Montag, 12. Juli 2010

Die Stuttgarter Waffensteuer



Seit einigen Tagen erhitzen sich die Gemüter der deutschen Waffenbesitzer - zu recht! - an der von der Stadt Stuttgart geplanten Besteuerung des legalen privaten Waffenbesitzes. Zuvörderst sollen damit Beträge in einer siebenstelligen Größenordnung in die Stadtkasse gespült werden, doch ist man sich im "Ländle" nicht zu schade, dieses profane Ansinnen moralistisch als vermeintliche Erhöhung der Sicherheit zu bemänteln. Dazu ist schon einiges geschrieben worden, etwa vom DWJ, dem Tetra-Gun-Blog (vgl. hier und hier), Pro Legal sowie Visier.
Dort werden die richtigen politischen Argumente vorgetragen, die sich gegen eine solche Steuer ins Feld führen lassen. Ich muß das hier nicht noch einmal wiederholen und möchte mich statt dessen lieber den rechtlichen Aspekten dieser Besteuerungsidee widmen.

Ein verbindlicher Beschluß liegt noch nicht vor und ist erst für den Herbst geplant. Auf der amtlichen Webseite der Stadt heißt es:
"[...]

Als Bestandteil des Maßnahmenpakets schlägt die Verwaltung die Einführung einer Waffenbesitzsteuer zum 1.1.2011 vor. Wie Oberbürgermeister Dr. Schuster ausführte, wäre Stuttgart damit die erste Kommune, die den Besitz von Waffen besteuern würde.

Die tragischen Ereignisse in Winnenden und Wendlingen und die Verschärfung des Waffenrechts waren Auslöser für Überlegungen zur Einführung einer Waffenbesitzsteuer. Deshalb hat der Städtetag Baden-Württemberg ein Gutachten zur Klärung der Frage erstellen lassen, ob eine kommunale Aufwandssteuer auf den Besitz von Waffen in Baden-Württemberg rechtlich zulässig ist und eingeführt werden kann.

Das Gutachten der Kanzlei Graf von Westphalen in Freiburg kommt zum Ergebnis, dass die Einführung einer Waffenbesitzsteuer im Rahmen des Steuerfindungsrechts zulässig ist. Im Vordergrund steht die Einnahmeerzielungsabsicht, aber auch der Lenkungszweck, der mit einer solchen Abgabe verfolgt wird und in rechtlich zulässiger Weise verfolgt werden kann. Die Waffenbesitzsteuer kann jedoch nicht unterschiedslos von allen Waffenbesitzern erhoben werden.

Vielmehr sind nach dem Gutachten Ausnahmetatbestände für jene zu berücksichtigen, bei denen der Waffenbesitz zur allgemeinen Lebensführung gehört und daher nicht mit einer Aufwandssteuer belegt werden dürfen.

Dies gilt für juristische Personen (dazu gehören auch ins Vereinsregister eingetragene Schützenvereine), für Jäger (in einer zahlenmäßigen Limitierung auf bis zu mindestens drei Waffen), Sportschützen, die den Schießsport als Leistungssport betreiben, und für gefährdete Personen sowie solche Personen, die aus gewerblichen oder dienstlichen Gründen eine Waffe besitzen.

In der Landeshauptstadt Stuttgart sind gegenwärtig rd. 29.000 Waffen registriert. Auf der Grundlage eines Abgabensatzes von durchschnittlich 100 Euro je Waffe und unter Berücksichtigung der zu beachtenden Ausnahmetatbestände wird das Aufkommen (abzüglich eines Verwaltungsaufwands von max. 150.000 Euro im Jahr auf jährlich netto etwa 1,2 bis 1,8 Mio. Euro geschätzt.

Mit der Einführung der Waffenbesitzsteuer soll gleichzeitig auf einen eigenständigen (und rechtlich strittigen) Gebührentatbestand für verdachtsunabhängige Kontrollen der Waffenbehörden nach § 36 Abs. 3 Waffengesetz verzichtet werden.

In einer Übergangsregelung ist vorgesehen, dass Waffenbesitzer bis Ende 2011 ihre registrierten Waffen unentgeltlich bei der Landeshauptstadt Stuttgart zur Vernichtung abgegeben können und damit auch nicht der neuen Waffenbesitzsteuerunterliegen. "Damit wollen wir unterstreichen, dass es der Stadt nicht nur um die Einnahmenerzielung sondern vor allem auch um eine Reduzierung des Waffenbestandes im Besitz der Bürgerinnen und Bürger geht", erklärt Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster. "Jede Waffe weniger ist ein Zugewinn für die öffentliche Sicherheit, weil ein potentieller Missbrauch nicht stattfinden kann."

Nachdem die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Einführung einer Waffenbesitzsteuer geklärt sind, wird die Verwaltung im Oktober 2010 dem Gemeinderat eine Steuersatzung zur Beschlussfassung vorlegen.

[...]"
Der Stuttgarter Finanzbürgermeister Föll hat außerdem Wild & Hund ein Interview zum Thema gegeben.

1. Gesetzgebungskompetenz

Nach Art. 105 IIa 1 GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die Einnahmen aus diesen örtlichen Steuern stehen den Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden zu (Art. 106 VI 1 GG). Maßgeblich ist somit das baden-württembergische Landesrecht. Gemäß Art. 73 II LVerf-BW haben die Gemeinden und Kreise das Recht, eigene Steuern und andere Abgaben nach Maßgabe der Gesetze zu erheben. Diese einfachgesetzlichen Regelungen finden sich in § 78 II Gemeindeordnung-BW und § 9 Kommunalabgabengesetz-BW.
Nach diesen Vorschriften darf die Stadt Stuttgart somit auch eine Waffenbesitzsteuer per Satzung (vgl. § 4 GO-BW) erheben. Zu beachten ist allerdings die Einschränkung in § 78 II 2 GO-BW, wonach die Gemeinde auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht nehmen soll.

Erhebliche Zweifel bestehen jedoch an der Zulässigkeit der Waffenbesitzsteuer als Lenkungssteuer, welche die registrierten und rechtstreuen Bürger zur Abgabe ihrer Privatwaffen zwingen soll. Erstens dienen Kommunalsteuern in BW dem Erzielen von Einnahmen (§ 78 II 1 GO-BW), nicht der Einflußnahme auf obrigkeitlich unerwünschtes Verhalten.
Zweitens wäre die Stuttgarter Waffensteuer, soweit sie Lenkungszwecken dienen soll, ein Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Gem. Art. 73 I Nr. 12 GG steht ausschließlich dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis für das Waffenrecht zu. Von dieser Befugnis hat der Bund mit dem Erlaß des Waffengesetzes sowie verwandter Rechtsvorschriften Gebrauch gemacht.
Einer Gemeinde, deren Rechtsakt - über das WaffG hinaus - eine stärkere Einschränkung des privaten Waffenbesitzes vorsieht (das ist hier unstreitig der Fall), fehlt es mithin an der notwendigen Rechtssetzungsbefugnis. M.a.W.: Für die Verhaltenslenkung in waffenrechtlichen Fragen ist ausschließlich der Bund zuständig, nicht die Stadt Stuttgart.

(Vor der Föderalismusreform, als das Waffenrecht zur konkurrierenden Gesetzgebung zählte, wäre die Rechtslage möglicherweise eine andere gewesen. Die Stuttgarter Initiative demonstriert außerdem, wie weit die Waffengegner schon international vernetzt sind, zumindest in ideeller Hinsicht.)

2. Was soll besteuert werden?

Die Meldungen aus Stuttgart sind insoweit mehrdeutig. Einerseits ist von einer Besteuerung des privaten Waffenbesitzes die Rede. Darunter fallen wohl alle Gegenstände, die vom Regeleungsbreich des Waffengesetzes (§ 1 II WaffG) erfaßt sind, also auch Luftgewehre, Schreckschußpistolen, Armbrüste, Bajonette usw. Andererseits wird auf die bis dato schon in der Stadtverwaltung registrierten Waffen abgestellt. Dies wiederum legt den Schluß nahe, daß die Steuer nur auf erlaubnispflichtige Waffen erhoben und somit nur Inhaber einer Waffenbesitzkarte treffen soll.
Hier muß die Stadt noch deutlicher werden. Insbesondere ist fraglich, weshalb zwischen WBK-pflichtigen und WBK-freien Waffen differenziert werden sollte. Mit Blick auf den (einzig zulässigen) Zweck der Einnahmeerzielung ist eine solche Unterscheidung mit Art. 3 I GG unvereinbar. Insoweit hilft auch das Argument der leichteren Eintreibbarkeit der Steuer (Waffen sind schon registriert) nicht weiter.

Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist die angestrebte Unterscheidung zwischen Hobbyschützen und Leistungssportlern fragwürdig. Das Freiburger Rechtsgutachten hat vermutlich zu sehr auf die kleinteilige steuerrechtliche Frage, ob der Waffenbesitz zur allgemeinen Lebensführung gehört, kapriziert. Hier wurde scheinbar das verfassungsrechtliche Kriterium des Art. 3 I GG ausgeblendet: Warum sollte ein Sportschütze, der Leistungssport betreibt, besser gestellt sein als einer, der diesen Sport "nur" hobbymäßig ausübt? Wer definiert, was insoweit Leistungssport ist? Ferner ist, aus den gleichen Gründen, nicht einsichtig, weshalb Jäger gegenüber nichtprofessionellen Sportschützen bessergestellt werden sollten. Und was wird aus Waffensammlern, Sachverständigen etc.?
Hierin zeigt sich, wie unausgegoren das Stuttgarter Projekt ist. Die Ausnahmetatbestände könnten ihm das Genick brechen.

3. Datenschutz

Des weiteren bestehen aus datenschutzrechtlicher Sicht Fragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Waffensteuerprojekts. Die Erhebung und Übermittlung personenbezogener Daten durch die Waffenbehörden bestimmt sich nach § 43 WaffG; weitere Bestimmungen finden sich in § 44 WaffG. Ergänzend gilt das Landesdatenschutzgesetz BW.
Im Stuttgarter Rathaus geht man offensichtlich davon aus, daß die Inhaber einer WBK bereits bekannt sind und man deren Daten lediglich von der Waffen- an die Steuerabteilung übergeben müsse, um die geplante Waffensteuer einzutreiben. Dies setzt jedoch erstens eine Zweckänderung der bereits erhobenen Daten (aus öffentlicher Sicherheit wird die Steuererhebung) und zweitens deren Übermittlung an die Steuerbehörde voraus.

§ 15 I LDSG-BW bestimmt, daß personenbezogene Daten nur für die Zwecke verwendet werden dürfen, für die sie erhoben worden sind (Zweckbindungsgrundsatz). Das ist im vorliegenden Fall die Ausführung des Waffengesetzes unter besonderer Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit (vgl. § 1 I WaffG). Nach § 15 II Nr. 1 LDSG-BW ist eine Veränderung des Zweckes der gespeicherten Daten nur zulässig, wenn eine Rechtsvorschrift dies vorsieht. (Die zweite Alternative der zwingenden Voraussetzung war vor allem für „Altrecht“ von Bedeutung und kann hier vernachlässigt werden.) Unter einer Rechtsvorschrift in diesem Sinne ist auch eine kommunale Satzung zu verstehen (vgl. B. Sokol: § 4, in: S. Simitis (Hrsg.): Bundesdatenschutzgesetz, 6. Aufl., Baden-Baden 2006, Rdnr. 30).
Somit könnte eine Zweckänderung zulässig sein, sofern man der konventionellen Rechtsauffassung folgen will. Das gleiche gilt für die Übermittlung der Daten, wofür laut § 16 I Nr. 2 LDSG-BW dieselben Voraussetzungen wie für eine Zweckänderung gegeben sein müssen. Genaueres läßt sich allerdings erst sagen, wenn ein Satzungsentwurf bekannt ist.

Ich habe jedoch Zweifel, ob eine derartige Zweckänderung und Übermittlung heute noch zulässig ist, wenn man die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. das Urteil zur Vorratsspeicherung) mit in Betracht zieht. Der dort besonders betonte verfassungsrechtliche Maßstab der Normenklarheit spricht gegen die Zulässigkeit einer solchen "einfachen" Zweckänderung. Der Bürger muß wissen und vorhersehen können, was mit seinen vom Staat erhobenen Daten geschieht.
Im WaffG selbst finden sich bereichsspezifische Datenschutzregeln, etwa für die Übermittlung zu und von Meldebehörden (§ 44). Nach dem Grundsatz "lex specialis derogat legi generali" geht das WaffG dem LDSG-BW vor. (Bundes- und Landesdatenschutzgesetze sind nur subsidiärer Natur.) Mithin gehe ich davon aus, daß der Bundesgesetzgeber im WaffG alle möglichen Arten der Erhebung und Übermittlung von personenbezogenen Daten abschließend geregelt hat. Eine Verwendung dieser Daten für andere als im WaffG genannte Zwecke wäre folglich untersagt. Denn sonst bräuchte es § 44 WaffG nicht, da dieser Informationsaustausch auch nach den allgemeinen Bestimmungen des Datenschutzrechts organisiert werden könnte. Und eine Datenübermittlung an Steuerbehörden ist im WaffG nicht vorgesehen.

Diese zweite Rechtsauffassung ist noch ins Unreine gesprochen und bedürfte einer intensiveren Untersuchung. Sollte sie durchdringen, dann hätte dies zur Folge, daß vor der eventuellen Erhebung einer Waffensteuer die zu besteuernden Waffenbesitzer neu erfaßt werden müßten.
Insofern ist auch zu berücksichtigen, daß es sich bei der geplanten Satzung nicht um ein formelles Gesetz handelt. Denn gerade der parlamentarische Gesetzgeber ist laut BVerfG zum Normieren von Einschränkungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung berufen.

Fazit: Der Text der Waffensteuersatzung ist zwar noch nicht bekannt, doch könnten sich drei Angriffspunkte gegen dieses Projekt der Stadt Stuttgart ergeben.

Nachtrag: Das mittlerweile auszugsweise veröffentlichte Rechtsgutachten hilft bei der Beantwortung der offenen Fragen nicht viel weiter.


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