Donnerstag, 11. November 2010

Die "öffentliche Ordnung" im Waffenrecht


Das Problem

Im April 2010 hat (wie hier schon berichtet) der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer Sportschützen generell als potentielle Amokläufer diffamiert. Dazu kam dann der geradezu ungeheuerliche Satz: „Die Welt der Sportschützen ist offenkundig eine andere als die der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung […]“.
Diese Einlassungen dienen nicht nur der Verunglimpfung einer ganzen Sportart und der sie betreibenden Bürger und ihrer Organisationen. Diese sollen auch vom Rest der deutschen Gesellschaft isoliert und aus dieser ausgegrenzt werden. Sollte diese Absicht, die von Scheer und seinen Gesinnungsgenossen verfolgt wird, Erfolg haben, dann könnten sich daraus neben anderen auch rechtliche Probleme ergeben.

„Öffentliche Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“

In § 1 I des Waffengesetzes heißt es:
"Dieses Gesetz regelt den Umgang mit Waffen oder Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung."
Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ ist unproblematisch. Hierunter wird die Unversehrtheit der Rechtsordnung inklusive des Schutzes von Individualrechtsgütern wie z.B. Leben, Gesundheit, Freiheit, Vermögen verstanden. (Dazu kommt noch das hier irrelevante Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen; vgl. ausführlich Schenke: Polizei- und Ordnungsrecht, Heidelberg 2004, S. 25 ff.) Wichtig ist, daß die der öffentlichen Sicherheit unterfallenden Rechtsgüter durch ein Gesetz geschützt sind, wie etwa das menschliche Leben durch die §§ 211 ff. StGB.

Schwieriger ist es mit der „öffentlichen Ordnung“. Das Bundesverfassungsgericht hat sie unter Rückgriff auf die klassische polizeirechtliche Literatur wie folgt definiert:
"[…]

Unter "öffentlicher Ordnung" wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.

[…]" (BVerfGE 69, 315 [352])
Die Verwendung dieses Rechtsbegriffs ist in den zurückliegenden Jahrzehnten häufig kritisiert worden, denn es ist hochproblematisch, in einer pluralistischen und offenen Gesellschaft auf eine Art „gesundes Volksempfinden“ abzustellen, um damit staatliches Handeln zu rechtfertigen. Um so mehr, wenn sich der betroffene Bürger auf ein verbrieftes Grundrecht berufen kann. Denn bei einem möglichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung geht es gerade nicht um einen Verstoß gegen geltendes Recht, sondern um ein Verhalten, welches möglicherweise irgendwelchen Anschauungen über Sitte und Moral widerspricht. Zweifelhaft ist natürlich, wie derart herrschende Anschauungen festgestellt werden sollen. Durch Bürgerbefragungen, durch Auswertung der Leserbriefe in der örtlichen Presse oder durch die Privatmeinung eines Behördenleiters?

(In einigen Ländern wird dieser Rechtsbegriff gar nicht mehr oder nur noch mit großer Zurückhaltung verwendet. Dort, wo man ihn noch kennt, finden sich häufig Legaldefinitionen, die von der o.g. zum Teil geringfügig abweichen. Auf Bundesebene – und darauf kommt es hier an – ist dies jedoch nicht der Fall.)

Die besondere waffenrechtliche Dimension

Die öffentliche Ordnung könnte sich zur Einbruchstelle für weitere, diesmal rein administrative Restriktionen im Waffenrecht entwickeln. Gelingt es den Waffengegnern in Politik und Medien erst einmal, ihre Vorstellungen von der „Unmoral“ des privaten Waffenbesitzes im allgemeinen und dem Sportschießen im besonderen in der Bevölkerung zu verankern, dann könnten u.U. viele Kleinkriege für die Durchsetzung unserer Rechte drohen. Die Tendenz besteht – wie nicht nur Scheers o.g. Äußerungen belegen, sondern auch manche von den Medien publizierten Meinungsumfragen.

Welches sind nun die Einbruchstellen für die „öffentliche Ordnung“ im WaffG? Der Begriff wird neben § 1 in folgenden Normen verwendet:
  • § 8 („Der Nachweis eines Bedürfnisses ist erbracht, wenn gegenüber den Belangen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung […]“);
  • § 9 I („Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz kann zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung inhaltlich beschränkt werden […]“);
  • § 12 V (weitere Ausnahmen von den Erlaubnispflichten);
  • § 15a IV (Sportordnungen: „[…] zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Schießsports Vorschriften über die Anforderungen und die Inhalte der Sportordnungen zum sportlichen Schießen zu erlassen und insbesondere zu bestimmen, dass vom Schießsport bestimmte Schusswaffen wegen ihrer Konstruktion, ihrer Handhabung oder Wirkungsweise ganz oder teilweise ausgeschlossen sind“);
  • § 27 VII (Verordnungsermächtigung hinsichtlich Schießstandbetrieb);
  • § 42 II (Ausnahmegenehmigungen für das Führen von Waffen bei Veranstaltungen).
In der Allgemeinen Waffenverordnung (AWaffV) sind es darüber hinaus folgende Bestimmungen:
  • § 5 III (Erprobung neuer Schießsportdisziplinen: „[...] Das Bundesverwaltungsamt kann zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Zulassungen nach Satz 1 untersagen oder Anordnungen treffen.“);
  • § 9 II (zulässige Schießübungen);
Für unser Problem sind die vier soeben auszugsweise zitierten Bestimmungen von besonderem Interesse. Wie kann man gegenüber den Belangen der öffentlichen Ordnung sein Bedürfnis nachweisen, wenn selbige besagt, daß privater Waffenbesitz unmoralisch sei (§ 8 WaffG)? Welche Beschränkungen waffenrechtlicher Erlaubnisse gem. § 9 WaffG müssen hingenommen werden, um den Forderungen solcher rigorosen Anschauungen entgegenzukommen? Reicht eine Änderung der Allgemeinen Waffenverordnung aus, um – wie etwa vom ABW angestrebt – Großkaliberwaffen aus dem Schießsport zu verbannen – mit der Begründung, sie stellten eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ dar, da letztere gegen die Verwendung von GK-Waffen sei (§ 15a WaffG)? Welche Gefahren könnten der öffentlichen Ordnung durch die Erprobung neuer Sportdisziplinen drohen (§ 5 AWaffV)?

Wie man sieht, ist dieser diffus bleibende Rechtsbegriff schon im Waffenrecht selbst in zentralen Vorschriften enthalten – und die Waffengegner wie Scheer & Co. arbeiten mit Hochdruck daran, die Deutungshoheit über den Inhalt der öffentlichen Ordnung zu gewinnen und ihre Sicht deutschlandweit zu verbreiten.

Die Dimension des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts

Doch nicht nur das WaffG selbst, auch landesrechtliche Vorschriften des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts könnten Anwendungsmöglichkeiten für eine von notorischen Waffengegnern definierte öffentliche Ordnung bieten. Ein mögliches Beispiel dafür wäre ein behördliches Verbot eines Schießwettkampfs von jugendlichen Schützen mit der Begründung, daß die im betreffenden Gebiet herrschenden Anschauungen von Sitte und Moral den Umgang von Jugendlichen mit Schußwaffen generell ablehnen würden. Solch ein Verbot müßte nicht auf das WaffG gestützt werden, das jeweilige Polizei- und/oder Ordnungsbehördengesetz mit seiner Generalklausel wäre unter Umständen ausreichend.

Gewiß, das ist nach heutigem Stand eine düstere Vision. Doch sie ist keineswegs so absurd, wie es vielleicht zunächst klingen mag. Schließlich werden mit derselben Begründung in einigen Teilen Deutschlands seit Jahren Paintball- und ähnliche Spiele verboten, denen man einen angeblich menschenverachtenden Charakter unterstellt (vgl. dazu hier). Was sollte also notorische Gutmenschen daran hindern, diese Mittel auch gegen den Schießsport einzusetzen? Damit ist natürlich noch nicht gesagt, daß ihr Handeln einer gerichtlichen Überprüfung standhielte. Aber das muß es auch nicht, schließlich geht es ihnen eher darum, „ein Zeichen zu setzen“ und die Legalwaffenbesitzer zu ärgern. Und das könnten sie auf diesem Wege allemal tun.


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