründet, Sprengstoff hergestellt, finanzielle Transaktionen getätigt, PR-Maßnahmen betrieben bzw. vorbereitet. Und er hat sich, nachdem er sein blutiges Werk volbracht hatte, widerstandslos festnehmen lassen. Kein Selbstmord also. Auf seinen Überlebenswillen deutet auch die getragene ballistische Schutzweste hin. Folglich wirft schon die Begehensweise Fragen auf.

Darauf deuten auch seine vor der Polizei gemachten Aussagen hin. So soll er davon gesprochen haben, daß es ihm um die Bekämpfung von Islam und "Kulturmarxismus" gegangen und daß seine Tat zwar grausam, aber notwendig gewesen sei. Dies deutet darauf hin, daß er sich seiner Handlungen und ihrer Konsequenzen vollauf bewußt war. Somit verbietet es sich - zumindest vor einer genaueren psychiatrischen Untersuchung -, von einem kranken und gestörten Täter zu sprechen, denn man kann seinen Handlungen eine gewisse innere Rationalität nicht absprechen. Er sieht die Einwanderung von Muslimen nach Norwegen als Bedrohung an und wendet sich mit Gewalt gegen die politischen Kräfte innerhalb Norwegens, die seines Erachtens dafür verantwortlich sind: die Sozialdemokraten.

Die Begründung, daß man endlich mit Gewalt gegen den in Europa vordringenden Islam vorgehen müsse, habe ich übrigens vor Jahren schon einmal gehört. Am Rande einer studentischen Großveranstaltung in Berlin meinte einer der Teilnehmer, daß man wohl erst einmal ein paar Millionen Muselmanen umbringen müßte, damit sie Europa den Rücken kehren und "uns" in Frieden lassen. Bereits damals war ich über diese These erstaunt und die Ereignisse in Norwegen zeigen, daß sich dieser Gedanke in Kreisen radikaler Islamgegner offenbar festgesetzt hat. Während es in diesen Kreisen, die sich in Deutschland um Webseiten wie z.B. Politically Incorrect scharen, zumeist bei verbalen Unmutsäußerungen (wenn auch oft unterhalb der Gürtellinie) bleibt, dann wissen wir jetzt, daß dieses Denken, sofern es sich radikalisiert, auch erhebliche Konsequenzen haben kann.

Deshalb sollten die Taten von Oslo Anlaß zum Nachdenken sein. Zum einen für die Islamkritiker. Zu oft wird von ihnen eine radikale und blutrünstige Sprache verwendet. Es wird doch wohl möglich sein, die zweifelsohne bestehenden Probleme mit islamischen Zuwanderern in den europäischen Gesellschaften zu thematisieren, ohne sich dabei im Ton zu vergreifen oder, wie etwa im Fall der Mohammed-Karrikaturen, andere Menschen bewußt zu beleidigen. So kommt kein zielführender Dialog zustande.

Vor allem aber müssen die Gewaltphantasien aufhören. Der oben genannte Student führte dann weiter aus, er hoffe auf den freiwilligen "Rückzug" der Muselmanen aus Europa, vielleicht komme man in diesem Fall auch ohne oder mit wenig Gewalt aus. Dabei wird übersehen, daß die Mehrzahl der hier lebenden Muslime auch hierbleiben will. Eine freiwillige Rückwanderung wird somit nicht stattfinden und eine vom Staat angeordnete Zwangsrückführung dürfte aus vielerlei politischen und rechtlichen Gründen scheitern. D.h. daß die Moslems auch hier in Europa bleiben werden; sie sind damit automatisch zu einem Teil unserer Gesellschaften geworden. Mithin erübrigt sich auch jede (Schein-)Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht.

Die Korangläubigen sind hier und wir Autochthonen müssen mit diesem Tatbestand umgehen. Mir persönlich wäre es lieber, es würden mehr christliche Kirchen anstelle von Moscheen gebaut und auch mir sind die bärtigen, weißgekleideten jungen Männer auf dem Weg zum Freitagsgebet nicht immer geheuer. Doch was hilft es, die Realität zu ignorieren und sich in Träume vom christlichen Abendland zu flüchten? Wenn man keinen Akt der Barbarei wie in Norwegen begehen will, dann muß man sich auf eine Gesellschaft einstellen, in der auch der Koran einen Platz hat - unabhängig davon, was man von theoretischen Konzepten wie Multikulti hält.

Das war die eine Seite. Doch auch die andere kann nicht so weitermachen. Es ist einfach zu billig, jeden Islamkritiker der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und des Rechtsextremismus zu beschuldigen. Einige dieser Leute können auf reale negative Erfahrungen mit muslimischen Zuwanderern zurückblicken. Die von manchen dieser Einwanderer verursachten Probleme - insbesondere im Bereich der Kriminalität - sind unzweifelhaft vorhanden, weshalb Leugnen absurd ist.

Leugnen und das Beharren auf der Xenophobiethese führen im Extremfall - wie in Norwegen - dazu, daß sich Kritik nicht mehr mit Worten, sondern mit Gewalt äußert, weil sich der Kritiker völlig unverstanden fühlt. Das muß verhindert werden, indem reale Probleme und Konflikte auch offen benannt und diskutiert werden dürfen - wobei freilich auf das Minimum an zwischenmenschlichem Respekt zu achten ist, ohne welches kein Gespräch möglich ist (doch dieser Respekt ist etwas anderes als die abweichende Meinungen erstickende PC).
Und es muß auch für unsere Sicherheitsbehörden möglich sein, gegen gewaltbereite Islamisten und schnöde Kriminelle moslemischen Glaubens vorzugehen, ohne daß dies als "Kreuzzug" gegen alle Muslime dargestellt oder wahrgenommen wird. Analoges gilt für andere Gruppen hier lebender Ausländer, deren "Migrationshintergrund" kein Freibrief für das Begehen von Straftaten sein darf.

Schließlich werden die norwegischen Behörden auf der praktischen Ebene einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Wie konnte es dazu kommen, daß der Täter 90 Minuten auf der Ferieninsel ungehindert über 80 Menschen töten konnte? Wieso haben die Spezialkräfte der Polizei aus der nur knapp 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo so unsagbar viel Zeit benötigt, bis sie auf der Insel Utøya waren? Gab es auf der Insel niemanden, der ihn möglicherweise hätte stoppen können (z.B. privater Sicherheitsdienst, ortsansässiger Jäger)? Das war kein spontaner Amoklauf eines Irren, sondern ein geplantes, anderthalbstündiges Massaker, dessen Urheber anscheinend wußte, was er tat.

Die Tat des Anders Behring Breivik war zwar höchst unmoralisch, aber nicht unbedingt irrational. Die durch sie aufgeworfenen Fragen werden sich jedoch in den deutschen Medien wohl kaum wiederfinden. Statt dessen wird die Journaille vermutlich wieder den gewohnten Film abspielen: geistesgestörter Täter, schlechte Kindheit, Killerspiele und Schußwaffen, der diesmal noch durch die Zutaten christlicher Fundamentalismus, Islamophobie, Rechtsterrorismus usw. angereichert wird. Und es werden wieder die üblichen Verdächtigen zu Wort kommen, die die üblichen Parolen verbreiten ...


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Foto: DPA.
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