Sonntag, 29. November 2009

Ist die jüngste Verschärfung des Waffenrechts verfassungswidrig?


1. Einleitung

Seit im Sommer diesen Jahres die Verschärfung des Waffengesetzes im Eilverfahren durch die gesetzgebenden Instanzen gepeitscht wurde, stellen sich viele Legalwaffenbesitzer die Frage, ob es Erfolgsaussichten für eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz gibt. Den größten verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet m.E. die Neuformulierung von § 27 III S. 1 Nr. 2 WaffG, womit Jugendlichen unter 18 Jahren das sportliche Schießen mit anderen als den dort genannten Waffenarten verboten wurde:
"Unter Obhut des zur Aufsichtsführung berechtigten Sorgeberechtigten oder verantwortlicher und zur Kinder- und Jugendarbeit für das Schießen geeigneter Aufsichtspersonen darf […] Jugendlichen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht 18 Jahre alt sind, auch das Schießen mit sonstigen Schußwaffen bis zu einem Kaliber von 5,6 mm lfB (.22 l.r.) für Munition mit Randfeuerzündung, wenn die Mündungsenergie höchstens 200 Joule (J) beträgt und Einzellader-Langwaffen mit glatten Läufen mit Kaliber 12 oder kleiner gestattet werden, wenn der Sorgeberechtigte schriftlich sein Einverständnis erklärt hat oder beim Schießen anwesend ist."
Der Gesetzgeber hat mit dieser Änderung das Ziel verfolgt, Jugendlichen, die er wohl als besonders „amokgefährdet“ ansah, jeglichen Umgang mit Schußwaffen zu verwehren (wenn man von den wenigen, o.g. Ausnahmen absieht). In der amtlichen Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 16/13423) heißt es auf S. 70:
"Durch die Änderung des § 27 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 soll nunmehr Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, das Schießen mit so genannten großkalibrigen Waffen nicht mehr möglich sein. Damit soll erreicht werden, daß dieser Altersgruppe der Umgang mit diesen deliktsrelevanten Waffen verwehrt bleibt. Das Schießen für Minderjährige bleibt grundsätzlich auf Kleinkaliberwaffen beschränkt. Die Ausnahme für Flinten – und hier nur Einzellader-Langwaffen – trägt der Besonderheit der Disziplinen des Schießens auf Wurfscheiben (Trap/Skeet) Rechnung. Die Regelung in Absatz 5, eine Spezialvorschrift für jugendliche Jäger, bleibt von der Neufassung des Absatzes 3 unberührt."
Unter das Verbot fallen nicht nur die vermeintlich „bösen“ Großkaliberwaffen, sondern z.B. auch Vorderlader und (möglicherweise) Druckluftwaffen über 7,5 Joule. Somit geht der Anwendungsbereich dieser Norm weit über das während des Gesetzgebungsverfahrens verkündete politische Ziel hinaus. Entsprechende Einwände wurden z.B. vom DSB-Vertreter Jürgen Kohlheim vorgetragen, sind jedoch ungehört verhallt.

2. Das Problem der Ungleichbehandlung

Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen § 27 III 1 Nr. 2 WaffG gründen sich auf den nach wie vor unveränderten § 27 V WaffG, der es Jugendlichen ab 14 Jahren, die sich in der Ausbildung zum Jäger befinden, das Schießen auch mit großkalibrigen Waffen gestattet. Man muß kein Professor sein, um hier eine Ungleichbehandlung zu konstatieren. Die Frage ist nun, ob mit Blick auf Art. 3 I GG diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich zulässig ist.

3. Der allgemeine Gleichheitssatz des GG

Art. 3 Abs. 1 ist eine der schwierigsten Normen des deutschen Grundgesetzes. Hier ist nicht der Ort, um auf alle Facetten des allgemeinen Gleichheitssatzes einzugehen. Statt dessen werde ich mich eng an der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts orientieren.
In seiner schon klassischen, erstmals 1951 geprägten Willkürformel geht das Gericht davon aus, daß Art. 3 I GG die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem verbiete (vgl. BVerGE 1, 14 [52]). Sonach liege eine Verletzung des Gleichheitssatzes vor, wenn sich kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung finden lasse. Damit wird dem Gesetzgeber ein äußerst weiter Gestaltungsspielraum zugestanden.
In seiner jüngeren Judikatur hat sich das BVerfG verschiedentlich zur Dogmatik des Gleichheitssatzes geäußert und neigt seit 1980 dazu, zwischen der (Un-)Gleichbehandlung gleicher Normadressaten und der (Un-)Gleichbehandlung gleicher Lebenssachverhalte zu differenzieren, wobei es im letztgenannten Fall bei der Willkürformel bleibt, während die (Un-)Gleichbehandlung gleicher Normadressaten einer verschärften Prüfung standhalten muß, die bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen kann (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; s. auch Bryde / Kleindiek: Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Jura 1999, S. 36 ff. [39 f.]):
"Demgemäß ist dieses Grundrecht [Art. 3 I GG, Anm. E.K.] vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten." (BVerfGE 55, 72 [88])
Damit hat das Gericht die Bedeutung der Freiheitsgrundrechte auch für die Auslegung des Gleichheitssatzes gestärkt (vgl. Osterloh: Art. 3, in: Sachs (Hrsg.): Grundgesetz, 5. Aufl., München 2009, Rdnr. 15).

4. Anwendung des Gleichheitssatzes auf § 27 WaffG

Die entscheidende Frage ist nun, ob es sich im Vergleich der Absätze 3 und 5 des § 27 WaffG um Lebenssachverhalte oder Normadressaten handelt, denn danach richtet sich der Prüfungsmaßstab.

Man könnte zunächst geneigt sein, von ungleichen Lebenssachverhalten auszugehen. Im Abs. 3 finden sich Regelungen für Kinder und Jugendliche, die dem Schießsport nachgehen wollen, während Abs. 5 für Jungjäger gilt. Dem ist jedoch nicht so! Der Gesetzgeber hat mit seinen Änderungen im Sommer 2009 eindeutig das Ziel verfolgt, Personen unter 18 Jahren den Umgang mit erlaubnispflichtigen Schußwaffen – mit Ausnahme der in § 27 III 1 Nr. 2 genannten Ausnahmen (kurz: Kleinkaliberwaffen und Schrotflinten) – zu verwehren. Das geht aus der Gesetzesbegründung eindeutig hervor (vgl. BT-Drs. 16/13423, S. 70).
Um so erstaunlicher ist es, daß der Widerspruch zwischen den beiden hier in Rede stehenden Absätzen des § 27 WaffG während des Gesetzgebungsverfahrens nicht aufgefallen ist oder, falls doch, von den Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates nicht als problematisch angesehen wurde. Denn an derselben Stelle heißt es, Absatz 5 als Spezialvorschrift für jugendliche Jäger bleibe unberührt.

Die Änderung des WaffG sollte also – so zumindest die Intention des Gesetzgebers – alle Jugendlichen treffen. Dies kann auch gar nicht sein, da die wohl implizit unterstellte Amokneigung dieser Personengruppe sich kaum danach unterscheiden dürfte, ob ein Jugendlicher zwischen 14 und 18 im Rahmen der Schießsports oder der Jagdausbildung mit einer WBK-pflichtigen Waffe schießt. Denn eine solche Waffe darf ein Jugendlicher in keinem Fall besitzen (vgl. § 2 I WaffG); es geht in den Fällen des § 27 III u. V WaffG immer nur um einen temporären und zudem beaufsichtigten Umgang mit den dort genannten Schußwaffen.

Daraus folgt: Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Ungleichbehandlung von Normadressaten, die sich hinsichtlich ihres insoweit wesentlichen Merkmals, nämlich dem Lebensalter, nicht unterscheiden. Es liegen auch keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht (im Sinne der Neuen Formel) vor, die diese Differenzierung begründen könnten.

Der einzigste Unterschied zwischen jugendlichen Jägern und Sportschützen dürfte in der finanziellen Potenz dieser beiden Personenkreise liegen. Während es sich beim Schießsport um einen Breitensport handelt, denn potentiell jeder Jugendliche ausüben kann, sind das Erlernen und die Ausübung der Jagd mit vergleichsweise höheren Aufwendungen verbunden, die sich nur ein Teil der deutschen Bevölkerung leisten kann. Es gibt folglich weniger jugendliche Jäger als Sportschützen. Somit wären wir bei einer sozialen Differenzierung, die der Gesetzgeber allerdings nicht zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Regelungen in den Abs. 3 und 5 von § 27 WaffG heranziehen darf (vgl. Art. 20 I GG). Zudem kann die finanzielle Potenz eines Jugendlichen bzw. seines Elternhauses kein relevantes Kriterium bei der Regelung von Fragen der öffentlichen Sicherheit im allgemeinen und der Prävention von (Schul-)Amokläufen im besonderen sein. Anderenfalls müßte der Gesetzgeber einen Kausalzusammenhang zwischen diesem Parameter und der Gewaltneigung Jugendlicher nachweisen.

5. Ließe sich die Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertigen?

Selbst wenn man hilfsweise einmal die Willkürformel anwendet und fragt, ob sich die Ungleichbehandlung jugendlicher Jäger und Sportschützen ausnahmsweise durch einen sachlichen Grund rechtfertigen ließe, so wird sich eine solche Rechtfertigung nicht finden lassen. In Deutschland herrscht gewiß kein Jägermangel, der es etwa aus forstwirtschaftlichen Gründen geboten erscheinen ließe, besonders schnell Nachwuchs für die Ausübung des Waidwerks auszubilden.
Somit ist die Neuregelung auch nach dem weniger strengen Prüfungsmaßstab der Willkürformel zu beanstanden. Die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung unterschiedlicher Gruppen von Jugendlichen erscheint in der Tat als willkürlich.

Im übrigen ist das Thema während des Gesetzgebungsverfahrens zwar angesprochen worden (vgl. z.B. die Stellungnahme von Dieter Deuschle, S. 2), anscheinend hat jedoch keiner der Politiker oder Sachverständigen die verfassungsrechtliche Brisanz erfaßt. Die BT-Drs. 16/13423 deutet jedoch darauf hin, daß man eine Ungleichbehandlung zumindest geahnt hat. An einer Begründung derselben fehlt es jedoch (vgl. S. 70); offenkundig sind auch unseren Abgeordneten keine sachlichen Gründe eingefallen.

6. Ergebnis

Das in der Neufassung von § 27 III 1 Nr. 2 enthaltene Verbot für jugendliche Sportschützen, mit anderen als den dort ausnahmsweise genannten Schußwaffen auf Schießstätten zu schießen, verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und ist somit verfassungswidrig.

7. Exkurs

Man könnte jetzt noch die Frage stellen, ob § 27 III 1 Nr. 2 und § 27 V WaffG noch andere Normadressaten neben den dort genannten Kindern und Jugendlichen haben. Das sind zweifelsohne Erwachsene, worauf § 53 I Nr. 12 WaffG hinweist (damit sind etwa Eltern und Schießstandbetreiber gemeint). Dieser Befund ändert jedoch nichts an der soeben entwickelten Argumentation, sondern hat vor allem Auswirkungen auf die prozeßrechtlichen Fragen einer evtl. Verfassungsbeschwerde (kurz: Wer darf in Karlsruhe klagen?).
Außerdem könnte sich hier eine weitere Dimension der Ungleichbehandlung auftun, denn Erwachsene, die einem jugendlichen Sportschützen entgegen § 27 III 1 Nr. 2 WaffG das Schießen mit einer Waffe gestatten, begehen eine Ordnungswidrigkeit. Eine OWi liegt hingegen nicht vor, wenn sich ein Jugendlicher in der Ausbildung zum Jäger befindet. Hier erhebt sich die Frage, wann von einer solchen Ausbildung überhaupt gesprochen werden kann, insbesondere, an welche formalen und somit kontrollierbaren Kriterien sie gebunden ist.
Folglich ergänzen die soeben skizzierten Gedanken die bisherigen Ausführungen. Bezüglich § 27 WaffG bestehen also noch einige verfassungsrechtliche Unklarheiten.

8. Wie weiter?

Dieses Ergebnis ist an sich nicht unerfreulich, jedoch ist damit allein für die deutschen Legalwaffenbesitzer (leider) noch nichts gewonnen.

Zunächst braucht es einen von der Neuregelung betroffenen Bürger, der bereit ist, eine entsprechende Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben (zum Verfahren s. §§ 90 ff. BVerfGG). Diese ist gegen das Gesetz zu richten, denn § 27 III 1 Nr. 2 WaffG gilt unmittelbar und bedarf keines weiteren Vollzugsaktes. Dabei ist die Frist des § 93 III BVerfGG zu beachten, d.h. die Verfassungsbeschwerde muß bis zum 17.07.2010 in Karlsruhe eingereicht werden. M.E. ist es die Aufgabe der Organisationen der deutschen LWBs, einen potentiellen Kläger auf seinem beschwerlichen Weg auch finanziell zu unterstützen.

Und selbst, wenn das BVerfG der hier vertretenen Argumentation folgen würde, heißt das noch nicht, daß die Änderung des § 27 III WaffG wieder zurückgenommen wird! Denn der allgemeine Gleichheitssatz hat eine Crux: Verfassungsrechtlich geboten ist in der Regel lediglich die Gleichbehandlung als solche. Wie diese konkret auszugestalten ist, bleibt dem Gesetzgeber – also Bundestag und Bundesrat – überlassen. Es könnte folglich im schlimmsten Fall passieren, daß in Folge eines eventuellen BVerfG-Urteils § 27 V WaffG an den Abs. 3 angepaßt wird, womit auch für Jungjäger eine höhere Altersgrenze verbunden wäre. Ein derartiges Ergebnis wäre natürlich unangenehm und kontraproduktiv.
Daher bedarf es unsererseits politischer Aktivitäten, die eine Verfassungsbeschwerde flankieren, um so zu einem positiven Gesamtergebnis zu kommen. Ansonsten wäre eine Entscheidung aus Karlsruhe nicht mehr als ein Pyrrhussieg. Seit der Bundestagswahl im September 2009 und den jüngsten Personalveränderungen im BMI dürften unsere Erfolgsaussichten in der politischen Arena ein wenig gestiegen sein. Das Ziel der LWB sollte darin bestehen, wieder vergleichbare Regelungen für jugendliche Jäger und Sportschützen zu schaffen, d.h. es geht zumindest um eine Wiederherstellung der bis Juli 2009 geltenden Rechtslage.

Schließlich muß die Öffentlichkeitswirkung einer für uns positiven Entscheidung des BVerfG bedacht werden. Das Gericht genießt in der Bevölkerung ein großes Vertrauen, weshalb die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Teilen der Waffenrechtsverschärfung die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren würde, daß auch Schützen, Jäger und Sammler Grundrechtsträger sind und deshalb nicht einfach so zum „Abschuß“ freigegeben werden dürfen.


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